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Sonntag. IS. März 1S2S — «Dresdner Nachrichten* — Nr. 133 Selten fressen, was wir vvrgesetzt kriegen; und müssen zahlen, löas ganze Geheimnis der roten Erfolge des letzten Jahres be^ rnht darauf, bah ein großer Teil des durch Steuern uns alle» erpreßten Geldes dazu benutzt ivird, die sozialistische Agitation zu bezahlen und immer mehr Genossen, auch wenn sie nichts vom Fach verstehen. Überall aus die fettesten Posten zu setzen. In anderen parlamentarisch regierten Ländern ist es ja auch wohl so; nur wir waren früher das nicht gewohnt! was wir, wen» es aus Frankreich oder den Bereinigten. Staaten vvir Nordamerika uns gemeldet wurde, Korruption^ zu nennen pslegte». Das Gros der Bevölkerung in diesen Staaten, auch bei unS, läßt alles stumpf liber sich ergehen,' statt einmal bei Neuwahlen endgültig mit allem Unrat auf- l zuränmen. A» dieser Gleichgültigkeit und Verdummung ist zum wesentliche» Teile die bürgerlich-internationalistische Demokratenpreise schuld, die mit ihrem „Lächle. Berliners", mit ihrem Wettbewerb für den am freundlichsten ins Leben! blickende» Großstädter und ähnlichen Kinkerlitzchen den, kleinen Mann davon abhält, sich um das versinkende Volk, und Vaterland zu kümmern. So etwas verschlingt der Kle.'ii- bürger in der Werkstatt, das Ladenfräulein in der Verkaufs- panse, der Kutscher ans dem Bock. Die sind gar nicht alle, rvt oder rötlich gefärbt. Die wären unter einer anderen. Obrigkeit und einer anderen Presse ganz anders, aber sie wissen es nicht besser, denn in der Hetze der ErwcrbSarbetU kommt die Besinnung an sie nicht heran. Allensalls uns«r«' „letzte» Mohikaner", die Lenker der allmählich ausstcrbcndeNi Pferdedrvschken, haben jetzt die Zeit dazu. Einst waren das Grobiane,' sie konnten weidlicher schimpfen als Marktweiber» wenn sie ans ihren Holzklötzen am Stand einherstampften. Heute sind sie still, sehr still gewvrden. fast melancholisch, denn es gibt nur noch selten eine Fuhre, wenn ein Sonderlingl- sich naht oder eine alte Tante ans der Provinz, die vor den Autos noch Angst hat. Es gibt auch keine jungen, Kutscher mehr,- säst nur noch eisgraue. Es ist.eine ehrenfeste' Innung, ans deren Biederkeit man sich fast durchweg ver- lassen kann. Neulich vergißt eine Berliner Aerztin, die im Umznge begriffen ist und in einer Pfcrdedroschkc langsam" dem Möbelwagen folgt, in der Droschke eine Kassette, in der sich außer dein Mietskontrakt, der Approbation, dem Prüflings,zengnissen, den Versicherungspolicen und sämtlichen sonstigen wichtigen Papieren auch rund 700 Mark Bargeld befinden, die für die erste Miete bestimmt sind. Welche Nummer die Droschke hatte? Keine Ahnung. Wie der Kutscher anssah? Keine Ahnung. Von welchem Stand er ge holt war? Keine Ahnung,' irgendwo von unterwegs. Da ist guter Rat teuer. Die einen sagen: in den Ranch schreibend Die anderen sagen: dem heiligen Antonius ein Licht ge loben, dem Schutzpatron der ehrlichen Minder! Aber siche da, am nächsten Tage meldet die Polizei, die Kassette sei von. dem Kutscher im Fundbüro abgegeben. Ausländer staimen. Bauklötze. Das ehrliche Berlin erstrahlt. Es gibt viele liebe besinnliche Leute unter unseren alten" Nosselcnkern. Leute von Manieren. Neulich verfrachtet ein Berliner seine greise Schwiegermutter in solch ei» Gefährt, gibt dem Kutscher nachher ein Trinkgeld und sagt: „Da, mein, Sohn!" Der dankt, bemerkt nur, daß er als Sohn wohl, schon zu alt wäre, und fügt dann freundlich hinzu: „Aber et sollte mir sehr angenehm sind!" Rumpelstilzchen. Berliner Allerlei. Am Vorfrühling. — Da- Ende der Vollsaison. — Die lluahelineaerin in Steglitz. — Kür proletarische