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6? 16 Börsenblatt s. d. Dlschn. Buchhandel. Fertige Bücher. ov 125. 1. Juni 1912. Das kaufmännische Seitenstück zu Nembrandt als Erzieher S Benno Iaroslaw, Ideal und Geschäft brosch. M 4.—, geb. M 5 — kann ich vorläufig nur noch bar liefern Der „Berner Bund" brachte 3 Feuilletons, von denen ich im Das Volk der Dichter und Denker Wer die Entwicklung Deutschlands verfolgt hat. weiß, daß der „Wille zur Macht" sich auf allen Gebieten durchgesetzt hatte, daß das Ethos in manchen Fällen zu kurz kam und daß ein forsches Draufgängertum die wahre Blüte höherer Lebensauffassung oft rücksichtslos unter die Füße trat Der Geschäftssinn brutalisierte vielfach die feineren Empfindungen des modernen Deutschen. Denn dieser Geschäftssinn, den man dem „Volke der Dichter und Denker" einst abgesprochen hatte, war nach der Gründung des Reiches mit Urgewalt aufge schossen und ist dann von dem regsamen und intelligenten Volke methodisch und kraftvoll entwickelt worden. Die Pflege der Ideale litt darunter. Nicht jenes abgegriffene Bierbank- ideal ist gemeint, dessen Kleingeld die Phrase ist, sondern die Pflege einer höheren Auffassung des Berufes, einer ethischen Einschätzung der materiellen Betätigung im Kampf ums Da sein und im Wettlauf nach dem Reichtum. Leute sehen wir nun die verheißungsvollsten Ansätze zu einer „Umwertung aller Werte" auf dem Gebiete des deutschen Wirtschafts lebens nach Geltung ringen, glücklicherweise noch ehe der Krieg als Panacee zweifelhafter Art hereingebrochen ist, denn sonst wäre dem Nimbus, den der Krieg alsRegenerator der Völker genießt, wieder eine neue Aureole zugewachsen Ein Zeichen der Selbstbesinnung Als Zeichen dieses „Sich auf sich selbst Besinnens" liegt heute ein Buch vor uns, so wirr und kraus, aber auch so eigenartig, gescheit und kühn, wie wir lange keins in die Land bekommen haben. Ideal und Geschäft ist es überschrieben und nennt als Verfasser Benno Iaroslaw. Das ist ein unheimlich belesener, lebhafter, ge- dankenreicher Mensch, ein Mann, der mit Kaufmanns- und Menschheilsidealen handelt wie ein Kolporteur mit Schnür riemen und Rosenkränzen. Er überschüttet den Leser mit einer Fülle von Ein- und Ausfällen, spricht vom Kaufmanns beruf, sozialer Ethik, Schiller, Wirtschaftssystemen, Preis- taxen des Mittelalters, Kulturarbeit und ihrer Beziehung zur wirtschaftlichen Arbeit, von Geschäftslügen und Prima und Sekundaqualität, von der Psychologie des Käufers, Iuteimport und Friedrich Nietzsche, von Cash-Register und Smnibuskultur, Lansabund und Kunstwein, von der Bilanz des Nationalvermögens und Geschäflsmoral, vom Kultur- ideal eines höheren Geisteslebens und Rährwertstabellen, von dem Wirlschaftsgeist, den Jesus lehrte, und der Steige rung des technischen Güterverhältniffes als Lebensaufgabe — kurz, ein Buch, das kein in sich abgeschlossens Werk ist, nicht übersichtlich gegliedert und methodisch entwickelt erscheint, aber eine unendliche Fülle von Anregungen». Werturteilen enthält, die sämtlich der klaren Erkenntnis entsprungen sind, daß zwischen Ideal und Geschäft eine unlösliche Verbindung bestehen muß, daß der Kaufmann so wenig wie ein anderer, noch weniger aus der Feder seines Redakteurs Auszug folgende Sähe mitteile: vielleicht, der ethischen Erfassung und Wertung seines Berufes und feines Lebens entbehren kann. Niemand hat die Lektüre dieses Buches nötiger als der „moderne Geschäftsmann", ein Buch, das ihm Dinge wie Kaufmannsmoral, Wirt- schaftsidcale und allgemeine Kulturfragen näherbringen will. Die Firma Ideal und Geschäft Wenn mau verlangen wollte, daß wir als ..Detaillist" nur die Unsumme von Dingen etikettieren und mitPreisoerzeichnis versehen sollten, die Iaroslaw vorlegt, so müßten wir uns bankrott erklären, ehe noch die Firma „Ideal und Geschäft" im Handelsregister der Literatur eingetragen wäre. Es ist schlechterdings unmöglich, einen richtigen und hinreichenden Überblick über den Inhalt dieses interessanten Buches zu geben, das als ein Beitrag zur Kulturgeschichte und als Symptom einer Neugeburt des kaufmännischen Deutsch- land zu hohen Zielen von unabschätzbarer Bedeutung ist, so oft man auch verbucht ist, ein Ausrufe- oder Frage- zeichen an den Rand der vom Autor aphoristisch mit Margi- nalnotizen und Spitzmarken versehenen Seiten zu setzen Wir wünschen uns mehr solche Narren Gegen Schluß hebt sich die Darstellung zu großzügigen Er örterungen über Wirtschaft und Kultur, die in den Sätzen vom Konstrukiionsproblem der Kulturwirtschaft ihren stärk sten Ausdruck finden. Es sind hier rationell ökonomische Fragen angeschnitten, deren Beantwortung wir nicht üher- nehmen möchten. Auf der letzten Seite des Buches erwartet den Leser noch eine Überraschung: der Verfasser wächst ins Transzendentale. „Kulturwirtschaft"- sch ließt Benno Iaroslaw sein geistvolles, von Ethos getragenes Buch, das als Auf forderung an die Iungkaufmannschaft ausklingt — „Kultur- Wirtschaft, das ist das erlösende Wort, das die Welk unserer Ideale und die Welt unserer Geschäfte versöhn«, ist ein Wort, das „sie sollen lassen stahn", es gehört zu den Postulaten, die, einmal ausgesprochen, unmittelbare Überzeugungskraft haben, die wohl überhört, aber nicht widerlegt werden kön nen." „Mein Buch will nicht gelesen, sondern gelebt sein. An die Arbeiten und Kämpfe erinnerte ich, die derer warten, die es leben wollen Eher noch müßte ich von den Ent täuschungen und Verbitterungen reden. Denn darüber soll sich doch niemand von Ihnen im unklaren sein: Mit dem Augenhlicke, wo Sie Ernst damit machen, Probleme des Wirtschaftsleben ethisch zu erfassen, wo Sie dem Kaufmann Ideale predigen wollen, hören Sie auf, Geschäftsleute unter Geschäftsleuten zu sein, gelten Sie, — na sagen wir es deutsch heraus — als Narren." Wir wünschen uns mehr solcher Narren wie Benno Iaroslaw, von dem wir außer diesem prächtigen Buche nichts anderes wissen, als daß er Groß- kaufmann und Doktor der Chemie ist und seit Jahren im kaufmännischen Leben steht. Alle ohne Aussicht auf Absatz lagernden Exemplare erbitte ich umgehend zurück Eugen Diederichs Verlag in Jena