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>' 1S8, 1s. Juni. Nichtamtlicher Theil. 2777 ursachten Nachtheil vermeiden — das betreffende Buch gar nicht in seinen Katalog aufzunehmen, um es dem Publicum baldmöglichst aus den Augen, es bei ihm in Vergessenheit zu bringen. Daß dies letztere, wo es irgend thunlich, geschieht, ist sicher; - fraglich aber, ob damit dem Autor und dem Verleger gedient sein kann. Der Leihbibliothekar wird sich also aus den angeführten Gründen stets ablehnend gegen alle Preiserhöhungen verhalten, besonders da auch viele Erscheinungen, nachdem die Novitätenjäger befriedigt, leider nur zu bald wieder in Vergessenheit gerathen, und das dafür ausgegebene Geld als verlorenes Capital angesehen werden muß. Auch die Fassung Ihres Verbotes „des gewerblichen Ver- leihens" bedarf wohl einer Präcisirung. Dieses Verleihen wird doch nicht nur von den Leihbibliotheken geübt, sondern im weiteren Sinne auch von den vielen bestehenden Casinos und Lesevereinen, in welchen die Bücher zum Lesen ausliegen, aber nicht mit nach Hause genommen werden dürfen, sowie von den noch zahlreicheren Privat- Lesczirkeln und geselligen Vereinen mit ihren oft nach Hunderten zählenden Mitgliedern, denen Allen die Benutzung des einen (wenn's hoch kommt, zwei) angeschafften Exemplars srei steht. Sie sprechen freilich in der Einleitung von 4000 in Deutsch land bestehenden Leihbibliotheken und Lesezirkeln; dem Wortlaut des Verbotes nach brauchen letztere aber dieses nicht auf sich zu be ziehen. Soll nun der Leihbibliothekar allein der Sündenbock sein, oder wollen Sie, um nicht ungerecht gegen diesen zu verfahren, Ihr Verbot auch auf die genannten privaten Vereinigungen erstrecken? Im letzteren Falle würde es Ihnen doch schwer sein, Zuwider handlungen zu verhindern, im ersteren würden Sie wohl die Leih bibliotheken schädigen, einige vielleicht ruiuiren, dagegen die Zahl und das Wachsen der Privat-Lesezirkel in's Unendliche vermehren Helsen. Noch einige Stellen der Einleitung, die entweder von Ueber- treibung oder von Unkenntniß der bestehenden Verhältnisse zeugen, hervor zu heben, bezw. richtig zu stellen, möchte hier geboten sein. Sie sagen u. a. „das Leihbibliothekgeschäst blühe in Deutschland". Das mag richtig sein, wenn Sie es mit Bezug auf die große Anzahl derselben (nach Ihrer Angabe 4000) beziehen. Aber Blühen ist kein Gedeihen. Ich will nicht bestreiten, daß es eine verschwindend kleine Anzahl von Leihbibliothekaren gibt, welche ihr gutes Aus kommen bei ihrem Geschäft finden, aber das ist eine wirklich winzige Minorität, die auf höchstens 5U anzuschlagen ist; die übrigen S5gp ermöglichen durch den Betrieb ihrer Bibliothek entweder nur eine kümmerliche, oder, wenn es hoch kommt, eben ausreichende Existenz, oder sie betreiben die Bibliothek nur zum Nebenerwerb, der immer hin mitzunehmcn, aber eine Familie zu erhalten nicht im Stande ist. Es würde mir sehr interessant sein, die Namen von nur einen, Dutzend Leihbibliothekaren zu erfahren, welche „reiche Leute geworden sind", wie Sie behaupten, wohlverstanden nur durch ihre Leihbibliothek. Auch das von Ihnen ebenfalls behauptete „Darniederliegen des Buchhandels in schöner Literatur" erscheint nicht sehr glaub haft, wenn man die langen Listen der Novitäten sieht, welche einige größere Romanverleger alljährlich bringen. Die Fabel aber