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Berliner Allerlei. D>« Jagd «ach der Nuance. — Anslehnnna wider Berlin. — No blelbt der Reichskunftwart. — Schillers Stäuber vou Samuel Fischer. — Berliner Stevuc«. — BlaSphemisches im Kabarett. — Gras Stevcntlow in der Valencia. — Potsdamer Skandal. — Vnbenborsss neue Iran. — Nach der Sport sensation Peltzer. Die Nuance ist alles. Man muß mit Nuancen verblüffen, wenn man weder schöpferisch »vch nachsühlend ist. Man züchtet hellblaue Stvse». Dattel mit Piuscherküpse» werde» Mode. Auf der Kunstausstellung Hannen Mädchenporiräls mit violetter Stirn und grünen Backen, Katzen miaue» in der Musik. Fausts Gretche» mit schwarzer Papuasrisur. Hamlet als Stotterer. Alles um uns herum wird zur Fratze, zur Karikatur verzerrt, bis das Scheut,liche als schön gilt. Es ist ein Assentanz von Nichtskönner», denen die Seele fehlt, die deutsche Seele. Der Widerspruch der Gesunden wird er stickt. Die Berliner Lemuren vvm Kursürstendamm über- kreische» uns. Es ist ein tollcS Treiben, scheinbar ohne System, an geblich entfesseltes Genie. In Wahrheit ist es bemühte Zer- slürungsarbett. Jedes Ideal wird zertrümmert, jeder leben dige Quell aus Bvlkstiesen verstopft. Sind mir erst an alle», irre geworden, haben wir erst Glauben, Schönheit. Treue nicdergetrampelt, dann hat man es leicht mit uns. Dan» tanze» wir in Politik und Wirtschaft und Kunst »ach dem Taktieren der Artfremden. gang und Niedergang, was schön und häßlich ist, bis wir — ganz konfus geworden — uns der Führung durch diese Neu- töncr ergeben. Goethe trat noch die einzelnen Schanspieler vor Mätzchen gewarnt. Er hat einst geschrieben: „Soll jene erste Explosion des Schillerschen Genies noch ferner aus de» deutschen Theater» ihre vulkanische» Wirkungen leiste»,, so lasse man dem Ganzen Gerechtigkeit widerfahren und muntere die Schauspieler nicht aus. einzelne Teile gegen den Sinn des Verfassers zu behandeln." Goethe ahnte noch nicht, das, eS einst Intendanten geben könnte, die alles umstülpen und es so weit bringen, daß der Zuschauer nach zweieinhalb Stunden nichts, aber auch gar nichts von de», ungeheuren sittlichen Rhythmus dieses Stückes empfindet. Das ist alles mit Stumpf und Stil ausgervdet. Nur Bild und Farbe, Krach und Lärm stürmen auf uns ein, nur spielerische Nuancen, von der unmittelbaren Gegenwart abgefärbt, fallen inS Auge. Stumps und dumps harrt man des Endes, kein Herz taktiert mit, keine Hand rührt sich, nur ei» einziges Mal reißt ein Schillerwort uns empor und mit. das ist da, wo den Räubern von Ergebung geredet wird. Karl Moor selbst stellt sic ihnen in lockende» Farbe» dar. Er redet ihnen zu. Es sei doch alles verloren. Draußen aber winke ihnen Frieden und Glück. Nun, sic zauderten noch? Eine kurze schwüle Pause. Dann bricht Karl Moor los und donnert: „Wer ist der Erste, der seine» Hauptmann in der Not ver läßt?" Ein einziger Aufschrei antwortet ihm. alles schaart sich um ihn, und dieser Aufschrei wird vom Parkett aus genommen, Jubel durchbraust das ganze Haus. Das Arbeiten mit der „Nuance" ist Kamps um die Herr schaft über uns. Das Eigene wird uns entwunden. Wir sind ja so unerhört reich, auch wenn mir nur Luther und Bach und Goethe und Kant und Bismarck hätten, aber man lehrt uns diesen Reichtum verachten. Wir sollen verniggcrn: da stecke Wahrheit und Schönheit und Kraft. Wir sollen alle inter- uationalistisch-synkopisch-kubistisch verwurstct werden. Berlin stopft mit dem Daumen nach. Berlin stößt uns immer tiefer hinein. Alles, was unter hundert Namen sich gegen die Vor herrschaft Berlins empört, ist letzte Auflehnung dagegen, daß die deutsche Seele gemordet wird. Seelenlose