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Nichtamtlicher Theil Das Autorenrecht und die Leihbibliotheken. Der Gedanke, daß die Erzeugnisse der geistigen Arbeit denselben Anspruch auf Rechtsschutz haben, wie die Producte physischer Kraft, erscheint uns gegenwärtig selbstverständlich. Und doch ist derselbe erst eine Errungenschaft der modernen Rechtsentwickelung. Das römische Recht hat nur unvollkommene Anklänge, z. B. in dem Satze, daß das Gemälde aus fremder Lein wand nicht dem Eigenthümer derselben, sondern dem Maler gehört; in den kaiserlichen Benesizien an Mechaniker, Geometer und Architekten, welche sich mit Erfindungen von Maschinen und Wasserleitungen beschäftigten. Im Mittelalter fand die geistige Arbeit ihren Schutz in den Zünften durch die ihnen gewährten Monopole und exclusiven Gewerbeberechtigungen. Ein eigentliches Bedürfniß nach gesetzlichem Schutz geistiger Erzeugnisse trat zunächst auf literarischem Gebiete mit der Er findung der Buchdruckerkunst hervor, weil durch diese ein billiges Mittel gesunden war, die Manuscripte statt des kostspieligen Abschreibens schnell in's Zahllose zu vervielfältigen, und dem Drucke der Nachdruck auf dem Fuße folgte. Der Schriftsteller sah sich nun um den Lohn seiner Arbeit betrogen, der Verleger in der gewerblichen Verwerthung und Ausnutzung des ihm überlassenen Schriftwerks gefährdet und beeinträchtigt. Man half sich durch Er- theilung von Privilegien an die Verleger, schuf also für diese auf Specialgesetzen beruhende Sonderrechte; zum Begriff eines allgemeinen Rechtssatzes, insbesondere eines selbständigen Rechts der Autoren an ihren Geisteswerken kam man noch nicht. Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde die Materie in einzelnen Ländern durch die Gesetzgebung einheitlich geregelt, so in Preußen durch das Allgemeine Landrecht. In demselben findet sich bereits die Anschauung vom „Eigenthum" an geistigen Erzeugnissen, welcher Begriff später durch das preußische Gesetz vom 11. Juni 1837 und die Beschlüsse des ehemaligen Deutschen Bundes sanctionirt und demnächst auch in die deutsche Reichsversassung (ok. Artikel 4. No. 6. „der Schutz des geistigen Eigenthums") übergegangen ist. Dieser Ausdruck mag als solcher beibehalten werden, nur muß man sich hüten, aus demselben falsche Consequenzen, insbesondere durch analoge Heranziehung des Sacheigenthums zu ziehen. Die Reichsgesetzgebung hat auch den Begriff fallen lassen und statt dessen den des Urheberrechts geistiger Erzeugnisse statuirt. Eigenthum als volle rechtliche Herrschaft der Person über die Sache ist schul mäßig nur an körperlichen Sachen (nach dem preußischen Landrecht allerdings auch an Rechten) denkbar, auf geistige Schöpfungen, Gedanken, Ideen — weder Sachen, noch Rechte — nicht anwend bar. Man kann über einen an Andere mitgetheilten Gedanken nicht mehr verfügen, ihn nicht mehr zurllckrufen. Die Theorie des geistigen Eigenthums ist auch in der neueren Rechtswissen schaft allgemein verworfen. Das Recht des geistigen Arbeiters an seinen geistigen Er zeugnissen wird am richtigsten aus dem Recht seiner Persönlichkeit hergeleitet. Derjenige, welcher ein geistiges Werk schafft, ist der geistige Vater desselben und hat als Erzeuger das erste und natürliche Recht auf sein Erzeugniß als Ausdruck seines persön lichen Geistes. Neben dem Recht der Persönlichkeit ist also als weitere Quelle des Urheberrechts die geistige Production, d. h. die Arbeit anzusehen, deren volkswirthschaftliche und sittliche Bedeutung den Rechtsschutz fordert. Jeder Arbeiter ist seines Lohnes Werth. So lange nun aber das Geisteswerk bei seinem Bersasser ist, ist es für das Recht nicht vorhanden. Das