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Rr.N1 Seite 10 — Dresdner Itachrtchten -— Sonntag, v. Mo» isro Derttaer Allerlei. Maifeier«. — Der Flaggenstreit. — Amerikaner i» Berlin, Berliner in Amcrlkn. — Der RcvolutionSfU« »Fürst Potem» kin". — Eine überraschende Mannequin»Prämiierung. — Arbeite« «nb nicht ocrzwetsel«. Man bibbert. Man telephoniert den Wirt wegen der Zentralheizung an. Unmittelbar nach Maibeginn haben sich nämlich. etwa» verfrüht, die Eisheiligen gemeldet, die wir nach dem sommerlichen April für erledigt hielten. Aber der 1. Mai selbst war noch schön. Nicht so schön etwa wie t» Athen, wo an diesem Tage alljährlich die ganze Stadt in» Freie zieht, um den .Mat"' sich zu hole»: einen Blumenkranz mit einer Knoblauchknolle darin, die das Jahr über im Hause bleibt, weil sie nach dem Volksglauben bösen Blick bannt und über haupt jegliches Unheil. Der Berliner l. Mat ist nicht solch «in Volksfest. Landern ein Parteifest. Draußen in den Havel- dörfern hinter Potsdam gehen noch morgens mit grünen Zweigen an der Mühe die Kinder von HauS zu Hau», singen ihren Maispruch und werden mit Eiern und Geld beschenkt, zuweilen anch nach altem neckischem Brauche mit einem ttich. ligen Wasscrguß bedacht. Drinnen bei unS aber kriegen sie rot« Papiernelken angesteckt, eine Papptafel mit politisch, revolutionärer Inschrist in die Hand, und müssen zur prole- tartschen Kundgebung auf den Platz vor dem Königlichen Schloß marschieren. Man lächelt wohl über diesen Kinder- kreuzzug. Aber man hätte eher Anlaß, tiestraurig zu sein. E» ist organisierter Seelcnmord. Der deutsche Mensch in den Kleinen wird erstickt trotz aller freiheitlichen Phrasen werden nicht Irrte, sondern Parteisklaven hier erzogen. Und die rote Seeräuberflagge weht hundertfach über ihnen. Zum ersten Male in diesem Jahre haben aber auch die Vaterländischen gezeigt, daß auch sie Massen mobil machen können. Der sogenannte Sportklub Olnmpia und zahlreiche andere nationale Verbände sammelten sich zu ihrer Maifeier am Abend in der Ausstellungshalle am Kaiserdamm, dem größten gedeckten Raume in der Reichshauptstadt. Ich hatte die Eintrittskarte Nr. 1628t. »nd nach mir kamen Hunderte. Herrscht im Lustgarten das Rot der Gesetzlosigkeit, so hier da» Schwarz - Z2etß - Not der deutschen Geschichte. Jahnen- aufmarsch — ach. cS sind nur Vereinssahnen — mit Stcch- schritt und Tschingtara: ein ungeheures kriegerisches Getöse in der Riesenhalle, an deren Wölbungen sich das Trumm Trumm Trumm der Trommeln donnernd bricht. Alles ist nur noch Snmbol und Ersatz. Wir haben ia kein VolkSheer mehr und keine wirklichen Jahnen und keinen Kriegsherrn, aber die Herzen zittern in der Erinnerung. Alte Wunden reißen anf. Sie werden sich nie schließen, solange die innere Entscheidung zwischen Rot und Sckwarz- Weiß-Rot nicht gefallen ist. Unsere Handelsflotte hat nach wie vor das Schwarz-Wciß-Rot. freilich mit schwarz-rot-goldenem Obereck. Die KriegSslaaae — daS. was uns non ihr belassen ist — desgleichen, nur mit eisernem Kreuz. Also Kompromisse überall. DaS Neueste in dieser Art ist die Verordnung, wo nach die deutschen diplomatischen und konsularischen Vertreter im AuSlande neben dem Banner der „Derzeitigen" auch die schwarz-wriß-rote Handelsflagge führen sollen, weil die Welt draußen die alten