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Nr. 67 (R. 39). Leipzig, Dienstag den 20. März 1934. 1Y1. Jahrgang. Redaktioneller TÄ Börries, Freiherr von Münchhausen sechzig 3ahre. Die Freiherren von Münchhausen heißen nach dem Dorf Münchhausen am Steinhuder Meer. Die Burg dieses alten nieder sächsischen Geschlechtes stand einst auf dem Harberge bei Bad Reh- bcrg. Schon 888 kommt ein Howard von Münchhausen vor. Aber der Stammbaum beginnt erst mit dem Jahre 1150, also in der Zeit Konrads des Dritten, des ersten Hohenstaufen-Kaisers. Von da geht er lückenlos bis zu dem am 2 0. März 1874 geborenen Dich ter, der wie sein Vater mit Vornamen Börries (alte nordwest deutsche Form für Liborius) heißt. (Der Bischof Liborius von Le Mans wurde im Mittelalter besonders in Norddeutschland verehrt. Daher die vielen Bohr, Borries, Börries usw.) Der Vater des Dichters, Herzoglich Sachsen-Altenburgischer Kammerherr und Doc- tor juris, der aus den Gütern Apelern, Remeringhausen, Moringen, Oberdorf, Parensen und Windisch-Leuba regierte, war ein Liebha ber und Sammler mittelalterlicher Kunst schon zu einer Zeit, da sie noch nicht von der Kunstgeschichte allgemein anerkannt war. Die Mutter des Dichters war Klementine von der Gabelcntz, sie stammte aus einer eben so gelehrten wie adeligen Familie. Ihr Vater, der Hcrzoglich-Sachscn-Altcnburgischc Minister Hans Conon v. d. Ga- belentz, war ein großer Sprachforscher, der über mehr als achtzig Sprachen wissenschaftlich gearbeitet hat. Seine jüngste Tochter, eben die Mutter des Dichters, erbte diese Begabung. Sie kannte ein rundes Dutzend Sprachen. Sie schrieb auch Gedichte — die Ballade »Der Bauernvogt« hat der Sohn später in seine Balladensammlung mit ausgenommen. So kam denn erbmäßig in dem Dichter zu sammen: Niedersachsentum, Adel, Gotik, Kunstsinn und Kunst der Sprache. Es wurde ein Dichter, vor allem ein Balladendichter daraus. Als Gymnasiast machte Münchhausen seine ersten Verse. Er besuchte 1890 bis 1895 die Schule in Hannover. Damals veröffent lichte er zum ersten Male ein Gedicht im »Hannoverschen Anzeiger«. (Die hübsche Geschichte steht in der »Garbe« Seite 65.) Von 1895 bis 1901 studierte er in Heidelberg, München, Berlin und Göttin gen: Rechtswissenschaft vor allem, aber auch Philosophie, Natur wissenschaft, Medizin. Unter seinen Lehrern sind zu nennen: Kuno Fischer,Wilamowitz-Möllendorf, Wilhelm Heinrich Riehl. Reisen in Italien, Sizilien, Dänemark. Nicht zu vergessen: Wanderungen mit Zigeunern durch Süd- und Westdeutschland! Die vier Berliner Semester von 1897 bis 1899 waren Wohl die »tollsten« Jahre des Dichters. Er selbst schreibt kopfschüttelnd über diese Jahre der Empörung: »War es nötig, in eingebildeter Gewissenhaftigkeit So zialdemokrat zu werden, vorm Amtsgericht aus der Landeskirche auszutreten und in frechster Herausforderung einen Rosenkranz als Pfeifenschnur zu führen? Wäre ich nicht auch geworden, was ich bin, ohne daß ich in den Verbrecherkellern im Norden Berlins die Nächte durch mit üblem Volke zusammensaß und mit hoffnungsloser Mühe bei ihnen Güte und Edelsinn, ja nur ein erbsengroßes Bißel- chcn Selbstlosigkeit und Hingabe an irgendeinen Gedanken suchte? Und waren diese Stürme wirklich nötig für Leib und Seele?