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160 Börsenblatt für den deutschen Buchhandel. M 10, 23. Januar. Buche schaden kann, daß seine Liebe für ein Buch und den Ver leger desselben dem Buche nützlich sein, seine Abneigung gegen beide schädlich wirken wird, daß aber Neigung und Abneigung des Buchhandels einem Buche weder wirkliche Dauer, d. h. in seiner Wissenschaft und in der Geschichte der Literatur zu ge währen vermögen, noch es streichen, uncxistircnd machen können. Diese Betrachtung muß ebenso sehr den Stolz des Buch händlers erwecken, als seine Bescheidenheit. Wir können da am meisten wirken, der Literatur und schließlich uns am meisten die nen, wo das gute Gewissen Ja sagt. Ein gutes Buch fördern ist Ehre und Pflicht, ein minder gutes gleicher Gattung äußerer Gründe, etwa vortheilhafterer Bezugsbedingungen willen lieber befördern als jenes, ist ebenso ein Unrecht gegen die höhere Auf gabe unseres Berufes, als wirklich unklug und unvorsichtig. Denn liegt nicht ein Vertrauensbruch, eine, man wende nicht ein, kleine, dennoch immer eine Unredlichkeit vor? Der >a litsris nicht bewanderte Käufer verläßt sich oft auf den Rath des Buch händlers. Er hat das Zutrauen, und muß es haben dürfen, daß ihm nach bestem Wissen gerathen werde. Hier läge die Unredlich keit. Erfährt er, daß statt des von ihm gekauften ein besseres Buch jener Gattung vorhanden und ihm nicht genannt ist, so wird er den Verkäufer für unwissend, und kommen ihm zufällig die näheren Umstände zu Ohren, ihn nicht mehr für einen Buch händler, wie man sich in Deutschland einen Buchhändler denkt, halten, sondern für einen Krautkrämcr. Er geht fortan zu einer andern Buchhandlung. Jener handelte also unklug, denn er setzte den Ruf seiner Person und seines Geschäftes aufs Spiel r nd er verlor das Spiel. Wie nun einmal der deutsche Buchhandel sich gestaltet hat, so handelt es sich überhaupt im Sortimentsbuchhandel im Allge meinen gar nicht darum, daß man am einzelnen Buche, am ein zelnen Kunden verdiene, sondern der gesammtc Verkehr hat das gewünschte Resultat zu liefern. Je literarischer, je uneigen nütziger der Buchhändler sich seinen Kunden darstellt, desto mehr befestigt sich sein Ruf als Geschäftsmann. Den Kunden gegen über liegt ja sein Augenmerk nicht darauf, ihm das eine oder an dere Buch, oder ein Buch mit vollem oder mehr als vollem Ra batt zu verkaufen, darauf vielmehr hat er zu sehen, daß Beruf und Studium, Richtung und Geschmack jenes Kunden durch ein achtsames Eingehen auf die Person desselben ihre Befriedigung finden. Dazu gehört ein gesundes und feines Studium der Menschen und eine solide Bildung. Die zweckmäßige eingehende Befriedigung des literarischen Bedürfnisses eines einfachen Büchcrliebhabcrs kann und wird einer Buchhandlung größeren Gewinn abwerfen, als wenn wirklich an diesem Buche einige Groschen mehr verdient werden, als an jenem. Denn je mehr im Verkehr mit den Kunden ein richtiges Verständniß ihrer lite rarischen Ansprüche, damit ein diskretes Eingehen auf ihren Charakter, auf ihre Stellung in Leben und Wissenschaft, eine anspruchslose Kenntniß der Literatur hervortritt, desto mehr wird solches Geschäft, solcher Buchhändler Zuneigung und Förderung erfahren. In einer Buchhandlung ist es für die Ge- sammtentwickelung derselben oft wichtiger, wie die Geschäfte gemacht werden, als w e l ch e G e sch ä fte ge macht werden. Innerhalb der Grenzen, die literarisches und kaufmänni sches Gewissen sich stecken, muß der größtmöglichste Gewinn ge macht werden; das versteht sich. Wir wollen ja von dem Ertrage unseres Geschäftes leben und für die Unsrigen sorgen. Ebenso versteht sich, daß das Gesagte sich nicht auf diejenigen Zweige der Literatur beziehen soll, in denen eine Eoncurcenz wirklich möglich ist, z. B. in gewissen Schichten der populären Literatur, der Jugendschriften