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Und dieses Volk, das im Genüsse der Souverainirät durch allgemeine Ab- fiim»tWß chn zu seiner neuen Würde erhob — von welchen Geistern wurde eS dabei geleitet? Bon den beiden mächtigsten, welche über die Seelen der Menschen gebieten: von der Furcht und von der Hoffnung. Bon der Furcht. Die Februarrevolution hatte für unzählige Augen den Schleier über einen Abgrund gelüftet, von dessen Vorhandensein Viele sich vorher nichts hatten träumen lassen; die Möglichkeit einer sozialen Umwälzung, eines Klassenkrieges, des furchtbarsten aller Bürgerkriege, wenn wir den ReligionSkrieg abrechnen — diese Möglichkeit hatte 4 Monate hindurch den ganzen Bestand der Gesellschaft in Frage gestellt und die Gemüther in unglaub licher Spannung erhalten, bis endlich in der Iunikatastrophe das Gewitter sich ein erstes Mal entlud. Wer hatte nun in diesen für immer denkwürdigen Mo naten den Namen eines „Retters der Gesellschaft," wenn wjr diesen Namen überhaupt zulassen wollen, verdient? Nicht Napoleon, sondern zwei seiner Mit bewerber um die Präsidentschaft: Lamartine und Cavaignac. Als in den ersten Tagen nach dem Sturze des Julithrones das geheime Band, welches die Gesellschaft wunderbar zusammenschließt, sich zu lösen schien, als Niemand wußte, wer befehlen und wer gehorchen werde, als Hunderttausende von bewaffneten Arbeitern am Mittelpunkte Frankreichs sich der Gewalt bemächtigen und über Leben und Eigenthum Unzähliger, für einen Augenblick wenigstens, hätten ver fügen können — da war es Lamartine, der im gefährlichsten Momente auf dem Stadthause den aufgeregten Massen entgegentrat, der muthig die Brust den ihn bedrohenden Wassen darbot und mit einer Macht des Wortes, die an der furchtbaren Bedrängmß der Lage zur leuchtenden Flamme sich entzündete, die tobende Leidenschaft der entfesselten Menge zähmte und leitete. Das war der größte Augenblick in seinem Leben; da war er, was selten sich zusammenfindet, in einer ungethcilten Wirkung ein begeisterter Dichter, ein Staatsmann und eiu Held. — Es war allerdings nur eine leuchtende Stunde, das Werk einer glücklichen Eingebung Weder vorher noch nachher stand er je auf gleicher Höhe. Aber in jener Stunde hatte er die Gesellschaft gerettet. — Und Cavaignac? Man kann ihn in diesem Zusammenhänge nicht nennen, ohne unwillkürlich sich der Verse unseres großen Dichters zu erinnern: „Als der Griechen Schiffe brannten, War in seinem Arm das Heil, Doch dem Schlauen, Vielgewandten Ward der schöne Preis zu Theil." In jenem fürchterlichen Kampfe der vier Junitage in Paris — vielleicht der entsetzlichsten Tragödie der neuen Geschichte — als der bestehenden Gesell schaft allen Ernstes der Untergang zu drohen schien, da war es wieder nicht Napoleon, sondern Cavaignac, der an der Spitze seines Heeres den Aufstand endlich überwältigte. Und doch waren es nicht Lamartine und nicht Cavaignac, deren Namen siegreich aus der Wahlurne hervorgingen. — Hatten sie auch vorübergehend große Dienste geleistet, auf die Dauer traute man ihnen nicht die Kraft und das Genie zu, die tief zerrüttete Ordnung wieder aufzurichten. Die Furcht vor einer allgemeinen Auflösung, die sich der obern gebildeten Klaffen bemächtigt hatte, glaubte nicht an die Lebensfähigkeit einer gesetzlich wohlgeordneten Re publik in Frankreich ; die Rückkehr zur Monarchie oder zu einer Annäherung an die monarchische Verfassung galt als unumgängliche Voraussetzung einer ge sicherten Zukunft. Man hatte nicht vergessen, daß die Februarrevolution nur