Farben sehen will und eS einfach nicht ver. steht, daß eine große Nation ihre ruhmreiche Flagge nur deS- halb streicht, weil die StaatSform geändert ist. Die Franzosen haben tn einem Jahrhundert dreimal zwilchen Monarchie und Republik gewechselt, aber ihre Trikolore immer behalten. Die berufsmäßig am internationalsten eingestellten Leute sind doch die Hoteliers der Großstädte, aber die Berliner Hoteliers er regen den Zorn unserer Internationalisten von der „Boß" bi» zum .Vorwärts", weil sie bei internationalen Zusammen- künsten in Heller Verlegenheit daS draußen unbekannte und unbeachtete Schwarz-Rot-Gold nicht hissen wollen. In diesen Tagen hatten wir den Amcrikanerbcsuch tn Berlin. Unsere Gasthöfe zeigten den Berliner schwarzen Bären im rot gestreiften weißen Felde oder daS preußische Schwarz-Weiß oder die eigene HauSflaage neben dem amerikanischen Sternenbanner, um weder bei de» Gästen noch bet den Ein. heimischen Anstoß zu erregen, nur das Erzelsior hatte Schwarz-Rot-Gold he rauSgeb« «gt, dafür aber zum Ausgleich Schwarz-Weiß-Rot daneben. Da Ist die Wunde wieder. Alle» zeigt mit Fingern auf die wehenden Fahnentücher. ES ist keine Nichtachtung der Republik, sondern allensall« ein« Nicht- achtung deS November», wenn nach wie vor große Massen, vermutlich die Mehrheit de» Volkes. Schwarz-Rot-Gold ab- lehnen; und e» spielt da» Bewußtsein dabet mit. daß wir draußen un» keine Achtung wtede^ewinnen, solange wir nicht Schwarz-Weiß-Rot wieder zu Ehren bringen. «iS die Interparlamentarische Union im vorigen Herbst tn Amerika mar unS ihre deutschen Mitglieder vom „Langen Tisch" tn Detroit zu einem Festmahl geladen waren, steckte tn dem Brötchen jede» Gaste» eine kleine schwarz-weiß-rote Flagge, und die Speisekarte zeigte «ine schwarz-weiß-rote Um- rahmung. DaS war für die Amerikaner — sie selbst hatte» kleine Sternenbanner — etwa» Selbstverständliche». Der Reichstagspräsident Löbe machte ei» etwa» wehleidige» Ge sicht und drehte seine Speisekarte um. Herr Joses Wirtb aber kriegte einen roten Kopf, erhob sich und setzte tn einer takt- losen Tischrede den Gastgeber» auseinander, daß sie Schwarz- Rot-Gold hätten geben müssen. Von da ab hatten unsere Schwarz-Rot-Goldenen drüben endgültig auSgcspielt. Weder Republikaner noch Monarchisten bet u»S kann man aus die Dauer wctSmachen. daß die derzeitige demokratische Republik — mit ihrem Vtelpartcicnstislcm und ihren parla mentarischen Lächerlichkeiten — unsere endgültige StaatSform bedeute. Es kommt doch noch einmal zur Entscheidung zwischen Rot und Schwarz-Weiß-Rot. Jedenfalls rüsten die Roten be- mußt darauf hin, nicht nur tn Frontkämpferbund und Frei- Heils-Armee, sondern auch mit der Grvßkampswafse der öffentlichen Meinung. Dazu ist neuerdings der Film daS wirksamste Mittel. Ganz Berlin hat beute nur ein Gespräch», thema, da» ist «Fürs» Potemkin", der große NcvolutionSsilm der Bolschewisten, von dem Personal deS Moskauer Künst-. lcrischcn Theaters dargcstcllt, von einem Sowjctmanne namens Eisenstein inszeniert; lange Wagenburgen staue» sich vor dem Apollo - Theater tn der Friedrichstraßc, neben dem jungen Kommunisten in der Russcnblnse sitzt die Dame in Zobel au» dem feinen Weste», der Abgeordnete Scholen, wackelt von der Loge aus begeistert mit seinen Ohren, und tn die erregende