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1162 72, 27. März. Nichtamtlicher Theil. (Rahmen, Gestelle, Tische, Schränke rc.) aufkommen wird, liegt die Befürchtung nahe, daß der Conflur von Ausstellungsgegenständen aus Deutschland ein ganz außergewöhnlicher sein wird und daß des halb gar viele Einzelheiten, durch die Masse erdrückt, nicht zu der erhofften Wirkung gelangen werden. Diese Befürchtung legt cs allen Fachgcnossen, gleichviel welchen Erwerbszweiges, nahe, sich zu Gruppen zu vereinigen und gemeinsame Einrichtungen zu treffen, um das Prinzip der Uebersichtlichkeit so viel wie möglich zur Gel tung zu bringen. Bis soweit gebe ich Hrn. Marcus die Zweckmäßigkeit seines Vorschlags einer Vereinigung der deutschen Verleger zur Beschickung der Wiener Weltausstellung zu. Weiter aber auch nicht. Das Ideal des Hrn. Marcus ist, wenn ich recht verstanden, den gesamm- ten Inhalt des Hinrichs'schen Jahreskatalogs für 1872 in nuturs und womöglich in ganz gleichartigen Einbänden vertreten zu sehen. Die Verwirklichung dieses Ideals würde zunächst schon äußerlich den großen Fehler der Langweiligkeit an sich tragen und deshalb mehr abschreckend als anziehend auf die Besucher der Ausstellung Wirken. Aber auch abgesehen von diesem sehr bedenklichen Fehler, vermag ich den Werth einer solchen Anhäufung der literarischen Er zeugnisse des laufenden Jahres, die die Firma Gerold L Co. vielleicht ganz allein ohne weitere Mühwaltung von Seiten der Verleger würde besorgen können, in einem bestimmten Ausstellungsräume durchaus nicht einzusehen. Weltausstellungen sind dazu da, das durch Schönheit und Güte interessante Neue, was Boden-Production, Gcwerbfleiß und Kunst in den letzten Jahren hervorgebracht, sehen zu lassen. Ich lege mit Fleiß auf das „Sehen" den Accent. Das Anhäufen einer großen Büchermasse, auch wenn sic nach Fächern geordnet ist, könnte doch immer nur einen Begriff von der Quantität, schwerlich aber von der Qualität der Jahrcsproduetion des deutschen Buchhandels geben. Selbst wenn sich ein solcher Ausbund von Bibliomanie fände, der die einzelnen Bände auch nur von zwei oder drei Fächern Stück für Stück in die Hand nähme, was würde das dem armen Schelm nützen, da zur Prüfung des Inhalts weder der richtige Ort, noch die gehörige Zeit zu Gebote steht. Ob also von der weit überwiegend großen Mehrzahl von Publicationen eines Jahres die einzelnen Bände in natura dastehen oder ob die Titel derselben etwa in Placatform mit Angabe der Bogenzahl die Wände bedecken — das wird so ziemlich auf eins herauskommen, wenn nicht etwa gar der letztere Modus noch der vortheilhaftere ist. Man denke nur an die kolossale Masse von Unterhaltungsliteratur, die, heute erzeugt, morgen verdienter Vergessenheit anheimfällt, der Schulbücher, Erbauungsschriften rc.rc., um sich eine Vorstellung davon zu machen, welch eine ganz unnütze Mühe und Naumverschwendung aus solch einer buchhändlerischen Massenausstclluug hervorgehen würde. Schwerlich wird — und darin muß ich dem Urheber des Vor schlags vollkommen beipflichten — sich zur Ausführung dieses Aus stellungs-Monstrums die deutsche Verlegcrwelt unter einen Hut bringen lassen. Glücklicherweise— setze ich hinzu; denn diese Art von Massenausstelluug, wobei die verlegerische Individualität ganz und gar verwischt werden soll und wo das Bedeutende von der Menge des Mittelmäßigen und gar Nichtsnutzigen erstickt zu werden droht, würde für die Aussteller ebenso große Schattenseiten wie für das Publicum haben. Nein, verehrter Herr College, das geht nun doch Wohl nicht an, daß der osprit äs eorp«, der uns die Uniform anziehen will, den einzelnen Mann in seiner Wesenheit verschwinden läßt. Wer ausstellt, will in seinen Producten oder Fabrikaten gesehen und gewürdigt werden, er kann also nicht wünschen, daß sich die Leute erst die Mühe nehmen sollen, das