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8178Börsenblatt f. d. Dtsch«. Buchhandel. Redaktioneller Teil. 135, 11. Juni 1924. Weise das Bedürfnis des Wirtschaftslebens nach der Einrichtung eines vorbeugenden Konkursverfahrens, wie es nunmehr in der genannten Verordnung einen gewissen Niederschlag gefunden hat. Wenn die Zei chen der Zeit nicht trügen, dürfte in den nächsten Monaten mit einer weiteren Mehrung der Fälle zu rechnen sein, wo selbst Unternehmun gen, die man in maßgeblichen Kreisen als kapitalkräftig und bestens fundiert anzusehen gewohnt ist, sich unter Geschäftsaussicht stellen wer ben, um das Schlimmste zunächst fernzuhalten. Aus dem Gesagten ergibt sich, daß es nicht im Sinuc des Gesetz gebers und nicht im Interesse der Gesundung des Wirtschaftslebens liegen kann, wenn man die Geschäftsaufsichtsverordnung und in erster Linie die Voraussetzungen für die Anordnung der Geschäftsaufsicht engherzig und streng auslegen wollte. Gewiß würde es nicht der Ab sicht der Gesctzeserweiterung und dem wirtschaftlichen Ziveckmäßig- Leitsgedanken entsprechen, wollte man durch Anwendung der Gcschäfts- aufsichtsverordnung zweifelhaften Betrieben wieder ans die Beine Hel sen, die durch wilde Spekulationen in Auslandsdevisen ihre ruinöse Lage selbst verschuldet haben. Die Volkswirtschaft kann natürlich durch aus kein Interesse daran haben, daß unsolide, nicht lebensfähige Existenzen künstlich aufrecht erhalten werden, andrerseits muß ihr aber wiederum daran liegen, daß reelle Firmen, die nur durch in der Ungunst der Verhältnisse begründete Erscheinungen in eine momen tane Notlage geraten sind, lebensfähig erhalten werden. Es dürsten Laher beispielsweise keine Bedenken vorliegcn, in den Fällen dem Antrag aus Anordnung der Geschästsaufsicht zu entsprechen, wo Ver pflichtungen zur Zahlung von während ber Baisse-Periode getätigten Warengeschäften in französischen oder belgischen Franken jetzt nach Erstarkung dieser Valuten nicht erfüllt werden können, wenn also ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Zahlungsunfähigkeit und den »aus dem Krieg erwachsenen wirtschaftlichen Verhältnissen« auf deu ersten Blick nicht zu bestehen scheint. Eine gleichfalls großzügige, die näheren Begleitumstände entsprechend berücksichtigende Auslegung dürfte ferner am Platze sein, wenn es sich darum handelt, festzustelleu, ob die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung auf ein »unredliches Verhalten« des Schuldners zurttckzuführen ist. Von einem »unred lichen Verhalten« kann unseres Erachtens nur dann gesprochen werden, wenn der Schuldner ein Geschäftsgebaren für richtig erachtet, das unter dem Gesichtspunkt des soliden kaufmännischen Geschäftslebens schlechterdings nicht gebilligt werden kann. Andrerseits kann man sich natürlich auch nicht ganz den Ein wänden verschließen, die in einer weitgehenden Auslegung der Ge schäftsaufsichtsverordnung eine Gefährdung der Sicherheit des Wirt- fchafts- und Gcschäftslcbens erblicken und vielmehr glauben, im Inter esse der Gläubiger uud der gesamten Wirtschaft eine Verschärfung der Bestimmungen fordern zu sollen. Vor allem scheinen in dieser Richtung die dem Gericht vorliegenden Unterlagen des Schuldners keine hin reichend einwandfreie Beurteiluugsgrundlage abzugeben, um für alle Fälle auszuschlicßen, daß böswilligen Schuldnern, die in ihrem Ge schäftsgebaren ihre Gläubiger