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15916 vvrsrnblatt f. d. Dtschn. vuch-andil. Nichtamtlicher Teil. 289, 12. Dezember 1912. Cafsirer gepriesen, mit seinen Bedenken anrückte, an die er im Innersten seines Herzens Wohl selbst nicht glaubt. Datz das Knnstanktionswese» immer wieder einmal seine Sensationen sucht und findet, ist bei der Fülle, mit der sich heute diese etwas gewaltsamen Besitzentäußerungen vollziehen, nicht zu verwundern. Berühmte Sammler und Gelehrte allein ziehen nicht mehr. Man muß zu stärkeren Mitteln greifen, und ein freundlicher Zufall Hilst gewöhnlich zu rechter Zeit. Ein großer Sänger oder Mime stirbt, der keine allzu sentimentalen und pietätvollen Erben hinterließ, und schon hat man eine Attraktion ersten Ranges. Oder es wird ein richtiger Erzherzog für tot erklärt, und alles, was dessen Leben einst geschmückt und erfreut, steht dem geehrten Publikum zum Kaufe frei. Jetzt ist nun auch der Nachlaß des schicksals reichen und sagenumwobenen Johann Orth unter den Ham mer gekommen. Der künstlerische Besitz war anscheinend nicht viel wert, und kaum ein Preis ist erzielt worden, bei dem man Ah und Oh machte. Aber kostbare Mövei und andere Gegenstände, bei deren Erwerb die künftigen Besitzer so etwas wie eine ferne Verwandtschaft mit dem Kaiserhaus fühlen kön nen, waren genug da, und es wurden auch angemessene Preise ge zahlt. Denn schließlich ist es doch immer eine angenehme Sache, auf einer Truhe zu sitzen, auf der sich ein Erzherzog über die Unzulänglichkeit der Welt den Schädel zerbrach. Zum ersten, zum zweiten, zum dritten! So vergeht die Herrlichkeit der Welt, aus der sich einst ein junger Fürst in die Welt seiner Tränme und Sehnsüchte hinüberslüchtete. AVer auch sonst blüht das Auktionsgeschäft, und mit Bewunderung auf der einen, mit Bedauern aus der anderen Seite sieht man, wie die stolzen Kunst besitze in alle Welt verstreut werden. Für Bücher und hervorragende Werke der graphischen und zeich nenden Künste hat sich Leipzig einen ersten Platz erobert, und die Versteigerungen der Firma Boerner sind nachgerade zu Tummelplätzen einer internationalen Korona geworden, die mit schweren Geldbeuteln bewaffnet, einen heiligen Kamps um die heterogensten Kunstschätze kämpft. Ende November kamen hier Manuskripte und Miniaturen aus dem 12. bis 16. Jahrhundert und Handzeichnnngen aus dem 17. Jahr hundert zur Auktion. Ein Katalog, der an sich schon ein wahres Prachtwerk ist, gab Kunde davon, daß hier Sachen von geradezu einzigartiger kunstgeschichtlicher Bedeutung der Preise harrten, die sie bringen sollen. In einer zweiten Auk tion kamen Handzeichnungen des 19. Jahrhunderts aus der Sainmlung Flinsch, Berlin, dran. Ludwig Richter, der liebenswerteste Meister der deutschen Gcmütskunst war mit einer Fülle der entzückendsten Blätter vertreten, in denen sich seine heilere, sorglose Welt ebenso widerspiegelt, wie sein reiches Können. Dann kamen wundervolle Blätter von der Hand Moritz von Schwinds, des romantischsten unter den Ro mantikern, zum Verkauf, ferner die von einer steifen Feierlich keit getragenen Zeichnungen der Nachklassizisten, von Chodo- wiecki, dem genialen Schildere! des friderizianischen Berlin, und dem heute im Kurs wohl am höchsten stehenden Anselm Feuerbach. Mit diesen stolzen Namen konnte man Wohl wieder eine jener Kunstschlachten schlagen, die für unser Zeitalter so ungemein typisch und letzten Endes doch auch so fabelhast interessant sind für das Verhältnis zwischen Kunst und Volk. Wenn man auf seinen Fahrten durch das Land pflicht gemäß in erster Linie auch die Kunststätten besucht, macht man von neuem die Erfahrung, wie unrichtig es ist, wenn die große Menge nur nach den durch ein paar Clous weltberühmt gewordenen Galerien reist und die anderen achtlos links liegen läßt. Es ist auch in den kleineren Aluseen soviel Gutes und Beachtenswertes enthalten, datz man jedem Kunstfreund, und nicht zuletzt dem ernsthaften Kunsthändler, dessen Interesse weiter geht, als nur bis hinter die Ladentafel, dringend raten