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Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt f. b. Dtschn. Buchhandel. 6705 ^ 125, 1. Juni 1912. Rcclam habe für das sogenannte »Auswahlautomaten- system« das Alleinrecht erworben und gäbe es unter günstigen Bedingungen an den Buchhandel ab. Es folgt dann eine Be schreibung des Apparates. Verfasser bedauert, das; nur die Reclamhefte verbreitet werden, will damit aber gegen die Sammlung nichts gesagt haben; er wünscht jedoch, daß auch andere Sammlungen, die der Volksbildung dienen, auf diese Weise verbreitet würden. In seinem Schlußsatz sagt Ver fasser : »Durch diese Bücherautomatcn können und sollen nur billige Hefte vertrieben werden, die, was ja schon die Art der Aus stellung sagt, nur zum flüchtigen Lesen und zum gelegentlichen Lesen anrcgen sollen. Und wenn nun gar diese billigen Hefte noch ungebunden sind, so können sie nur für den vorübergehenden Besitz in Betracht kom men, sie werden gelesen, zerlesen und weg geworfen. Die Erziehung zum schönen Buch und zum eigenen Buch kann darin nicht lie gen. Hier muß von anderer Seite nachge- arbeitct werden. Im Bücherautomaten kön nen wir nur eine Vorstufe erblicken, die Vor bereitung zum eigentlichen Buch. Durch den Automaten«, sagt der Verfasser weiter, »haben die Menschen noch nicht den Weg zum Buchhandel gefunden. Den ihnen zu weisen, wird nach wie vor besondere Aufgabe der Volksbil dung, der Bibliotheken und des Buchhandels selbst sein. Da nun die Reclamschen Automaten dem Buchhandel allein zur Aufstellung überlassen werden, so meint der Verfasser: »Darin liegt nur dann keine Be schränkung, wenn der Buchhandel ernstlich mitarbeitet — im eigensten Interesse. Hof fentlich enttäuscht er nicht durch Kurzsich tigkeit,. — Durch vorstehende Zusammenfassung glaube ich dem Ver fasser und seinen zweifellos guten Absichten gerecht geworden zu sein. Wenn ich dazu das Wort nehme, so ist in mir kein Bedürfnis, als Kritiker aufzutrcten. Was ich dagegen be absichtige, besteht lediglich in dem Wunsche, eine für den gan zen Buchhandel wichtige und bedeutungsvolle Angelegenheit zur weiteren Behandlung in Fluß zu bringen. Da Herr Zimmer durch seinen Artikel mich dazu angeregt hat, möchte ich nicht unterlassen, ihm dafür an dieser Stelle aufrichtig zu danken. Es ist mir nicht um eine Kritik zu tun — ich mutz das nochmals betonen —, aber im Interesse der Sache mutz ich doch einiges richtigstcllen, und bedauern, daß Herr Zimmer, soweit er die Verhältnisse des Buchhandels berührt, sich nicht genügend unterrichtet hat. Da Herr Zimmer in Hamburg wohnt, hätte er wissen oder doch erfahren können, daß bei uns in denVororten eine gar nicht kleine Zahl von Buch handlungen auch demLesebcdürfnis der dort wohnenden Volks kreise dient, und daß außerdem in zahlreichen Verkaufsstellen, bei Buchbindern usw., unter denen es sogar verschiedene recht tüchtige und strebsame Leute gibt, gute, populäre Literatur ausgestellt und Vertrieben wird. Es existiert auch eine Filiale einer alten, hochangesehenen Sortimentsfirma in einem Vor orte Hamburgs. Ob in absehbarer Zeit die Errichtung weite rer Filialen Platz greifen wird, glaube ich kaum, weil die Kosten dabei recht schwer ins Gewicht fallen. Es ist doch Wohl nicht angängig, dem regulären Buchhandel große materielle Opfer zuzumuten, wenn ein auch nur bescheidener Erfolg durch die Verhältnisse nicht gewährleistet werden kann. Man darf ferner nicht verkennen, daß die Gewerbefreiheit dem Sorti mentsbuchhandel eine große Zahl von Auchbuchhändlern be schert hat. Diese können natürlich im Zentrum einer Groß stadt nicht gedeihen, Wohl aber in den Vororten. Soll nun der Börsenblatt für den Dcntschen Buchhandel. 