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11224 Nichtamtlicher Teil. ^ 277, 29. November 1905. Verhältnisse. Von 1896 ab verfilzte er infolge der Opferwillig keit seiner Freunde sogar über eine eigne Wohnung. Leider sollte seine Freude über sie nicht lange ungetrübt bleiben, denn 1897 wurde er von einem Augenleiden heimgesucht, und schon damals wurde ihm von ärztlicher Seite das kommende Gehirnleiden vor ausgesagt. Mitte September trat dann auch der erste Wahn sinnsanfall auf; doch war Wolf im Januar 1898 wieder hergestellt. Im Herbst des gleichen Jahres wiederholte sich der Anfall, der sich nunmehr als unheilbar erwies, und so mußte er die letzten viereinhalb Jahre seines Lebens in völliger Umnach tung in der Landesirrenanstalt bei Wien zubringen, bis seine körperliche Auflösung am 22. Februar 1903 vollendet war. Zur Schilderung der künstlerischen Bedeutung Hugo Wolfs übergehend, bezeichnte Redner als charakteristisch für sein Genie die Tatsache, daß er mit der herrschenden Art, das Lied zu ver tonen, gebrochen habe. Wolf lege den Schwerpunkt nicht so sehr auf die Melodie des LiedeS selbst als auf die Begleitung, für die er Perspektiven eröffne, an die vor ihm niemand gedacht habe. Er habe eine -symphonische- Begleitung geschaffen, die nicht nur in ihrem Wesen einen Fortschritt gegenüber Schubert und Schumann bedeute, sondern auch durch ihre Steigerung und Erweiterung dasselbe für das Lied erreiche, was Wagner für die Oper erreicht habe. Wie Wagner durch die Macht der Musik die dramatische Kraft des Wortes steigere, so steigere Wolf durch seine Begleitung die dem Gedicht innewohnenden Eigenschaften Klang, Wohllaut und Gesang. Demgemäß passe sich Wolf auch stets dem Gehalt der Dichtung an; er wolle durch seine Ver tonung in erster Linie Interpret des poetischen Inhalts und der Gedanken der Dichtung sein. Dabei gehe er durchaus nicht einseitig, sondern klug und geschmackvoll vor, und der ihm angeborene ausgezeichnete literarische Geschmack komme ihm dabei sehr zu statten. Wolf sei der vollendete musikalische Deklamator, dem man niemals eine falsche Be tonung eines Wortes, niemals eine falsche Steigerung des Aus drucks Nachweisen könne, wie man sie oft bei andern Lieder komponisten finde. Seine Liederzyklen ständen ohne Vorbild da; in ihnen zeige sich Wolf als Vollender des deutschen Kunst lieds. Mörike sei erst durch die Wolfschen Vertonungen recht bekannt geworden. Wolf habe sich in den Geist der Mörikeschen Gedichte derart hineingelebt, wie sich ein Mensch nur immer in die Schöpfungen eines andern hineinleben könne. Noch niemand habe die sinnliche Glut Spaniens so in Melodien kleiden, den Katholizismus mit all seiner Mystik, seiner Glaubensfreudig keit, seiner Schwärmerei, seinem Opfermut und seiner Naivetät musikalisch so zu schildern gewußt wie Wolf in seinem spanischen Liederbuch. Sein Eichendorff-Zyklus sei dem Schumannschen gegenüber, was die Sonne gegenüber dem Mond, und während die zwei Bände Goethelieder von Loewe heute fast niemand mehr kenne, würden die Wolfschen Goethelieder unvergänglich sein. Die Zeit für die Oper -Der Corregidor« scheine noch nicht gekommen zu sein; möglich sei, daß Mangel an dramatischer Szenenführung ihrem Erfolge bisher hinderlich gewesen sei. Mit einem Hinblick auf die wahre Künftlerschaft Wolfs schloß Herr Zschorlich seinen von Begeisterung getragenen Vortrag, der ihm durch anhaltenden Beifall gelohnt wurde. Nicht so stark war der Beifall, den der musikalische Teil dieses Vortragsabends errang. Es mag hierbei ausschlaggebend gewesen sein, daß einzelne der von Frau Zehme gesungenen und von Herrn Zschorlich begleiteten Lieder, wie z. B. Mörikes -Laß, o Welt, o laß mich sein- und -Um Mitternacht-, sich ihrem Inhalt wie auch ihrer Vertonung nach wenig zum Vortrag für eine Dame eignen; sie liegen dem weiblichen Naturell nicht. Dagegen gelang Frau Zehme das echt weibliche Lied: -In dem Schatten meiner Locken schlief mein Liebster ein- aus dem -Corregidor- recht gut, ebenso die italienischen Lieder, bei denen sich auch Herr Zschorlich in seiner