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Redaktioneller Teil. 180, 6. August 1014. Im allgemeinen wird man daher dem Zeitschriftenverlcger nur empfehlen können, so zu handeln, wie er selbst von seinen Kontrahenten behandelt zu werden wünscht, und seinen Geschäfts betrieb den Verhältnissen dergestalt anzupassen, datz alle Maß nahmen noch in einigermaßen vernünftigem Verhältnisse zu dem eigenen Nutzen wie dem der Abonnenten und Inserenten stehen. Diese Ausfassung würde eine Verständigung der Fachzeitschriften verleger, besonders einzelner Gruppen, nicht nur nicht aus schließen, sondern sie im Gegenteil nur noch wünschenswerter erscheinen lassen, da eine gegenseitige Aussprache dem Einzelnen zu größerer Klarheit über die Verhältnisse und die Lage des Marktes verhelfen und ihm auch die Möglichkeit einer Verstän digung mit seinen Konkurrenten geben könnte. Die Buchkritik in der Tageszeitung. (Fortsetzung zu Nr. 17g.s Ein Kritiker, der mit den salbungsvollen Worten zu begin nen wagt: »Das neue Büchlein der beliebten (!?) Verfasserin wird ihr sicherlich zu den alten Freunden noch neue gewin nen . . .« ist für mich unweigerlich erledigt. Was kann mir eine solche Kritik Wohl bieten? Will ich denn wissen, ob die Verfasse rin beliebt oder unbeliebt ist, alte oder neue Freunde hat? Und solche Besprechungen werden gedruckt! Heute noch! Den zitierten Satz habe ich im Februar 1914 gelesen! — Solche Besprechungen sind weder harmlos noch un gefährlich. Jeder selbständig denkende Leser wird sofort die Empfindung haben: »Ein so empfohlenes Buch kann nur Schund sein! Einer literarischen Rundschau, die eine solche Kritik bringt, glaube ich keine Silbe! Am besten, ich lese sie überhaupt nicht mehr!« Nach meinem Empfinden wäre es für das Rezensionsexem plar, dem das Mißgeschick widerfuhr, in die Hände dieses Kriti kers zu geraten, für den Autor, der das Buch schrieb, und den Verleger, der es Vertrieben hat, besser gewesen, es hätte, wie so manches andere Rezensionsexemplar, den Weg zum Antiquar ge funden. Ist die kritische Beilage das Stiefkind des Zeitungsverle gers, so ist das Rezensionsexemplar das Schmerzens kind des Buchverlegers. Es ist leider kein Scherz; aber oft wer den mehr Rezensionsexemplare bestellt als käufliche Exemplare. Wohin soll aber der Buchverleger die Rezensionsexemplare rich ten? Die literarisch maßgebenden Blätter erhalten allwöchent lich über 200 Rezensionsexemplare zugesandt; in ihrer Literatur beilage können sie bei dem knappen zur Verfügung stehenden Raum etwa fünf, im Höchstfälle zwanzig Besprechungen unter bringen, wenn noch die in Sammelbesprechungen erwähnten Bücher mitgezählt werden. Jedem Buchverleger liegt natürlich daran, nicht nur mit dem Titel seiner Neuerscheinungen in der Rubrik »Neueingänge« aufgeführt zu werden, sondern eine mög lichst ausführliche Besprechung zu erhalten, die zugleich die beste und billigste Reklame ist. Daher kommt es dann, datz die Ver leger noch immer leichtgläubig genug sind, und wahllos jedem Unbekannten, der sich sür einen Rezensenten der »Frankfurter Zeitung« beispielsweise ausgibt, die Freiexemplare ins Haus schicken. Die Verleger sollten einmal etwas weniger vertrauens selig sein, diese »Bücherschnorrer« einander gegenseitig namhaft machen, eine schwarze Liste führen oder dergleichen. Meiner Ansicht nach werden überhaupt reichlich dreimal so viel Rezensionsexemplare versandt, als nötig wäre, um die für erforderlich gehaltene Anzahl von Kritiken zu erzielen. Es ist durchaus nicht notwendig, datz jede größere Provinz- zcitung, durchaus nicht notwendig, datz jeder bekannte Kriti ker von all und jeder Neuerscheinung ein Exemplar zugeschickt be kommt. Nun pflegt zwar heutzutage jede Zeitung die bei ihr eingegangenen Bücher namentlich anzusühren; aber damit ist den Autoren und Buchverlegern noch nicht allzu viel gedient. Der allgemeine Ehrgeiz ist eben immer nur auf die Besprechung oder Erwähnung im textlichen Teile gerichtet. Hierzu dienen die ver schiedensten Mittel: Das alte Hausmittel, den paar tonangebenden Blättern Freiexemplare zu schicken, zieht nicht mehr recht. Man 1230 pflegt deshalb in neuerer Zeit, besonders aus wissenschaftlichen, mit außerordentlicher Vorliebe aus Memoirenwerken Auszüge oder