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innern. Weißenfels ist ein Eldorado für saure Gurken, die hier so billig wie nirgends sind. In der ganzen Umgegend blüht und gedeiht die Gurkenzucht. Naumburg, reich an alten Baudenkmälern, durchstreiften wir nur im Fluge und nahmen dann den Kurs auf Bad Käsen, das nach wenigen Stunden Fahrt erreicht wurde. Auch dieses liebliche thüringische Badestädtchen lernten wir nur flüchtig kennen, strebten dann dem nächsten Walde der nächsten Stadt zu, um hier zu Mittag abzukocheu. Erschwerte schon ein heftiger Wind das Feuerhalten erheblich, so wurde unser gerade im besten Gange befindliches Wald-Mittagsmahl schändlich dadurch gestört, daß in wenigen Minuten ein Regenschauer heranbrauste, der uns zu eiliger Flucht zwang. Das Verhängnis hatte uns gepackt und ließ uns nicht mehr los. Im Banne eines unsicheren Wetters gerieten wir durch einen irreführenden Wegweiser auf eine falsche Landstraße, so daß das nächste Ziel, Bad Sulza, mit erheblicher Verspätung erreicht wurde. Kurz vor Sulza wurden wir auf luftiger Höhe von einem orkanischen Gewitter überrascht, das uns für den Rest des Tages den Todesstoß gab. Völlig durch näßt hielten wir in das durch das Gewitter fast ausgestorbene Bad Sulza unseren Einzug, wo wir von Fortuna nicht ganz ver lassen schließlich eine gute Unterkunft fanden. Auf einem abendlichen Spaziergang durch das freundliche Städtchen gaben wir unserer nassen Garderobe Gelegenheit zum Trocknen. Der andere Morgen erschien in einem rätselhaften Wetter gewände, das weder auf schön noch schlecht eine Deutung zuließ. Immer stärker tritt die Gebirgsnatur Thüringens in die Erschei nung, herrliche Landschaftsbilder tauchen auf und insbesondere der Wald zeigt sich oft in seiner königlichen Majestät. Riesenhafte Tannen halten an den Landstraßen Wache und stehen wie zur Parade in Regimentern. Ueber den Blumenteppichen der Wiesen gaukeln farbige Schmetterlinge; die Sprache der Grille tönt im ewig gleichen Rhythmus hinaus in die Waldeinsamkeit. Hier ladet die Natur den Wanderer zum stillen Genuß, den Nerven ein Jungbrunnen, dem Körper eine Labsal. Vom Rade betrachtet reiht die Natur filmmäßig Bild an Bild, verschönt durch die bezwingende Macht der Wirklichkeit. Das nächste Ziel, die Wirker- und Weberstadt Apolda ist bald erreicht, und da der Himmel wieder sein Wasser zur Erde schleudert, so suchten wir in einem Gasthaus Unterschlupf, um hier ciu Mittags mahl zu nehmen. Gegen Abend zogen wir nach einer entzückenden Talfahrt in die liebliche Goethestadt ein, deren Gastfreundschaft wir für mehrere Tage in Anspruch nahmen. Zum Glück nahm das Wetter Vernunft an; die flüchtig gewordene Sonne kehrte zurück und umspann nun den klassischen Boden Weimars mit einem Goldreif, der auch die Lebenslust.neu beflügelte. Weimar, die Seele der deutschen Poesie, ist in dieser Zeit der nationalen Trauer für viele der wohltätigste Wallfahrtsort, da aus seinen Mauern ein Weltecho deutscher Größe tönt. Das stattliche Goethehaus am Frauenplan gleicht einem Tempel, wo die nie versagende Heerschar literarisch gestimmter Deutscher dem unsterblichen Werk Goethes ihre Huldigung darbringt. Gleich kostbar das schlichte Schillerhaus, wo die deutsche Leyer die Hochgesänge für Freiheit und Recht in die Welt hinaus erschallen ließ, um der Knechtschaft den Kampf zu künden. In der Fürstengruft Weimars standen wir ergriffen vor den "Särgen Goethes und Schillers, um in weihevoller Andacht die Kraft und den Willen zur Hoffnung.eines neuen deutschen Aufstiegs zu schöpfen. Auch vor Karl August, diesem großen deut schen Fürsten, der hier mit seinen Dichterfreundcn den ewigen Schlaf teilt, empfanden wir die unsichtbare Macht, daß Deutschland nicht untergehen wird und kann. Verläßt man die Kapelle der Fürstengruft, so wandelt man unter alten Baumriesen wie in einem heiligeit Hain, der der Gottheit geweiht. Noch lange bewegten uns diese Stunden der Andacht, bis wir uns in die harte Gegenwart zurücksanden. In den nächsten Tagen besuchten wir zu Rad das Schwarzatal, naturgewordenc Poesie des Thüringer Waldes. Anter der Gunst der Sonne radelten wir gemächlich an dem idyllischen "Ufer der Schwarza entlang, die plätschernd über Geröll und Felsblöcke ihre Wasser zu Tal sendet. Mit den ragenden Wälder» an beiden Äsern ein Bild herzerquickender Romantik, die in ihrer Schönheit alle Leiden vergessen läßt. So wird diese Thüringcrfahrt ein schönes Gedenkblatt in unserem Leben bleiben, hatten wir doch ans dem unendlichen Buch der Natur einige neue köstliche Kapitel kennen ^-lernt. Dr. P. Martell. Verlag: sächsischer Radsahrer-Bund, E. V., Leipzig. Reichelstr. iS. - Verantwortlich siir die Schrifllcilnng und den bnndeilauillichen Teil: Richard Voigl. Leipzig, Reichelstr. Id. Verantwortlich für den Anzeigenteil: Fri tz Martin, Leipzig, Kreuzstraße 9.— Druck: Jachner 6 Fischer, Leipzig.