Material zu dieser Würdigung aus diesem und jenem Fache, diesem und jenem Winkel zusammenzulesen. Und weshalb soll der Verleger nicht für sich die Qualität des Fabri kanten in Anspruch nehmen? Der Erzeuger von gemusterten Webe- waaren bringt weder das Rohproduct, noch das Halbfabrikat hervor, noch endlich ist er Färber und Musterzeichner, ja er benutzt Wohl gar fremde Webstühle, um seine Waare fertig zu machen. Wo ist denn da der große Unterschied mit dem Verleger? Entweder dieser hat die Idee zu einem Verlagsunternchmen und sucht sich den Mann dazu, der das wesentliche Material zur Ausführung liefert, den Schriftsteller resp. Künstler, — oder aber die Idee wird an ihn heran getragen von dem Autor und er nimmt sie auf, um sie zu verwirk lichen. Das Umwandeln des Rohproducts, des Manuscripts, der Zeichnungen rc., in ein Fabrikat ist die Sache des Verlegers, und daß die Art und Weise, wie diese Sache angegriffen wird, oft wesent lich aüf Gestalt und Schicksal eines buchhändlerischen Erzeugnisses einwirkt, — ist an diesem Orte zu erörtern wohl mehr als überflüssig. So wenig also wie etwa ein Tapetenfabrikant wünschen kann, daß man die Fabrikate sämmtlicher Fachgenossen etwa nach der Farbe, nach der besonderen Art des Fabrikats oder nach sonstigen äußeren Rücksichten in ein System bringt und es lediglich dem Fa brikstempel überläßt, von dem Erzeuger Kunde zu geben, ebenso wenig liegt es im Interesse des Verlegers, seine Individualität zu Gunsten von Corporationsinteressen aufzugeben, die, wie nachgewie sen, sehr problematischer Natur sind. Und nun gar zu alledem noch die Beschränkung auf die Pro duction eines Jahres! Damit wäre weder dem Einzelnen noch dem Ganzen gedient. Es wäre doch höchst wunderlich, wenn Verlags- artikcl aus den letzten drei Jahren, 1869 — 71, ausgeschlossen sein sollten, die vielleicht zu den hervorragendsten und wegen ihrer Aus stattung sehenswcrthesten Unternehmungen einer Firma gehören, während diese möglicherweise im Jahre 1872 gerade für den Aus stellungszweck weniger Geeignetes auf den Markt zu bringen hat. Wünschenswerth und hoffentlich auch zu erreichen ist, daß die buchhändlerische Ausstellung durch Zusammenwirken der Beiheilig ten, vielleicht unter Mitwirkung des Börsenvereins-Vorstandes, als gemeinsame Angelegenheit behandelt und ins Werk gesetzt wird. Sehr zu warnen ist aber vor allem Ballast. Wer den „Schwindel" — ich gebrauche diesen Ausdruck mit vollem Bewußtsein — im Jahre 1867 in Paris mit erlebt hat und bedenkt, daß die Wiener Aus stellung noch weit größere Dimensionen annimmt, dem könnte fast der Muth sinken, diesen „höheren Jahrmarkt", der ebenso wie in Paris mehr der Belustigung der flanirenden Menge und der Be reicherung gewisser Gesellschaftsclassen in der liebenswürdigen Kai serstadt als ernsten Lebenszwecken dienen wird, mit Warenmustern zu beschicken, auch wenn sie durch Pracht und Schönheit geeignet sind, mehr als einen bloß flüchtigen Blick zu erhaschen. Man lasse also lieber alles fern, was dem Auge nichts bietet als Papier und Lettern, und dem Einzel- wie dem Gesammtinteresse wird besser ge dient sein, als wenn der Marcus'sche Vorschlag zur Ausführung gelangt. E. A. Seemann. III. Dem Vorschlag des Hrn- G. Marcus in Nr. 64 d. Bl., den deutschen Buchhandel auf der Wiener Industrie-Ausstellung durch Vereinigung aller im Jahre 1872 erscheinenden Bücher rc. in je einem Eremplar zu repräsentiren, bedauern wir keinen Geschmack abgewinnen zu können. Es ist nicht allein gar nicht die Aufgabe einer Industrie- Ausstellung , die nationale literarische Production innerhalb eines gewissen Zeitraums in qualitativer Hinsicht zu würdigen und abzu schätzen, sondern es ist das sogar eine reine Unmöglichkeit. Wer Gelegenheit gehabt hat, das sinnverwirrende Treiben auf den großen Weltausstellungen zu Paris und London zu beobachten, wird ein-