kann, die Mühe nicht zu scheuen und sich anzusehen, was zu sehen ist. So birgt die Stad! Bonn in ihrer im Provinzial- museum untergebrachten Gemäldesammlung direkt ein Schmuckkästchen, das man nur ungern wieder verläßt. Der Direktorial-Assistent vr. Cohen hat mit feinem museumstech- nischen Können und gründlichem, historischem Wissen die ihm anvertrauien Schätze geordnet und in den einfachen, aber durchaus würdigen Räumen so untergebracht, datz er eine Freude ist, zu sehen, wie jedes der Bilder eine ganz unbe- einträchtigte Wirkung ausübt. Für jüngere Museumsleiter dürfte die Gemäldegalerie, wenn sie selbst auch nicht außer ordentlich reich ist an hervorragenden Schätzen und sich viel- fach mit Nachahmer- und Schlllerbildern begnügen mußte, dennoch ein schönes Beispiel sein, wie man die schwierige Ange legenheit des Bilderhängens unter Berücksichtigung aller künst lerischen und ästhetischen Forderungen erledigen kann. Im übrigen aber enthält die aus der Sammlung Wesendonk entstandene Galerie doch manches hervorragende Werk, und be sonders die alte deutsche Schule ist durch einige ungemein charakteristische Werke vertreten. Jedenfalls erscheint es m Pflicht, das Interesse aus dieses Museum zu lenken. Be sonders angenehm und freudig überraschend wirken Eindrücke, wie man sie hier empfängt, wenn man erst kurz zuvor von der haarsträubenden Verwahrlosung der holländischen Museen ge lesen hat. Daß dem Lande, das einen der größten Maler aller Zeiten hervorbrachtc, das auf eine künstlerische Tradition Pochen kann, die ihresgleichen sucht, die Wahrung seiner Kunstschätze und Heiligtümer so wenig wichtig ist, ist aller dings tief bedauerlich. Man braucht der Kunst ja nicht immer gleich ungeheure Summen verschlingende Paläste zu bauen. Gerade in dem angeführten Beispiel in Bonn ist bewiesen, wie man mit einem relativ geringen Aufwand von Mitteln alles tun kann, was man der Kunst und der Zeit schuldig ist. Soll ich auch heute wieder von neuen Büchern und Bildern reden, so möchte ich vor allem einer Sammlung von Kunstbüchern warme Worte mit auf den Weg geben, die ihre Aufgabe richtig erfaßt hat. Es sind die von Marquardt L Co., Verlagsanstalt G. m. b. H., Berlin, herausgegebenen Bände »Kunst und Schönheit«, die durch Wort und Bild ganz außer ordentliche Eindrücke zu vermitteln berufen sind. Was hier an Illustrationen, an Text und vornehmer Ausstattung ge leistet wird, dürfte vielleicht, berücksichtigt man die fast bei spiellose Billigkeit (Preis pro Band 2.80 ein non plus ultra sein. Das Programm ist international und wirklich groß zügig gedacht. Rodin, Fritz Böhle, Goya, Stephan Sinding, Josef Israels wechseln in bunter Reihe. Ihre charakteristisch sten Werke sind zum Teil ganzseitig, nie aber zu klein vor geführt, und ein guter, im Ton nicht zu hoch geschraubter Text vermittelt das Wichtigste, was man wissen muß. So sehr un sere Zeit auch das Kunstinteresse zu steigern verstanden hat, es wird doch nur dann wach zu halten sein, wenn man die Kunst in eine schöne Form kleidet. Das Kunstwerk allein — man sieht das an einem vernachlässigten Museum in ekla tantester Weise —, tut es nicht. Diese Bände reihen sich dem Besten, was man geboten hat, würdig an. Bedauerlich bleibt höchstens eins, daß sie so billig sein müssen. — Von neuen Steinzeichnungen legt der Deutsche Verlag G. m. b. H. in Berlin eine Anzahl hübscher Blätter vor, die nicht ohne Er folg sich an das bilderliebende Publikum wenden werden. Die Farbe behauptet noch immer siegreich das Feld, und wie sie vor zwei Jahrzehnten ihre Kunst und Volk zusammen- schweißende Mission antrat, so entspringen dem modernen Kunstsortiment auch heute noch aus dem farbigen Bilde die stärksten Lebenssäfte. Mit vielem Glück hat sich F. Geyer ans dem Gebiete der Steinzeichnung betätigt. Wie seine frühe ren Blätter, so wird auch besonders sein Alt-Heidelberg, das er im herbstlichen Gold vor unsere Augen zaubert (Preis 9.—), werden auch seine Bilder Schloß Wilhelmstal und j Verklungen und Vergessen, ungeteilte Freude auslösen und sich