Angend» Heime. — Unruh und Jeßner. — Sin aufrichtiger sozialistischer Kritiker. — „Lüchte, Berliner!" — Die letzten Pserdedroschken» kutfcher. Ein neuer Kältceinbruch hat uns wieder begreiflich ge-, macht, daß der Müggelsee nicht der Gardasee ist, aber davor hat es schon einen herrlichen Vorfrühling'gegeben. Der hat die Ballsaison auf einmal weggewischt. Wenn man sich auf Souutag früh zu einem Ausflug verabredet, verbringt man die Nacht znm Sonntag nicht im Tanzsaal. Am Sonnabend voriger Woche hat es nur noch ein Kostümfest von großer Aufmachung in ganz Berlin gegeben, aber das war schon ganz schwach besucht. Der Faserschurz der Hawai-Mädchen, eine der beliebtesten Trachten dieses Festjahreö, ist schon ganz ansgefranst und dünn, das Temperament weicht auch der seligen Frtthlingsmüdigkeit, und wenn auch irgendein Mädel, das eine Wilde von den Südses-Jnseln markiert, uns sagt: „Die Neger tanze» immer mit den Nasenlöchern!" und das nachzumachen versucht, so täuscht alles das doch nicht mehr über Winters Abschied hinweg. Die Lichtungen im Berliner Tiergarten zeigen einen grünen Schimmer: das Gläschen sprießt. Am vorigen Sonntag setzte mit Macht -er Auoslngsverkehr ei»: auch im Freibad Wannsee, das »ach vollendetem Ausbau in diesem Gommer gleichzeitig 100 000 Besucher aufnehmen kann, sonnten sich die ersten Gäste am Strande. Es war so wohlig und warm. Und in Bcelitzhos saß ein Fecht- und Pennbruder blinzelnd auf einem Prell- stein, rauchte die ausgelesencu Zigarrenstummel sorglich zu Ende, nahm in Gnaden eine kleine ganze Zigarre von mir an und schnurrte behaglich. „Heute ruh ick mir mal aus, heute dhu ick mal jarnischt: ick dhu ja wochentags ovch »ischt, aba heute nehm ick mir »ich mal wat vor!" Mau läßt sich das Fell bcscheinen. Man taut auf, man lebt auf, der Winterdunst verfliegt, die Wanderlust erwacht. In der Großstadt und um die Großstadt kommt alles wieder in Bewegung, mehr den» je kläffen beim Bauern die Hunde, denn die Kunden der Landstraße sind wieder auf der Walze und brandschatzen die Gutmütigen. In Berlin selbst macht jedermann, der noch eins hat, sein Gaststübchcn zurecht, denn die Verwandten ans aller Welt kriegen cs mit dem Reise fieber und wollen sich wieder einmal in der Hauptstadt „bilden". Manchmal gibt es da auch ganz unerwarteten Besuch. Draußen in Steglitz wohnt der alte Afrikaner v. St. Panl-Illaire, der sich jetzt schon seinem 70. Lebensjahr nähert, in sehr bescheidenen Verhältnissen. Er hat, wie alle ehedem vermögenden Kolonial- und Ausländsdeutschen, fast alles verloren: daß einer von ihnen, dem Verhungern nahe und des ewigen Aniichambrierens im Reichscntschädigungs- amt satt, neulich mit Pistole und Pulverkiste dort den letzten verzweifelten Schritt unternahm, ist gar nicht so verwunder lich. Man schickt die armen Leute von Pontius zu Pilatus, bald sind die Akten in der Hedemannstraße, bald in Berlin- Schöneberg, bald in Breslau, die Bürokratie weiß selber nicht mehr aus noch ein. Herr v. St. Panl-Illaire gehört nicht z» denen, die verzweifelt hadern, er lebt still in mannhafter Beschränkung dahin: kann sich natürlich nichts Besonderes leisten. Da klingelt es dieser Tage an der Tür, herein kommt eine rcinblütig kaffeebraune, Suaheli-Negerin, breitet die Arme aus und sagt: „Vater, lieber Vater, hier bin ich. Deine älteste Tochter!" Auch ihr hat es der Frühling an getan. Verdutzt mustert der alte Herr die Negerin, eine gut anSsehende kräftige Person von etwa vierzig Jahren, die geläufig Deutsch spricht. Nichtig, richtig: die hat er mal, als sie noch ein Säugling war, als junger empfindsamer Deutscher gerettet. Es waren damals noch etwas unkulti vierte Zetten in