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5830 Nichtamtlicher Teill 168, 22. Juli 1901. gesagter Feind der litterarischen Fabrikation. So durfte er sich wohl das Zeugnis geben: »Ich habe das Bewußtsein, bei meinen Unternehmungen nicht engherzig zu verfahren. Ich meine, mein Geschäft von einem höheren, freieren Stand punkt aufzufassen. Für wissenschaftliche Zwecke etwas, soviel ich vermag, zu verwenden, ist meine Freude, mein Stolz.« Den Grundzug seines Wesens bildeten Entschiedenheit, Klarheit, Bestimmtheit und Ordnung. Niemand konnte ent schiedener für besonnenen, aber unaufhaltsamen Fortschritt in jedem Stück begeistert sein als er. Sein Wahlspruch war »Snrsum« (»Empor!«), kein Fortschritt machte ihn selbst- genügsam. Jede Anerkennung war ihm eine Mahnung, noch Besseres zu leisten. Er war streng in seinen Anforderungen an andere, aber am strengsten gegen sich selbst. Seine Gast freundschaft war sprichwörtlich, Gelehrte aus allen Weltteilen, die ihn aufsuchten, fanden in seinem Hause freundliche Auf nahme. Er selbst verstand es, hervorragende Mitarbeiter sich heranzuziehen. Unaufhörlich war er auf der Suche nach tüchtigen Kräften für jederlei schriftstellerische Aufgabe. Er scheute keine Reise, suchte die Schriftsteller und Gelehrten auf und gewann sie für seine Ideen, die er oft jahrelang mit sich herumtrug, bis er die geeignete Persönlichkeit zur Bearbeitung gefunden hatte. Im Umgang äußerst liebenswürdig, gewann er die Verehrung aller, die ihn persönlich kennen lernten. Ein ganz besonderes Verdienst erwarb sich Benjamin Herder durch die Erziehung junger Leute für den Buchhandel, denen er seine ganze Fürsorge angedeihen ließ. Ein großer Teil der in seinem Geschäfte angestellten und aus seiner strengen, aber vorzüglichen Schule hervorgegangenen Herren haben ihm ein späteres leichtes Fortkommen zu verdanken. Für seine Untergebenen war er wie ein Vater, er sorgte und half nach jeder Richtung, ebenso übte er die Wohlthätigkeit gegen Arme und Bedrängte in großartiger Weise. Der größere Teil seines Lebens war eine fast ununter brochene Kette von unbeschreiblichen Leiden. Herder war frühzeitig vom Gestchtsschmerz befallen worden. Die An strengungen, die das Kirchen-Lexikon ihm auferlegte, hatten nach seinen eigenen Aeußerungen das Uebel völlig entwickelt. Schon 1865 trat die Krankheit so auf, daß Herder in folge der entsetzlichen Schmerzen monatelang unfähig war, zu schreiben und zu sprechen, und seit 1880 kehrten die An fälle immer häufiger und heftiger wieder. Und inzwischen arbeitete er und leistete er Dinge, die ein Gesunder Mühe hätte, ihm gleich zu thun. Fürwahr eine Willenskraft, die in Erstaunen setzen muß. Benjamin Herder stand bereits im fünfundvierzigsten Lebensjahre, als er an die Errichtung eines Hausstandes dachte. Seine Frau war die Tochter des Numismatikers und Kunsthistorikers Franz Streber in München. In dessen Hause verkehrte eine große Zahl der bedeutendsten Gelehrten und Künstler, und in diesem Kreise, umgeben von den Sammlungen auserlesener Kunstwerke, mit denen die Eltern ihr Heim ge schmückt hatten, wuchs die Tochter Emilie auf. Im Juli 1863 wurde die Ehe zu München geschlossen, am 14. No vember 1864 wurde den Eltern der einzige Sohn Hermann geschenkt. Frau Herder sollte nicht lange im ungewissen sein, welches Opfer das Leben von ihr forderte. Sie hatte schon vor dem Abschluß der Ehe als ihre Lebensaufgabe er kannt, ihrem Manne eine Pflegerin und teilnehmende Zeugin seiner Schmerzen zu sein, und das war sie trotz eigener schwerer Leiden in treuer Pflichterfüllung bis zu seinem Tode. Am 30. Juli 1888 feierte er noch mit seiner Gattin das Fest der silbernen Hochzeit, und schon am 10. November 1888 ging er zur ewigen Ruhe ein. Nur sechzehn Tage später folgte ihm seine Gattin nach. Nach dem Tode seiner Eltern trat ihr einziger Sohn, Hermann Herder, in die Fußstapfen des Vaters ein und! leitet das Geschäft mit Umsicht und Thatkraft in den be stehenden Bahnen weiter, es beharrlich vergrößernd, damit es nach allen Seiten hin mit den Fortschritten und Erfindungen der Zeit gleichen Schritt