Volltext Seite (XML)
700 vvrß-nilatt f. d. Dtschn. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. 13. 17. Januar 1912 mühungen des Ausschusses und der Redaktion wesentlich viel zu ändern. Denn nicht sie, sondern Leser und Inserenten bestimmen das Niveau eines Blattes, und auch der von den besten Ab- sichten getragene Wille der Redaktion wird sich auf die Dauer so wenig gegenüber dem Willen der Leser und Inserenten be- haupten können wie der Wille der Regierung gegenüber dem Volkswillen. Das gilt in ganz besonderem Maße, wenn die Redak- tion — wie dies in der Natur eines Vereinsblattes begründet ist — als ausführendes Organ des Vereinswillens zu fungieren hat, d. h. der Mehrheit der im Börsenverein organisierten Berufs genossen Rechnung tragen muß. So sind es auch im wesentlichen nur Dinge formaler Natur, auf die sich die Reform des Börsenblattes beschränkt und beschränken muß, da das Beste, das uns die Neu- gestaltung des Blattes bringen soll, von keiner »Bestimmung« und keinem Paragraphen erfaßt werden kann, sondern von dem Geiste abhängt, mit dem die neue Form durch den Leser- und Inserenten- kreis erfüllt wird. Wenn sich nun auch der Geist den Körper baut, so darf doch die formale Seite schon deswegen nicht unterschätzt werden, weil durch sie die Wesenheit der Dinge mitbestimmt wird. Das gilt vor allem von den Inseraten, bei denen ja der äußere Ein druck zunächst spricht. Der moderne Geschäftsgeist will, daß Form und Art, wie jemand anzeigt, charakteristisch für die Natur des betr. Werks wie für die der inserierenden Firma sein soll, und man wird es keinem Geschäftsmann verargen können, wenn er in seinen Anzeigen diese Natur zum Ausdruck zu bringen sucht, soweit ihm das für den jeweiligen Fall geboten erscheint. — Das Börsenblatt wird meist als ein Geschäftsunternehmen angesehen, be stimmt, den Interessen des Buchhandels zu dienen, und wie jedes an dere, den Bedürfnissen und Wünschen der Inserenten Rechnung zu tragen. Daß sein Reingewinn der Allgemeinheit des Buchhandels wieder zufließt, bzw. in ihrem Nutzen Verwendung findet, ändert an dieser Aufgabe nichts, zumal diese Zweckbestimmung allen außerhalb der Organisation stehenden Inserenten gleichgültig sein kann und auch für die Mitglieder-Jnserenten des Börsenvereins nur bedingt in Frage kommt. Maßgebend für sie ist vielmehr lediglich der Erfolg ihrer Anzeigen, den sie, sofern über die Publikationskraft des betr. Blattes selbst kein Zweifel besteht, durch die Form und Art der Anzeigen zu beeinflussen suchen. Das ist ihr gutes Recht, das indes seine Grenze an dem Rechte des Börsenvereins findet, dem es seinerseits freistehen muß, die Bedingungen festzusetzen, unter denen er sein Organ den Inserenten zur Benutzung überlassen will. Denn ehe das Börsenblatt war, war der Börsen- verein, und es wäre nicht sein Organ, wenn sich seine Auf- gäbe in der eines reinen Geschäftsunternehmens erschöpfte. Es hat vielmehr die Pflicht, nicht nur in seinem redaktionellen Teil die Politik des Börsenvereinsvorstandes zu vertreten, sondern auch Sorge zu tragen, daß der Inseratenteil, trotz aller Vielheit und Vielseitigkeit der Interessen der Inserenten, sich frei von unseren Stand schädigenden Inseraten hält, durch die der Zweck und die Bestrebungen des Börsenvereins eventuell vereitelt werden können. Somit kann das Börsenblatt nur bedingt als ein Geschäfts unternehmen gelten, da das »Geschäft« in allen den Fällen hinter die grundsätzlichen Anschauungen des Börsenvereins zu treten hat, wo es in Widerspruch mit diesen steht oder die Gefahr einer Schädigung des Buchhandels vorliegt. Aus diesem Grunde wird manches Inserat vom Börsenblatt abgelehnt, das von anderen Zeitungen anstandslos ausgenommen wird, und es ist wohl nicht zu viel behauptet, wenn man den auf diese Weise dem Blatte entgehenden Gewinn auf einige Tausend Mark jährlich beziffert, von denen ein guter Teil auf die Zurückweisung marktschreierischer Inserate entfällt. Die Doppelnatur des Börsenblattes als Vereinsorgan einerseits und Geschäftsunter nehmen andrerseits bringt die Redaktion den Inserenten gegen über oft in eine eigentümliche Lage, in der sie in der Regel vor die Wahl gestellt wird, sich entweder für »mittelalterlich beschränkt« und »unfähig, den modernen Geschäftsgeist zu ver stehen« (was manchmal ein besserer Ausdruck für Schwindel ist), oder für »ungefällig« und borniert zu halten. In Fällen dieser Art sind die vom Börsenblatt.Ausschuß für die Behand lung von Inseraten gegebenen Vorschriften nicht nur ein wahrer Trost zur Erhaltung der Selbstachtung, sondern auch die beste Waffe zur Zurückweisung unberechtigter Ansprüche auf die