« Eine zeitlang hatte er auf jede Unterstützung von zu Hause verzichtet, er wohnte in einer elenden Bude eines Hinterhauses, aß zu Mittag für zehn Pfennig in der Volksküche und saß abends mit den Freun den zusammen. Diese Verkrampfungen waren sicherlich auch nötig. Aber sie lösten sich sehr rasch. Das gesunde Blut und die Empfin dung der Heimat bewahrte ihn, in der Boheme unterzugehen. Er hat bald zwischen der echten und der doktrinären Freiheit unter scheiden gelernt, zwischen der Freiheit des Herzens und der von Ressentiment erfüllten Lehre von Freiheit und Gleichheit. Von dem ferneren Schicksal Münchhausens ist hcrvorzuheben, daß er den Krieg beim sächsischen Garde-Reitcr-Rcgiment mitmachte, zunächst im Osten. Im Herbst 1916 kam er in die militärische Stelle des Auswärtigen Amtes, wurde mehrmals an die Front geschickt, nach dem Westen (Somme), nach Rumänien, Mazedonien, auch nach Konstantinopel. Sein dauernder Wohnsitz ist seit dem Kriege Win disch-Leuba. Mit dem Schloß von Windisch-Leuba, dem »Schloß in Wiesen«, ist Leben und Dichtung Münchhausens überhaupt aus das innigste verknüpft, davon zeugen die »Idyllen«, die »Fröhliche Woche mit Freunden«, auch manche Lieder. Münchhausen ist sehr streng in der Veröffentlichung seiner Dichtungen gewesen. Seine Schauspiele und die meisten seiner Prosaarbeiten hat er nicht veröffentlicht. Nach dem Kriege berech nete er einmal, daß er von hundert Gedichten nur siebzehn hat drucken lassen, dreiundachtzig hat er aus Selbstkritik zurückgehalten. Als die »endgiltige« Ausgabe der Gedichte Münchhausens sind die beiden Bände auf Dünndruckpapier: »Das Balladenbuch« von 1924 und »Das Liederbuch« von 1928 zu betrachten. Sie fassen die vielen Einzelausgaben zusammen. Einiges früher Beröfsentlichte ist darin gestrichen, anderes noch Ungedruckte hinzugekommen. Die »Idyllen« find außerdem in einer besonderen Ausgabe (in der »Kleinen Bücherei») uni eine vermehrt erschienen. Die Einzelaus gaben bestehen neben den beiden Sammclbänden weiter (Juda. Die Balladen und ritterlichen Lieder. Das Herz im Harnisch. Die Standarte. Schloß in Wiesen. Idyllen und Lieder.) Eine Auswahl aus dem Gesamtwerk enthält die »Münchhauscn-Beeren-Auslesc«. Neben dem dichterischen Werk erschienen drei Prosabände: »Fröh liche Woche mit Freunden« (1922), »Meister-Balladen. Ein Führer zur Freude« (1923), »Die Garbe« (1933). Bekannt und geliebt ist Münchhausen vor allem als Balladen dichter. Der Hauptzug seiner Balladen ist das Ritterliche. Vom leichten Pagenton bis zu der großen, ernsten und tragischen Gehaltenheit im »Marschall« und in der >Mauerballade« sind alle Töne angeschlagen. Es gibt keinen andern deutschen Dichter, der das spezifisch Ritterliche so tief und bunt, so aus der Fülle, so echt, weil sein Eigenstes, dargestellt hat wie Münchhausen. Im Zeit alter der Massen und der Technik ist ein Edelmann erstanden, der das Rittertum in Glanz und Pracht, aber auch in Schwere und Ernst darstellte, der es im Liede — dem Stoffe entsprechend vor allen in der Ballade — der Nachwelt überlieferte. Die Mitte der Balladen bilden die zehn Bayard-Stücke: »Der Dinge größtes: Kriegen, Wenn auch der Feind in Ehren war, Der Güter höchstes: Siegen, Wenn Siegen kein Begehren war!« Es klingt wie ein Selbstbekenntnis des Dichters, wenn Bayard zur Laute singt: »Wohl ist die holde Kunst ein süßes Ding Auch dem, der herben Ritterschlag empfing, Nur, — macht sie auch ein armes Leben reich, So macht sie doch die harte Hand auch weich.« Dieses Ineinander von Härte und Weichheit, von Selbstbcschcidung und Überschwang, von Festigkeit und Gelöstheit ist für den Men schen und Dichter Münchhausen charakteristisch. Es widerspricht dem Ritterlichen nicht, wenn sich mit dem Sinn für das Edle ein Sinn für das Derbe, für Landsknechte und Bauern verbindet. Daher auch die einzigartige Neigung dieses 2S3