haben keine Kraft mehr. Wir haben ja jetzt einen Reichskunstwart, der dafür sorgen müßte, daß Uralt-Heiliges uns erhalten bleibt. Aber der ahnt nichts von dem Vordringen der Lemuren und Halbaffen, der ist republikanischer Beamter und hat reichlich mit dem Entwerfen von Einheitöflaggcn und von Aus schmückungen zu Versassungsfeiern zu tun. Er kann oder will cs nicht einmal verhindern, daß unser Friedrich Schiller, In dem deutscher Idealismus am hellsten lodert, im Staats- thcatcr eine Ludcnmütze aufgestülpt bekommt und nach Jazzbandklänge» umherhüpse» und Fremdartiges blöken muß. So weit ist es also wirklich gekommen. In der „Näubcr"- Nussührung des Staatstheatcrs regnet es nur so von „genialen" Nuancen des Intendanten Feßncr, sowie des Regisseurs Erwin Piscator. Die Leipziger Studenten um Karl Moor sind in Maske und Kleidung 40- bis 50 jährige Bolsche wiken von heute. Moor selbst in Lackschuhen und Pullover. Spicgclberg näselt als leibhaftiger Trotzkt. Amalia ist eine häßlich rasende und rasend häßliche Rosa Luxemburg. Mit einem guükcndcn Saxophon au der Spitze ziehen die Räuber Im Foxtrott in die böhmischen Wälder, einige von ihnen mit heutigen Soldatenmützen aus dem Kopse. Der Pater, der ihnen zur Unterwerfung gut zurcdet, ist bei Jcßner „eine Magistratsperson" mit Stehkragen im Talar eines Staats anwalts. Die wichtigsten Szenen sind ausgelassen, andere bis zur Unkenntlichkeit verballhornt, die Jrrlichtcrci der Kreisler-Bühne ist die Hauptsache, in Lärm und Effekt hascherei geht das flammcnprächtigc Wort Schillers verloren, ja, stellenweise wird ihm ganz Fremdes untergeschoben. Daß Karl Moor seinen Räubern, wie hier im Staatstheatcr, vor dem letzten Kampf zuruft: „Geht hin und opfert eure Gaben dem Staat, der für die Rechte der Menschen eintrittl", finde ich in keiner Schiller-Ausgabe. Auch im Szenischen Nuance über Nuance, Verblüffung über Verblüffung. Das „Schloß" der Grafen Moor ist ein Wochenend-Haus, das aus zwei übcrcinanderlicgenden Zimmern mit flachem Dache besteht, z»m Publikum zu offen so daß — gleichzeitig vor dem Hause, auf dem Hause und in den zwei Zimmern des Hauses gespielt werden kan». Und cs wird auch gleichzeitig gespielt! Nur daß freilich jeder Sprecher »ach einem oder einem halben Satz Atem holt, so daß der andere inzwischen eine Kraststelle hinansschmettcrn kann. Man sitzt also da, sicht Amalia vor dem Hause, Franz drinnen, den alten Moor im Oberstübchen, Hermann aus dem Dache und hört etwa folgendes: „Und all daS von zwei Kindern voll Hoffnung, daß dünn Vier und Kartoffeln ein Traktament für Festtage werden, itzt hat die betrogene Liebe ihre Freistatt gesunden, auch euer Oheim, verratet mich nicht, wer war's, der seinen Sohn sagte in Tod und Verzweiflung, wird nicht sein erster Jnbcl Amalia sein, in diese Livcrei will ich euch kleiden, Gott er barme sich unser." Naive Leute könnten sagen. daS sei schon irres Lallen. Nein, es ist ganz bewußte Zcrstörcrarbeit: wir sollen ent wurzelt werden, kopfüber gestürzt werden, sollen nicht mehr wissen, was unten und oben, was wahr und falsch, was Auf Gute. brave, deutsche Berliner sind hier nur eine kleine Minderheit. Besucher aus dem Reiche, die sich einen hervor ragenden klassischen Kunstgenuß im Staatstheater leisten wollen, sind schon mehr da. Und in den Logen sicht man Direktoren und Intendanten, die mit geblähten Nüstern eifrig und lernbegierig, die Berliner Nuancen einsaugcn, um sie „in der Provinz" wieder von sich zu geben. So verbreitet sich die Seuche. Man kriegt die große Sehnsucht nach einem Vandalen sturm wider Berlin. Wenn das Staatstheatcr schon Schiller fälschen darf, so braucht man sich nicht zu wundern, wenn