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7260 Börsenblatt s. d. Dtschn. Buchhandel Nichtamtlicher Teil. ^ 138, IS. Juni 1910 dem ersten Blitzableiter steht, wie die Kuh vor dem neuen Tor. Das Kind generalisiert. Es sagt nicht, mein Lehrer ist schlecht, sondern es behauptet, die Lehrer taugen überhaupt nichts. Der lernende Laie generalisiert auch. Er sagt nicht; ich habe mir einen Schmarren anschmieren lassen, sondern er sagt; die Wissenschaft ist unvollkommen, ist Charlatanerie. »Nach hohem Aufschwung ist in den letzten Jahren im ge bildeten Publikum eine ungeheure Skepsis gegenüber der Wissenschaft aufgetreten. Jeder populärwissenschaftliche Schrift steller, jeder Buchhändler weiß davon zu erzählen. Die Wissenschaft ist weiter gegangen. Schuld aber sind ihre Aschinger- brötchen, die, anstatt zur eigentlichen Mahlzeit den Appetit zu reizen, ihn verderben. »Diese Abneigung weiterer Kreise der Deutschen gegen die Wissenschaft und die sie zugänglich machende Literatur ist eine schwere Schädigung der ganzen Nation, eine Schädigung, die meines Wissens noch nicht bekämpft worden ist. Angesichts des buchhändlerisch ziemlich starken Absatzes sich populär wissenschaft lich gebärdender Bücher ist man oft über die krasse Unwissen heit erstaunt, die literarisch sehr gebildete Menschen gegenüber den einfachsten Dingen verraten Fast regelmäßig haben sie aber Bücher über das Thema gelesen. Forscht man genauer nach, so sind's fast immerMchingerbrötchen. Von der Leichtigkeit her, mit der diese Mißgeschöpfe belegt und zurechtgeschniegelt waren, haben sich auch die Konsumenten gewöhnt, die so schlecht ver tretene Sache gleichfalls leicht und oberflächlich zu behandeln. »Wer trägt nun Schuld an diesen Mißständen? In erster Reihe wir Schriftsteller, vor allem die jungen unter uns. Es werden nicht gar zu viele darunter sein, die nicht schon ein mal ,im Auftrag' Derartiges geliefert haben. Man kennt niemanden, der einen lancieren könnte, die Arbeiten werden einem zurückgeschickt, man ist zu schüchtern und zu stolz, um selbst an die zuständigen Stellen zu gehen. Miete und Essen aber sind teuer. Da tritt an das junge Genie durch .einen glücklichen Zufall' ein Verleger heran. Das Honorar ist nicht hervorragend, ja es ist meist schlechter als das der Schundliteratur, aber es ist doch Geld. Das junge Genie sträubt sich heute noch, aber morgen schon gibt es nach und fabriziert lustig weiter, denn es gibt nichts auf der Welt, über das Konversationslexikon und Fachwerke nicht Bescheid wüßten. Das junge Genie geht unter und hat noch die Bitterkeit, von den glücklicheren Kollegen verachtet zu werden. Es ist entsühnt. »Nicht entsühnt aber ist der Verlagsbuchhandel, der diese Verleger in seinen Reihen duldet (?!), nicht entsühnt das Sorti ment, das gerade mit Vorliebe die Aschingerbrötchen ver treibt. Der glückliche Verleger dieser Art Literatur kommt zu seinen Büchern billiger wie andere Verleger, er kann sie auch billiger abgeben. In keinem Lande ist der mit dem Publikum verkehrende Buchhändler weniger Erzieher und mehr Pfennigfuchser als in Deutschland. Er verkauft vor allem das, woran er am meisten zu verdienen glaubt, und ich kenne nur wenige Buchhändler, die ihr Publikum zu beraten wissen. Denn sie sind meist auch noch ungebildet! Aus eigener Volontär zeit entsinne ich mich eines Kollegen, der nur eben gerade seinen Namen schreiben konnte (??). Die Gehälter sind mager. »Was nottut, ist eine strenge Kontrolle der Leipziger Zentrale des Buchhandels über Bildungsstufe und Geschäftsweise der zu' ihr Gehörenden. Man darf ja auch kein trichinöses Fleisch in den Handel bringen. Und auch die Schriftsteller bedürfen eines Ver bandes zur Rehabilitierung unserer volkstümlich-wissenschaftlichen Literatur. Nur so werden wir das Aschingerbrötchen los, das die geistige Gesundheit einer ganzen Nation zerstört.« vr. H. Liez k Co., G. m. b. H. in Leipzig. (Vgl. Börsenbl. 