79. Jahrgang. städtische Sortimentsbuchhandel durch Errichtung von Filialen mit den von Leipzig aus gezüchteten und versorgten Buch bindern usw. den Kampf aufnehmen? Allerdings, durch die Brille einer idealen Kulturaufgabe betrachtet, könnte man solchem Wettbewerb das Wort reden — es ist nur schade, daß die leidige Geldfrage da eine unübersteigbare Mauer aufrichtet! Schließlich sind wir Buchhändler doch nicht nur Kulturträger, sondern, nebenbei wenigstens, auch noch Geschäftsleute, die an sich und ihre Familien denken müssen. Wer die Entwicklung unserer rastlos vorwärtstreibenden Zeit mit Aufmerksamkeit und Verständnis verfolgt hat, wird im Hinblick auf das geistige Wohl der Menschheit sein Urteil vor allem auf Gerechtigkeit aufbauen müssen. Es ist aber nicht gerecht, einem einzelnen Berufsstandc die Verantwortung für Verhältnisse zuzuschieben, die er nicht hervorgerufen hat, oder aber ihm einseitig die Lösung von Aufgaben und Pflichten aufzuerlegen, wenn man ihm dazu nicht die erforderlichen Mittel zuweisen kann. Was der hiesige Sortimentsbuchhandel unter Mithilfe des hiesigen Verlages zur Verbreitung guter, billiger Literatur in den unteren Volksschichten bereits getan hat, ist von Herrn Zimmer nicht erwähnt worden — es sei deshalb hier kurz auf geführt : 1. Die billigen und guten Sammlungen von Volks- und Jugendschriften werden nicht nur in den Vororten, son dern auch in fast allen größeren Sortimenten der inne ren Stadt auf Lager geführt, ausgestellt und Vertrieben. 2. Vor 4 Jahren ließen hiesige Buchhandlungen auf dem Wcihnachlsmarkt einen Bücherprospekt in 20 000 Exem plaren vertreiben, und zwar in Briefumschlag. Es ge langten darin die bekannten billigen Sammlungen und sonstige gute Volksliteratur zur Anzeige, unter Hinweis auf die Bezugsquellen im Buchhandel. 3. Vor 3 Jahren traten etwa 12 hiesige Sortimentsfirmen zusammen, ließen eine Ltteraturbeilage Herstellen, die Anfang Dezember in einer Auflage von 100 000 Exem plaren erschien und den hiesigen Tagesblättern bcige- legt wurde. Trotz der Beihilfe einiger hiesigen Ver leger, die ihre populären Bücher zur Anzeige brachten, kostete die Beilage jedem Beteiligten öO ^k. Der Er folg war leider geradezu beschämend gering, wobei er wähnt werden muß, daß das sozialdemokratische »Echo«, das ja von den unteren Volksschichten gelesen wird, die Beilage kurzerhand abgelehnt hat. 4. Auf Veranlassung der Obcrschulbehörde sind in den hiesigen Volksschulen einige Wochen vor Weihnachten Elternabende veranstaltet worden, wobei auch geeignete Literatur ausgestellt wurde, und zwar seitens der hiesi gen Sortimentsbuchhändler. Das materielle Ergebnis war auch hier ganz unbedeutend, so daß, einige Aus nahmen abgerechnet, die Kosten nicht einmal gedeckt werden konnten. Soviel mir bekannt geworden ist, hat das Sortiment in anderen großen Städten Ähnliches getan, es ist also gesät, aber von einer Ernte ist seither nichts bemerkt worden. Wenn daher von nichtbuchhändlerischer Seite immer wieder gesagt wird, was alles der Buchhandel zu leisten habe, um seiner Kulturmission gerecht zu werden, so sollten doch die betreffen den Artikelschreiber sich wenigstens gründlich unterrichten, be vor sie Anklagen erheben und Ratschläge erteilen. Ich denke nicht daran, den Anspruch zu erheben, daß geeignete Personen, lote z. B. Geistliche, Lehrer, höhere Beamte oder andere Men schen, die berufen sind, an der Hebung unserer Volksbildung mitzuarbeiten, alle Maßnahmen seelenruhig dem Buchhandel allein überlassen sollen, sondern ich bin überzeugt, daß alle einsichtsvollen Buchhändler diese Mitarbeit freudig begrüßen, und, lvie ich oben gezeigt habe, auch opferwillig unterstützen. Wenn wir aber die auf Verbilligung und Verbreitung des 974