halte. Welch großen Umfang die Verlagshandlung angenommen hat, erhellt schon daraus, daß fünf Zweigniederlassungen bestehen: in Straßburg seit 1867, in München und St. Louis seit 1873, in Karlsruhe seit 1880 und in Wien seit 1886. Die Buchdruckerei, Stereo typie, Galvanoplastik und Buchbinderei sind umfassende Be triebe. Die Vollendung der zweiten Auflage des bedeutendsten Werkes des Herderschen Verlages, des Kirchen-Lexikons, trifft mit der Feier des hundertjährigen Geschäftsjubiläums zusammen und bildet einen würdigen Schlußstein des ersten Centenariums. Der jetzige Besitzer Hermann Herder ist der würdige Nachfolger seines Vaters, in dessen Geiste er das Verlagsgeschäft nicht allein fortführt, sondern auch auf eine immer höhere kulturelle Stufe zu bringen bestrebt ist; er wird darin wirksam unterstützt durch die Mitarbeit seines Onkels Adolf Streber, der seit 1. Juli 1892 als Teilhaber in die Firma eingetreten ist. Der Buchhandel darf stolz sein auf die Herder'sche Verlagshandlung, die auf eine hundertjährige erfolgreiche Thätigkeit zurückblicken kann und in der ganzen Welt sich hoher Achtung erfreut. Kleine Mitteilungen. Post-Schließfächer. — Anträge des Publikums auf Ueber- lassung von Schließfächern (Letterboxes) sind, wie verlautet, in den meisten Bezirken recht zahlreich eingegangen. Wegen ihrer Herstellung sind Verhandlungen mit Unternehmern eingeleitet. Die Schließfächer werden in zwei verschiedenen Größen — gewöhn liche und größere Fächer — gefordert. Ihre lichte Größe soll betragen für gewöhnliche Fächer: 140 Millimeter Höhe, 360 Milli meter Tiefe und 110 Millimeter Breite, für größere Fächer: 140 Millimeter Höhe, 360 Millimeter Tiefe und 222,5 Millimeter Breite. Eine Anzahl von Schließfächern bildet einen Schließ fachschrank, der in die Schalterwand eingcfügt und mit dem Mauerwerk oder den Holzteilen der Schalteranlage fest ver bunden wird. Die Schließfächer werden aus Eisenblech her gestellt. Die Facheinrichtung muß so beschaffen sein, daß aus zwei gewöhnlichen Fächern durch Wegnahme der Zwischen wand und Anbringung einer neuen Thür ein größeres Fach ge bildet werden kann. Die Bezeichnung des Fachinhabers erfolgt auf der Hinterseite des Schrankes. Um dem Abholer einen Ein blick in das Fach bei geschlossener Thür zu ermöglichen, ist in der letzteren ein Schlitz anzubringen. Zum Verschlüsse der Fächer sind kräftige Sicherheitsschlösser zu verwenden, die für jedes Fach ver schieden sein müssen und nach Permutationstabellen herzustellen sind. Die Tabelle muß mindestens 10000 verschiedenartige Ver schlüsse gewährleisten. Der äußere Anstrich des Schrankes, ein schließlich der Scharnierbänder, ist in dunkelmahagonibrauncr Farbe zu halten; die einzelnen Fachthüren sind mit Goldlinien zu um rändern, überhaupt wird auf ein geschmackvolles Aussehen der Schließfächereinrichtung Wert gelegt. Volkstümliche Universitäts-Kurse in Wien. — Zu Ostern dieses Jahres waren sechs Jahre seit der Eröffnung der volkstümlichen Universitäts-Kurse in Wien verflossen. Der Wiener Zeitung entnehmen wir folgende Uebersicht: Im Laufe dieser sechs Jahre wurden in Wien 420 solcher Kurse abgehalten, die durch schnittlich von je 113 Personen, im ganzen von 47 443 Teil nehmern besucht waren. Mit Hinzurechnung der Kurse außerhalb Wiens ist die Besucherzahl im letzten Jahre allein auf über 15 000 gestiegen. In einzelnen Orten, wie: Pöchlarn, Scheibbs, besuchte die Hälfte oder ein Drittel der erwachsenen Bevölkerung die volkstümlichen Universitäts-Kurse. Das größte Interesse wurde den Vorträgen über Hygiene, Musikgeschichte und Philosophie entgegen gebracht,' diese Kurse wurden von 300 bis 900 Personen besucht. Der Arbeiterstand stellte innerhalb Wiens über 54, außerhalb Wiens über 60 Prozent der Besucher. Nahezu die Hälfte der Teilnehmer gehört der Altersstufe von 21 bis 30 Jahren an, ein Drittel der Besucher war weiblichen Geschlechtes. Neu eingeführt wurden im letzten Jahre in Wien die Schlußprüfungen. Zu diesen meldeten sich indes nur 32 Personen, von denen 22 die Note »sehr gut- erhielten. Die staatliche Subvention der Universitäts-