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VoigllimWer Artiger. Amtsblatt für das Königliche Bezirksgericht zu Plauen, sowie für die Königlichen Gerichtsämter und Stadträthc zu Plauen, Pausa, Elsterberg, Schöneck und Mühltroff. DreiundstebenMier Jahrgang. Verantwortliche Redaction, Druck und Verlag von Moritz Wieprecht in Plauen. Diese» Blatt erscheint wöchentlich viermal, und zwar Dienstag», Mittwoch», Donnerstag» und Sonnabend». Jährlicher Abonuemrnt»prei», wclcher nmäo zu entrichten ist, auch vei Beziehung durch die Post, 1 Thlr. 26 Ngr. — Annoncen, die bi» Vormittag» 11 Uhr eingehen, werden in die Tag» darruf erscheinend« Nummer ausgenommen, später eingehende Annoncen finden in der nächstfolgenden Nummer Aufnahme. — Inserate werden mit 1 Ngr. für die gespaltene Lorpu».Zeile berechnet. Einzeilige mit 2 Ngr. — Für die auswärtigen Königl. Gerichtsämter und Sladträthe, für welche der Boigtlandische Anreiger Amtsblatt rst, bestehen die Geschäftsstellen in Paus» t« Herrn Julius Guido Loren;, in Elsterberg bei Herrn F. W. Feustel, in Schöneck bei Herrn Eduard Meyer, iu Mühltroff bei Herrn Lhausseegelder-Einnehmrr HolzmÄler. Donnerstag. MAA, 1» August 1862. Politische Zeitbetrachtungen*). l. Der Wiener Congreß. Wer den Fragen unserer Zeit auf den Grund sehen, die Geschichte unseres Jahrhunderts in ihrem wahren Zusammen hänge verstehen will, wird stets auf die Ausgangspunkte der europäischen Schick sale zurückgeführt, auf den Wiener Congreß und die heilige Allianz, zwei ge schichtliche Erscheinungen, deren Namen man stets im Munde führt, ohne ihre wahre Bedeutung, ihre geschichtliche Tragweite zu würdigen. Sie verbinden sich mit den Namen des Fürsten Metternich und des Kaisers Alexanders I. von Rußland. Fünfzig Jahre find es beinahe, seit für Europa der große Augenblick gekommen zu sein schien, um nach den furchtbarsten Erschütterungen des ganzen Welttheils, nach den blutigen Völkerkämpfen eines Vierteljahrhun- dertS einen dauerhaften Frieden zu schließen, und eine Versöhnung zwischen den Erfahrungen der alten und den Bedürfnissen der neuen Zeit zu Stande zu bringen. DaS war die Aufgabe, welche die Vorsehung in den Schooß des Wiener Congresses 18 l 4 und 1815 legte; mit diesen Erwartungen sahen die aus unzähligen Wunden blutenden Völker den Arbeiten jenes höchsten europäischen Gerichtshofes von Fürsten und Staatsmännern entgegen. Seit Jahrhunderten war es einer der feierlichsten Augenblicke der Geschichte der Menschheit; nur der Reichstag zu Worms, auf welchem Luther erschien, der westphälische Friedens kongreß und die französische Nationalversammlung von 1789 lasten sich in ihrer Bedeutung damit vergleichen. Standen nun die leitenden Geister des Congresses auf der Höhe ihres Berufes? Hatten sie ein lebendiges Gefühl von ihrer Verantwortlichkeit und von der weltgeschichtlichen Erhabenheit des Augenblickes? War jene sittliche Weihe vorhanden, die über jeden höher denkenden Menschen kommt, wenn er sich sagen muß, daß es sich bei seinem Thun um das Wohl von Millionen, um die glück liche Zukunft seines Welttheils handelt? Diese Frage muß man, nach bereit williger Anerkennung einiger ehrenvollen Ausnahmen, mit einem scharfen Nein beantworten. Nur zu oft steht die auf dem Wiener Congreste sich offenbarende Gesinnung im grellen Gegensatz mit dem heiligen Ernste, mit der reinen Be geisterung der Befreiungskriege. Im läuternden Feuer der nationalen und häuslichen Trübsale war ein neues Leben in den Herzen der Geprüften erwacht, neue Ehrfurcht vor den ewigen Gesetzen und den gnädigen Führungen Gottes. Diese Gesinnung rhat Wunder der Tapferkeit und des OpfermutheS in den Kämpfen von 1813 und 1814; in der Geschichte erschien wieder nach langer Ver borgenheit das Größte und Heiligste, was die Menschheit kennt, das freie Opfer von Gut und Blut für die geistigen Güter und Besitzthümer eines Volkes, Freiheit, Recht, Glaube. Nun, da der Sieg mit äußerster Anstrengung errungen war, nun, da eine fröhliche Ernte aus der blutigen Saat aufblühen sollte — was geschah auf der europäischen Versammlung der Staatsmänner? Wie dachte und lebte man dort, und was vollbrachte man? In mehr als einer Hinsicht fand das