Volltext Seite (XML)
Redaktioneller Teil. ^ 1»V, 2. Mai 191-1. anderen etwas versteht. Der Dritte im Bunde, der Antiquar, ist hierbei aber nicht derjenige, der sich freuen kann, denn gewöhnlich dauert der Streit nicht lange, und Sortimenter wie Ver leger gehen mit einer sonst selten beobachteten Einigkeit gegen den Antiquar los und behaupten, dieser schmiere die Leute an und sammle ungebührlich große Reichtümer, versteht sich, ohne dabei arbeiten zu müssen, wie Sortimenter und Verleger. Das ist so gute alte Sitte, und wenn auch diejenigen, die dieser Sitte folgen, in der Regel vom Antiquariat noch weniger verstehen, als der selige Hippel von der Ehe verstanden hat, so bleibt jener Makel doch am Antiquar haften; er mag sein Geschäft noch so einwandfrei führen, er bleibt ein Mensch, dem man zwar nichts beweisen kann, dessen Praktiken aber mehr oder weniger das Licht der Öffentlichkeit zu scheuen haben. Im Gegensatz zum Sortiment unterliegen weder seine Einkaufs- noch seine Verkaufspreise irgend welcher Kontrolle, und folglich wird er bei der sich bekanntlich oft bie tenden Gelegenheit, weit unterm Wert zu kaufen, niemals ver säumen, durch Ansehen hoher Verkaufspreise mühelos fabelhaste Summen zu verdienen. Er gehört, kurz gesagt, zu denen, die in zehn Jahren reich werden, wenn man ihn nicht etwa im neunten schon als schweren Verbrecher eingesteckt hat. Diese Rechnung kann aber unmöglich stimmen, denn wenn in irgendeinem Stand viel Geld verdient wird, dann Pflegen aus diesem Stand viele hervorzugehen, die als Privatiers ver gnügt von dem Ertrage ihres früheren Berufes leben können, wie das z. B. bei Bierausgebern, Fleischern und französischen Mi nisterpräsidenten fast regelmäßig der Fall ist. Aber einen priva tisierenden Antiquar wird man ebenso vergeblich suchen wie einen privatisierenden Sortimenter, und da man doch nicht an nehmen kann, daß die gesamte Zunft der Antiquare aus Har- pagons besteht, die ihren unrecht erworbenen Reichtum nicht zeigen wollen, so wird Wohl in der Rechnung mit dem großen Ge winn ein Fehler sein; und es ist einer darin, und zwar ein großer. Das wissenschaftliche Antiquariat wird gestützt (oder rich tiger gesagt, es wurde gestützt) von drei Pfeilern, nämlich erstens von dem Ankauf geschlossener Bibliotheken und der damit ver bundenen Katalog-Produktion, zweitens von dem Vertrieb guter Partieartikel und drittens von der Befriedigung bibliophiler Neigungen der Bllcherkäufer. Als größte, viel beneidete Chance des Antiquariats bei diesen drei Zweigen gilt allgemein die Möglichkeit des billigen Einkaufs auf der einen Seite und die, wie man sagt, von keiner Grenze eingeengte Festsetzung des Ver kaufspreises. Es zeigt sich also ein sehr kurzer und angenehmer Weg zum Reichtum, aber nur in der Theorie. In der Praxis hat dieser Weg leider so große Löcher, daß die meisten sich auf ihm die Beine verstauchen und den Spaziergang aufgeben müs sen, bevor sie bei dem großen Reichtum angelangt sind. Zunächst die Gewinnchancen beim Einkauf, sei es der Ein kauf geschlossener Bibliotheken, sei es der einzelner Werke. Hier könnte man zwei Gruppen bilden, die derjenigen Antiquare, die alle oder fast alle Disziplinen Pflegen, und die des Spezialanti quariats, aber diese Trennung ist nicht mehr notwendig, denn beide befinden sich heute in derselben Verdammnis, d. h. beide können von der Gewinnchance beim Einkauf keinen Gebrauch mehr machen, weil sie sich die Finger mit Bewerbungen um Bibliotheken vergeblich wundschreiben können. Die Biblio theken, man mag es anfangen, wie man will, werden meistens an einer ganz bestimmten Stelle landen. Jeder im Antiquariat weiß, wohin hier mein Finger zeigt. Jeder von uns kann ein Lied singen von dem aussichtslosen Kampfe, und wir sind uns klar darüber, daß wir, ein paar Firmen ausgenommen, nur von den Brosamen leben, die von eines großen Herrn Tische fallen. Das, was uns hier fast schachmatt gesetzt hat, ist das Großkapital, und es ist der einzige Trost dabei, daß wir unfern Untergang nicht Trägheit und Unwissenheit zuzuschreiben haben, sondern daß wir, wie schon so manche andere Branche (wie ja auch der kleine und mittlere Verleger), einem sehr einfachen Rechenexem pel weichen mußten. Wer mit Großkapital arbeitet und dabei vielleicht 10°/» Nutzen erzielt, der braucht nicht stolz darauf zu sein, daß er mit diesen Ziffern