sonstige Untcr- haltungsstätten noch frecher sind. Von den sieben Revuen dieser Saison, von denen ich drei gesehen habe, will ich im einzelnen nichts erzählen. Es ekelt einen. Ich bin nie pharisäerhaft gewesen, ich habe sogar in der „Nacktkultur" von heute das Gute gesunden, daß sie uns — abgebrüht werden läßt. Unsere heutige Jugend ist immuner als die frühere: die Astlochgucker sind verschwunden, seit es Familienbädcr gibt. Ich könnte es sogar verstehen, wenn die kecke Sinnlich keit der Revuen an jene Lüsternheit streifte, wie sie etwa für das Zeitalter des Rokoko bezeichnend war. Auch damals war man nichts weniger als prüde. Aber was schier unerträglich ist. das ist die Zote, die platte Schweinerei, die anscheinend in sämtlichen Revuen dieses Jahres geboten wird, als fiele ihren Schöpfern nichts anderes ein. Auch das aber gehört zu dem Programm, Deutschland von Berlin aus zu infizieren. ES ist immer dieselbe Gilde, die das macht. Und »ach dem Theater oder nach der Revue mordet sie im Kabarett Seelen und Gemüter. Im Charlott-Kasino am Kurfürstendamm bin ich nur einmal in meinem Leben gewesen und gehe nie wieder hin, weil cs ein Verbrechen ist, diesen Leuten auch nur ihren Gewinn an einer einzigen teuren Flasche Wein in den Nachen zu werfen. Jetzt hat sich ein alter Kriegskamerad von mir, in Berlin ansässig, dahin verirrt: natürlich: als Be gleiter von Besuchern aus dem Reiche, die „mondänes" wünschen. Es ist ihnen Übel geworden. Der Conferencier tritt mit einer Bibel unter dem Arm — dem Adreßbuch — auf und parodiert das Vaterunser. Der Kurfürstendamm wiehert. Der Staat sieht gleichmütig zu. An feine Tore werden einst Vandalen mit Streithämmern schlagen. Einstweilen sehe Ich aber deren Häuptlinge noch nicht, die im Kampf um die Reinigung unseres öffentlichen Lebens voranstürmcn könnten. Die Alten werfen noch hie und da Feucrbrände in Wort oder Schrift unter das Volk. Aber unter den Junge» sind viele seit der Revolution entnervt: und wer »och — in der Schar der Frontkämpfer — sich seinen Idealismus bewahrt hat. der wird vom Staate verfolgt. Jetzt hat die „Barberina" in der Hardenbcrgstraße einen Ableger bekommen, die „Valencia" in der Kantstraße neben dem Theater des Westens. Das ist seit dem 1. September die „erste" Tanzstätte Berlins, gleich von Anfang an mit Glas parkett ausgestattet, unter dem 77 elektrische Lampen das rote Nosenmuster erstrahlen lassen:' darauf tanzen »un die Damen mit rosig angehauchten Knien und die Herren mit flatternder Oxfordhvse nachmittäglich und allabendlich in konvulsivischen Zuckungen. Das ist freilich nichts ausgesucht berlinisches mehr. Der Chnrlcston als Entfettungötanz hat die ganze Welt erobert. Früher sagte man auf die Frage: „Wie ist Ihnen der Sommcrurlaub bekommen?" gewöhnlich etwa: „O sehr gut, ich habe fünf Pfund zugenommcnl" Heute da gegen brüstet man sich damit, daß man leichter geworden sei: und de» Rest schasse man durch Punktroller, Parassinpackung, Eharleston. Tut man das letztere in der „Valencia", so findet man aus jedem Tisch Kärtchen mit der gedruckten Inschrift: „Graf Ncventlow ist gern bereit, die verehrten Gäste mit de» Tänzern des Hauses bekanntzumachen." An dem Tisch halblinks hinter mir ist eine Gesellschaft von fünf Personen eisrig in englischer Unterhaltung begriffen. Die meisten in Deutschland reisende» Engländer sind natür lich Deutschamerikaner aus Frankfurt am Main. Diese hier drehen und wenden das Kärtchen — und da steht auch schon Marie Eugsne Stephan Roger Gras v. Reventlow vor ihnen, dienert und empfiehlt den Damen Tänzer. Unmittelbar »ach dem Kriege war er die junge Leuchte des Schwarz-Weiß- Klubs, sehr elegant, bestensalls