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3072 Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. ^ 57. 9. März 1912. Kleine Mitteilungen. iiber Dilettanten-Ausbeutung. — Unter dieser Spitzmarke macht ein dem »Kunstwart« entnommener Artikel die Runde in der deutschen Presse, der auch in diesem Blatte nicht übergangen werden darf, obwohl er dem Eingeweihten kaum etwas Neues bringt: Herr vr. jur. Kurt Wolfs in Breslau hat an die Firma E. Piersons Verlag, Inhaber Richard Lincke, k. und k. Hofbuch händler in Dresden, den folgenden Brief geschickt, um einmal festzustellen, ob an dem Gerücht über Dilettanten-Ausbeutung seitens gewisser Firmen etwas Wahres sei. »Umstehend ein Gedicht. Habe ein Band Gedichte ge schrieben. Sind sehr schön. Mein Freund findet sehr gut. Bitte mir zu schreiben, ob Sie meine Gedichte druken wolen, und was kostet es? Mit aller Hochachtung Voll K. Wolf Drogist Breslau, Ernststr. 3. — Sende anbei Rückporto. Bitte mir gleich höflich schreiben, ob ich Dichter bin und 20 Gedichte von mir drucken wollen. Höre, daß auch j. Dichtern helfen. Will gern alles event. zalen, was Sie kostet Ibis gespart 600—600 ^ mer nich), muß aber in Zeitung daß von mir ist. Das ist mein bestes. Die Quele. Die Quele durch die Wälder geht Und durch die Täler leise Mein Herz ist warm und geht Hinauf, hinab. Die Quele durch die Wälder geht Die Blümlein sind gepflanzt Ach könnt ich immer am Ufer gehn Hinauf, hinab. Die Quele durch die Wälder geht Die Sterne scheinen Es wird Nacht und die Sonne geht Hinauf, hinab. Breslau im Mai.« Darauf erhielt der Einsender die folgende Antwort: »Sehr geehrter Herr! Ihre Gedichtproben haben wir mit lebhaftem Interesse gelesen, sie sind recht stimmungsvoll und zeugen von poetischem Talente, wenn auch die Form manchmal nicht ganz tadellos ist. Jedenfalls sind die Gedichte, die wir von unserm literarischen Mitarbeiter etwas durchsehen lassen würden, einer Veröffentlichung wert und wir wären gern bereit, die Sammlung zu drucken und herauszugeben. Freilich müßten Sie die Kosten tragen, denn ein genügender Absatz ist nicht sicher, solange ein Dichter noch nicht bekannt ist. Wir bitten nun, uns sämtliche Gedichte einzusenden, damit wir Ihnen das Nähere mitteilen können. Hochachtungsvoll und ergebenst E. Piersons Verlag.« Später mahnte die Firma, sie hätte noch keine Nachricht und bäte, die Gedichte nun gefälligst einzusenden. Mit dem Lachen über diesen Briefwechsel scheint es nicht getan, wenn man bedenkt, daß sich dem Pierson'schen Verlage, Inhaber k. und k. Hofbuchhändler Lincke, hier, ein armer Teufel von »Drogist« anzubieten schien, der sich bereit erklärte, seine paar Ersparnisse zu opfern. Hier schien es so, in Wievielen Fällen ist es so, wo uns nachher Dilettanten-Lyrik gedruckt vorgelegt wird? Soweit der Einsender im Kunstwart. Wir haben bestim mungsgemäß diesen uns von verschiedenen Seiten zugegangenen Artikel der Firma E. Pierson's Verlag vorgelegt und darauf nachstehende Antwort erhalten: Auf den Angriff des Kunstwarts habe ich zu erwidern, daß die vielen bei mir ohne Manuskript einlaufenden Verlags- angebote schablonenmäßig damit erledigt werden, daß mit der Erklärung der eventuellen Bereitwilligkeit zur Verlagsübernahme das Manuskript eingefordert wird. Die einzelnen Proben werden als für das Ganze von wenig Bedeutung meist nicht beachtet, und leider ist im vorliegenden Falle das Probe- gedicht nicht gelesen worden, die oft unglaubliche Flüchtigkeit von Begleitbriefen ist aber leider keine ganz seltene Er scheinung. Im vorliegenden Falle hätte mein Angestellter wohl eine Mystifikation erraten können, wie leicht und häufig aber ähnliche Mystifikationen Vorkommen, haben wohl die meisten Zeitungen schon am eigenen Leibe erfahren! Den Vorwurf der Ausbeutung von unbekannten oder un erfahrenen Autoren weise ich entschieden zurück, ich behandele vielmehr alle diese Autoren in pekuniärer