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Die Leipziger Tagung der Auslan-deutschen. Der Empfang im Raihaufe. Leipzig, den 20. August. Im Anschluß an die Dresdner Tagung begaben sich heute früh die Teilnehmer a» der Eurova-Tagung der deutschen Vereine und Verbände im Auslände nach Leipzig, wo sie mittags im Festsaale des Neuen Rathauses vom Rat der Stabt empfangen wurden. Oberbürgermeister Dr. Rothe sprach in seiner Begrüßung den Wunsch aus, die Besichtigung der Leipziger Messe möge den AuSlandbcutschen das Bewußt- sein mit auf den Weg geben, daß Deutschland mit Erfolg bestrebt ist, seine Stellung in der Welt wieder zu erobern, und daß es für den Auslandüeutschen lohnt, an seinem Deutschtum festzuhalten. Gouverneur a. D. Dr. Schnee be tonte, daß außer der Wirtschaft auch die geistige Bedeutung Leipzigs den Bund der AuSlandbcutschen veranlaßt habe, einen Teil seiner Europa-Tagung nach Leipzig zu verlegen. Die geistige Einwirkung durch das deutsche Buch hänge wesentlich mit der Tätigkeit der Verbände der Auslanddeut schen zusammen. Um diese Wirkung »och zu verstärken, sei es jedoch notwendig, alle die Bücher, die nicht nur von den Auslanddeutschen, sondern auch von den Ausländern gelesen werden sollen, in lateinischen Lettern zu drucken. Wenn sich der deutsche Buchhandel dazu entschließen würde, so würde das außerordentlich zur Verbreitung des deutschen Buches im Auslände beitragen. Der Redner schloß, es sei notwendig, daß das Auölanddeutschtum auch in der Heimat zu stärkerer Geltung komme. Bei der Arbeit -er Ausland- deutschen handle es sich um eine gemeinsame Sache des ganzen deutschen Volkes. Für den Auslan-sbund deutscher Frauen bezeichnete Gräfin Radoli» als Hauptzweck der Teilnahme des Bundes an der Europa-Tagung, die Frauen der Welt verbände enger zusammenzuschließen, um den deutschen Ge danken in -er Welt wach zu erhalten. Im Anschluß an den Empfang erfolgte eine Führung durch die Mustermesse der inneren Stadt. Oeffentliche Kundgebung. Am Nachmittag fand eine eindrucksvolle öffentliche Ver anstaltung mit verschiedenen bemerkenswerten Borträgen statt. Zu Beginn der Tagung begrüßte der Vorsitzende, Gouverneur Dr. Schnee, zunächst die Vertreter der Be hörden und gab dann folgendes. Telegramm -es Reichspräsidenten bekannt: „Den zur Europa-Tagung erschienenen Vertretern der deutschen Vereine und Verbände im Auslande danke ich für die Grüße, die ich herzlich erwidere. Daß die Zusammen kunft der Vertreter der Deutschen im Auslande mit der Leitung des Bundes der Auslanddeutschen das Band, das unsere Volksgenossen diesseits und jenseits der Grenzen vereint, stärken und festigen möge, ist mein herzlichster Wunsch." Als erster Redner sprach Neichstagsabgeordnetcr Dr. Theodor Heust über: „Wiederaufbau und Dun- -er Auslan-deulschen " Die organisatorische Zusammenfassung der Ausland deutschen, führte er ans, ist erst nach dem Kriege zur dring lichen Forderung geworden. Als sie sich, gleichviel wie ihre Wahlheimat hieß, nach dem Kriege sammelten, handelte es sich für sie darum, ein Instrument zu schaffen zur gemein samen Vertretung ihrer Rechtsansprüche und Wirtschasts- tnteressen, soweit Kriegöverlanf und Versailler Vertrag sie getroffen, sie vielfach vernichtet hat. Sie wissen alle, wir stehen erst vor dem Endkampf um eine erträgliche Regelung dieses Problems. Das deutsche Volk muß begreifen, baß es sich bei der K r i e g s s ch ä d e n f r a g c nicht lediglich um die Be friedigung privater Ansprüche handelt, sondern um eine volkswirtschaftliche Ge samtfrage. Heute ist, mögen