durch Ueberraschung und Betäubung zu Stande gekommen, und daß die mo narchischen Gefühle und Traditionen des Landes unendlich viel stärker seien, als die zur Herrschaft gekommene Partei wußte oder glaubte. Für diese Auffassung der Sachlage schien der Name Napoleons — selbst wenn man ihn nur als vorläu figen Ersatz oder Stellvertreter der alten Dynastie ansah — immerhin eine viel zuverlässigere Garantie für eine starke Regierung zu bieten, als jene beiden Republikaner, der „schöngeistige Redner" und der „puritanische Generat." Auf diese Stimmung der französischen Gesellschaft hatte L. Napoleon gerechnet, wenn er in seinem Wahlmanifeste vom 27. Nov. 1848 versprach, seine Mitwirkung fei jeder gerechten und festen Regierung zugesichert, welche in den Geistern wie in den Dingen die Ordnung herstelle, Religion, Familie, Eigenthum, die ewigen Grundlagen jeder gesellschaftlichen Ordnung, beschütze und so dem geängstigten Lande erlaube, wieder auf morgen zu rechnen. Das war der wichtige Einfluß der Furcht, der zu Napoleons Wahl mitgewirkt. Noch größer war vielleicht die Wirkung der Hoffnung, der sich fast alle Mafien und alle Parteien Hingaben, die Einen in den feinen Formen kluger Berechnung, die Andern in der plumpsten Gestalt der Täuschung und der phantastischen Er wartung. Von dem Traume der 2000 Millionen, der die Bauern glücklich machte, ist schon die Rede gewesen. Aus dem Bauernstände geht abe': zum größeren Theile das Heer hervor, und für dieses hatte der Name Napoleon einen unglaublichen Zauber. Längst war im Volke das namenlose Elend ver- gessen, das die langen Napoleonischen Eroberungskriege am Ende über das Land gebracht; vergessen, daß zuletzt daS ganze Frankreich Trauer zu tragen schien, in dem man selten einer Mutter begegnete, die nicht für den Sohn, einer Schwester, die nicht für den Bruder Trauer trug; vergessen, daß man Frauen hinter dem Pfluge hergehen sah, weil keine männliche Hand mehr da war, ihn zu führen. Das Alles war in dem schnell lebenden Volke vergessen, geblieben aber war der dichterische Glanz, der den Thaten seines Kriegshelden in der Volksphantasie ein wunderbares Gepräge gab. Napoleon l. hatte sich in der Erinnerung, namentlich des Landvolkes und der Armee, zum Volksheros, sein Leben zu einem Volksepos verklärt. Man konnte weite Strecken Frankreichs durchwandern und würde schwerlich auch nur eine Hütte gesunden haben, wo sein Bild nicht an der Wand hing oder über dem Kamine stand. — Welche magische Wirkung mußte daher auf diese Kreise die Kunde ausübeu: „Es ist wieder ein Napoleon da! Er ist zurückgekommen; Neffe oder Onkel, gleichviel, es ist ein Napoleon." Ja, Sachkundige, die das Volk beobachteten, geben noch heute die Versicherung, Viele hätten damals steif und fest geglaubt, es sei vom alten Napoleon die Rede; der sei, wie sie längst gehofft, wieder von St. Helena zurückgekommen; die Nachricht von seinem Tode sei nur ein von den Feinden, den Bourbons, den Orleans, erfundenes Märlein gewesen. Ihm, dem alten, großen Napoleon, wollten sie also ihre Stimme geben. Rüh render, überall und zu allen Zeiten herrschender Volksglaube, der sich nicht dazu entschließen kann, seine großen Männer dem Loose der Sterblichen verfallen zu sehen, höchstens nur sie eine Weile schlafen läßt, wie Barbarossa im Kyff häuser, wie die drei Telle am Waldstättersee! (Fortsetzung folgt.) Zeitungen. Sachsen. Dresden, 16. Septbr. Der so eben ausgegebene offi- cielle (5.) Bericht über die hiesigen Bezirks- und Armenschulen im Jahre 1860 und 1861 ist wiederum