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906 Nichtamtlicher Teil. 41, 18. Februar 1895. giebt es Geschäfte, welche im Lande 50 bis 60 Filialen haben und Tausende von Existenzen aufsaugcn. Diese Filialen sollten durch kolossal hohe Besteuerung unmöglich gemacht oder überhaupt verboten werden. Es sollte jeder an einem Platze nur ein oder mehrere Geschäfte haben dürfen in einer und derselben Stadt, aber nicht au vierzig verschiedenen Orten. Was diese einbringcn, beweist z. B. die Firma Tietz in München. Meine Herren, auf der anderen Seite will ich hervor heben, daß wir nicht gewillt sind, dem berechtigten Hausier handel entgegenzutretcn. Erstens werden wir ein für allemal für das Hausieren mit selbstgefcrtigtcn Waren eintretcn, wie z. B. unsere sächsische Obcrlausitz mit ihrer Lcinwandindustrie vielfach darauf angewiesen ist. Auf der anderen Seite erkennen auch wir an, daß es ärmere Bevölkcrungs- schichtcn giebt, die seit Generationen geschichtlich auf das Hausieren angewiesen sind. Meine Herren, das soll geschützt werden durch den § 56b der Herren Abgeordneten Hitze, Gröber und Genossen, und ich meine, es wird dadurch genügend geschützt. Ich will auf der anderen Seite nur die Frage anregen, ob es nicht auch auf dem Wege anginge, daß man das Hausieren einfach kontingentiert und nach der Bcdürfnisfrage einfach auf die einzelnen Landesteile verteilt. Was nun das Detailreisen anbetrifft, so erkennen mir dankbar an, daß es wohl eilten Fortschritt bedeutet, wenn man die Dctailreiscndcn endlich den Hausierern gleichstellen will. Thatsächlich sind sie auch nichts anderes. Wenn die Regierung zu dem Schlüsse kommt, das Hausierwesen habe nicht in dem Maße um sich gegriffen, wie es immer hingcstellt wird, sondern nur das Detailreisen habe um sich gegriffen, sie wolle deshalb das Detailreisen dem Hausiergewerbe gleichstelleu, — wenn auf der anderen Seite die Regierung sagt: weil das Hausierwesen nicht so gewachsen ist, haben wir auch nicht nötig, weitcr- gchcndc Maßregeln zu treffen, — so ist das doch keine Logik, keilte Konsequenz. Wenn Sie die Detailreisenden zu den Hausierern werfen, so haben Sie eine kolossale Vermehrung, aber auch die Pflicht, strengere Grenzen für das ganze Hausierwesen zu ziehen. Ich möchte Sie bitten, sich einmal das Gesetz von Luxemburg von 1853 auzusehen. Dort ist das Detailreisen ganz verboten, und diejenigen Wirte, welche trotzdem in ihren Gasthöfcn solche Detailreisendenlager dulden, werden mit den selben Strafen belegt wie diejenigen Wirte, welche verbotene Spiele, Hazardspielc u. s. w. dulden. Meine Herren, ich sagte: man müsse mehr vom grünen Baum des Lebens die Früchte der Erkenntnis pflücken. Ich habe mich schon früher darüber ausgesprochen, daß man aus der Statistik allein keilte wahren und zutreffenden Resultate ziehen kann, und zu meiner Freude hat gestern Herr von Köllcr eben falls gesagt: aus der Statistik kann man alles machen. Das sagen auch wir, und deshalb sage» wir noch einmal: gehen Sie hinein ins praktische Leben, reisen Sie machen-, monatelang auf dem Lande herum, dann werden Sie zu ganz anderen Resultaten kommen. Auf der anderen Seite muß auch darauf hingemiesen werden, daß nicht bloß das Hausierwesen und das Detailreiscn einen furchtbaren Schaden für den seßhaften Gcwerbcstand be deutet, sondern daß es auch eine Landplage für die Land bevölkerung bildet. Auch dort können Sie reiches Material sammeln und schöne Früchte der Erkenntnis pflücken. Aber nur auf praktischem Wege und nicht nach den Erörterungen am grünen Tisch! Eigentlich braucht man sich nicht zu wundern, daß der Entwurf nicht anders ausgefallen ist, nachdem wir heute die Ausführungen des Herrn Ministers von Berlepsch gehört haben. Der