wir noch so lebhafte Anhänger einer innerdeutschen Siedlnngspvlitik sein, die einfache Gegebenheit die Verflech tung des deutschen Wirtschaftslebens mit dein internationalen Markt. Wir brauche» fremden Rohstoff für unser eigenes Leben, brauchen ihn für den Veredelungsverkcßr. Wir müssen mit deutscher Arbeitsleistung aus den fremden Markt kommen, um deutschen Händen Arbeit zu schaffen. Diese Kernfrage aller deutschen Wirtschaftspolitik ist unter den Gesetzen des Dawes-Plans noch säst dringlicher geworden. In dem Ge danken dieser Entwicklung müssen wir die Arbeit der Aus landdeutschen sehen. Sie fühlen den Puls des fremden Wirt schaftslebens, aber sie sind gleichzeitig die Stelle, die aus der Heimat Empfänger sein soll der Berichte Uber technische und wirtschaftliche Leistungen, die auf dem deutschen Boden gewachsen sind. Es mag strittig sein, wie weit man den Aus- landdentschcn als Käufcrschicht siir deutsche Arbeit einschätzcn darf. Gewiß spielt in dieser Hinsicht das MengcnauSmaß keine entscheidende Nolle, doch ist cs propagandistisch bedeut sam. wenn der Deutsche draußen für beste deutsche Qualitäts--' arbett als Käufer und Werber in Frage kommt. DaS Schwergewicht liegt aber unzweifelhaft in der Funktion, dem deutschen Export zu dienen. In diesem Zusammenhänge erörterte der Redner alsdann die besonderen Aufgaben, die den Auölanbdcutschen im Dienste des Außenhandels zufallen. Er schloß mit dem Hinweis auf die Bedeutung, die der EntschädtgungSfrage in dieser Be ziehung für die deutsche Wirtschaft zukommt. Sodann erstattete Dr. Max Roscher, Schriftführer der Deutschen Weltwirtschaftlichen Gesellschaft, ein Referat über: Die Ergebnisse -er WeUwirlschaslskonferenz. Wenn man zu einem gerechten Urteil über die Ergebnisse der Genfer Weltwirtschaftskonfcrenz im Mai dieses Jahres gelangen will, legte der Vortragende dar. muß man sich die ungeheuren Schwierigkeiten vergegenwärtigen, mit denen sic zu kämpfen hatte. Starke Interessengegensätze, vielfach durch kurzsichtige, irrtümliche Einstellungen hervorgerusen. standen sich gegenüber. Zunächst handelt es sich um die verschieden artig gerichteten Interessen der einzelnen Länder, aus die diese sich in Verkennung der weltwirtschaftlichen Verflochten heit unter Hinweis auf ihre Souveränität beriefen. Trotz der ungeheuren Schwierigkeiten ist es schließlich gelungen, praktische Vorschläge und Empfehlungen abgeben zu lassen. Damit ist die Voraussetzung dafür geschaffen, daß dem heutigen unhaltbaren Zustande ein Ende gemacht wird. Damit würde sich auch für den deutschen Auslandskaus- mann ein reiches Feld der Betätigung eröffnen. Es ist aber auch Pflicht des deutschen Auslandskaufmanns, die öffentliche Meinung an seinem Teile dahingehend zu be einflussen, daß die Genfer Beschlüsse nicht auf dem Papier stehen bleiben, sondern auch wirklich durchgeführt werden. Ncgiernngsrat Dr. Mohr hielt einen Vortrag über: „Wie-erausbau in Ost- un- Sii-ostasten " Er führte u. a. aus: Wenn Deutschland in der Vorkriegs zeit in seinem Außenhandel mit an der Spitze der Nationen marschierte, so war das nicht zuletzt unseren Landsleuten im Auslände und ihrer großzügigen und weitverzweigten Wirt schaftsorganisation zu danken. Die Zerschlagung dieser Organisation war deshalb mit eines der wichtigsten Kriegs ziele der Alliierten. Dieses Ziel mußte erreichbar er scheinen angesichts der Tatsache, daß es England gelang, mit einer Ausnahme alle Staaten Ost- und Südostasiens zum Kriege gegen die Deutschen und deutsches Eigentum zu ver anlassen. Niedcrländisch-Jndien als