1909, Nr. 198, 209, 219, 294 u. 1910, Nr. 27, 33, 130 u. 134.) — Das am 16. Juni von der 2. Strafkammer des Land gerichts Leipzig gefällte Urteil lautete gegen den Angeklagten I)r. pbil. Johann Wilhelm Heinrich Liez wegen vollendeten und versuchten Betrugs sowie wegen Vergehens gegen 8 82 des Gesetzes, die Gesellschaften mit beschränkter Haftpflicht betreffend, auf elf Monate Gefängnis, dreihundert Mark Geldstrafe und drei Jahre Ehrenrechtsverlust, und gegen den Kauf mann Arthur Böckel wegen vollendeten und versuchten Rück fallbetrugs und wegen Vergehens gegen 8 82 des Gesetzes, die Ge sellschaften mit beschränkter Haftpflicht betreffend, auf ein Jahr neun Monate Gefängnis, dreihundert Mark Geldstrafe und vier Jahre Ehrenrechtsverlust. Von der Anklage des Betrugs zum Nachteil des Kaufmanns Giebel in Frankfurt a. M. wurden vr. Liez und Böckel sreigesprochen.Der Kaufmann Camillo Friedrich Meißner und der Kaufmann Max Rudolf Roßberg wurden wegen Bei hilfe zum vollendeten und versuchten Betrug verurteilt, und zwar Meißner zu einer durch die Untersuchungshaft als voll verbüßt zu geltenden fünfmonatigen Gefängnisstrafe und Roßberg zu neun Monaten Gefängnis bei dreijährigem Ehrenrechts verlust. Auf die Freiheitsstrafen werden vr. Liez acht Monate, Böckel sechs Monate und Roßberg vier Monate der Untersuchungs haft angerechnet. Das Gericht gab dem Anträge des Verteidigers, den Angeklagten vr. Liez aus der Haft zu entlassen, statt, da der Angeklagte nur noch drei Monate zu verbüßen hat und daher Fluchtverdacht nicht mehr vorliege. Das Gericht hat angenommen, daß die Angeklagten spätestens Ende April 1909 wissen mußten, daß ihr Unternehmen nicht mehr zu halten war. Das Expose und auch der Gesellschafter vertrag (siehe Börsenblatt Nr. 134) waren falsch. Es wurden frevelhaft hohe Gehälter gezahlt. Die kapitalistische Grundlage des Unternehmens war derartig, daß an eine reelle Durchführung nicht zu denken war. Die Angeklagten mußten vielmehr, wenn sie ehrlich sein wollten, den Konkurs ihrer Gesellschaft anmelden. Als Haupttäter hat das Gericht den Angeklagten Böckel anzusehen gehabt. Bei den sechs Vorstrafen Böckels hat der Gerichtshof ernstlich erwogen, ob sie den Angeklagten nicht mit einer Zuchthausstrafe belegen müsse. Da es aber der erste Rückfallbetrug war, sind Böckel nochmals mildernde Umstände zugebilligt worden. Bei Roßberg siel ebenfalls die erhebliche Vorstrafe ins Gewicht. Hingegen wurde zugunsten der An geklagten vr. Liez und Meißner deren bisherige Unbescholtenheit berücksichtigt. (Leipz. Neueste Nachr.) Deutsch-französischer Fernsprechverkehr. — Nach einem zwischen dem Reichspostamt und der französischen Telegraphen verwaltung getroffenen Übereinkommen betragen vom 15. Juni 1910 ab die Gebühren für Gespräche im deutsch-französischen Fernsprechverkehr für die Zeit von 9 Uhr abends bis 7 Uhr morgens im Sommer oder 8 Uhr morgens im Winter (Pariser Zeit) nur drei Fünftel der für Tagesgespräche von gleicher Zeit dauer zu entrichtenden Gebühren. Der Höchstbetrag von 12 ^ für ein dringendes Dreiminutengespräch am Tage wird für ein dringendes Nachtgespräch ebenfalls auf drei Fünftel, also auf 7 ^ 25 H ermäßigt. Als Winterzeit gelten die Monate November, Dezember, Januar und Februar. Jede Gesprächseinheit (3 Minuten), die während des Tagesdienstes begonnen hat, wird als Tagesgespräch taxiert, auch wenn sie während des Nachtdienstes endigt. Jede Gesprächsein heit, die während des Nachtdienstes begonnen hat, wird als Nachtgespräch taxiert, auch wenn sie während des Tagesdienstes endigt. Hinsichtlich der Gebühren für Abonnementsgespräche ver bleibt es bei den seither gültigen Bestimmungen. Wanderbibliotheken für Postbeamte in Schweden. — »Oentralpostst^rslsen«, die Oberpostbehörde in Stockholm, hat z Vorbereitungen getroffen zur Anordnung von Wanderbibliotheken, die in der Hauptsache aus in- und ausländischer postaler Fach literatur bestehen sollen. Solche Wanderbibliotheken sind be stimmt, in erster Linie nach den größeren Nachtquartierorten für das Eisenbahnpostpersonal ausgesandt zu werden. Die erste jetzt fertige Bibliothek wird zunächst nach Laxa. gesandt werden. ll. Register zum Goethe-Jahrbuch. — Ein vollständiger alphabetischer Wegweiser durch die Goethe-Forschung während der drei Jahrzehnte, seit Ludwig Geiger im Jahre 1880 das Goethe-Jahrbuch ins Leben rief, und während des Vierteljahr hunderts, da die (am 17. und 18. Juni ihr Silberjubiläum be gehende) Goethe-Gesellschaft besteht, liegt jetzt vor mit dem unlängst ausgegebenen » Gesamtregister zu den Bänden 21—30« des Goethe-Jahrbuchs (bearbeitet von der Gattin des Heraus gebers des letzteren, Frau Geheimrat Martha Geiger; Frank furt a/M., Literarische Anstalt Nütten L Loening, 1910. 144 Seiten). Nicht nur läßt dieser wertvolle 3. Band als Nachfolger des 1890 von Otto Hoffmann zusammengestellten ersten und des 1900 von