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Nr. 293. Leipzig, Freitag den 18. Dezember 1914. 81. Jahrgang. Redaktioneller Teil. Bekanntmachung. Frau Dorothea Valentine! in Hamburg hat zur dauernden Erinnerung an ihren verstorbenen Sohn Wolfgang Valentiner eine Stiftung unter dem Namen Wolsgang Valentiner-Stiftung mit einem Kapital von 30 000 Mark errichtet, dessen Zinsen zur Unterstützung kranker, unbemittelter Buchhändler und Buchhandlungsgehilfen, und zwar vorzugs weise solcher, die weniger als vierzig Jahre alt und unver heiratet sind, verwendet werden sollen. Indem wir dies hiermit von neuem bekannt machen, weisen wir darauf hin, daß Meldungen zu Unterstützungen aus dieser Stiftung an den Unterzeichneten Vorstand zu richten sind. Berlin, im Dezember 1914. Der Vorstand des Unterstützungs-Vereins Deutscher Luchhäudler nnd Luchhandlnugs-Gehülfen- Or. Georg Paetel. Edmund Mangelsdorf. Max Schotte. Max Paschke. Reinhold Borstell. Der Weg zum Siege. Wir Heimgebliebenen haben die vaterländische Pflicht, den Frieden vorzubereiten. Klar wie die Bergspitzen in der reinen Luft nach dem Gewitter zeigen jetzt sich schon Fehler, die begangen wurden, Ziele, die zu erstreben sind. In der Schwüle des Friedens lag blauer Dunst darüber. Herzlichkeit ebenso wie Aufrichtigkeit herrschen zwischen allen den soeben noch in tausendfachen Zwisten entzweiten deutschen Brüdern. Nie manden darf es verdrießen, wenn Jrrtümer jetzt mit deutscher Klarheit erörtert werden, um neue Wege bahnen zu können. Nur als Anregung zur Erörterung, nicht als Besser wisserei und Anmaßung möge es mir ausgelegt werden, wenn ich der Aufforderung der Schriftleitung folge, hier meine Meinung über die Einwirkung des Krieges auf den Buch handel zu äußern. Mir scheint, der deutsche Buchhandel war noch stets das treueste Wahrzeichen deutscher Art, sowohl deutscher Tugenden als auch deutscher Fehler. Die deutsche Tugend, aus allem, was die ganze Welt sann, wirkte und schuf, Werterhöhung und Bildungssteigerung für deutsches Wesen zu schöpfen, wie die Biene den Honig aus allen Blüten saugt, ebenso wie die Untugend, fremdem Wesen sich allzu leicht anzupassen bis zum völligen Untertauchen, kam im deutschen Buchhandel zum treuesten Ausdruck. So wird er auch aus dieser eisernen Zeit die gleichen Lehren zu ziehen haben wie wir Deutschen überhaupt. Ich möchte den Satz aufstellen, der natürlich nur eine Vermutung ausdrücken kann: Unsere Gegner haben uns für schwach gehalten, weil wir zu entgegenkommend waren, zu zartfühlend, zu versöhnlich, weil wir nach Ost und West zu lebhaft um »Verständnis«, um Versöhnung warben. Weil wir um die Freundschaft aller warben, weckten wir ihre Über hebung, ihren Hohn und ihre Anmaßung, sich für stärker zu halten als uns. Wären wir zurückhaltender und stolzer ge blieben, deutsch gesagt: bismärckischer, sie hätten sich's vielleicht doch nicht getraut. Nicht romanische Rodomontaden oder britische Frechheit sei damit gepredigt, nur das Selbstbewußt sein deutscher Kraft. Mußten sie nicht glauben, wir brauchten sie für unseren Handel ebenso wie für unsere Friedensruhe, mußten sie nicht vergessen, was sie jetzt an allen Ecken spüren, wie sehr sie uns nötig haben?! Mußte erst die harte Lehre des Krieges all das zu fühlbarer Deutlichkeit bringen, was wir im Frieden ihnen schon hätten hart und klar und kraft bewußt verdeutschen können? Nur einige Beispiele: In Rußland und England und in Amerika fehlt es an. Arzneistoffen. Der Deutsche liefert nicht mehr. In Rußland gehen die Pelze aus. Leipzig bearbeitet sie nicht mehr. In der — Pariser Damenkonfektion fehlt es an Kleidern. Die deutsche Industrie mußte sie wegen des Kriegsausbruches auf Lager behalten, die — Kleider »echt Pariser Mode«! Und wenn Geistiges nicht so schwer zu be weisen wäre, möchte ich hinzusügen: Unsere Gegner samt und sonders verrohen allmählich bis auf den Kulturstand von Halbwilden herab in Wort und Schrift und Tat: der deutsche Bücherwagen kommt nicht mehr! Das ist kein Analogie-Scherz! Wo in der Welt gibt es noch einen solchen Mittelpunkt für die Bildung des ganzen Erdballs wie unsere Buchhändlerstadt Leipzig, wie unseren ganzen in ihr vertretenen deutschen Buchhandel?! Haben wir es nötig, zu werben, zu betteln, um unsere Ausfuhr zu bangen?! Sie alle brauchen uns, die in Frank reich und England und Rußland und auch in unfreundlichen neutralen« Ländern nach Bildung hungern und nach Aus tausch geistiger Güter! Jene aber, die in diesen Ländern solcher Bedürfnisse bar sind, werden wir auch mit dem schön sten Schweifwedeln nicht erziehen können. Nach wie vor werden — laßt nur drei F-riedensjahre wieder ins Land gehen! — Studierende aller Länder an den besten Hochschulen der Welt um Einlaß bitten; mehr als zuvor werden nach unserem Siege, auf den wir alle felsenfest bauen, die besten wissenschaftlichen, technischen, künstlerischen Werke der Welt in allen Teilen des Erdballs begehrt werden, nach wie vor auch wird der Deutsche das Gute, was das Ausland hervor bringt, nicht entbehren wollen. Denn gutgemeint zwar, aber etwas philisterhaft wollen mir die Absperrungsmaßregeln er scheinen, die mancher berechtigt Erzürnte jetzt predigen zu sollen glaubt. Ich halte es für töricht, wenn derjenige, der nun einmal, sagen wir: Hoblers Bilder für große Kunstwerke hält, sie deswegen von der Wand in den Keller verbannt, weil die Hand, die sie malte, nicht nur einen großen Pinsel hielt, sondern auch an einem großen Pinsel wuchs. Nicht gegen Bilder und Dichtungen führen wir Kriege, sondern gegen Menschen! Was Gutes das Ausland hervorbringt, wir wollen es uns zunutze machen. Aber: mit aller Entschlossenheit müssen wir uns dabei die Überschätzung des Ausländischen und die Vernach lässigung unserer eigenen (besseren und insbesondere uns selbst wohltätigeren) deutschen Erzeugnisse abgewöhnen! Dies aber sehr heftig! Wir wollen die Biene, die uns den Honig liefert, nicht anbeten. Sie soll es wissen, daß es eine Ehre ist, uns zu dienen. Sie soll in uns den Herrn erkennen, der gnädig ist, wenn sie ihre Pflicht tut! 1781