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Nr. 185 (N. 101). Leipzig, Sonnabend den 23. August 1930. 87. Jahrgang. ReÄMwueller TÄ 3n Bukarest. Beobachtungen über den rumänischen Buchhandel. Von vr. Friedrich Wallisch. Bukarest ist eine junge Stadt. Daraus erklärt sich die ganz merkwürdige Beschaffenheit des Verlags- und Sortimentsbuch handels, der durchaus nicht denselben Eindruck macht wie in anderen Städten mit ebenso hoher Bevölkerungszahl. Bukarest hat eine Million Einwohner. Aber noch um die Mitte des vorigen Jahrhunderts war es eine unbedeutende orientalische Siedlung. Die rumänische Sprache, ja, die rumänische Nation überhaupt fanden spät ihre Anerkennung in Druckschrift und Buch. An der Grenze vieler einander widerstreitender Kul turen lebend, mußte das rumänische Volk außerordentlich lange die geistige Oberhoheit anderer über sich ergehen lassen. Un gefähr um die Wende des 16. und 17. Jahrhunderts entwickelten sich unter fremdem Einfluß und spät genug die ersten Anfänge eines rumänischen Schrifttums. Evangelische Deutsche und Un garn brachten aus dem Westen die Buchdruckerkunst, slawisch orthodoxe Priester brachten aus dem Süden die Cyrillschrift, in der dann merkwürdigerweise mehrere Jahrhunderte lang die romanische Sprache des Volkes niedergelegt wurde. Die Türken herrschaft, die Vorliebe der fanariotischen Fürsten für das Griechentum Und manche andere Umstände verhinderten immer wieder eine Entwicklung des rumänischen Schrifttums. Von Ausnahmen abgesehen, ist die Literatur der Rumänen kaum älter als 80 Jahre. Und nicht älter sind daher auch die ersten nennenswerten Versuche zur Schaffung eines Verlagswesens. Aber es blieb bei Versuchen. Erst die Errichtung des großrumänischen Staates nach der Zertrümmerung der Habs burger Monarchie hat mit einem Schlag das Bild geändert. Man kann ohne große Übertreibung das Jahr 1919 als das Geburtsjahr des rumänischen Verlags bezeichnen. Das also ist der Schlüssel zum Verständnis der Lage: Eine junge Mil- lionenstadt und ein junger Buchhandel. In der so kurzen Zeitspanne, in der der Verlags- und Sor timentsbuchhandel Gelegenheit gehabt hat, sich dem Wesen und den Bedürfnissen einer großen Reichshauptstadt anzu passen, ist trotz mancher Schwierigkeiten sehr viel geleistet wor den. Die Beharrlichkeit, mit der hier der Verlag sein Ziel verfolgt, ist geradezu bewundernswert. Er hat an allen Fron ten zu kämpfen. Von der Erwerbung des Manuskripts bis zum Einzelverkauf ein wahres Hindernisrennen! Die Anteile derAutoren sind zu hoch; Tantiemen von 25"/„ bilden nichts Seltenes. Vor dem Krieg erwarben die wenigen Verleger, die es damals gab, die Handschrift des Autors in der Regel gegen eine bescheidene einmalige Vergütung. Nach dem Kriege, als über Nacht große Verlagsanstalten aus dem Boden wuchsen, ent stand eine starke Nachfrage nach guten rumänischen Manu skripten; die Verleger überboten einander, um die Autoren für sich zu gewinnen. Aus dieser Zeit stammen die für den Schrift steller erfreulich hohen Tantiemen. Womit nicht gesagt sein soll, daß es den rumänischen Schriftstellern allzu gut geht. Die Möglichkeit, literarische Werke zu veröffentlichen, ist noch immer recht gering. Die Höhe des Anteils am Bücherverkauf bietet nur bescheidenen Ersatz dafür. Ein besonders trauriges Kapitel im Geschäftsbetrieb des Verlags bildet die Frage der Papier