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VoiglliinWtr Anzeiger. Amtsblatt für das Königliche Bezirksgericht zu Plauen, sowie für die Königlichen Gerichtsämter und Stadträthe zu Plaue», Pausa, Elsterberg, Schöneck und Mühltroff. ZmemnNebelizigsler Jahrgang. Verantwortliche Redaction, Druck und Verlag von Moritz Wieprecht in Plauen. Dieses Blatt erscheint wöchentlich dreimal, nnd zwar Dienstags, Donnerstags und Sonnabends. Jährlicher AbonnementSprei-, welcher prämuv«r»»äo zu entricht« ist, auch bei Beziehung durch die Post, I Thlr. 10 Ngr. — Annoncen, die dis Bormittag« 11 Uhr eingehen, werden in die TagS Darauf erscheinende Nummer ausgenommen, später eingehende Annoncen finden in der nächstfolgenden Nummer Ausnahme. — Inserate werden mit 1 Ngr. für die gespaltene TorpuS-Zeile berechnet. Einzeilige mit 2 Ngr.— Für die auswärtigen Königl. GerichtSämler und Stadträthe, für welche der Boigtländifche Anzeiger Amtsblatt ist, bestehen die Geschäftsstelle» in Pausa bei Herrn Bürgermeister Leh mann, in Elsterberg bei Herrn C. A. Diezel, in Schöneck bei Herrn Eduard Meyer, in Mühltroff bei Herrn Chausseegelder-Einnehmer Holzmüller. Dienstag. 1OO. 27. August I8SI. Wie der Zeiger an der Schwarzwälder oder Carlsfelder Wanduhr niemals stille steht, sondern unaufhörlich vorrückt, wenn man dies Vorrücken auch nicht jeden Augenblick wahrnimmt, und es nicht jede Viertelstunde schlägt, so ist auch in der Weltuhr, in der Entwickelung der Geschicke und Bestrebungen der Völker und Staaten keine Rast und kein wirklicher Stillstand, sondern ein ununter brochenes Vorrücken, wenn gleich die Zeitungen leer sind, und es nicht täglich Schlachten, Revolutionen, Annexionen rc. setzt. Freilich muß der denkende Mensch Acht haben und aufpaffen auf die Zukunftssaaten, die da oder dort gestreut werden und aufgehen und oft lange wachsen, ehe sie als reife Früchte der Sichel anheimfallen; auf die Anfänge, aus denen zuweilen, trotz ihrer Unscheinlichkeit, große Ereignisse sich entwickeln, sonst kommen ihm die Abschlüsse solcher Ent wickelungen eben so unerwartet und überraschend, wie dem Eifrig- und Viel beschäftigten das Mittag- und Abendläuten. Manchmal freilich werden auch die sorgfältigsten Beobachter und Kenner ihrer Zeit und ihrer Erscheinungen, sogar die gewiegtesten Staatsmänner von Zeitereignissen überrumpelt, die wie Blitze aus heiterem Himmel fahren und alle Beobachtung und Berechnung zu Schanden machen, wie wir es ja erlebt haben. Gegenwärtig sind es drei Länder, welche die Aufmerksamkeit und das In teresse aller derer in Anspruch nehmen, denen der Lauf der Welthändel an sich oder in Bezug auf den eigenen Nutzen und Schaden nicht gleichgiltig ist. In erster Linie steht Ungarn in engster Verbindung mit Polen. Die Zustände dort, während das rege Volksleben in Deutschland seine schönen Sänger- und Turnfeste feierte, sind zu einem entscheidenden Wendepunkt gelangt. Es handelt sich bei der ungarischen Frage nicht blos um Ungarn und Oesterreich, auch nicht allein um Oesterreich und Deutschland in ihrem gegenseitigen Verhältnisse zu einander; sondern wenn man sieht, wie fieberhaft das polnische Volk nicht nur in Congreßpolen, sondern selbst in Litthauen, Galizien und neuerdings in Posen aufgeregt ist, wie alle die rohen Volksstämme an der untern Donau, die Mon tenegriner, Serbier, Rumänen, die Südslaven aufgewühlt sind bis in das Herz der Türkei — so liegt die Befürchtung nahe, daß ein Funke, in diese Pulver tonne geworfen, sämmtliche nationale Leidenschaften zu einem Brande entzünden kann, der ganz Europa zu ergreifen droht. Von den französischen Seealpen und der Südspitze Italiens bis hinein in das Herz Rußlands und den Rücken Preußens glimmt das angeschürte nationale Feuer, zur Zeit mühsam noch ge dämpft, aber auf wie lange? Oesterreich hat den ungarischen Landtag aufgelöst und heimgeschickt. Es konnte nicht anders, nachdem der Uebermuth der Magyaren jede Verständigung zurückgewiesen hatte. Was nun? Die österr. Regierung hofft, die Sieben bürger, Serbier, Croaten und Slavonier, zumal die letzteren, welche begriffen haben, daß es mit ihrem dreieinigen Königreiche nichts ist, für Beschickung des Reichsraths zu gewinnen, dadurch die Magyaren zn vereinzeln und ebenfalls zur Vernunft zu bringen. Glück zu! Aber