Dcutschvstafrika. Die Eltern des kleinen Negcrkindes waren gestorben, da sei cS das beste, meinte die Durfgonejpschast, wenn man das Kind auch totschlüge. Herr v. St. Panl-Illaire machte aber hundert Rupien locker, gab die Kleine ln Pflege, später wurde sie bei dem österreichischen Konsul in Daressalam grvßgezogen, kam nach Europa, war in verschiedenen Familien in Oesterreich und Deutschland Haushälterin. Zurzeit ist sie stellenlos, hat aber noch ein paar Spargroschen, lauste sich auch gleich am ersten Tage in Berlin ein Buch über den Kaiser und Bismarck, daS sie in einer Auslage gesehen hatte und das sie interessierte. Aber ein Unterkommen, selbstverständlich, suchte sie bet ihrem „Vater". Dessen Untermieter — er lebt zum Teil vom Ab- gcbcn von Zimmern — wundern sich. Da sagt sie: „Ihr Deutschen seid komisch, ihr habt mich doch lvsgekaust und erzogen, ich habe doch immer an euch festgehalten, da müßt ihr mich doch durchbrtngenl" Sie glaubt felsenfest an deutsche Treue. Nun macht sie sich ein Lager im Korridor zurecht, nimmt mit der Grandezza tkiner alten Frepndin deS Hauses den Unterhalt entgegen und wartet darauf, daß sie von hier aus eine neue Stellung alS Hanshülterln bekommt. Sie sieht nicht aus wie eine alte Negerin, man gibt jhr höchstens dreißig Jahre, österreichische und deutsche Küche kann sie nnd sagt gläubig und zuversichtlich: „Na also!" Die Unrast des Frühlings packt vor allem unsere Jugend. Sie hat nicht viel Geld, aber ei» frohes Herz und teicksten Sinn: Staat und Gemeinde und — Parteien nehmen sich ihrer an.- was sie zu Wanderleben und Unterhaltung braircht, wird ihr verbilligt, kurz, sie merkt noch nicht allzuviel von der allgemeinen deutsche» SLvt. Am wenigsten vielleicht merkt sie es, wie man sie als Werkzeug der Parteipolilik benutzt. „Frei Heil!" Nicht wahr, das klingt als Gruß der Jugend bewegung nicht übel? Daß es auch der Schlachtruf des soziali stischen Reichsbanners Schwarzrvtgvld ist, das schiert die Jugendgruppe» des Zentralverbandes der Angestellte» wenig. Und wenn sie zu Pfingsten den „Reichsjugendtag" in Frank furt a. M. abhalten und „Staatsminister Severing" ihnen dabei die Festrede hält, ihnen sagt, wie man „seine soziale und wirtschaftliche Lage verbessern" könne, so freuen sie sich natürlich und sehen den Pferdefuß nicht. Es ist außerordent lich, wie die Sozialdemokratie es versteht, für diese ihre Parteizwecke Gelder der Steuerzahler heranzuziehen. Im Bezirk Berlin-Krcuzbcrg solle» 8000 Mark monatlich in den Etat „zur Unterstützung jugendlicher Arbeitsloser" eingestellt werde». Ei» deutschnationalcr Bczirksvervrdneter fragt an, wieviel jugendliche Arbeitslose man denn habe. Man hat — keinen einzigen! Trotzdem bewilligt die rote Mehrheit aus den Tasche» aller Parteien, vornehmlich des bürgerlichen Mittelstandes, die annähernd 100 000 Mark für das Jahr. Dafür werden proletarisch-sozialistische Jugendheime unter halten! Genau so geht cs den Erwachsenen, die die StaatSthcater unterhalte» müssen, über zwölf Millionen Mark für den Umbau der Staatsvpcr hergebe», dafür aber sozialistische Propaganda-Institute erhalten, nicht Bildungsstätten reiner Kunst. Ueberall im Reiche ist es darin besser bestellt als in Berlin. Wenn wir jetzt Kleinstadtbcsnch oder Besuch vom Lande bekommen, »nd wen» die Gäste dann etwas sehen möchten, so kann ich ihnen das Wellenbad oder das Planetarium empfehlen, aber kaum ein Theater. Im Staat lichen Schanspielhanse ivird jetzt sogar der seit lOlO „republi kanische" Dichter v. Unruh, der jetzt nur noch Kleists Unruhe hat, ins Asthmatische zerhackt, aber nicht Kleists grandiosen Schwung, bis zur Unkenntlichkeit abgeschlissen. Man hat in