beschaffung. Man muß bei dem hier bestehenden Mono poltrust kaufen, dessen Papier nicht billig ist und auch in der Qualität manches zu wünschen übrig läßt. Der Einfuhrzoll ist so hoch, daß eine Verwendung von gutem ausländischen Papier die vcrlegerische Kalkulation einfach umwirft. Deshalb sind die meisten rumänischen Bücher auf minderwertigem, holzhaltigen Papier gedruckt. Die Unterbindung eines freien Papicrhandels macht sich unter anderem auch beim Schulbüchergeschäft unangenehm fühlbar. An und für sich bildet ja die Herstellung von Schulbüchern die sicherste Einnahmequelle des Verlegers. Die freie Preisbildung ist hier aber ausgeschaltet. Das Unter richtsministerium setzt die Ordinärpreise für Schulbücher pro Druckbogen fest und der Verleger muß zusehen, wie er sein Schifflein zwischen der Scylla des Papierpreises und der Cha- rybdis des Ordinärpreises Hindurchsteuern kann! Dazu kommt nun noch — um nur die wichtigsten Hindernisse für die Entwick lung des Buchgeschäfts anzuführen —, daß die Arbeitskraft für alle Herstellungsvorgänge verhältnismäßig teuer ist und schließlich und endlich, daß der Absatz des rumänischen Buches überhaupt zu wünschen übrig läßt. Großrumänien hat heute 17,8 Millionen Einwohner. Aber der Rumäne ist kein eifriger Bücherleser (während er geradezu fanatisch Zeitungen liest). Literarische Werke rumänischer Autoren oder Übersetzungen aus der Weltliteratur haben, wenn es gut geht, 5000 Auflage. Lest setlero erreichen 10 000 Auflage. Es war, soviel ich weiß, ein Rekord, daß ein Werk des beliebte sten rumänischen Dichters kürzlich eine Auflage von 30 000 Stück erreicht hat. Nach all dem Gesagten ist das, was der rumänische Buch verlag tatsächlich leistet, umsomehr anzuerkennen. Als lobens wertes Beispiel sei das enzyklopädische Wörterbuch von I. A. Candrea und GH. Adamescu zu erwähnen, mit dem jetzt die Bukarester Verlagsaktiengesellschaft Osrte» tiomSoeaseL vor die Öffentlichkeit tritt. Das Werk besteht aus 2400 zweispaltig be druckten Seiten in Lexikonformat mit ungefähr 5000 Text abbildungen und mehr als hundert zum Teil farbigen Karten und Tafeln. Die knappe Behandlung der Schlagwörter und die denn doch bescheidene drucktechnische Ausführung lassen das an sich bedeutungsvolle Lexikon allerdings nur als relativ erst rangig erscheinen. Eine unbedingte Spitzenleistung in redak tioneller und technischer Hinsicht bildet eine neue, vom Staats- Verlag herausgegebene Zeitschrift »voobs -io 6iäu« (Weizen körner), kevista äe culturs, ein reich illustriertes, mit Kunst beilagen ausgestattetes literarisch-wissenschaftliches Organ, durch aus musterhafte Graphik auch im abendländischen Sinne. In Bukarest erscheint übrigens auch eine literarische Reihe in Klein format ungefähr nach dem Vorbild von Reclams Universal- bibliothek. Die große Menge der literarischen Veröffentlichun gen ist in ihrem Äußeren nach Art des französischen Romans typisiert. Es sind einheitlich ausgestattete broschierte Bücher von 2—300 Seiten Umfang, ohne Klischee auf dem Umschlag, zum Ladenvreis von 80 bis 100 Lei (2.— k>is 2.60 Mark). Der leichte Roman wird vom Kunden bevorzugt. Es gibt hier, wie gesagt, wenig Leser. Und diese wenigen lesen nicht viel. Es würde also im dringenden Interesse des Buchhandels liegen, die Freude am Buch durch entsprechende Propaganda zu wecken und zu erhöhen. Aber auch das 801