holländische Kolonie war das einzige Gebiet im weiten Raume Ost- und Südostasiens, das mit dem Mutterlande neutral blieb und den Deutschen auch während des Krieges eine gastliche Stätte bot. Die Absichten unserer Gegner sind erfreulicherweise nicht in Erfüllung gegangen. Die alten Kulturvölker Ostasiens legten Wert daraus, mit dem Ende des Krieges ihre Be ziehungen zu Deutschland in frcuirdschastlicher Weise zu regeln. Japan, das das deutsche Eigentum liquidiert hatte, stellte de» Eigentümern etwa 70 Prozent der Liquidations- crlösc zur Verfügung und bereitete, von gewissen Zolldifse- renzen abgesehen, dem deutschen Iapanhandel auch ohne Handelsvertrag keine Hindernisse. China legte schon 1928 der Rückkehr der Deutschen keine Schwierigkeiten in den Weg, und das deutsch-chinesische Abkommen von 1821 gab der deutschen Betätigung eine neue rechtliche Grundlage. Von allen Ländern Ost- und Südasiens ist es nur die franzö sische Kolonie In doch! na, die bis auf den heutigen Tag, acht Jahre nach Friedensschluß, die Ausnahmebestim mungen gegen die Deutschen ausrechtcrhalten hat, und die nun durch den deutsch-französischen Handelsvertrag wohl fallen dürsten. Der Redner schilderte dann die Arbeit zum Wiederauf bau des deutschen Handels in Asien. Ueberall, führte er aus, hat der Wagemut, die Zähigkeit und Findigkeit des deutschen Kaufmanns, des deutschen Ingenieurs, des deut schen Industriellen trotz aller Schikanen die Schwierigkeiten gemeistert, neue Wege für seine Betätigung gesunden und für den Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft in Ost- und Süd- vstasicn ein solides Fundament geschaffen. Ueberall zeigen sich erfreuliche Anfänge, die aber nicht den übertriebenen Optimismus rechtfertigen, mit dem man in Deutschland, vor allem in deutschen Jndustriekreisen, nach Ost- und Südost- asien blickt. Nur in zäher, fach- und landeskundiger Arbeit läßt sich bei der scharfen Konkurrenz und den nationalistischen Strömungen, die dort fast überall auch in der Wirtschaft zu tage treten, der deutsche Antoil an dem Handel dieser Länder ausdehnen, und auch nur dann, wenn alle in Betracht kom menden deutschen Wirtschaftskrcise verständnisvoll zusammen- arbeiten, um die gute deutsche Qualitätsware überall kon kurrenzfähig zu machen uird zu halten, und wenn dem deut- scheu Kaufmann durch ciuc großzügige, von großen wirt- schaftspvlitischen Gesichtspunkten getragene Schlußcntschädi- gung weitere Mittel zugcführt werden, die ihm den Wieder aufbau im Sinne der Vorkriegszeit gestatten. Fr«« Oberstudiendirektori« Dr. Matz. M. d. R., sprach über: „Die -eulsche Frau als Mittlerin im Leben -er Völker." Durch die Kraft der Einfühlung, so führte die Refercntin unter anderem aus, ist die Frau besonder- zur Mittlerin im Leben der Völker berufen. Dies gilt sowohl für das Aus landdeutschtum gegenüber den Völkern des Gastlandes, als auch in der politischen Wiedereinrethung Deutschlands in den Kreis der Völker. Schon lange vor dem Kriege haben inter- nationale Vereinbarungen der Frauen unter voller Wahrung der nationalen Belange des einzelnen Volkes eine solche Ver mittlung anzubahnen versucht. Der Völkerbund, der in seiner Idee einer solchen Verständigung der Völker untereinander die Stätte bereiten will, hat dieses Ziel bisher nicht erreicht. Gegenüber Befürchtungen, die deutsche Frau könne in der Mittlerrolle zwischen deutschem und fremdem Volkstum an die Stelle der nationalen Idee ihres Volkes den weiten unpersönlichen Begriff der Menschheit setzen und hemmungs los in ein seichtes Weltbürgertum