vorsätzlich oder fahrlässig benachteiligt haben, der Schutz der Aufsichtsverordnung zugute kommt uud dadurch die schon vielfach beklagten Benachteiligungen der Gläubiger zugunsten anderer Gläubiger oder zugunsten späterer Ge- fchäftskontrahenten oder zugunsten der Schuldner selbst einen weiteren überaus bedrohlichen Umfang annchmen würden. Fer ner könnte bezweifelt werden, ob die Aufsichtsperson in allen Fällen über die nötige Eignung und Energie verfügt und ob sie nicht oft in Ermangelung dieser Eigenschaften die Geschäftsleitung des unter Auf sicht stehenden Unternehmens ganz nach eigenem Ermessen ohne Rück sichtnahme auf die Interessen der Gläubiger weiter wirtschaften läßt. Zu denken gibt schließlich auch die Tatsache, daß die Anordnung der Ge schäftsaufsicht nicht — im Gegensatz'zur Konkurseröffnung — öffent lich bekannt gemacht wird. Man hat immerhin Grund zu der Befürch tung, daß dadurch im Verfolg der Konsequenzen, die ein böswilliger Schuldner in der Praxis daraus ziehen kann, in das Wirtschaftsleben zu den schon so überreich bestehenden noch eine neue Unsicherheit hin- eingetragen wird, die gerade bei der jetzigen Wirtschaftskrise zu den allerschwcrsten Nachteilen führen muß, wo bei dem allgemeinen Kapital mangel jede Stockung im Zahlungseingänge die Zahlungsunfähigkeit des Gläubigers selbst herbeizufllhren geeignet ist. Ter Antrag aus Anordnung der Geschästsaufsicht kann im Gegen satz zum Konkursrecht nicht von den Gläubigern gestellt werden, son dern muß vom Schuldner selbst ausgehen. Für den Schuldner, der ein Kaufmann oder eine Privatperson sein kann, ist dann Grund zu einem solchen Antrag gegeben, wenn Zahlungsunfähigkeit, d. h. Mangel an liquiden Mitteln vorliegt, während juristische Personen, also in der Hauptsache Aktiengesellschaften, Gesellschaften mit beschränkter Haftung >und eingetragene Genossenschaften, auch beim Vorliegen einer über- ! schuldung Geschästsaufsicht beantragen können. Das zuständige Amts- , gericht soll einem solchen Antrag nur stattgebeu, wenn Aussicht vor handen ist, daß die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung wieder be- hoben oder der Konkurs durch ein Übereinkommen mit den Gläubigern abgewendet werden kann. Aus Grund der vom Schuldner cingeforder- ten Unterlagen- — Verzeichnis der Gläubiger unter Angabe ihrer Adressen, Vermögensübersicht, letzte Bilanz — und unter Berücksich tigung des Charakters der Schulden und Außenstände entscheidet das Gericht nach gutachtlicher Anhörung der Handels-, Handwerks- oder Landwirtschaftskammer bzw. eines Sachverständigen über den Antrag. Diese Entscheidung ist, wenn sie dem Antrag stattgibt, unanfechtbar, im Verneinungsfall kann der Schuldner seinen Antrag wiederholen. Beachtenswert ist dabei, daß man die Gläubiger vorher nicht befragt und ihnen zunächst überhaupt keine Kenntnis von dem Antrag gibt. II. Die Tatsache, daß die Gläubiger vor der Anordnung der Geschäfts aufsicht uicht gehört werden, erscheint immerhin bedenklich, denn schließ lich sind gewisse Zweifel an der Nichtigkeit der von einem unter Um ständen »böswilligen« Schuldner dem Gericht eingereichten Unter- lagen- über den Vermögensstand und über seine Gläubiger nicht ganz von der Hand zu weisen. Es wäre z. B. sehr gut der Fall denk bar, daß Gläubiger, die der Schuldner in seinem Verzeichnis einfach nicht aufgeführt hat, von der Geschäftsaufsicht längere