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91, 22. April. Nichtamtlicher Theil. 1481 eigene und nicht unverdiente Ironie des Schicksals, das dem Dichter,! als er mit seinem Osmantinnm in der Klemme saß, den Gedan ken eingab, sich deshalb an Weidmanns zu wenden. Diese hatten gerade vorher nach langer Zeit wieder einmal von sich hören lassen, denn sie wollten die Briese des Horaz neu drucken. Also schrieb Wie land — 1. Februar 1801 — an die feindliche Handlung und that in überaus artiger Weise den bewußten Antrag. Er ging bei seinen Vorschlägen ziemlich ins Einzelne, sprach von Format und Umfang, Papier, Lettern und Kupfern. Weidmanns brauchten nur noch Ja zu sagen. Aber sic sagten Nein, wenn auch nicht unumwunden. Sie verschanzten sich hauptsächlich hinter die Vorräthe des Lucian,die sie noch in unerfreulicher Menge hatten, und baten, bis nach deren Verkauf die Erledigung der durch Wieland angeregten Frage vertagen zu dürfen. Acrgerlich zog nun Wieland seinen Vorschlag zurück und erbat nur ein Exemplar der Horazischen Briefe als Manuscriptexcmplar. Aber Weidmanns sandten das gewünschte Buch nicht, sondern druckten es ohne Weiteres neu. Daneben lief ein kurzer Briefwechsel her, in dem die Rollen vertauscht schienen. Jetzt waren Weidmanns die Spröden, Wieland der Nachgebendc. Aber alles war umsonst. Im Frühjahr 1803 besucht Böttigcr in des Dichters Aufträge dicWeid- mannschc Buchhandlung, Gegenstand der Verhandlung sind die ge sammelten Uebersctzungeu; Böttigcr aber fährt, ohne etwas erreicht zu haben, wieder davon. Nur zu einem Neudruck der Horazischen Satiren sind Weidmanns veranlaßt, von Lucian haben sie noch ge waltige Vorräthe, größere noch, als sie Wieland seiner Zeit waren angegeben worden. So verfließen die Jahre, noch einmal wird Geld fiir einen Neudruck des Oberon, sowie Horazcns Satiren von Weid manns au Wieland, ebenso für das Mauuscript einer Ausgabe von der letzten Hand der Horazischcu Episteln gezahlt. Aber diese selbst er scheint nicht mehr und die Hoffnung ans eine Ausgabe sämmtlicher Uebcrsctzungcn bleibt Hoffnung. Die letzten Lebensjahre des Dichters dagegen zeigen das Ver- hältniß zwischen ihm und Göschen noch in dem alten Lichte. Mit kurzer Unterbrechung ist hier der Verkehr stets der herzlichste. Das eigentliche Geschäft freilich steht jetzt im Hintergrund, denn Wieland's schriftstellerische Thätigkeit ist fast erloschen. „In der That ist nur mit Billigkeit gar nichts mehr zuzumuthen; alles was ich noch prästiere, sind wahre opora supsrsrogationis, wie es die katholischen Moralthcologen nennen. Aber freilich sind sie auch da nach. — Wer in seinem 28stcn Jahre Musarion und im 48sten Jahre Oberon gemacht hat, macht im 73. keine Verse mehr." So hat der „Abrahamide" Ullman, der jetzt Wieland's Geldgeschäfte besorgt, wenig zu thun. Und mit Recht durfte daher der Dichter — 1811 — fragen: „Was für Zeiten sind über uns gekommen! Vor 15 Jahren hätte wohl keiner von uns beiden sich vorgestcllt, daß eine Zeit kommen werde, wo 50 Thalcr ein bedeutendes Object für uns sein würde." Tritt das Geschäft zurück, so erscheint der nicht geschäftliche Verkehr in alter Weife freundlich. Ab und zu werden Briese ge tauscht; man klagt über die fortdauernde schlechte Zeit, redet von Napoleon, dem Kaiser Alexander und Friedrich Wilhelm III. Politik wird dabei nicht selten berührt, auch von Göfchen's Seite. Und da meint einmal unser Dichter — Juni 1811 —: „Ihre Reflexionen über den gegenwärtigen Zustand der Dinge treffen haarscharf. Mir fällt dabei der gebolastious ein, der fein Pferd durch allmählige Entziehung des Futters so weit zu bringen hoffte, daß es end lich ohne zu fressen leben könnte. Die Rossiuante hielt cs sieben Tage aus: aber am Morgen des achten fand er sic todt. Jammer schade! rief der weise Mann: hätte der Gaul nur diesen einzigen Tag noch ausgehalten, so wars Überstunden. Ich denke, der Versuch, der seit einigen Jahren mit dem