hinüberglcitcn, ist zu betonen, daß diese Befürchtungen für die große Mehrheit der deutschen Frauen nicht gerechtfertigt sind. Für die Mitt- lerausgabe der Frage ist nötig eine Erziehung zu politischem Denken, die Weckung des Verständnisses nicht nur für das Volkstum und die Eigenart, sondern auch die politische Ent- Wicklung und die wirtschaftlichen Verhältnisse anderer Völker, daneben auch für die Aufgaben, die sich für Deutschland als das Herz Europas aus seiner geographischen Lage und seinem geschichtlichen Werdegang ergeben. Weiterhin sprachen noch Frau Margarete Crona«, Reu- york, über: „Die Amerikaner deutscher Abkunft und das Kulturprvblem" und Dr. Heinz Orlovius von der Deutschen Lufthansa über das Thema: „Luftverkehr und Auslanddcutsch- tum." Er führte aus, baß in dem Flugzeug ein nicht zu unterschätzendes Bindeglied zwischen der Heimat und dem Auslanddeutschtum entstanden sei. Das Sandelsflugzcug diene als Pionier zur. Ehre des deutschen Ansehens in der Welt. Nach Gesangsvorträgen des Neuen Leipziger Männcr- chors und dem Gesang des Deutschlandliedes fand die ein drucksvolle Feier ihren Abschluß. Empfang beim Leipziger Meffeami. Am Abend waren die Teilnehmer an der Europatagung Gäste des Leipziger Messeamtes im Kristallpalast. Der Vorstand des Messeamtes, Dr. Raimund Köhler, wies in seiner Begrüßungsrede daraus hin, daß von dem Haupt problem, mit dem sich der wirtschaftlich eingestellte Bund der Auslanddeutschen beschäftigt, nämlich der Aufwertung der Entschädigung für die beschlagnahmten Aus land s v c r m ö g e n , die gesamte deutsche Volkswirtschaft berührt werde. Wenn der Auslanddeutsche wirtschaftlich un günstig gestellt sei, so leide darunter naturnotwendig der deutsche Export, da der Auslanddeutsche ein Vermittler zwischen de» Volkswirtschaften der Heimat und seines Aufent haltsstaats sei, und vorzugsweise aus Deutschland seine Ware zu beziehen pflege. Der Redner gab der Erwartung Ausdruck, daß die Arbeit des Bundes, mit der die der Leipziger Messe vielfach verbunden sei, zur wirtschaftlichen Wiederaufrichtung Deutschlands beitragen möge. — Gefängnis für Urkundenfälschung und Betrug. Wegen Unterschlagung, Urkundenfälschung und Betrug wurden vom Amtsgericht Dresden der ehemalige Gefangen-Oberwacht- meister Karl Otto Fischer und der kaufmännische Vertreter Hans Otto G ünze l. die Bestellscheine gefälscht, eine Muster kollektion ihrer Firma verpfändet und Aufträge fingiert haben, beide zu Gefängnis, Fischer zu zwei Monaten und Günzel zu drei Monaten unter Anrechnung von sechs Wochen Untersuchungshaft, verurteilt. I'iseßigscssc-Ks Daunendecken Settwäsciis Müller L O. W. T'kiel SW. SS, Lcice dlorcrinrlc^sle. stand solcher Ehrung, die ungemein feierlich wirkte und tiefen Einblick in die Seelen ihrer Urheber gewährte. -f Ein modernes indisches Drama. Die indische Dichterin Swarna Kumari Dem, die Schwester Nabindranath Tagores, hat ein modernes RUHnenwerk beendet, das demnächst auch in deutscher Sprache erscheinen soll. Es ist der Schauspielerin Eva Hofmann als Dank für ihre Darstellung der weiblichen Hauptrolle in Tagores „König der dunklen Kammer" ge widmet. -f Jubiläum einer Dresdner Ruchhandlung. Man schreibt «ns: Am 1. September 1902, also vor 25 Jahren, wurde die Firma P. Dienemann — bis dahin Buch- und Musikalienhandlung — von Ernst Ncchenbcrger übernommen, im Handelsregister eingetragen als P. Dicnemann Nachfolger, Buch-, Kunst- und Musikalienhandlung. Der Untertitel änderte sich bald nach der Nebernahmc in: Buchhandlung und Antiquariat. Diese Verbindung ist in