von dem „darbenden Autor" ist doch zu veraltet, um noch immer wieder ausgetischt zu werden. Einem wirklich leistungsfähigen Belletristiker ist heutzutage Gelegenheit genug gegeben, seine Geistesproducte entsprechend zu verwerthen; zuerst im Zeitungs- seuilleton, dann als Buch, ferner durch Ueberlassuug des Ueber- sctzungsrechts, häufig auch durch Dramatisirung. Andererseits ist cs im Interesse der schönen Literatur nur wünschenswcrth, daß mittel mäßige Autoren und die in eine noch tiefer stehende Kategorie zu verweisenden durch ihre Nichterfolge baldmöglichst einer anderen Berufsart zugedrängt werden. Es mag ja Vorkommen, daß es einem wirklichen Talent schwer fällt, sich einen Namen und durch diesen den wohlverdienten Lohn seines Strebens zu erwerben; aber in welchem Berufe geht es dem Anfänger denn anders? Muß nicht der Maler, der Tondichter, die doch auch geistig arbeiten, der Offi zier, der Staatsdienst-Aspirant, muß nicht ein Jeder, welchem Berufe er sich auch zuwende, eine mehr oder minder lange Reihe von Lehrjahren durchmachen und Schwierigkeiten überwinden, bis es ihm gelingt, sich eine gesicherte oder gar glänzende Lebens stellung zu gewinnen? Weshalb soll allein der Schriftsteller hierin bevorzugt sein? Der Anfänger in der Belletristik findet eben in der Leihbibliothek seinen besten Freund; denn Wenige würden ein Buch von einem unbekannten Autor kaufen, der Lcihbibliothekar aber bringt es unter die Leute und hilft den Namen des Autors bekannt machen. Gegen die sonstige theoretische Begründung Ihres Vorgehens ließe sich noch Mancherlei sagen; so z. B. sagen Sic: „Kostete das Buch überall 5 M., so würde jeder Leihbibliothekar, der sich heute weigert, den erhöhten Preis zu zahlen, es ohne Bedenken sofort anschaffen." Aber da möchten Sie doch irren. Wenn ein Buch von 18 Bogen mit kleinen Erzählungen schon 5 M. baar kosten soll, so würden die Bestellungen sehr spärlich ciulaufen; Leihbibliotheken und Lesezirkel würden sich hüten, die übermäßige Forderung durch Bestellungen zu unterstützen. Jetzt nur noch ein paar Worte über die rechtliche Begrün dung. Sie berufen sich auf ß. 25. des Allgemeinen Landrcchts. Abgesehen nun von der Frage, ob Ihre Auslegung dieses Para graphen sich juristisch als stichhaltig erweisen würde, scheinen Sie übersehen zu haben, daß dieses Landrccht doch nur im Königreich Preußen Geltung hat, im übrigen Deutschland aber nicht zur An wendung kommen kann. Kein Leihbibliothekar wird wohl so ängst lich sein, das Buch nach dem von Ihnen dictirten Verlangzettel zu verschreiben. Man braucht im Prinzip gar kein Gegner Ihres Verlangens zu sein, um sich das Recht zu wahren, ihm entschieden entgegen zu treten, so lange Sie es nicht besser begründen können. Wird ein dem entsprechendes Specialgesetz geschaffen, welches den Leih bibliothek« in den Stand setzt, durch Berufung auf dasselbe die dann erforderlich werdende Erhöhung seiner Abonnementspreise dem Publicum gegenüber zu rechtfertigen, dann wird auch er sich den neuen Verhältnissen bestmöglichst zu accommodiren suchen und dem Autor und Verleger den ihnen erwachsenden größeren Vor theil gewiß nicht mißgönnen; wenngleich ich nach meiner lang jährigen Kenntniß des leselustigen Publikums betreffs des von Ihnen erhofften größeren Bücherabsatzes keine sanguinischen Hoff nungen hegen kann. Ein alter Lcihbibliothekar.