Hinsicht entgegen kommend und rücksichtsvoll; die Folge davon ist, daß ich jetzt mehr als 50000 ^ unbezahlter Kostenbeitragsreste in den Büchern stehen habe! Ich lasse keinen unbekannten Schriftsteller im Zweifel darüber, daß der Absatz seines Werkes ganz unsicher sei, schließlich ist es aber nicht die Sache des Geschäftsmanns, einen Kunden ohne weiteres abzuweisen, selbst wenn das Angebot nicht ganz passend erscheint, und selbst der »Kunstwart« wird wohl nicht jeden seiner Abonnenten aufs Gewissen fragen, ob er das vielleicht sauer ersparte Abonnementsgeld von 16 ^ nicht besser anlegen könne! In ihrem heiligen Eifer, die Menschheit zu den idealen An schauungen des »Kunstworts« zu erheben, ist es wohl auch der geschätzten Leitung des Blattes ganz entgangen, daß sie sich an der »Dilettanten-Ausbeutung« selbst beteiligt resp. ihr Helfers helfer-Dienste leistet. Denn was ist es anderes, wenn in dem Inseratenteil jeden Heftes die Anzeigen von wohl einem halben Dutzend Verlagsfirmen stehen, die notorisch »Dilettanten«-Bücher verlegen! Und auf den üblichen Einwand, daß die Redaktion auf den Inseratenteil keinen Einfluß habe, erwidere ich nur: wie der Papst herrscht unbedingt im Reiche der Gläubi gen, so herrscht Herr Avenarius unbedingt im Reiche des »Kunstwarts«! Der Verlag macht seine Position dadurch nicht besser, daß er sich hinter seinem Angestellten verschanzt, da es ihm nicht un- bekannt sein wird, daß er für dessen Handlungsweise einzutreten hat Auch gewinnt man den Eindruck, als ob er ihm lediglich den Vorwurf mache, die Mystifikation nicht erkannt zu haben, während er im übrigen mit ihm durchaus der Meinung ist, daß es nicht Sache des Geschäftsmanns sei, »einen Kunden ohne weiteres abzuweisen, selbst wenn das Angebot nicht ganz passend erscheint«. Demgegenüber muß mit aller Entschiedenheit erklärt werden, daß der im Börsenverein organisierte Verlagsbuchhandel sich zu anderen Grundsätzen bekennt als sie von der Firma Pierson vertreten werden, und es, von drei oder vier Ausnahmen, die jedem bekannt sind, abgesehen, keinem seiner Mitglieder ein fallen würde, einer so offenkundigen Beschränktheit, wie sie hier markiert worden ist, Gelegenheit zu geben, sich weiteren Kreisen zu offenbaren. An dieser Stellungnahme hat nicht sowohl die Rücksicht auf die Interessen des Publikums als auch die Erkenntnis teil, daß minderwertige Publikationen in gleicher Weise dem Ansehen der Firma wie den von ihr herausgegebenen ernst zu nehmenden Werken schaden. Es ist charakteristisch, daß ein echter, rechter Erfolg noch keinem Dilettantenverleger beschicken gewesen ist, und man kann die 60 000 Buchaußenstände, auf die die Firma Pierson hinweist, fast als eine Art Vergeltung für eine Geschäfts praxis ansehen, die nicht nur mit der Tradition des deutschen Verlagsbuchhandels, sondern auch mit allgemein kaufmännischen Grundsätzen in unvereinbarem Widerspruch steht. Ob und in wieweit den sogen. Herstellungskostenverlegern Vorschub durch die bereitwillige Aufnahme ihrer Inserate geleistet wird, kommt hier zunächst weit weniger inbetracht, als die Feststellung, daß der Buchhandel sich in der Verurteilung von Fällen der vor stehenden Art einig weiß und durch die kürzlich hier angeregte Frage der Errichtung einer Autoren- und Verlegerkammer hofft, dieser Stellungnahme auch eine praktische Folge geben zu können, zu der ihm die Satzungen des Börsenvereins leider keine Hand habe bieten. Wiener Abrechnung. — Die diesjährige Buchhändler abrechnung in Wien erfolgt Montag, den 1. April, um *,,S Uhr vormittags im Restaurationslokal I., Schauflergasse 6. Ein Zeichen der Zeit. — Im »Berliner Tageblatt« vom 3. März findet sich nachstehendes Inserat abgedruckt: »Erstes Weinrestaurant sucht für zu errichtenden Zeitungs- und Bücherverkauf geeignete Kraft, die mit Einkauf usw. vertraut sein muß. Gef. Angeb. m. Gehaltsanspr. s. zu richt. u an Rudolf Mosse, Leipzigers^. 103.