bis dahin ist immer noch ein weites Stück Weges, und Ungarn wird immer noch eine furchtbar schwere offene Wunde am österreichischen Staatskörper bleiben. Wenn regieren heißt, die Geister leiten, so kann von einer Regierung Ungarns noch lange nicht die Rede sein, höchstens von einer Verwaltung. Und gelingt es auch, die Finanznoth aus dem Gröbsten zu beseitigen, wer bürgt denn dafür, daß die Feindseligkeit Frankreichs und der italienische Brand Oesterreich Zeit lasten, sich mit den trotzigen Magyaren zu verständigen, der Tschechen, Polen und Südslaven gar nicht zu gedenken? Denn das zweite Land, das wir immer im Auge behalten mästen, Italien, giebt neuerlich nicht minder ernsten Stoff zum Denken. Es leidet keinen Zweifel, der Papst und der vertriebene Bourbon von Neapel haben mit ihrem Gelde, das sie aus dem Peterspfennige und den Beuteln ihrer politischen Glaubens genossen beziehen, von Rom aus in Süditalien den Piemontesen eine Suppe eingebrockt, welche diese beim Ausesten zu ersticken droht. Die regulairen Truppen Victor Emanuels scheinen außer Stand, allein den Aufstand in den neapolitanischen Provinzen zu bewältigen, so lange dieser von Rom aus geschürt und genährt wird. Zöge Louis Napoleon seine Rothhosen aus Rom, so würde der Aufstand auf der Stelle bewältigt sein. Aber dieser Aufstand dient dem Franzosenkaiser recht gut, Victor Emanuel mürbe und zur Abtretung der Insel Sardinien geneigt zu machen. Diese Abtretung aber wollen die Italiener nicht, daher die neuerliche Annäherung der italienischen Regierung und Cialdini's an Garibaldi und seine große Partei, an die Revolution und die revolutionären Kräfte des Volkes. Sie wollen den Teufel austreiben durch der Teufel Ober sten. Diese Abtretung will auch England nicht, daher die Erscheinung einer englischen Kriegsflotte mit 600 Feuerschlünden an den Küsten von Neapel. Werden die Pulverminen von Neapel an bis Pesth und Warschau mit oder gegen den Willen des leitenden Feuerwerkers in Paris bald oder später, gleich zeitig oder vereinzelt explodiren? Das dritte Land und Volk, auf dem die Blicke des beobachtenden Men schenfreundes mit noch größerem wehmüthigen Schmerze verweilen, als auf den vorgenannten, ist die vormalige nordamerikanische Union. Dieser Staatenbund, der so lange für das Prachtmuster aller Staatseinrichtungen galt, ringt in ent setzlichen Krämpfen um Tod und Leben; dieses Volk, das so gerne sich für das gebilvetste, fortgeschrittenste der Erde hielt und in nationaler und staatlicher dünkelhafter Selbstüberschätzung verächtlich auf die alte Welt herüberschaute, legt uns seine sittliche Fäulniß, ebenso, wie die Hohlheit seiner staatlichen Zu stände gegenwärtig abschreckend und greifbar vor Augen. Die Grundsätze der demokratischen Staatseinrichtung auf breitester Grundlage und der reinen Volks bewaffnung haben den jammervollsten Schiffbruch erlitten, und ob aus den dor tigen Wirren mexikanische und füdamerikanische obligate Bürgerkriege und Häupt- lingsherrschaften, oder eine Dictatur oder gar Monarchie über die Union, die Rettung derselben vorausgesetzt, oder eine Trennung in Nord, Süd und West hcrvorgehen werde, worüber gegenwärtig noch keine Klarheit zu gewinnen ist, so steht doch unter allen Umständen fest, daß die Union, allemal im günstigsten Falle ihre Rettung vorausgesetzt, die Wahlen den Raufbolden und Bummlern aus den Händen nehmen, die öffentlichen Aemter lebenslänglich besetzen und dem Wettrennen der Parteien entziehen, eine ansehnliche Menge stehenden Mi- litairs sich zulegen, die Seemacht in bessere Verfassung setzen und dem centra len Staatsoberhaupte und seiner Regierung mehr Macht und Gewalt wird übertragen müssen, als bisher. Daß die Nachwehen des gegenwärtigen Bür gerkriegs Jahrzehnte jenseits und diesseits der Atlantis schmerzlich fühlbar sein werden, liegt auf der Hand. Die Kriegskosten des ersten Jahres belaufen sich schon für die Nordstaaten auf 700 Mill. Thaler, die. direcren und indirecten Steuern sind mächtig erhöht, unverzinsliches Staatspapiergeld ist geschaffen, die einzelnen Staaten denken schon jetzt nicht mehr an das Bezahlen der Zinsen ihrer Staatsschulden, der Handel liegt gänzlich, der Credit ist vernichtet, der Werth aller Besitzungen und Erzeugnisse furchtbar gesunken, der Einfluß dieser