von großem Interesse. Zunächst sei daraus bemerkt, daß die Zahl der schulpflichtigen Kinder, welche 1833: nur 7282 und 1844: 9712 betrug, seit 1852, wo man bereits 12,525 zählte, auf 17,216, seit 10 Jahren also um circa 5000 gestiegen ist, während die Bevölkerung Dres dens in den letzten 10 Jahren um 23,689 Einwohner sich vermehrte. Dieses rapide Steigen hat natürlich auch eine Vermehrung der Schulen, resp. Klaffen zur Folge gehabt und es werden gegenwärtig gezählt: 26 öffentliche evangelische Schulen, 6 katholische Schulen, 1 israelitische Schule und außerdem 5 VeremS- und 42 Privatschulen, zusammen also 80 Schulanstalten. Die bevölkertsten sind 3 Bürgerschulen mit 34 Klaffen und 2070 Kindern, die 5 Bezirksschulen mit 100 Klaffen und 5927 Kindern und die 4 Armenschulen mit 47 Klaffen und 2467 Kindern. WaS die 5 Bezirks- und 4 Armenschulen betrifft, welche wesentlich aus öffentlichen Kaffen unterhalten werden, so erforderten dieselben 1861 einen Zuschuß von 61,865 Thlrn., während die immer ndch ansehnliche Summe von 32,473 Thlrn. durch das Pfennig- und Groschenweise eingesam melte Schulgeld gewonnen wurde, denn es werden in den Armenschulen wöchent lich 5, 6 und 7 Pf., in den Bezirksschulen wöchentlich 1, 1^, 2 und 3 Ngr. Schulgeld bezahlt. Außerdem giebt es aber auch noch einige Freischulen. Mit den Armenschulen sind außerdem Arbeitsanstalten verbunden, in welchen die da rin beschäftigten Kinder im Jahre 1861 die artige Summe von 723 Thlrn. verdienten. Außerdem wurden zur Weihnachtszeit 101 Kinder aus den Be zirksschulen und 239 Kinder aus den Armenschulen mit Geschenken erfreut. Leipzig, 16. Septbr. Vergangene Nacht 12 Uhr entstand Feuerlärm. Es brannte das Maschinenhaus der auf der Windmühlenstraße Nr. 37 gele genen Stengel'schen Spritfabrik. Glücklicherweise gelang es, das Feuer auf seinen Heerd zu beschränken und dasselbe von den naheliegenden, mit bedeuten den Quantitäten Spiritus angefüllten Gebäuden abzuhalten. Hannover, 14. Sept. Die officielle „N. H- Z." enthält heute folgen den Artikel: Der Hofmarschall und Reisemarschall Sr. M. des Königs, General- Major v. Hedemann, welcher, unter Anklage von Betrügereien und Unterschlagungen herrschaftlicher Gelder, am 10. d. Mts. behufs kriegsgerichtlichen weitern Ver fahrens in Untersuchungsarrest gezogen worden war, hat diese Haft in der Nacht vom 10. zum 11. d. Mts. gebrochen und ist heimlich und zwar nach eingezogenen Erkundigungen mit dem nach Harburg abgegangenen Eisenbahnzuge entwichen. (Wie dem „Fr. I." aus Hannover, 14. Sept, gemeldet wird, ist General Hedemann bei Blankenese in der Nähe von Hamburg festgenommen worden und bereits in Hannover eingetroffen. Die unterschlagene Summe be trägt 90,000 Thlr.) Die Bewegung auf dem kirchlichen Gebiete dauert hier ununterbrochen fort. So sollte, (wie gemeldet) dem König bei seinem letzten Besuch in Osnabrück eine von gegen 1000 angesehenen Bürgern unterzeichnete Adresse zu Gunsten des Pastor Sülze von einer Deputation überreicht werden. Letztere wurde je doch nicht /vorgelafien. Zugleich benutzten gegen 50 Landschulgemeinden die Anwesenheit des Königs, um eine Adresse mit den nachdrücklichsten Beschwerden gegen das Consistorium und den Consistorialrath Münchmeyer einzureichen. Ihr Erfolg war aber nur, daß Münchmeyer den Guelphenorden erhielt. Kurhefsen. Kassel, 14. Sept. Die Wahlen, die mit dem 11. Sept, beendigt sind, haben im.Allgemeinen ein gemäßigt liberales Resultat.er geben. Nur Wenige der weiter nach links Vorgeschrittenen finden einen Platz in der Kammer.