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Redaktioneller Teil. ^ 12, 17. Januar 1916. die uns unser Buchhändler für den Abend leiht, damit er aus diesem Wege Interessenten für das eine oder andere finde. Dies ist es, was uns hier angeht. Der Buchhändler soll mit helfen ; denn er hat ein Interesse daran. Nun freilich kann er sich nicht denen aufdrängen, die solchen Reformgedanken fernstehen; aber er kann — erstens, wenn irgendwo dieser Gedanke Tat wer den sollte, fördernd wirken, - zweitens die Sache bei sich selber anfangen, — drittens den Gedanken taktvoll propagieren. Der Sortimenter, der ständige Kunden hat, könnte für sie eine Neu- heiten-Leihbücherei einrichten, deren Fortführung oder deren Jn- haltreichtum von dem Umsatz des Kunden abhängig gemacht wird. So kann er allmählich dem Kunden jenen Gedanken, daß an ge selligen Abenden bei ihm die Gäste das Neueste einsehen können, verständlich machen — freilich ohne daß der Kunde das Gefühl bekommen dürfte, sein Haus sei ein Musterlager. Der Hausherr, der sich darauf einlätzt, dürfte natürlich grundsätzlich kein Buch verborgen — bei ihm einsehen und beim Buchhändler kaufen wäre der einzige Weg für den Gast. Ohne Zweifel würden sich an eine aufliegende Neuerscheinung Gespräche knüpfen, die Interesse für die Literatur und für einzelne Bücher im besonderen Wecken und auf diese Weise mit der Zeit eine großzügige Propaganda dar« stcllen. Diese wächst auf dem gleichen Zweig wie das Lesezimmer in der Sortimentsbuchhandlung, verpflanzt sich aber in Kanäle, die neu gegraben werden. Dünkt es den Buchhändler, daß hier ein Weg gezeigt sei, der — als einer, ein bescheidener unter vielen — gangbar und mit der Zeit erfolgversprechend sei? Elster. Weltsprachlerei. m. <Vgl. Bbl. ISIS, Nr. LS7, 304 u. ISIS, Nr. 8.j ES ist erfreulich, das; die Redaktion des Börsenblattes durch Auf nahme des Aufsatzes »Weltsprachlerei« die Aussprache über den Welt- sprachcn-Gedanken in Fluß gebracht hat. Das Problem berührt den Buchhandel mehr, als man auf den ersten Augenblick meinen sollte, und cs kann nur begrüßt werden, wenn sich der Buchhandel, zumal auch der sprachenfreudige Nachwuchs, über die Stellung klar wird, die es dem Weltsprachen-Gcdanken gegenüber einzunehmen gilt. Ich fühle mich nun keineswegs berufen, den Verfasser der Plau derei »Weltsprachlerei«, Herrn Ll., gegen Herrn L. -k., der für die Weltsprache eintritt, zu verteidigen. Ich meine aber, daß man von vornherein berücksichtigen sollte, daß es gar nicht in der Absicht des Herrn LI. lag, eine tiefgründig wissenschaftliche Arbeit zu liefern. Es ist durchaus erlaubt, eine an sich ernste Frage auch einmal im Plauder tone zu behandeln. Geschieht das in der geistreichen Form, die N.s Anfsatz auszeichnet, so kann man gegen die Art der Behandlung ge wiß nichts einwenden. Herr H. behandelt das Problem ernsthafter. Aber ich habe das Empfinden, das er nicht den rechten Standpunkt findet, von dem aus wir urteilen sollten, wenn wir uns ein Urteil über den Wert und die Zweckmäßigkeit der Hilfssprachen bilden wollen. Er nennt die Kunstsprachen »objektivierend«, sie seien »für alle Kulturvölker« verständlich, sie machten »internationale Kongresse« erst eigentlich mög lich usw., usw. Schön und gut! Aber hat der deutsche Buch handel zur Zeit eine besondere Ursache, sich »für alle Kulturvölker« zu begeistern oder sich für die Möglichkeit, »internationale Kongresse« abzuhalten, stark ins Zeug zu legen? Haben wir nicht heute mehr als je das Recht zu fragen: was dient dem deutschen Buchhandel, was dient dem deutschen Han del, was dient dem deutschen Volke? Haben die Antworten aus diese drei Fragen den gleichen Wortlaut, so ist damit unsere Stellung gegeben, die dann durch Rücksichten auf irgendwelche angebliche oder- echte Kulturvölker oder durch Besorgnis für die Möglichkeit inter nationaler Kongresse nicht mehr geändert werden kann. Das Hemd ist uns näher als der Nock und auch, objektiv betrachtet, wesentlich wichtiger als etwa die Krawatte. Und die Antworten auf die drei Fragen haben den gleichen Wort laut. Er lautet: jede Vermittlersprache schädigt den deutschen Buch handel, den deutschen Handel, das deutsche Volk, dieses sowohl wirt schaftlich als politisch. In Paris sind jetzt viele Plakate angeklebt, die auf den Krieg Bezug haben. Der Berichterstatter der Leipziger Neuesten Nachrichten berichtet darüber: »Daneben die dreifarbigen Anschläge der Kinematographen- Thcater mit der Ankündigung vaterländischer Filme, die schwülstig sten Aufrufe der verschiedenen Esperanto-Gesellschaften, die ihre 54 Sprache als das einzige Mittel bezeichnen, um die verhaßte Sprache der »boekoZ« zunächst in Frankreich und dann auch in der übrigen Welt überflüssig zu machen.