und mancher anderen Zweige. Es versteht sich ferner, daß der Buchhändler es sich selbst nicht zu verübeln braucht, wenn er überall, wo er zwischen ganz Gleichartigem ein Urthcil abgcben soll, wo ihm ein durch die öffentliche Kritik fest gestelltes Urtheil nicht bekannt ist, wo ihm ein Urtheil nicht zu steht, das ihm Vortheilhafterc befördert. Wenn ec im vertrauten Verkehr mit seinem Gewissen lebt, so wird er selbst genau wissen, wo Vortheil, wo objectives Urtheil zu entscheiden haben. Wie selten, nachVerhältniß zu derGesammtsumme der jähr lich abgesetzten Bücher, wird aber der Rath der Buchhändler in Anspruch genommen. Geht nicht der Bezug der meisten Bücher seine Wege, ohne sich um des Buchhändlers Meinung und An sicht zu kümmern, z. B. der Bezug der Schulbücher, der klassi schen Literaturen? Der Bedarf des Gelehrten, meist auch des literarisch besser gebildeten Laienpublicums stützt sich nicht allzu häufig auf Wahl und Vorschläge des Buchhändlers. Dieses Publicum unterzieht vielmehr die Vorschläge des Buchhändlers noch vielfach eigener literarischer Superrevision. Ist es doch vielfach vertrauter mit der Literatur als der Buchhändler. Hie und da wird der Letztere gefragt, etwa bei Gelegenheit von Ge schenken, bei Kinderbüchern, bei der Anschaffung von Büchern aus populären Wissenschaften, bei illustrirten Werken u. s. w. Im Großen und Ganzen verkauft der deutsche Buchhandel das „was bestellt wird',, und lebt davon. Es kommt hierbei gar nicht in Betracht, wie der Buchhändler über das bestellte Buch oder über die Bezugsbedingungen desselben denkt. Das Buch wird gebraucht in der Schule, zu einer Arbeit, oder sonst, cs wird gebraucht, und damit basta. Minder Gebildeten gegenüber, deren Bedarf selten über das Maß des Nothwendigen hinausgeht, stellt sich das Verhältniß der Buchhändler zum Publicum anders. Ebenso stellt cs sich anders in verschiedenen Zweigen der populären Literatur gegen über. Es gilt hier das schon früher Gesagte. Derjenige Buch händler verwendet sich am besten für sein eigenes Geschäft, welcher sich für das Beste verwendet. Mag das auch manchmal scheinbar und für den Augenblick minder vvrtheilhaft sein, als die Verwendung für geringeres Gut; es ist dennoch der Grund satz, dessen Befolgung einzig und allein Gewinn und langes Leben verspricht. Neben den bestellten Büchern, den Fortsetzungen, hat der Buchhändler das neu Erscheinende seinen Kunden zur Ansicht vorzulegen und, wie es meist gebräuchlich, ins Haus zu senden. Es gibt nicht wenige Buchhandlungen, für welche gerade dieser Geschäftszweig eine besondere Wichtigkeit besitzt. Derselbe re gelt sich aus der Beantwortung der Fragen: Muß dieses Buch versandt werden? Kann es versandt werden? Wer muß es zur Ansicht empfangen? Wem könnte ich es noch vorlegen? Es regelt sich diese Thätigkeit je nach der Individualität der ein zelnen Geschäfte, ihcerKundenkreise, nach örtlichen Bedingungen, nach Jahreszeiten, geistig lebhaften, geistig schlaffen Zeiten, nach Fülle oder Mangel an Material zu Versendungen. Diejenigen Bücher, welche man versenden kann oder könnte, stützen sich mehr aus die Verwendung als die, welche man versen den muß. Aber auch sie besitzen in der Verschiedenheit der Men schen, ihrer Studien und Geschmackrichtungen Garantien, welche ihnen einigen Schutz vor etwaiger Abneigung des Buch handels gewähren. Das lächerlichste, unnützlichste, langweiligste Buch findet gewiß noch Leser, wenn es versandt wird, mindestens Käufer, freilich vielleicht nur getäuschte. (Wie interessant würden für den Buchhandel offenherzige Statistiken sein, wie lehrreich!) Was man in der einen Stadl dem einen Mann nur senden kann, das muß sogar in der anderen Stadt dem anderen Manne ge sandt werden. Es ist da, es lebt und kann nur von der öffent lichen Kritik und einem anderen Buche todtgeschlagen werden.