Herr Minister sagte: ja, wenn das Bedürfnis festgcstellt werden sollte, müßten wir ausmesscn, wie viel Meter Leine wand dort und wie viel Ellen Manufakturwaren, Rockzeug u. s. w. hier gebraucht werden. Nein, so denken wir uns das nicht. Die Bedürfnisfrage muß danach geregelt werden, daß man fragt: ist es dieser Gegend, diesem Ort, diesem Be zirk möglich, auf nicht allzu weitem Wege einen seßhaften Gewerbestand zu erreichen und das Bedürfnis zu decken? Nach diesem Gesichtspunkt muß die Bedürfnisfrage geregelt werden. Wenn aber Herr Minister von Berlepsch die seß haften Kaufleute den Hausierern gleichgestellt und sogar die Frage aufgeworfen hat, man könne geschichtlich darüber zweifelhaft sein, wem die Priorität zukäme, den Hausierern oder den Kaufleuten, so muh ich doch wohl sagen: im deut schen Vaterland ist das seßhafte Gewerbe, wie das auch dem ganzen germanischen Charakter entspricht, dasjenige der ge schichtlichen Entwicklung. (Sehr richtig!) Der entgegengesetzte Fall könnte nach unserer Ansicht höchstens in Palästina sein. — Ich meine, die Ausführungen des Herrn Ministers von Berlepsch lassen sich nicht vereinigen mit den Grundsätzen, welche in der Thronrede ausgesprochen worden sind, welche unter anderem den Passus enthält: die schwächeren Klassen der Gesellschaft zu schützen und ihnen zu einer höheren wirtschaftlichen und sitt lichen Entwicklung zu verhelfen. Die Pflicht, dieses Ziel mit allen möglichen Kräften anzustreben, wird um so zwingender, je ernster und schwieriger der Kampf um das Dasein für einzelne Gruppen der Nation sich gestaltet hat. Weiter hat der Herr Reichskanzler in seiner Etatsrede gesagt: Was die allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse be trifft, so wird der einmal betretene Weg zur Erhal tung des Mittelstandes und zur Förderung des Wohls der unteren Klassen nicht mehr verlassen werden. Die Gewcrbegesetzgcbung kann noch nicht als abgeschlossen betrachtet werden. Meine Herren, ich meine, mit diesen Grundsätzen sind die heutigen Ausführungen des Herrn Handelsministers durchaus nicht zu vereinbaren. Ich will aber noch darauf Hinweisen, und ich muß mich wundern, daß die Regierung sich nicht darauf besinnt, daß die Mehrzahl der Hausierwareu in Zuchthäusern angefertigt wird, wie Leder-, Papier-, Schuhwnren, Notizbücher, Gebet bücher u. s. w. Hier muß Wandel geschaffen werden. Auf diesem Gebiete kann immerhin vieles zur Rettung des Hand werkerstandes gethan werden. — Ich möchte dabei auf etwas Hinweisen und ersuche die Regierung, das möglichst zu er wägen. Es kommt bei uns in Sachsen wenigstens sehr- häufig vor, daß Behörden, oder besonders Geistliche, Hausierern Empfehlungsschreiben ausstellen unter dem Vorgcbcn, die Er trägnisse sollten milden Stiftungen zugewendct werden u. s. w. Es ist vorgekommcn, daß Bücher, die jeder Buch- und Papier händler mit 50 Pfennig verkauft, dann zu 1,50 Mark verkauft werden, und zwar zu Hunderten, weil sie von der Behörde empfohlen sind. Ich möchte dringend bitten, hier Abhilfe zu schaffen und den Behörden respektive Geistlichen nach dieser Richtung einen Wink zu geben, daß sie dies ferner hin unterlassen oder wenigstens Vorsicht dabei obwalten lassen. Meine Herren, es ist Zeit, höchste Zeit, daß thatsächlich mit der Gewerbefreiheit und, wo es nötig ist, auch mit der Freizügigkeit gebrochen wird. Meine Herren, das muß ge schehen, wenn überhaupt etwas für die Rettung der großen Schichten geschehen soll; sonst könnte ein gewisser Akt aus der Geschichte sich wiederholen. Sie wissen: wie Barns im Teuto burger Walde seine Legionen verlor, rief ihm der Kaiser zu: Varus, Vnrus gieb mir die Legionen wieder. Meine Herren, es wird kommen, daß den Ministern von höchster Stelle nach-