Dresden verhältnismässig selten. ES ist nicht leicht, beiden Seiten gerecht zu werden. Die antiquarische Arbeit liegt mehr hinter der Front, das Schaufenster ist doch zunächst für das Sortiment -er Neuerscheinungen Vorbehalten, wenn man auch gerade bei Ttencmanns Schaufenster an der schönen BerkchrSlage der Johannstrahe oft genug reich auSgestattete und gut angeordnete Antiquariats-AuSlagen vor sich hat. Ich darf mir da wohl ein Urteil erlauben, da ich die Firma schon geraume Zeit kenne. Sie ist als Sortiment innerhalb des im Stabtinncrn ziemlich gehäuften Kreises der Kollegen so vielseitig und lebendig, wie es dieser schwere und geistige Berus verlangt, wenn man mit an der Spitze marschieren will. Und sie hat im Antiquariat — für dessen allgemeine Bedeutung der gleichzeitig erschienene 2. Antiquariat». Katalog „Geschichte und Geographie", der etwa 1208 schöne und seltene Werke umfassi. ein vollgültiges Muster ist — einen geschickten Blick, der Spreu und Welzen. Makulatur und Dauerwerte wohl zu scheiben weih. Trotz der Nolzclt der letzten Jahre, die leider immer noch nicht überwunden ist, hat die Firma ihre Stellung behalten, reicht war e« zweifellos nicht. Doch der Sinn und daS Gefühl für den selbststeigernden Wert, der in sedem kaufmännischen Unter nehmer leben muh, lebt in diesem „BtldnngSsaktor". dem man nur weitere Wirkung und immer ansteigende Erfolge wünschen wirk Dr. Gg. Müller. Dir. d. Stadtbibliothek. Münchener Bilderbogen. Neuschnee. — Der Schneider des Königs. — Kunstbilanz. — Ein Dachauer Gcschichtchcn. In Tirol hat es b!S zur Waldgrenze herunter geschneit. Nachdem die Somincrfrischlingc acht Tage lang gefroren und auf wärmeres Wetter gehofft haben, streichen sie die Segel «nb geben nach. Der große Rückstrom beginnt cinzusetzen. In den bayrischen Bergen ist eS zwar nicht ganz unfreundlich, doch sicht man den Neuschnee und spürt auch tn München die kalte Luft aufs unangenehmste. Tie dicken Mäntel werden herausgesucht und die Rintcrkohlen vorsorglich schon jetzt be stellt — getreu dem melancholischen Münchener Sprichwort: „Der April ist vorbei — jetzt kommt der Winter!" Nord deutsche, die noch vor kurzem die neucrstandene Lederhose und den blauen Letnenjanksr stolz zur Schau trugen und sich schon völlig akklimatisiert fühlten, verzichten auf alle Schnei- und kramen das Lodengewand aus dem Koffer, sofern sie nicht frierend durch die LuÄwigstraße schlottern wollen. Außer ein paar Juliwochen war es also Heuer wieder einmal nichts mit dem warmen Sommer. Trotzdem scheint es, als ob München mit der zn Ende gehenden Freindenzeit zufrieden sein könnte. Die leidige Politik, die dem Rirf der Stadt nicht immer vorteilhaft war, hat sich aus den Gemütern verzogen, die Leidenschaften be ruhigen sich. DaS Ausland steht unter der mehr oder weniger aufgeregten Decke doch wieder den kulturellen Kern. Es soll bei den Festspielen, tm Prinzregentcn-Thcater Vorstellungen gegeben haben, tn denen die Hälfte der Zuschauer Amerikaner waren. Münchens Wagner-Vergangenheit umgibt die Stadt besonders für die Angelsachsen mit einem Heiligenschein, zumal gerade dieser Geschichtsabschnitt von sener Sentimen talität umwittert ist, die ans die angelsächsische Welt so unfehl bar wirkt. Es gibt in München einen Verein zum Gedächtnis Ludwigs II., der Mitglieder des englischen Hochadels zu seinen tätigsten Gönnern zählt, »nd die Pracht -er Königsschlösser wirkt selbst auf Amerika imponierend. Der romantische König bleibt anch für den Nankee „isiis vor.v, vorx sntorarsiing man", dessen Spuren man mit Andacht