Europäischen Kon tinent gemacht wird, werde eben so glücklich ausfallen." Auch die kleinen Erlebnisse des Hauses werden berührt wie früher, von der Gipsmaske redet mau, die von Wieland's Kopf genommen wird, von dem Portrait, zu dem der Dichter sitzen mußte. Des Wetters nicht zu vergessen. Literarisches läuft dabei nebenher, so das Journal für Frauen, das seit 1805 bei Göschen erschien und unter dessen Heraus gebern auch Wieland genannt war. Der Dichter intercssirte sich leb haft dafür, „aber",meinte er einmal,„HcrrHofrathRochlitzsder eigent liche Herausgeber des Jonrnalsj hat Ihnen, wie ich nicht zweifle, die Betrachtungen mitgetheilt, aus welchen ich das Vorhaben, künf tig auch Aufsätze von Männern in Ihr Fraucn-Journal anfzuneh- men, nicht guthcißen kann. Das Journal, oder doch sicher der Ver leger, würde meiner Meinung nach eher dabetz verlieren als gewin nen. Der einzige dem Fr.-J. vorteilhafte Antheil, den wir Männer daran nehmen tonnten, wäre, dünkt mich, durch Briefe, welche sodann von Frauen wirklich beantwortet würden. Dies könnte eine inte ressante Rubrik werden und wäre wohl der einzige Weg, wie ich selbst Ihrem Wunsch einigermaßen entgcgenkommen und künftig etwas zu Ihrem Journal betstragen könnte." Mannigfach sind, wie man sieht, noch die Interessen des Greises und er ist auch mit 72 Lebensjahren noch wohl geneigt, „künftig" für seinen Freund Göschen schriftstellerisch thätig zu sein. So geht dieses Dichterleben zur Rüste, freundlich und warm wie ein schöner Sommcrabend. Unter den letzten eines abstcrbcnden Geschlechts scheidet der greise Poet von uns, den Lebenden eine fast fremde Erscheinung. Er läßt eine neue größere Zeit zurück, größere Bestrebungen und Ziele, als er sie gekannt gehabt. Sein Verleger überlebt ihn. Ehrfurchterweckend wandelt dessen mächtige Gestalt noch für Jahre unter dem neuen Geschlecht, thätig für sich und Andre. Für uns Heutige aber, die wir ihn nicht mehr von Person kannten, lebt er wenigstens in der Erinnerung fort. Und wenn wir von der zweiten Blüthczeit unserer Literatur reden, gedenken wir dankbar auch zweier Buchhändler. Der eine davon ist der aufmuuterungsbedürftigc junge Mann von 1785, Georg Joachim Göschen. Die Pflichtexemplare vor dem Reichstage. Unter dieser Ueberschrift bringt Nr. 5 des Schürmann'schen Magazins die erste Beleuchtung der jüngsten Verhandlungen des Reichstages über den betreffenden Paragraphen des neuen Rcichs- Preßgcsetzes aus dem Kreise des Buchhandels. War man erstaunt über das Resultat dieser Verhandlungen, über den Beschluß, daß die ungerechte Besteuerung des Vcrlagshandels, die unentgeltliche Uebcrlassung seines Eigenthums an die öffentlichen Bibliotheken fortbestehcn bleibt, so war man cs mehr noch und auf das äußerste verstimmt über die Verhandlungen selbst, welche im Reichstage diesem Beschlüsse vorangingen. Es ist auf das höchste zu beklagen, daß ernste und wissenschaft lich hochstehende Männer, wie die Abgeordneten vr. Onckcn und zumal v. Schulte, es unternehmen, in einem Parlamente, dessen Mitglieder über den fraglichen Gegenstand gar nicht unterrichtet sein können, über solchen Gegenstand das Wort zu führen, ohne die thatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse desselben zu kennen und ohne mit der Materie sich vertraut gemacht zu haben, durch welche in fremden Staaten diese Besteuerung des Buchhandels eine gesetz liche werden mußte. Wenn in einem Parlamente bei den Verhand lungen über einen Gegenstand, mit welchem seiner Natur nach nur Einzelne vertrant sein können, ein Abgeordneter das Wort nimmt, so setzen die anderen Mitglieder des Parlaments voraus, daß er mit der Sache auf das eingehendste vertraut sei, und folgen dann ohne Weiteres dem, was der Einzelne ausführt; um so gewissen hafter hat dieser daher auch zu prüfen, ob er den, den Andern fremden Gegenstand so durchdrungen hat, daß er es verantworten darf, zu beanspruchen, daß die Andern ihm folgen.