solche totschlägt, die mit einem geringen Bruchteil jenes Kapitals eine viel höhere Verzinsung erarbeiten müssen. Die Frage der persönlichen Tüchtigkeit hängt damit absolut nicht zusammen, und wenn Zeitungsschreiber die Frechheit haben, bei der Verteidigung des Warenhausprinzips dem kapitalsschwachen Geschäftsmann mehr Rührigkeit und mehr »Anpassen« zu empfehlen, so ist das ein Hohn, der nur mit einem Fußtritt beantwortet werden sollte. Wer in dem Erreichen eines Rayon-Chef-Postens (so heißt ja Wohl die neueste Würde von Geldsacks Gnaden) das höchste Ziel seines Lebens erblickt, der mag solche durch Inserate befruchtete Journalisten-Weisheit kritiklos hinnehmen, wer aber in der Selbständigkeit die höhere Ethik des Lebens sieht, auch dann, wenn sie mit großen Opfern erkauft ist, der soll gegen solche Grundsätze kämpfen, und zwar bis aufs Messer, und soll in Worten und Taten nicht müde wer den, zu versuchen, ob er nicht doch »och gegen das Großkapital in irgend einer Weise sich halten kann. Zuallererst sollte der Buchhändler in diesem Kampfe in der vordersten Front stehen, weil die Dollarjäger das beschauliche Innenleben immer mehr vernichten und damit die stille Freude an einem geistigen Besitz gar nicht mehr aufkommen lassen; an der vom Manchestertum so sehr gepriesenen amerikanischen Um wertung des Lebens hat der Buchhandel nicht das leiseste In teresse ! Es unterliegt keinem Zweifel, daß von einer Gewinnchance beim Einkauf ganzer Bibliotheken heute infolge dieser Kon kurrenz überhaupt nicht mehr gesprochen werden kann. Auf jeden Hasen kommen bei uns 12 Jäger, und jeder tut noch etwas mehr Pulver in seine Flinte, damit er ja recht sicher treffe. Und wie im Buch-Antiquariat, so liegen auch die Verhältnisse im Kunst-Antiquariat für den nicht großkapitalistischen Betrieb im argen, denn hier haben die Posaunenstöße der großen Auktions- Preise im Publikum geradezu verheerend gewirkt. Wenn heute ein Schustergeselle einen fliegenbeschmutzten Stahlstich oder eine alte wertlose Bibel erbt, dann läuft er damit in der ganzen Stadt herum, um schließlich zu der Überzeugung zu gelangen, daß solche Kleimodien nur der reiche Amerikaner, von dem ja alle Zeitungen faseln, kaufen könne. Wo sind denn die Seltenheiten, die in den Köpfen der Sortimenter herumspuken, die der Anti quar für ein Butterbrot kauft, um sie mit fabelhaftem Gewinn im Handumdrehen wieder loszuwerden? Wer von uns kennt nicht das endlose Heer der Händler, die, ausgerüstet mit Kapi tal, Sachkenntnis und Geschäftstüchtigkeit, das ganze Jahr über auf der Jagd nach Seltenheiten find, meistens mit negativem Erfolg? Wer kennt sie nicht, die Herren, die so freundlich aus dem Auto vor der Tür zu dem Antiquar herabsteigen und, oft unter dem Deckmantel eines Sammlers, ihre Wünsche nennen, all die schönen Sachen, die der Antiquar selbst so gern hätte, die Inkunabeln mit Holzschnitten, die Erstausgaben, die englischen Stiche, die illustrierten Bücher des 18. Jahrhunderts usw. usw.; die so höflich darum bitten, doch ja zu schreiben, wenn hiervon einmal etwas vorkäme; die die höchsten Preise versprechen; die im Bezahlen jeden Sammler überbieten wollen; die einem, glaube ich, wenn man es verlangte, sogar die Ehre antäten, die der brave Götz dem Kaiserlichen Gesandten zugedacht hatte? Das sieht nicht so aus, als ob die Seltenheiten auf der Straße lägen, und ich möchte Wohl wissen, wieviel Kilometer ganz vergeblicher Eisenbahnfahrt jedes Jahr im Antiquariat heruntergerattert werden auf der Jagd nicht nur nach dem Glück, nein, nur nach der notwendigsten Ware, mit der der glücklichere Sortimenter mehr, als er will, vom produktionsfreudigen Verlag bombardiert wird. Und diese in großem Stil reifenden Einkäufer bilden noch die anständige, mit großen Spesen und einwandfreiem Geschäfts gebaren arbeitende Konkurrenz, aber dann fegt noch die Meute der Außenseiter über die Walstatt, eine ganze räudige Gesell schaft! So haben sich in einer deutschen Großstadt allein im Laufe des letzten Jahres drei Prachtexemplare aus die sem wilden Heer eingefunden, nämlich ein Flickschuster, ein Tischler und — Muse, verhülle dein Antlitz — ein Erdarbeiter, die alle drei heute stolz in ihrem »Antiquariat« stehen. Auf die Psychologie dieser durchaus nicht vereinzelt dastehenden Fälle einzugehen, würde hier zu weit führen, und es soll nur noch als