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X; 159, 12, Juli 1930, Redaktioneller Teil. Börsenblatt f. d.Dtschn. Buchhandel bestehende gesetzliche Verpflichtungen ändert, beschränkt sich die bewegliche Summe des Etats auf rund 1 Milliarde, Hiervon 100 Millionen einzusparen ist wahrhaft eine schwere Aufgabe, Es mutz einmal öffentlich gesagt werden, daß von diesem Betrag nicht von heute auf morgen Hunderte von Millionen abgesetzt werden können,» Das ist in der Tat richtig. Bei der starken Abhängigkeit unsrer gesamten Wirtschaft nicht nur von der in den Gehältern liegenden Kaufkraft der Beamten, sondern vor allem auch von der unmittelbaren Kaufkraft der öffentlichen Hand, die in ihren Aufträgen zum Ausdruck kommt, trägt die Kosten aller Etatabstriche letzten Endes doch wieder die Wirt schaft selbst, der geholfen werden soll. Demgemäß hat sich der Buchhandel mit Recht gegen die Abstriche an den Kulturetats gewandt. Zweifelsohne kommt es mehr darauf an, daß jede weitere Ausgabensteigerung unterbleibt, als daß eine Etat kürzung erzwungen werden müßte. In diesem Sinne hat auch Parker Gilbert, der gewesene Reparationsagent, in seinem Schlußbericht als eine wesentliche Ursache der Budgetschwierig keiten des Reiches angegeben: Erstens und vor allem sei der Grundsatz nicht bestätigt worden, daß die Regierung sich nach der Decke strecken müsse. Die reichlichen Einnahmen — 8,961 Milliarden im Jahre 1927/28 — wären ausreichend gewesen, um alle berechtigten Bedürfnisse des Reiches zu decken und auch um eine angemessene Sicherheitsspanne zu liefern, wenn nur eine feste Finanzpolitik befolgt worden wäre. Das Reich selbst habe mit am schlimmsten gegen den Grundsatz gesündigt, den das Finanzministerium in seiner Begründung zum Haushalts voranschlag für 1929/30 mir stärkster Betonung aufgestellt habe, daß nämlich alle Ausgaben durch Einnahmen gedeckt sein müßten. Die ständige, unverantwortliche Ausgabenfreudigkeit der Parla mente ist in der Tat das Grundübel, Wenn für eine Reihe von Jahren jede Mehrausgabe grundsätzlich verboten würde, wäre schon das meiste gewonnen, Rationalisierung könnte dann ohne Mehrbelastung die Leistung steigern, was auch sparen bedeutet. Davon hätte alles Vorteil, Eine solche Risikoentlastung der Wirtschaft wäre auch die beste Voraussetzung für eine Preis senkung auf allen Gebieten, von der jetzt ebenso wie von der Lohnsenkung so viel gesprochen wird, Stegerwald führte dazu in seiner schon genannten Rede neulich unter anderm folgendes aus: »Unser heutiges inneres Preisniveau ist ungesund und nicht auf die Dauer haltbar. Wir kommen um eine baldige Preissenkung nicht herum. Diese muß jedoch vorausgehen, da Lohnkürzungen allein bestimmt nicht zum Ziele führen und auch nicht durchführbar sind. Wenn man die Löhne senkt, ohne die Preise zu senken, dann verschärft man die Krise, Wenn man die Löhne nur ebensoviel senkt wie die Preise, dann er leichtert man zwar die Ausfuhr, schafft aber im Innern so gut wie keine verstärkte Kaufkraft, Nur durch stärkere Senkung der Preise als der Löhne wird zusätzliche Kaufkraft geschaffen. Einer Senkung der Reallöhne müßte ich mich nachdrücklichst widersetzen. Für eine Senkung der Preise gibt es viele Mittel, u, a, die Lockerung der Kartellpolitik, die Jnordnungbringung des Zinsendienstes, die Verringerung der Preisspanne vom Er zeuger zum Verbraucher, besonders bei den landwirtschaftlichen Produkten, Vereinfachung und Verbilligung der Lebensführung in breiten Schichten des deutschen Volkes und Lohnkürzungen dort, wo sich Überspitzungen zeigen,» Gewaltsame, willkürliche Preissenkungsaktionen haben viel Bedenken gegen sich, haben bisher auch nie wirklich Erfolg gehabt. Die Gewerkschaften scheinen jetzt im Bunde mit den Konsumvereinen einen Sturm auf das Preisgebäude vorzubereiten. Besser wäre es, man ver ließe sich auf die natürliche Auswirkung des Spieles von An gebot und Nachfrage, Im übrigen sollten alle, die für den all gemeinen