« Ob ähnliche Plakate auch in London vorhanden sind, weiß ich nicht. Es wäre vom englischen Standpunkt aus zu verstehen, wenn man auch dort fleißig Esperanto oder Ido lernen und diese Kunst sprachen nach Möglichkeit verbreiten würde. Tatsächlich ist Esperanto in Frankreich und England verbreiteter als in Deutschland, obwohl zu mal der junge Engländer im allgemeinen viel zu bequem ist, fremde Sprachen zu lernen. Wie erklärt sich diese merkwürdige Erscheinung, die sich die Führer der deutschen Esperantisten bezeichnenderweise nicht zu erklären vermochten, bis sie von anderer Seite auf des Rätsels Lösung gestoßen wurden: Ein sehr wesentlicher Grund für den Siegeszug des deutschen Handels in den letzten Jahrzehnten — ein Siegeszug, wie er in der Geschichte einzig dastcht — ist die große Sprachgewandtheit der Deut schen. Der deutsche Kaufmann lernt die Sprachen der Völker, mit denen er in Verbindung tritt. Junge Kaufleute, die zwei, drei oder gar vier oder mehr Sprachen sprechen, sind keine Seltenheiten. Auch im Buchhandel fehlt es nicht an älteren und jüngeren Berufsgenossen, die über erhebliche Sprachkenntnisse verfügen. In England und Frankreich ist dieser Lerneifer selten. Die beiden Völker sind' älter und bequemer geworden. Zumal der englische Kaufmann erwartet, daß nicht nur der Ausländer, der mit ihm in Verbindung zu treten wünscht, englisch spricht (dieses Verlangen ist berechtigt), sondern er setzt auch als selbstverständlich voraus, daß der Ausländer, mit dem e r Geschäfte machen möchte, die englische Sprache beherrscht. Diese An maßung ist, alles in allem genommen, England nicht zum Vorteil gewesen. Der englische Handel mußte dem deutschen Handel Schritt für Schritt weichen. Die große Sprachgewandtheit der Deutschen bewirkte es auch, daß man junge deutsche Kaufleute mit Vorliebe in solchen ausländi schen Häusern beschäftigte, die Handel mit mehreren Völkern, zumal auch Handel mit Deutschland trieben. So arbeiteten vor ^ dem Ausbruch des Krieges etwa 60 000 bis 70 000 junge deutsche Kauf leute, darunter auch viele Buchhandlungsgehilfen, im Auslände. Es braucht nicht dargetan zu werden, daß diese zahlreichen Ftthlfäden des deutschen Handels für diesen von gewaltiger Bedeutung waren und in Zukunft sein werden. Tatsächlich ist Deutschland das einzige Land, das seinen jungen kaufmännischen Nachwuchs zu Zehntausenden ins Ausland sendet. Es nimmt in dieser Hinsicht eine eigenartige Aus nahmestellung ein. Diese Ausnahmestellung und der glänzende Auf schwung des deutschen Handels sind verwandte und ursächlich zu sammenhängende Erscheinungen. Ein Mittel, das die Ausnahmestellung Deutschlands beseitigen, das den Aufschwung des deutschen Handels hindern würbe, wäre die allgemeine Einführung einer Hilfssprache. Die Tatsachen zeigen, daß die jungen Engländer und Franzosen bei aller sonstigen Bequemlich keit die angeblich geringe Mühe, Esperanto zu lernen, auf sich zu nehmen bereit sind. Würde sich die Einführung des Esperanto oder des Ido als Hilfssprache allgemein erreichen lassen, so wäre damit der Vorsprung, den heute der sprachgewandte deutsche Kaufmann be sitzt, ein für allemal beseitigt. Mit Englisch und Esperanto würde man überall durchkommen. Der junge deutsche Kaufmann würde wenigstens da, wo England die erste Geige spielt, dem jungen Eng länder weichen müssen. Eine der wichtigsten Waffen, durch die das wirtschaftliche Deutschland zu siegen verstand, wäre uns endgültig entwunden. Nun liegen die Dinge aber so, daß eine Hilfssprachc nur dann Aussicht auf allgemeine Einführung hat, wenn sich alle großen handeltreibenden Völker dafür einsetzen. Macht ein so großes und für den Welthandel so wichtiges Volk wie das deutsche nicht mit, so fehlt für die zahlreichen kleineren und halbzivilisierten Völker, die man für Esperanto gewinnen möchte und müßte, die Notwendigkeit, diese Hilfssprache zu lernen. Sa kann man den geplanten Streich gegen den deutschen Handel nur dann führen, wenn die Deutschen kurz sichtig genug sein sollten, den Absichten ihrer Feinde dienstbar zu sein. Diese Kurzsichtigkeit ist aber in den Kreisen des deutschen Handels keineswegs vorhanden. Von verschwindenden Ausnahmen abgesehen, lehnt man dort Esperanto, Ido usw. ab. Auch die letzten Ausreden der Esperanto-Fanatiker: man müsse Esperanto lernen, um der eng lischen Konkurrenz, die sich mehr und mehr des Esperanto bediene, gewachsen zu sein, nimmt man dort, durch die Praxis belehrt, nicht ernst. Man weiß, daß der deutsche Kaufmann, der mit dem Südameri kaner spanisch oder portugiesisch, mit dem Russen russisch, mit dem Türken türkisch, mit dem Schweden schwedisch spricht, dem Esperanto radebrechenden Engländer stets gewachsen sein wird. Lernen wir fleißig Sprachen, so schaffen wir den kleineren Völkern, die ja glück licherweise durchweg nicht aus Esperantisten bestehen, die Möglichkeit, ohne eine solche .Hilfssprache auszukommcn. Sie werden, eben