Begleitung der Sängerin gut anzupassen verstand. Im ganzen darf der Vorstand des Vereins auf diesen Vor tragsabend mit Genugtuung als auf einen sehr gelungenen zurück blicken. Die Mitglieder werden insbesondere dem Ausschuß dafür dankbar sein, daß er sie mit dem Leben und der Kunst Hugo Wolfs bekannt gemacht hat. Korczewski. Zur Lage der Preßverhältnisse in Rußland. — Eine Deputation des Verbandes von Vertretern des Druckwesens hatte am 4. (17.) November eine Unterredung mit dem Grafen Witte und machte diesem den Vorschlag, sofort ein Gesetz über Preß freiheit zu erlassen unter vollständiger Beseitigung jeder irgendwie gearteten Zensur und unter Aufhebung der Hauptverwaltung in Angelegenheiten der Presse sowie der Preßkomitees. Graf Witte erwiderte, die Regierung könne nicht ohne weiteres Gesetze schaffen, dazu sei Zeit nötig. Aber er hoffe, daß schon am 10. (23.) November ein neues Preß- gesetz publiziert werden würde.*) In betreff der Einzelheiten riet er der Deputation, sich an D. F. Kobeko, den Präsidenten der Kommission zur Beratung der Preßverhältnisse, zu wenden. Dieser empfing die Deputation und sagte, der neue Gesetzentwurf sehe zwar eine Aufhebung der Zensurkomitees und der Hauptverwaltung in Angelegenheiten der Presse nicht vor, aber die Zensur bleibe nur für die Abbildungen bestehen. Darauf erwiderte die Deputation, nur die Gewährung voller Preßfreiheit könne eine Garantie dafür bieten, daß es unter den Vertretern des Druckwesens keine Streiks noch überhaupt irgend welche Erscheinungen mehr geben werde, die den normalen Gang des Betriebs störten. Nachdem sich D. F. Kobeko mit Graf Witte unmittelbar ins Einvernehmen gesetzt hatte, ant wortete er der Deputation, er gedenke, Vertreter des Verbands zum Schutz der Preßfreiheit zu den Beratungen des neuen Gesetz entwurfs einzuladcn. (St. Petersb. Wjed.) Ansichtskarten als Staatsmonopol. — (Vgl. Nr. 180 d. Bl. vom 5. August 1905.) Berichtigung. — Aus Buenos Aires wird uns geschrieben: Im Börsenblatt vom 5. August d. I. war die Mitteilung enthalten, daß laut Papierzeitung die Argentinische Republik das Monopol für Ansichtspostkarten verfügt habe. Diese Mitteilung ist unrichtig. Das Monopol bestand tatsächlich vor etwa zwei Jahren; da die Regierung jedoch äußerst minderwertige An sichtskarten Herstellen ließ, so fand sie keine Abnehmer für ihre Er zeugnisse und hatte statt der erhofften Mehreinnahmen nur Unkosten. Sie hat sich denn auch bald eines Bessern besonnen, ihren Erlaß zurückgezogen und damit die Privatunternehmer wieder in ihre alten Rechte eingesetzt, sehr zum Vorteil des Post- fiskus. Die Produktion an Karten in der Republik selbst ist verschwindend; der Bedarf wird fast ausschließlich durch Einfuhr gedeckt. An dieser ist in erster Linie Deutschland mit etwa 50 000 beteiligt. Ü8. ^8. E. A. * Neue Bücher, Kataloge rc. für Buchhändler. HacütrüSg (November 1905) rum UaAerverrieiebnis von X. IV Verlag- Urei3: In Melkern Larton 3 ^ orck.; Zsb. 4 50 H. Ein Berufsgenosse schildert in diesem Werk in launigen Versen im Rideamus-Stil die Erlebnisse seiner Reise in die Alpen. Pers onalnachrichten. Jubiläum. — Der Firma K. F. Koehler in Leipzig war es am gestrigen Tage wiederum vergönnt, das Jubiläum eines ihrer Mitarbeiter zu feiern. Es galt dem Markthelfer Herrn Robert Sichler, der vor fünfundzwanzig Jahren, am 28. November 1880, seine Tätigkeit im Geschäft begonnen hatte. Der Jubilar wurde durch Überreichung von Ehrengaben und herzliche Beglückwünschung seitens der Prinzipale und der Mit arbeiterschaft geehrt, wobei von den erstern besonders betont wurde, wie erfreulich es für eine alte Firma sei, in jetziger Zeit, wo auch in unserm Beruf diejenigen Tendenzen immer mehr Boden gewännen, von denen die Kräfte des Beharrens, der treuen, geduldigen Pflichterfüllung immer geringer geschätzt würden, durch eine treubewährte Mitarbeiterschaft unterstützt zu werden und derartige Gedenk- und Feiertage begehen zu können. Der Jubilar sprach seinen Dank in warmen, herzlichen Worten aus. *) Die Publikation ist bis jetzt nicht erfolgt. D. Red.