folgen muß. Durch Zufall Hab' Ich neulich jemanden kennengelcrnt, auf den sich die Amerikaner vermutlich stürzen würden: den Schneider Lud- wigs II. Ein alter Mann, der seinerzeit bei einer großen Münchener Firma arbeitete und von der Garderobe des Königs manches zu erzählen weiß. Seine Wintermäntel waren aus schwerem schwarzen Tuch, natürlich ganz ans Seide gearbeitet — und es wird Kenner dieser seltsamen Psyche, die immer zwischen Genialität und Kitsch schwankte, nicht wun dern, daß im Fntter der Mäntel Szenen anS Wagners Werken abgesteppt waren. Zum Beispiel Lohengrin mit dem Schwanenboot. Mit Watte unterlegt und dann abgesteppt. DaS Gewicht soll recht erheblich gewesen sein. Es war damals auch Mode, die Beinkleider so lang wie möglich zu tragen. Der König übertrieb daS nnd machte zur Bedingung, daß seine Hiscn so lang gemacht wurden, baß er mit den Stiefel- absätzen stets auf den Stoff trat,- die Folge davon war natür- lich, dnst das Beinkleid an dieser Stelle abends regelmäßig ein Loch hatte, und deshalb mußte immer ein Schneider zur Hand sein, der de» Schaden über Nacht behob. Die Festspiele gehen zu Ende: die Generalintendanz hat sich dahin geäußert, daß der Erfolg der Vorkriegszeit fast wieder erreicht und daß man recht zufrieden sei. Noch etwas anderes geht mit dem scheidenden Sommer zu Ende: die Kunstdiktatur Behns im Glaspalast. Der unvermeidliche Krach, der sich mit Gewißheit voraussehen ließ, ist pünktlich eingetreten, und nur dadurch, daß sich das Kultusministerium ins Mittel legte, ist zuguterletzt ein Monstreprozetz vermieden worden. Es gibt wohl nirgends auf der Welt Kreise, in denen mehr intrigiert wird, als in Musiker- und Maler kreisen, deshalb war dieser Ausgang der Diktatur unzweifel haft. Aber man mag sich zu der von Behn geleisteten Arbeit stellen wie man will — es läßt sich nicht bestreiten, daß er in das Münchener Ausstellungswescn einen neuen und frischen Ton gebracht hat, und das allein sollte genügen, ihn vor über triebenen Angriffen zu schützen. Denn das Ziel ist erreicht: es rührt sich wieder etwas, und man hat eingeschen, baß es mit dem friedlichen Dahinbösen endgültig vorbei sein muh. Der Durchschnittsmünchencr freilich kümmert sich um alle diese Dinge wenig, obgleich sie für ihn wichtiger sind, als er ahnt. Die Münchener Kunst ist ja stets von anderen gemacht worden, aber die Stadt selbst, ihr Leben und der Ton, auf den dieses Leben gestimmt ist, bildet die Vorbedingung für die Kunst: man hat dieses uttsiegrcifbarc Etwas einmal sehr treffend mit dem Myzelium verglichen, bas da sein muß, damit die „Schwammerln" herauswachsen. Es ist die humorigc, seclenrnhigc und keineswegs unwitzige Gemüts verfassung — neben der Landschaft —, die den Untergrund gibt und die sich gelegentlich herrlich offenbart. Im Zuge nach Dachau fuhr ich neulich mit zwei „Oekonomen" jener Sorte, wie sie Ludwig Thoma in seinem Schwank „Erster Klasse" so prachtvoll gezeichnet hat, und dabei erbeutete ich die folgende Geschichte, die ich, ins Hochdeutsche übersetzt, wieder gebe: „Kannst eS glauben, Girgl," sagt -er eine Bauer zum andern, „die Wciberlcut, die wo runde Knie haben, das sind die Engcrl. Aber die, wo spitze Knie haben, find die richtigen Teufel." - „Ah, geh „Gwiß lö' wahr! Brauchst dir nur amal deiner Frau ihre Knie anschaun." Gut, der Bauer kommt heim und sagt zu seiner Ehehälfte, sie solle thm ihre Knie zeigen. Es geschieht. Der Bauer betrachtet ste nach denklich und sagt schließlich: „Woaßt was, Resl? Du bist koa Engerl, ««d du bist koa Deist — du bist a Drecksaut*