Etappe: aus keinen Fall ist er jemals in die Fußtapse» seines Vaters getreten, des — deutschvölkische» RcichStagsabgeordneten Grase» Ernst Reventlow. Immerhin, er ha> doch jetzt wenigstens einen Beruf, wenn es auch gerade kein adeliger Berus ist. Aber die Zahl der Berufslosen aus seiner Schicht ist Legion. Und die Entgleisten, von der Dcmvkralenpressc sorgsam und hämisch registriert, »ehmcn anscheinend ständig zu. Der junge Gras Roger v. Reventlow hat eine sehr leb hafte französische Mutter, eine geborene Komtesse D'Allemont. Es wäre vielleicht ganz lehrreich, so elwas immer sestzustcllen. Die Mutter der Gräfin zu Leiningen, deren Testaments fälschung den neuesten „Potsdamer Skandal" ausmacht, hieß Meyer. Ein anderer Lciningcn. auch zeitweise von den Seinen nach Amerika spediert, hatte ein Dienstmädchen ge heiratet und war dann eine „Namenöche" eingegangcn, wofür er von der neugebackenen Gräfin ein MonatSgeld von 800 Mark erhielt. In de» Kreisen der alten Gesellschaft kennt man natürlich diese Ausnahmeerscheinungen, die Tages preise aber sagt: So ist der Adel. Noch mehr als der eine oder andere „Potsdamer Skandal" ist in dieser Gesellschaft übrigens Ludendvrsss Heirat das Tagesgespräch. Ich bin vor einigen Monaten von dem beste» Freunde Ludendorsfs irregeführt worden, als ich schrieb, er denke nicht au einen neuen Lebensroman. Er ist der dritte Mann seiner jetzigen Fra», der Aerztin »nd Schriftstellerin. Von Herrn v. Kemnitz wurde sic seinerzeit geschieden. Dann war sie, die blonde Germania, die Amazone, die Frauenrechtlerin, mit einem Major Kleine verheiratet, der ihr gegenüber sehr klein, wirk lich sehr klein war. Sie ist immer Kämpferin gewesen, nie so recht Hausfrau: hoffentlich findet ihr dritter Manu bei ihr und mit ihr den Frieden. Nur in engen Zirkeln der Neichshauptstadt erregt man sich noch über alle diese Dinge. Die große Masse denkt nur an Brot und Spiele, wie es die Masse aller Völker und aller Zeiten immer getan hat. An dem Abend des entscheiden den Äcttlauss zwischen Pcltzcr und Nurmi und Wide hörten sogar die Barbiere auf zu schaben und standen einträchtig und gespannt nebst ihren eiligsten Kunden vor dem Rundfunk und erwarteten das Ergebnis. Drei Tage lang war Peltzer in aller Munde. Dann ist cs — bis zur nächsten Sensation — wieder ganz still geworden. Berlin ist wieder in etliche Dutzend Kleinstädte mit ihren bescheidenen Freuden zerfallen. Nach Feierabend sitzt man beim Glase Bier und ist still vergnügt, wenn einer irgendeinen der unsterblichen „Ttumpf- sinnverse" klampst und singt: Der Eskimo Lebt irgendwo, Denn irgendwo muß er doch leben,- Denn lebte er Nicht irgendwo, So könnt' es kein' Eskimo geben. Rumpel st ilzchen. D/:Ko/tt-o5o/l!r /rre/f c//s §c> c/^c/Z,7- //§ E ,s/. ^cr// ///'s/c/L ^»«,»>!»ta»s»nl n«»orm - ki>»»»lna- UNO Nlna»rl»«Non, la Malrahcn und üuilagen. Divan, Bellicdern und alle». n>a» zum Schlastlinmer gedkrl, reell. >ol>» »nd l> > lI, gst in riesiger Auswadi aci »v. JadlUngseOeich- lerung im dekannlen »p»rI»>N«»o»,N« ttr«»a«l»la", Aeulltidler Mark! >. Del i»d«. SpsIssLimrvH«*, Xllolksn, »vNrNnN», »ln»«In« inan«> Kausen Sie zu ulidrlast »»stellten Pr»»»n lm alth,«»hrten MIH»Ihau» «au Schaffalftrah» tti» s iß her 40 Jahre Nr. 5. d/Isrisr>str. 36/42, s^errir-uf 2S241, liefert Vm»imllisille IlmHirümIlMliki! 6»itr»g,düoftsr, Dchgurtgsprotoftoll» etc. Bücherrevisor Karl Seyferl Dresden-A , Schltilerslratze >5 Irlephon rirr« «durch Meyer» cinpfiebll sich — gegen milbige» Honorar slir Dlicherrrvisionrn , Sleucrderatung , «usst»ll,n, »ou Bilanz»» „ Aeuetnetchiung »ndvufarkellung »»» Buchhaltung»» Durrhsuhrnug »on a»b»rgrr. Bar» glrlcha» ul», ul».