sogen. Jnserentenfreiheit, weil das rein subjektive Empfinden der Redaktion über die Zulassung nicht einwandfreier Anzeigen durch die Ob jektivität dieser Bestimmungen abgelöst bzw. ausgeschaltet wird. Diese Bestimmungen, wie sie sich im Laufe der Zeit herausgebildet haben, ist die Redaktion stets bemüht ge wesen sinngemäß auf den einzelnen Fall anzuwenden und die Ansprüche der Inserenten mit der Natur des Blattes und seinen Aufgaben in Einklang zu bringen. Wenn ihr gleichwohl hin und wieder Beschwerden aus dem Leser kreise über die Aufnahme mehr oder minder geschmackloser Ab- bildungen zugehen, so kann sie ihnen nur mit dem Hinweis begegnen, daß sie über Fragen des Geschmacks kein Urteil abzu geben, sondern sie als eigene Angelegenheit der Inserenten anzusehen hat. Ähnlich ist ihre Stellung gegenüber reklamehaften Angaben in den Inseraten selbst: Soweit sie nicht an sich strafbarer Natur oder nachweislich falsch oder irreführend sind, muß ihre Vertretung den Inserenten überlassen werden. Und wie einer seits Form und Art der Anzeigen, sofern sie nur den Bestimmungen über die Verwaltung des Börsenvereins entsprechen, ausschließlich Sache der Inserenten sind, so muß die Redaktion andererseits die Scheidung in seriöse und nichtseriöse Verleger den Lesern anheimgebenundihreeigenen Gedankenüber die Natur der einzelnen Anzeigen und ihrer Auftraggeber für sich behalten. Sie hat jede n »ernsthaft« zu nehmen und muß von einer Kritik der Jnserate nach diesem ohnehin nicht ganz präzisen Standpunkte nicht nur des wegen absehen, weil sie nicht ihres Amtes ist, sondern auch, weil die Fülle der Gesichte — von denen oft die Anzeige ein anderes als das angezeigte Buch selbst trägt — ihr eine solche überhaupt unmöglich macht. JmLichte der eigenenErkenntnis wird sich jeder Verleger für »seriös« halten, und wie im Hause des Börsenvereins vielerlei Woh- nungen sind, so muß auch im Börsenblatt Raum für alle sein, die sich verlegerisch betätigen und hiervon dem Buch handel Kenntnis geben wollen. Denn das Börsenblatt will nicht nur den wertvollen Teil des deutschen Buchhan dels vertreten — obwohl es darauf natürlich besonderes Ge wicht legt — sondern ein Spiegelbild des gesamten deut schen Buchhandels bieten, in dem jeder seinen Platz erhält. Oder würden etwa bestimmte Literaturerzeugnisse, die von manchen nicht für seriös gehalten werden und doch einer großen Nach frage begegnen, weil sie von anderen — ob mit Recht oder Un recht sei dahingestellt — entgegengesetzt gewertet werden, nicht erscheinen, wenn das Börsenblatt die Anzeige darüber ablehnte? Sollte eine derartige praktisch kaum durchführbare Beschränkung ein mal Platz greifen, so wäre dann allerdings die Zeit für ein neues buchhändlerisches Organ gekommen, das bald auch die wissen schaftlichen Verleger zu sich herüberziehen würde, weil sie (wie alle anderen) auf ein Blatt angewiesen sind, das vom Sortiment gelesen wird. Darauf aber hat nur ein Blatt Anspruch, das alles zu seiner Kenntnis bringt, was ihm zu wissen nötig ist. Den Boden für eine solche Konkurrenz vorbereiten hieße es auch, wenn den Inserenten weitergehende Beschränkungen, als sie gegenwärtig bestehen, hinsichtlich der Schriftgrade und Illustrationen auferlegt würden. In der Redaktion des Börsen blattes erinnern sich noch die älteren Mitarbeiter nicht ohne leises Grauen jener Zeiten, in denen ständig ein Beamter mit dem Zentimetermaß die Höhe der Buchstaben, für die damals als Maximum 2 em vorgeschrieben waren, zu kontrollieren hatte, während ein anderer den »Signetcharakter« der Klischees nachprüfen mußte, um die Einführung von Schmuggelware zu verhindern. Wenn jetzt in der »Kunstbeilage«, über deren Ren tabilität man ja verschiedener Meinung sein kann, dem Buch-und Kunstverlag die Möglichkeit gegeben werden soll, in größerem Umfange und mit besserer Wirkung, als dies im Börsenblatt aus verschiedenen Gründen möglich ist, Illustrationen zum Abdruck zu bringen, so findet auch diese Neuerung ihre Begründung in den Wünschen der Inserenten, auf die doch schließlich auch einige Rück sicht zu nehmen ist. Daß die Kunstbeilage ihrem Namen Ehre machen möge, ist unser aufrichtiger Wunsch, aber weder von dem Ausschüsse, geschweige denn von der Redaktion, sondern lediglich von dem Willen der Inserenten bzw. der Art der dafür ein gehenden Anzeigen wird ihr Kunstwert abhängen. Und nicht zuletzt ist der reine Kunsthandel, dem hier Gelegenheit geboten werden soll, sein Können zu zeigen und sich wieder enger an den Buchhandel anzuschließen, in der Lage, dieser Beilage durch seine Anteilnahme Wert und Bedeutung zu geben, so daß die »Auch- j kunsthändler« von selbst zurücktreten. Red.