Recht regelt nicht die innerlichen, sondern nur die äußeren Beziehungen der Menschen zu einander. In die Außenwelt tritt das Werk erst dadurch, daß es sich verkörpert, in einen Gegenstand niedergelegt wird, der einem allgemeinen Bedürf nisse abhilft, also von Anderengebraucht wird, einen Gebrauchs oder Tausch-, mithin einen Vermögenswerth hat. Insofern ist das Urheberrrecht ein Vermögensrecht, welches einen bestimmten Nutzen gewährt, nämlich dadurch, daß das verkörperte Geistes- Product Gegenstand des Handels und Verkehrs und in diesem ver- werthet wird. Der Zweck der Gesetzgebung muß nun dahin gehen, dem Autor diese Ausnutzung und Verwerthung zu sichern; also seine ausschließende Befugniß dazu statuiren, wodurch das Urheberrecht zugleich den Charakter einer ausschließenden Gewerbe berechtigung erhält. Consequent müßte daher jede Handlung, durch welche diese Nutzung beeinträchtigt oder gefährdet wird, dritten Personen untersagt sein, namentlich jede Handlung, welche den Autor verhindert, ausschließlich sein Werk im Verkehr zu ver werten. In diesem Umfange ist jedoch das Urheberrecht, insbesondere das des Schriftstellers im geltenden Recht nicht anerkannt. Das in Betracht kommende Gesetz vom 11. Juni 1870, betreffend das Ur heberrecht an Schriftwerken, Abbildungen, musikalischen Composi- tionen und dramatischen Werken bestimmt in tz. 1.: „Das Recht, ein Schriftwerk auf mechanischem Wege zu vervielfältigen, steht dem Urheber desselben ausschließlich zu." Damit ist die Rechtssphäre des Autors Dritten gegenüber bestimmt begrenzt, das Gesetz ge währleistet ihm nicht die unbeschränkte Ausnutzung seines Geistes werks, sondern nur die zumeist Praktische und wichtigste Art der selben durch mechanische Vervielfältigung d. h. durch irgend welche technische Herstellung einer Vielheit von Exemplaren zum Zweck der Veröffentlichung und Verbreitung im Publicum. Dieser letztere Zweck ist zwar im Gesetz nicht ausdrücklich ausgesprochen, versteht sich aber von selbst und ergibt sich auch aus den übrigen Vorschriften desselben. Eben dieses Endziels halber kann schon in der Herstellung eines Exemplars die Verletzung des Autorrechts, d. h. der Nach druck liegen (ok. Z. 22. l. o.). Auch das Abschreiben ist aus demselben Grunde als mechanische Vervielfältigung anzusehen, wenn es dazu bestimmt ist, den Druck zu vertreten (ß. 4.1. v.), also wenn es gewerbsmäßig geschieht, lieber diesen Begriff der „mechanischen Vervielfältigung" hinaus existirt für den Autor kein Rechtsschutz gegen Beeinträchtigung. Abgesehen von dem klaren Wortlaut des Gesetzes ergibt dies auch dessen Entstehungsgeschichte. Bei Berathung desselben wurde der Antrag, das Urheberrecht als „die ausschließliche Befugniß zur Veröffentlichung, sowie der vermögensrechtlichen Ausnutzung und Verwerthung eines Geisteswerks" zu statuiren, im Reichstage abgelehnt. Demnach ist jede andere Art der vermvgensrechtlichen Ausnutzung und Verwerthung, als die im Gesetz dem Autor ver liehene, für dritte Personen unbedingt gestattet, insbesondere also das gewerbsmäßige Vorlesen eines Buches, das Ausleger, des selben an öffentlichen Orten zur allgemeinen Kenntnißnahme, das gewerbsmäßige Ausleihen seitens der Leihbibliothekare. Von einem Eingriff in das Autorrecht kann hier überall keine Rede sein, weil dasselbe in diesem Umfange gar nicht existirt. Allerdings muß zugegeben werden, daß das Vermögens interesse des Autors — namentlich von belletristischen Werken — durch das gewerbsmäßige Ausleihen derselben empfindlich geschä digt wird, indem infolge dessen der Absatz des Buches im Publicum sich naturgemäß vermindert. Wer dasselbe lesen will, kaust es nicht, SOI*