Preisabbau so sehr schwärmen, nicht vergessen, daß dadurch die Tributlast Deutschlands weiter erhöht wird. Unsre Schulden.lauten auf Goldmark, Wenn die Warenpreise sinken, müssen wir für die feststehenden Beträge mehr Waren liefern (und wir können ja praktisch überwiegend nur in Waren zahlen). Der Preisabbau wirkt sich außerdem natürlich auch kon junkturell aus, wie sich die Konjunktur in der Preisent wicklung spiegelt. Der letzte Bericht der Reichs-Kredit-Gesell- schast gab dafür folgende Zahlenübersichten: 6S4 Preisentwicklung in Deutschland Uwe Waren Industrielle Industrielle Fertig Zeit Gesamt- sO-sse Rohstoffe duttions. K°Fum mittel Monatsdurchschnitte (1913 — 100) 1924 .... 144,5 137,3 119,6 142,0 128,5 177,1 1925 .... 143,8 141,8 133,0 141,0 135,9 172,4 1926 .... 117,1 134,4 129,3 129,7 132,5 162,2 1927 .... 128,4 137,6 137,8 131,9 130,2 160,2 1928 .... 134,7 140,0 134,3 134,1 137,0 174,9 1929 1.Viert. 128,8 122F 139,3 133,1 134,0 137,5 174,0 2. „ . 135,9 126,2 132,0 138,0 172,3 3. „ . 118,9 138,0 132,5 131,4 139,3 170,9 4. „ . 112,7 135,7 128,8 1.30,0 139,6 169,1 1930 I.Viert. 107,1 129,3 115,9 126,8 139,3 163,7 April . 102,6 126,7 112,1 124,8 138,8 161,8 Mai . 101,3 125,7 110,7 123,8 138,6 161,3 Einen Vergleich mit den außerdeulschcn Verhältnissen er möglichen die folgenden Zahlen aus derselben Quelle: Mach Jndexbcrechnungen) 1926-100, I. Gruppe: 1927 1928 Durchschnitt 1929 1930 1. Viertel- fahr Vereinigte Staaten v. Amerika . . 95,0 98,0 97,0 92,0 England . 95,3 94,6 91,9 86,5 Holland . 102,1 102,8 97,9 86,9 Schweiz . 97,9 100,0 97,2 91,7 Schweden . 98,0 99,3 94,0 85,9 II. Gruppe: Deutschland . 103,0 104,5 102,2 96,3 Frankreich . 107,7 . 102F 107,7 106,0 97,4 Belgien 102,5 103,3 95,8 Italien . . 106,1 102,3 99,2 92,4 Polen . 113,3 114,3 107,6 97,1 III. Gruppe: Britisch-Jndien . 98,2 97,0 96,4 90,4 Ckina . 95,3 92,3 85,2 75,1 Japan . 95,9 94,1 91,1 86,6 Bei der Beurteilung dieser Zahlenbilder ist allerdings zu beachten, daß sie nicht erkennen lassen, wie der Verbrauch auf die Preisverschiebungen reagiert hat. Erst das aber kennzeichnet die tatsächliche Wirtschaftslage, Nach den Berichten des preußi schen Ministeriums für Handel und Gewerbe zeigte die Wirt schaftslage im letzten Monat bisher noch keine wesentliche Besse rung, In Bergbau und Eisenindustrie blieb die Lage gedrückt. Nur im Braunkohlen- und Kalibergbau war eine Belebung fest zustellen, Auch in der Maschinenindustrie hielt der unbefrie digende Absatz an. Die chemische Industrie konnte ihren ver hältnismäßig günstigen Stand nicht überall behaupten. Elektro technische und Werstindustrie klagen ebenso wie Automobil- und Filmindustrie und fast alle Konsumgüterindustrien über Absatz mangel, Im Handel trat nur teilweise eine geringe Belebung ein. Das gleiche gilt vom Handwerk, Das Kursniveau ging weiter zurück. Nur im Außenhandel für Mai zeigte sich ein günstiges Moment, da der Ausfuhrüberschuß von 286 Millionen einen Export an Fertigware in Höhe von 78,9 Millionen Mark aufwies. Die allgemeine wirtschaftliche Lage im Einzelhandel hat ebenfalls keine Besserung erfahren. Die Umsätze des Vor jahres wurden überwiegend nicht erreicht. Eine geringe, aber keineswegs den Erwartungen entsprechende Belebung brachte im Textil- und Schuhwareneinzelhandel das Pfingstgeschäft; es blieb aber hinter dem des Vorjahres zurück. Die hohe Arbeits losigkeit und die vielen Feierschichten in der Industrie mit der daraus folgenden Minderung der Kaufkraft der Massen üben natürlich einen starken Druck auf die Umsatzentwicklung im Einzelhandel aus. Bemerkenswert ist, daß in den Einzelhandels geschäften fast nur unbedingt notwendige Waren verlangt wer den und nur billige oder mittlere Qualitäten, Kredite werden in starkem Ausmaße von den Käufern verlangt und, der Not gehorchend, von den Geschäften gewährt. Die Zahlungsein gänge sind sehr schleppend. Im Lebensmittelhandel verringerte sich erneut der Kreis der kaufkräftigen Konsumenten, so daß der