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904 Nichtamtlicher Teil. 44, 18. Februar 1895. Handels beziehen? Ich frage: ist es wirklich denkbar, daß derartige Erörterungen auch nur annähernd zu einem Resul tate führen können? Es ist meines Erachtens die ganz un erläßliche Folge dieser Bestimmung, daß willkürlich gegriffen wird. (Sehr richtig.) Wenn das aber nun geschieht, so wird meines Erachtens die Unbilligkeit, die darin liegt, daß in dem einen Bezirk Hausierer zugelassen werden, in dem andern nicht, noch sehr viel größer. Nun denken Sie sich den Fall, es wird für jeden Bezirk das Bedürfnis festgestellt; in dem einen sagt der betreffende Vcrwaltungschef: hier lasse ich so und so viel Hausierer zu — der Nachbar sagt — ich lasse nur die Hälfte derselben zu und der dritte Nachbar, der nächste, sagt: ich lasse über haupt gar keinen zu, in diesem Artikel ist kein Bedürfnis. Nun kommt der Hausierer mit seinem Pack auf dem Rücken in den ersten Bezirk, da darf er hausieren; in dem zweiten wird er bereits ungehalten, cs wird ihm gesagt: nein, hier darfst du nicht hin, hier sind bereits so und so viel Hausierscheine aus- gegeben, weiter darfst du nicht. Den dritten giebt er von vornherein auf, also er muß sich auf die Eisenbahn setzen, bis er nach so und so viel Meilen wieder in einen Bezirk kommt, wo er einen Schein bekommt. Die Folge ist die, daß gerade den kleinen Hausierern, die ihre Waren mit sich herumtragen, die Existenz vernichtet wird durch diese Bestimmung. (Sehr richtig!) Sie können diese Opfer nicht ertragen, sie sind darauf angewiesen, daß sie bei dauerndem Wandern ihre Waren ab- sctzcn und, sobald sic den Verkauf bewirkt haben, kehren sie zurück und holen sich frische, dann wandern sie weiter; aber große Bezirke aussperrcn von ihrer Thätigkeit bedeutet meines Erachtens, wie gesagt, diesen Hausierhandel des Kleingewerbe treibenden aufhören machen. Ganz anders liegt das selbstverständlich für die größeren und namentlich für die Detailreisenden. Die setzen sich auf die Eisenbahn, überspringen die betreffenden Bezirke und suchen die Orte ans, wo sie die Waren am besten los werden. Ja, die Folgen dieser Bestimmungen würden die sein, daß Sie zwar den kleinen Hausierhandel treffen, aber dem Detail reisenden nnd dem größeren Hausierer würden Sie mit dieser Bestimmung wenig Schaden bringen, und so würde das Gegenteil von dem eintreten, was die Herren Antragsteller, die immer den Schutz des Schwachen betonen, wollen. Etwas anders — das muß ich zugeben — liegt es mit der Ausschließung von Waren. Auch in dieser Frage sind die preußischen Behörden gehört worden. Das Urteil darüber, was zweckmäßigcrwcise vom Hausierhandel ausgeschlossen werden soll, ist ein außerordentlich verschiedenes. Der eine sagt: ja, die Tuchwaren und die Wollwaren können zwar ausgeschlossen werden, aber die Wollwaren, die in meinem Bezirk hergestellt werden, dürfen natürlich nicht ausgeschlossen werden. Ganz dieselbe Sache ist cs mit der Leinwand nnd mit einer Reihe von anderen Waren auch. Kurz, die Anschauungen darüber, was vom Hausierhandel ausgeschlossen werden soll, sind, ob gleich im großen und ganzen die Neigung, den Hausierhandel einzuschränken, vorherrscht, so außerordentlich verschieden, daß die verbündeten Regierungen sich nicht entschließen können, weiter zu gehen, als geschehen. Sic fürchten ein an sich er laubtes Geschäft ohne nachgewiesencs Bedürfnis zu verhindern oder ein vorhandenes Bedürfnis zu beschränken und außerdem die Existenz einer großen Menge kleiner Gewerbtreibendcn zu untergraben, die auf den Hausierhandel angewiesen sind und — man kann ja sagen — seit Jahrhunderten im Hausier handel ihren legitimen Lebensunterhalt gefunden haben. Ich kann die Stellungnahme des Herrn Abgeordneten Hitze nicht teilen, der davon ausgcht, daß der seßhafte Kauf mann seiner ganzen sozialen und sonstigen