Separatdrucke zum Gratisabdruck »gegen ge naue Quellenangabe« den Blättern zur Verfügung zu stellen. Ich persönlich glaube jedoch nicht, datz diesen Gratisartikeln eine be sondere Werbekraft zukommt; nur selten wird der Leser sich ver anlaßt fühlen, durch den Gratisartikel auf das Werk selber neu gierig geworden, das Buch zu kaufen; immerhin wird ihm aber der Name des Autors im Gedächtnis haften bleiben, und wenn ein zweiter Anlaß — vielleicht der Umstand, daß er das Buch im Schaufenster eines Buchhändlers sieht —, hinzukommt, so wird er sich vielleicht zum Kauf entschließen. Diese Erkenntnis ist für den erfahrenen Sortimentsbuchhändlcr nichts Neues; er richtet seine Bestellungen stets nach der Stellungnahme der Lokalzeitung ein und Pflegt häufig noch im Schaufenster die Zeitung neben das ausgestellte Buch zu hängen oder zu legen. — Viele Buch verleger versenden auch regelmäßig an die Feuilletonkor respondenzen ihre Neuerscheinungen; die Absicht ist hier, auf dem Umwege über die Korrespondenz in einer Reihe von Ta geszeitungen gleichzeitig erwähnt zu werden. Nach meiner Er fahrung ist die Versendung von Freiexemplaren an Korrespon denzen nur bei wissenschaftlichen Werken, Memoiren und ähn lichen Büchern empfehlenswert, weniger bei Romanen, Novel len und anderen Erzeugnissen der schönen Literatur, da nach der ganzen Struktur der heutigen Tagespresse und damit imxlieite der von der Presse abhängigen Feuilletonkorrespondenzen diese die schöne Literatur nur in beschränktem Umfange berücksichtigen können. — Das dritte Mittel ist, wie schon erwähnt, daß man die bekannteren Kritiker mit Rezensionsexemplaren über schüttet. Die Zeitungen sehen dies freilich nicht immer gerne; so unangenehm es ihnen einerseits ist, ein Rezensionsexemplar selber an einen Kritiker zu versenden — ganz abgesehen von der Mühe der Verpackung, kostet es ja auch Geld für Porto in jedem Einzelfall und verdrießt im Wiederholungsfall den Verleger, der den Honoraretat für die literarische Beilage gerne beschneidet —, so gerne sie also eine Besprechung von einem Kritiker annehmen, dem sie nicht erst die Bücher zuschicken müssen, so streng achten sie andererseits darauf, datz in ihre literarische Beilage keine Kritik eines Buches eingeschmuggelt wird, von dem sie kein Freiexem plar erhalten haben. Die Zeitungen jammern andauernd über die ungeheure Bllchcrflut, die sich in ihre Redaktionsstuben er gießt, und sind zugleich verärgert, wenn ein Buchverleger es wagen sollte, unter Übergehung ihrer Instanz, selbständig den Kritikern einen Nebenfluß oder mehrere von der großen Flut zuzuleiten. Also bleibt dem Verleger, der sich's etwas kosten lassen will, in der Tat nichts anderes übrig, als sowohl der Tages zeitung wie den bedeutenderen Kritikern ein Exemplar zuzn- senden. Nicht uninteressant ist die Frage: Was geschieht mit den Re zensionsexemplaren, die nicht zur Verteilung an die Schriftstel ler gelangen, sei es, weil der Kritiker, der das Buch besprach, selbst schon vom Verlag ein Exemplar übersandt erhielt, sei es, weil das Buch überhaupt nicht besprochen wird? Inkleineren Redaktionen werden die Nachschlagewerke zumeist der Rsdak- tionsbibliothek cinverleibt; die Prachtausgaben bekommt der Ver leger oder, falls dieser sich nicht darum kümmert, der Redakteur. Im übrigen teilen sich die Redakteure und ihre Agnaten und Freunde brüderlich in den »Kram«. Nachschlagewerke wandern übrigens auch in großen Redaktionen mit entsprechend großem Büchereinlauf in die Redaktionsbibliothek. Hinsichtlich der ande ren Bücher werden zwei Methoden befolgt: Die besseren Sachen werden behalten und von den Redakteuren zu Geschenk- oder anderen Zwecken verwendet; der Rest wird zum Antiquar getra gen und »verramscht«. So macht es beispielsweise eine der ernsthaftesten Berliner Tageszeitungen. Das Verramschen der Rezensionsexemplare scheint manchen Feuilletonredakteuren überhaupt der eigentliche Zweck der Besprechungsbücher zu sein, — besonders in österreichischen Großstädten. Ost ist ein Buch auf diesem leider nicht ungewöhnlichen Wege früher beim Antiquar als sonst im Buchhandel zu haben. Es ist ein offenes Geheimnis, datz Wiener Redakteure oft nicht einmal die Zeit abwarten, bis das Buch im Einlauf verzeichnet wurde, und es womöglich