Wort des Apostels Anwendung: „im Geiste hatte man angefangen, im Fleische vollendete man." In einem Geiste, der Alle, die von ihm ergriffen waren, auf lange Zeit mit dem edelsten Adel vaterländischer und idealer Gesinnung erfüllte, hatte man Europa'- Befreiung *) Nachstehende, Gelgers Protest. Monatsblättern entnommene Artikel erscheinen uns als das Gediegenste, was über die politische Entwickelung unseres Jahrhunderts und den räthselhaften Träger der Geschichte unserer Zeit geschrieben worden ist, und wir empfehlen sie deshalb unsern gebildeten Lesern angelegentlich. D. R. unternommen, im Fleische wurde das groß angefangene Werk fortgesetzt, in einer Gesinnung, die vielfach in dem gemeinen Treiben des engsten Eigennutzes und der frivolsten Genußsucht wurzelte. Der Wiener Congreß war nicht mehr ein reines Ergebniß der sittlich-religiösen Erhebung der Natton, wie die Be freiungskriege eS gewesen. Wenn jemals der Becher babylonischer Wollust bis auf die Hefen geleert ward, so war es dort in den Vergnügungen, Zerstreu ungen, Maskeraden und Orgien des CongresteS an der Donau; nur das west liche Babylon an der Seine wird vielleicht den Ruhm ansprechen dürfen, daß es jene Genüsse von Wien noch zu überbieten vermöchte, seit es die Schrecken der Februar-Revolution in dem Sinnenrausche der Cäsaren-Aera zu betäuben gelernt. Wenn es Seligen vergönnt wäre, in das Erdenleben zurückzuschauen, was hätten die gefallenen Sieger der Befreiungsschlachten empfinden müssen bei dem Anblicke des diplomatischen Faschings, worin der Kampfpreis ihres Blutes ost genug in den Staub getreten wurde? Wären mitten iu jene Prunksäle und in den sie erfüllenden leidenschaftlichen Taumel plötzlich in langer, unabsehbarer Reihe die Helden eingetreten, die für die gute Sache geblutet, und sie hätten die Hände auf ihre klaffenden Todeswunden legend mit leichenblassem Antlitz in dieses Babel die Frage geworfen: „Also dafür sind wir gestorben? DaS haben wir unsern Hinterlassenen errungen, das unserem Volke erstritten? Ist das die schönere Zukunft, für die wir freudig in den Tod gingen? Bon Euch wird der Weltenrichter Rechenschaft fordern für unser Blut." Vielleicht hätte dieß wie ein zuckender Blitz in den schlafenden Gewissen geziindet, doch bei der Mehrzahl wohl nur für Augenblicke. Deutlich genug hatten ja die weltgeschicht lichen Gottesgerichte gesprochen, die den Gewaltigen von seiner übermächtigen Höhe gestürzt und den Unterdrückten den Sieg verliehen. Das war schon wieder vergessen, und, wie nach langem, erzwungenen Fasten der Heißhungrige, so stürzte man sich nur um so gieriger in die ungern entbehrten Genüsse oder in den bösartigen und kleinlichen Streit um Ländertausch, um Gebietsvergrößerung, um Durchkreuzung der Plane des Nachbars und Nebenbuhlers. Zur Abwechse lung suchte man wohl einmal in den phantastisch erhitzenden Fastenpredigten eines Zacharias Werner einen aufregenden Reiz anderer Art, oder man unter hielt sich nach einem üppigen Mahle mit Friedrich Schlegel darüber, ob nach seiner Rechnung die Welt noch hundert oder hundertsunfzig Jahre fortbestehen könne, während man in andern Kreisen mit dem katholisch gewordenen Adam Müller von Berlin und Schlosser von Frankfurt über den bevorstehenden Un tergang des Protestantismus und die Wiederherstellung des Jesuitenorden- ver handelte. Bedürfte es noch eines weiteren Zeugnisses für die unglaubliche Leicht fertigkeit der Gesinnung, die damals bei den einflußreichsten Staatsmännern an der Seite Metternichs herrschte, und die sie von sich und von andern ohne Scham eingestanden, so genügte es, an die mephistophelischen Bekenntnisse de- HofrathS Gentz zu erinnern, der 1814 schreibt, „er sei durch nichts entzückt, vielmehr sehr kalt, blasirt und höhnisch, innerlich gleichsam teuflisch erfreut, daß die sogenannten großen Sachen zuletzt solch' ein lächerliches Ende nehmen." Das war freilich derselbe Staatsmann, der gelegentlich den ganzen Jammer staatsmännischer Verlebtheit in die Klage faßte, „die Vergangenheit ekle ihn an und die Zukunft fürchte er," (1818) und der später offen gestand, daß er nicht an die Zukunft des von ihm vertheidigten Systems der Befestigung der alten