Musik, die da» Kolbenstampscn de» Panzer- kreuzerS «Fürst Potemkin" und die Schüsse »nd die Schreie in Odessa nachmalt, mischt sich der exaltierte Beifall der drei mal täglich 1500 Zuschauer. Er wird zum tosenden Gebrüll, wenn an Bord des RevolutivnSschisfcs Offiziere abgcmurkst werden; cs ist Blutrausch, der Uber die Massen kommt, sagt ich der besorgte Bürger, und er fragt sich, warum der Staat daS nicht verbiete, — denn sinnfälliger könne die Aufreizung zum Morde, siehe Strafgesetzbuch, uns gar nicht beigebracht werden. DaS mag sein. So mag der Film auf den einen oder anderen jungen Revolutionär wohl wirken. Aber ich kann mir nicht helfen: auch ich lund viele wie ich, abgesehen von einigen Frauen, denen eS schlecht wurdej bin hingerissen von dem — kriegerischen Tempo der atemraubenden Handlung und von der wundersamen Poesie der Meeresbilder. ES ist mancher Sowjetschwtndel dabet, manche GcschichtSvcrdrehung; die Odcssaer haben nicht, wie eS hier dargestellt wird, an cnem 24. Juni >WS in revolutionärer Begeisterung den meuternden Matrosen Lebensmittel an Bord gebracht, son dern sie wurden unter der Drohung erpreßt, baß sonst die Stadt beschossen würde, auch ist im Hafen an der berühmten breiten Treppe dann nicht gutes Publikum, sondern revo- lutionäres Gesindel von den OrdnnngStruppcn zusammen- geschossen worden, schließlich ist da» Ende deS «Fürst Potem kin" sehr schnell und sehr unrühmlich gekommen. — übrigen» ist eS gar nicht dieser Panzerkreuzer oder auch nur ein Schwestcrschiff seiner Klasse, daS hier im Bilde gezeigt wird, denn ich selber bin einige Zeit darauf, anläßlich einer Reise tn die Krim, an Bord dieses historischen Schiffes gewesen und kenne cS daher sehr gut. Aber der heiße Atem des Spiels ist zündend, ist versengend, und der Brand entlodert tn allen Sinnen. Ich glaube: der «militaristische" Brand. DaS Manöver deS «Klar zum Gefecht!" ist einem noch nie so kriegerisch voraeführt, daS Dahcrrauschen der schwimmenden Stahlburgen einer Flotte noch nie so majestätisch bargestellt worden: das Geraufe an Bord — das Erlagen, Erschlagen und Ueberbordwerfen der Offizier«, die sich Übrigen» tapfer wehren, nicht al» feige Kanaillen geschtlbert werben — wirst auf die Buben im Zuschauerraum nur so wie etwa klar Jndianerschlacht «m Ztrku» Busch, und jeder nicht ganz ver- trottelte junge Mensch merkt doch, wie exotisch die ganze Sache ist, denn «so was Ist doch bet un« nicht möglich gewesen", daß KriegSschtffmatrvsen. noch dazu im Frieden, gezwungen wurden, verfaulte», stinkende», von Würmern wimmelnde» Fletsch iGrvßaufnanme: die Würmer 20 Zentimeter langt,« essen, und daß die Widerstrebenden — auf dem Fleck erschossen werden sollten. So etwa» — ist nicht einmal am 2«. Juni ISA auf dem «Fürst Potemkin" tn der geschichtlichen Wirklichkeit möglich gewesen. Aber die Bilder sind von unerhörter Pracht. DaS Gleiten der Segelschiffe bet Mondschein tn den Hase» ist ei» süßer Zauber. Der Rest von einer packenden Realistik. Künstlerisch ist der Film eine Großtat. Man kann nur sagen: Macht » nach! Seine propagandistische Wirkung aus unklare Gemüter unterschätze ich sicherlich nicht, nur meine ich, daß sie auf die sowieso schon Roten beschränkt ist. nt« und nimmer einen Schmarz-Wctß-Rotcn ober auch nur elneu «Der zeitigen" in seinen politischen