Zeit überhaupt nichts erfahren. Nach Anordnung der Geschäftsaufsicht bestellt das Gericht eine Aufsichtsperson, die sowohl der Schuldner als auch die Gläubiger, soweit sie vom Verfahren betroffen werden, innerhalb drei Wochen unter Begründung ihres Antrags auf Bestellung einer anderen Aufsichtsperson ablehnen können. Die Aufsichtsperson, die wiederum unter der Aufsicht des Gerichts steht, hat darauf Bedacht zu nehmen, daß der Geschäftsbetrieb des Schuldners tunlichst aufrechterhaltcn und sein Vermögen nicht geschmälert wird. Eine öffentliche Bekannt machung der Geschäftsaussicht ergeht — wiederum im Gegensatz zur Konkurseröffnung—, wie schon gesagt, nicht. Darin liegt eine große Gefahr, die in hohem Grade geeignet ist, die gegenwärtige Kreditkrisc erheblich zu verschlimmern. Da der Aufsichtsschuldner seine volle Geschäftsfähigkeit behält, wie noch auszuführen sein wird, werden fast ausnahmslos von ihm weitere Geschäfte zumeist mit neuen Kontrahenten eingegangen, die sich niemals den Gefahren aussetzen würden, die im Eingehen von Geschäften mit einem Zahlungsunfähi gen liegen, wenn ihnen die Geschästsaufsicht des Betreffenden bekannt wäre. Nach den gesetzlichen Bestimmungen fallen die Nengläubiger, d. h. die Gläubiger aus Rechtshandlungen und Verpflichtungen, die der Schuldner nach Anordnung der Geschäftsaufsicht vorgenommcn hat bzw. eiugcgangen ist, uicht in den Kreis der »betroffenen Gläubiger«, sondern sind vielmehr vom Verfahren ausgeschlossen. Das letztere gilt gleichfalls für Gläubiger aus schwebenden Geschäften und Vor- rechtsgläubigcr des Konkurses; sie können demnach in das Vermögen des Aufsichtsschuldners frei vollstrecken. Für die Erfüllung der nach Anordnung der Geschästsaufsicht eingegangcnen Verpflichtungen des Aufsichtsschuldners ist die Aufsichtsperson allen Beteiligten verant wortlich. Der Aufsichtsschuldner führt also seine Geschäfte im eigenen Namen und für eigene Rechnung weiter mit den Einschränkungen, daß er die vorhandenen Mittel zur Befriedigung der Gläubiger zu verwenden hat und in der Geschäftsführung durch die Aufsichtsperson unterstützt und überwacht wird. Er darf beispielsweise keine unentgeltlichen Verfügungen treffen und soll gewisse Geschäfte, unter anderem Grundstücksveräußerungen, nicht ohne die Zustimmung der Aufsichtsperson vornehmen, aber es geschieht ihm auch nichts, wenn er es doch tut. Die vom Verfahren betroffenen Gläubiger können den Aufsichtsschuldner wohl verklagen, jedoch wührerzd der Dauer der Geschäftsaufsicht sich nicht durch Zugriff im Zwangswcge befriedige«. Ein Konkurs über das Vermögen des Aussichtsschuldners ist gesetzlich unzulässig, auch gegen Arrestvollziehungen ist er geschützt, soweit dem Gläubiger uicht Pfänder und Hypotheken haften. Trotz der Anord nung ber Geschäftsaufsicht behält der Schuldner grundsätzlich die Ver- waltungs- und Verfügungsbefugnis sowie die Prozeßführungsbefug- nis, während diese im Konkurs auf den Konkursverwalter übergeht. Die vorhandenen Mittel sollen in erster Linie der Fortführung des Geschäfts und einer bescheidenen Lebensführung des Aufsichts schuldners dienen. Soweit sie dazu nicht erforderlich sind, sind sie zur Befriedigung der Gläubiger, sowohl der vom Verfahren betrof fenen als auch der nicht betroffenen, zu verwenden, wobei die Auf sichtsperson die Reihenfolge der Befriedigung nach den Grundsätzen der Konkursordnung festsetzt.