einer Ncueinstndicrnng seinen „Prinz Louis Ferdinand" gegeben. DaS Stück stammt noch von 1018, noch ans der Zeit, wo Unruh aktiver Offizier war »nd seine Kaste noch nicht verloren hatte: und wo er vielleicht noch mehr Dichter war — seine Begabung kann ja niemand leugnen — als heute. Auch heute ist er ja noch nicht, trotz allem aufopfernden Be mühen, ein „Republikaner" im Sinne der Partcispicßer, weil er immer »och zn sehr Dichter ist. In seinem Prinzen Louis Ferdinand aber gnillt der alte preußische Idealismus noch rein und voll, nnd der darf natürlich nicht zu Wort kommen. „Unser König ist nicht schuld", „Er ist ein blutcchter Hohcn- zoller", „Ein Heer, das nur nach Ehre und edlem Ruhme strebt", — alle solche Stellen hat der sozialdemokratische Intendant Jeßncr gestrichen. Das ist so arg und so unkünstlerisch parteipolitisch, daß es sogar dem Kritiker des „Vorwärts" - Abends, dem Genossen Hochövrf, wider den Strich geht. Er schreibt: „Jeßner will den Ton bis zur Nüchternheit dämpfen, von allem soll das HeldenpathvS abgeschabt werden. Man soll selbst beim Kasinvmahl oder beim Kronrat nur Kon versation machen. Höchstens, daß ein wenig karikiert wird, etwa beim Wettrennen der Pagen, die für einen höfischen Gast Spalier bilden. Sinnfällige Einschnitte, Höhepunkte und Pausen deS Geschehens, alles daS will der Regisseur ver wische». Diese Art Regie, die auch den Nest des Heroentitms ans dem Drama hcrauslaugt, entsprang eher einer witzigen Idee als einer sachlichen Notwendigkeit. Der Prinz Louis Ferdinand soll dann innerhalp ,dieser höfischen Bonrgevifie ein hamletisch angekränkelter ' Arsthet sein, der seine temperamentvolle Wut ans Napoleon mit dem Tode bezahlt. Derartig geht in der Jcßnerschen Inszenierung das drama tische Rechenerempel ans,- dies« Interpretation stimmt aber nicht zu den Absichten des Dramatikers." Vernichtender ist Jeßner auch von keinem bürgerlichen Kritiker bisher beurteilt worden. Tut nichts. Er ist ein geschriebenes Mitglied der Sozialdemokratischen Partei, folg lich bleibt er Intendant deS Staatsthcatcrs. Wir müssen LnlLÜckenrle weueiNAänSe in lanrmleclern, Corseiets, Nütttormern, Sportgürteln, Summt» sckiliipkern, vüstenlialtern jeäec Preislage, elegante Vanienunter-, lckeiclung versclnecienec Alisführiinx, desonclers preiswert empfiehlt cias allseitig bewährte, Dresdens älteste unci gröüte LorsettsporrLlllLL» Am Lottmmi», Velletreü« Lok» 8ehsltsls1r»ke. § MiMMeil M 8MM Vor Einkauf eines Okens empfehle ick sie kesicktigung meiner Ausstellung 7R.2S40I Dresden,l'öpkertzlr. 9/15 7»I.2b4i!I I^S muk «lock einmal k^ükling werden! Vas Ist clle eine Oewilikeit, unci sie anclere ist ciie: Ik»- svkrrt «ln vssctr-ttut »etr», wenn Sie unsere Ausstellung gesehen Kaden. Vas Schönste, was ciie tViocle bringt: wir reizen es lknen in unerschöpflicher Auswahl — Auk Eilcideispieie verrichten wir. clenn sie können Ihnen nicht entkernt sie Schönheiten unserer /Kocleile, sie Soliciitat unserer Arbeit reigen. KVir lasen Sie viel mehr ein. bei uns in aller Kühe bei aufmerksamer Ueciienung «len klut ru wählen, cier ciie Keire ihrer Persönlichkeit am besten rur Leitung dringt. 6t Oo», nur 1okani15lr. l)3S vamenkuNiaus größten 5tils. '' — geüttnst KUlvkk xonvnc LolMIKS. v.is.u6kr W. attociil-mEdiziulr reinigt IMI> Kleiösr ilIllllllllllllillilliiilillllllllllllililil'GeschmachvoNe,Ittlllltlllttllil« «SefGüftSdruekfaeyen - Travliiiche Kunstanstali - Liepsch L Reichardt Dresden-A.. Martenitrabe «ncr Fernruf» Sammelnummer rrrsi in ein- und inetirtarblaer Aus« fütirun». schnell »nd preiswert. Man verlange den Besuch unsere» technischen Vertreters vesscßii, spsrini u. sppketisrt SsrAInvn imä Stores