Bann ziehen wird. Man geht hinaus, und die Welt ist noch so. Herr Schoke« legt die Ovrcn wieder an und macht nicht Revolution, sondern hat ganz andere Sorgen, denn ihm droht ja dort da» HtnauS- genwrfcnwerdcn aus der Kommunistischen Partei. Die anderen Besucher aber verteilen sich für den Rest de» Abend» an die üblichen BergnügungSstätten. ES werben keine Volk», reden auf offenen Plätzen gehalten, sondern man geh« zur Jazzmusik. In der AbmiralSdIelc gibt e» dazu große Moden- schau mit GratlSvcrtetlung von Schokolabetäfelchen durch eia ebenso braunes «Mädchen von Java", und da» Publikum be- kommt Stimmzettel, damit nach seinen Wünschen dte Prämi ierung der nettesten Mannequins erfolge. Eine dieser drei zehn Borfükirdamen, die un» vom Pyjama über Sportdreß »nd Pelz und Tccklctd bi» zum Nachthemd alles zeigen, steht offenbar lm Bunde mit der GeschäftSlettung deS Hause». S» ist eine große, füllige, mit dtchtgelocktem Bubenkopf. Wen» sie anftritt, spielt dte Musik jedeSmal einen lauten Tusch, der Kapellmeister erbebt sich und sagt .Ahl", und Mutter und Schwester und Tante und Freund ln der Loge klatschen wild Betfall. Aber das Publikum läßt sich nicht betören. Unter den dreizehn ist eine etnztae ganz mädchenhafte Erscheinung, schlicht gescheitelt mit Haarknoten tm Nacken. Die Herren Im Parkett werden gerührt werden begeistert, von Mal zu Mal wird der Jubel beim Erscheinen der kleinen Gtaßja stärker, dte biibenkövftaen Damen der Herren tm Parkett machen ent- geisterte Gesichter, werden schließlich grün und gelb vor Ent täuschung »nd Wut aber es hilft nickt»: mit riesiger Mehr heit wird diesem Mannequin der erste Preis, ein seidene» Nachmittagskleid, zncrkannt. Ich glaube, die Lehre ist dent- ilch. Man tanzt und man flirtet mit den GebobVten, sie hören deshalb auch nicht so bald ans aber man liebt und man heiratet, wenn Ne einem ln den Weg kommen, besinnung-loS mädchenhafte Mädchen, nickt Gar«;onneS. ES gibt Oberhaupt — sogar in der Großstadt — noch viel mehr «altmodische" Menschen selbst unter jungen Menschen, al- dte Modeläufer ahnen. ES gibt welche, dte nicht einmal daS EjchaiiSleben «nd daS SickbetäuVen tn schleckten Zeiten für notwendig halten. Wir kennen einen znrzeit wieder arbeitslosen Mechaniker, der auch nicht auf Gott und die Welt schimpft, obwohl eS Ihm wahrhastla elend genug geht. Sr dal eine noch iunge, aber von drr Mitte de» Körpers ab völlig gelähmte Frau, deren Beine so verkramvft sind, daß sie be. nnaunaSnnsähia ist und wie ein kleines Kind betreut werde« muß. Kein hartes oder liebelosc» Wort kommt an« dem Munde des Manne». Er ist nnermssblick auf der Suche nach kleinem Berdlenst, da» «Arbeiten und nickt verzweifeln!" iß sein Lebensinhalt, er hat gerade, da er ein geschickter Bastler ist, bet »ns einige Tage lang die elektrischen Leitungen repa riert, Stuhlbeine geleimt, Marmorvlatten gekittet, nene Küchcnkwckcr artischlert, nnd ist dabei, obwohl er sich persön lich nicht» aönnt, nicht raucht nnd nicht trinkt, doch fröhlich nnd guter Tinge und sagt ans Nebcrzengnng: «Et kann ja« ntch so dicke komm', wie wir et vabraaen kenn'!" Rumpelstilzchen. Versteigerung im Leihamle -er Sla-l Dres-en, Sauplskr. 3.1. «kt»,,», «IN IN. NI«I »onnNIaa, von w Uhr an: UN«-»«, ,«>«>«»»» UNll «»»»»»«>»>H». B«I>ch»qung von » d>» lo Uhr.