Position nach einen derartigen Vorzug vor dem Hausierer verdiene, daß die Gesetz gebung cinschreiten und dem Hausierer die Konkurrenz dem seß haften Kaufmann gegenüber unmöglich machen müßte. Das halte ich nicht für gerechtfertigt. An sich ist der Hausierhandel nach meiner Ueberzeugung gerade so legitim wie der seßhafte Handel, d. h. wo er ein Bedürfnis ist; wo kein Bedürfnis vorhanden ist, tritt er von selbst zurück. Wo das nicht ge schieht, da ergeben sich allerdings leicht die Auswüchse, die uns allen bekannt sind, denen entgegenzutretcn ja auch die Regierungsvorlage durchaus bereit ist. Ich meine, ein Hausierer, der sein Geschäft solid betreibt, hat dieselbe Existenz berechtigung wie ein seßhafter Kaufmann. Die großen sozial politischen Aufgaben, die Herr Hitze dem seßhaften Kaufmann zuschreibt — er sprach sogar von einer Vermittlung der Gegen sätze zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern —, sind doch nicht vorzugsweise diesem Berussstande gestellt. Im Laden besorgen beide ihre Einkäufe, darin liegt doch aber nicht ein besonders günstiges Moment zur Versöhnung wirtschaftlicher Gegensätze. Der Hausierer, der viel auf Reisen ist, kann zwar innerhalb der Gemeinde nicht das leisten, was der seß hafte Mann leisten kann; indessen in dieser Beziehung kon kurriert er mit vielen anderen Erwerbsarten: der Arzt der kleinen Stadt, der eine große Landpraxis hat, ist auch oft den ganzen Tag nicht zu Hause. Ich will damit nicht etwa den Arzt mit dem Hausierer auf denselben Standpunkt stellen, es sind ja zwei sehr verschiedene Berufsarten; ich will nur sagen: aus dem Moment, daß das Mitglied einer Gemeinde sich zu seinem Erwerb häufig auf Reisen befindet, kann man meines Erachtens eine soziale Unterwertigkeit an sich nicht schließen. Ich meine, der ordentliche und solide Hausierer ist gerade so viel wert wie der ordentliche und solide Kaufmann, und der unordentliche und unsolide Hausierer ist gerade so wenig wert wie der unordentliche und unsolide Kaufmann. (Sehr richtig!) Dieser Satz ist richtig, und wir brauchen uns nicht in Untersuchungen einzulasscn, was die Geschichte uns erzählt: ob das seßhafte Gewerbe das ältere ist oder das umher- zichende; ich meine, das kann sehr zweifelhaft sein, vielleicht ließe es sich Nachweisen, daß das nmherziehende Gewerbe das ältere sei. Aber, wie gesagt, das ist zur Beurteilung dieser Frage ganz gleichgiltig; die Gegenwart init ihren Bedürf nissen hat über solche Fragen zu entscheiden, und nicht die Vergangenheit. Abgeordneter Schmidt (Berlin): Der Hausierhandel ist absolut nicht der schlimmste Kon kurrent des kleinen Geschäftsmanns; weit schlimmere Konkurrenz erwächst ihm aus den großen Magazinen, und ganz der selbe Entwicklungsgang, wie er sich in der Industrie abspielt, spielt sich auch auf dem Gebiet des Handels ab. Der Kapital kräftige triumphiert, wirft die anderen nieder, beseitigt sie. Das werden Sie nicht aufhaltcn können. Gerade die Ent wicklung in den großen Städten zeigt uns diese Art der Fort entwicklung unseres ganzen wirtschaftlichen Getriebes, daß das große kaufmännische Kapital erfolgreiche Konkurrenz auf nimmt mit allen Gegnern und Tausende von Existenzen ver nichtet. Fragen Sie einmal in Berlin nach! Und nicht nur, daß die Bazare im engern Kreis in der Stadt diese Wirkung ausübcn, sondern in der ganzen Provinz — ich möchte fast sagen: im ganzen Lande — suchen sie Handelsbeziehungen anzuknüpfen und üben ihre Konkurrenz aus. Eine der wichtigsten Bestimmungen in diesem Entwurf ist die, die De tail reisenden auch unter die Bestimmungen des Hausier- und Wandergewerbes zu bringen. Man kann der Auffassung Raum geben, daß der Detailreisende ein Hausierer in anderer Form ist; weshalb muß aber die Ungerechtigkeit, die gegen den einen verübt ist, auch gegen den anderen verübt werden? Denn ich erachte die Erschwernisse, die heute schon die