Volltext Seite (XML)
Voiglländischer Anzeiger. Amtsblatt für das Königliche Bezirksgericht zu Planen, sowie für die Königlichen Gerichtsämter und Stadträtde zu Plauen, Pausa, Elsterberg, Schöneck und Mühltroff. DreiuiWebenzigfler Jahrgang. Verantwortliche Redactiou, Druck und Verlag von Moritz Wieprecht in Plaue«. Diese« Blatt erscheint wöchentlich viermal, und zwar Dienst ags, Mittwochs, Donnerstags und Sonnabend«. Jährlicher AbouuemeutSprei«, welcher prävam»- raack» zu entrichten ist, auch bei Beziehung durch die Post, I Thlr. 26 Ngr. — Annoncen, die bis Vormittags 11 Uhr eingehen, werden in die Tag« darmrf erscheinende Nummer ausgenommen, später eingehende Annoncen finden in der nächstfolgenden Nummer Aufnahme. — Inserate werden mit 1 Nar. für die gespaltene LorpuS-Zeile berechnet. Einzellige mit 2 Ngr. — Für die auswärtigen König!. Gerichtsamter und Stadträthe, für welche der Boigtläudische Anzeiger Amtsblatt ist, bestehen dre Geschäftsstellen in Pansa bei Herrn Julius Guido Loren;, in Elsterberg bei Herrn F. W. Feustel, iu Schöneck bei Herrn Eduard Meyer, in Mühltroff bei Herrn Ehauffeegelder-Eiuuehmer Holzmüller. Donnerstag. 4. September 1868. Politische Zeitbetrachtungen. 4. Louis Napoleon in der Verbannung. (Fortsetzung und Schluß.) Indeß wie hoch wir auch die geistige Macht eines Glaubens anschlagen muffen, den Mutter und Sohn wie eine Art Familienreligion im Grunde der Seele sesthielten, und wodurch sie ihre Handlungen bestimmen ließen, dennoch muffen wir schon hier die Uebezeugung aussprechen, ohne die Februarrevolution und ihre Folgen wäre Louis Napoleon, trotz allen Glaubens an seinen Stern, doch nicht an die Spitze Frankreichs gelangt. Auch von dieser Seite bestätigt sich die Wahrheit des und leitenden Grundgedankens, daß seit 1813 kein anderes Jahr eine so weit reichende weltgeschichtliche Bedeu tung hat, als das Schicksalsjahr 1848, unter dessen Nachwir kung wir nochheutestehen undnochauflangeZeitstehenwerden. Daß jener Glaube an seinen Stern allein es nicht that, wenn die Ereignisse ihm nicht begünstigend entgegenkamen, dafür geben die Erlebnisse den klarsten Beweis, die in den ersten zehn Jahren nach der Iulirevolution von 1830 Louis Napoleon einen so zweifelhaften Namen in der damaligen Zeit geschichte verschafften. Wie sein älterer Bruder, der in Florenz an der Seite des Vaters erzogen worden war, meinte er, mit der Julirevolution sei der Augenblick zum Handeln gekommen. „Frankreich ist frei, die Verbannung zu Ende, das Vaterland steht uns offen, wir werden ihm dienen, in welcher Form eS sei!" so schrieben die Brüder hoffnungsvoll an ihre Mutter. Aber nicht lange ließ ihre Enttäuschung auf sich warten; die Juli-Dynastie bestätigte das Berbannungsvekret, welches die Familie Bonaparte vom französischen Boden ausschloß. Vergeblich war der Schrei der Königin Hortense. „Wie? Man erneuert gegen unsere Familie die Verbannung! Welches sind ihre Verbrechen? Ist sie nicht durch die Fremden vertrieben worden? Hat sie nicht Frankreich gedient? Diese Familie fürchten heißt, ihr eine Ehre erweisen, die sie ver schmäht." Umsonst. Die kluge, vorsichtige Juliregierung ließ die Verbannung gegen die Bonaparts in Kraft. Sie wußte, was sie that. Blieb ihnen Frankreich verschlossen, so stand ihnen Italien offen und ihrem französisch-italienischen Doppelcharakter gemäß wendeten sie sich dahin. Schon seit Jahren pflegte die Königin Hortens^ besonders seit der Tod ihr den Bru der Eugen in Baiern geraubt hatte, (1824) den Sommer auf ihrem Landsitze Arenenberg am Schweizerufer des Bodensees, den Winter dagegen in Italien, bald in Florenz, bald in Rom zuzubringen. Dort lebten verschiedene Glieder der Familie; in Rom hatten sie in der Reihe der Cardinäle einen nahen Ver wandten, den Stiefonkel Fesch. Eben befand sich Hortense mit ihrem Sohne in Rom, als die Bewegungen der Julirevolution auch dort nachzuzittern be gannen. Ludwig Napoleon, damals 22jährig, trug mit der offene» Absichj, Aufsehen zu erregen und der öffentlichen Stimmung den Puls zu fühlen, die republikanische Trikolore in den Straßen Roms zur Schau. Ma» wurde un ruhig und die Folge war, daß er nach vergeblicher Warnung gewaltsam von Rom ausgewiesen wurde. Das war das erste Zusammentreffen Louis Napo leons mit dem weltlichen Papstthum; eine Herausforderung im tollen Jugend- übermuth, eine Antwort im päpstlichen Style. Da- zweite noch ernsthaftere Zusammentreffen sollte dem ersten auf dem Fuße folgen. Die wie ein Netz über ganz Italien sich ausdehnenden geheimen Verbindungen rüsteten sich zu einem allgemeinen Aufstande gegen die bestehen den Regierungen; wie behauptet wird, war es gelungen, sogar den Herzog von Modena insgeheim ins Einverständniß zu ziehen, unter der Vorspiegelung, ihn an die Spitze eines großen italienischen Staates zu stellen. Aber sein Name, als der eines österreichischen Prinzen, flößte den Verschworenen Mißtrauen ein, man gab ihn auf und forderte somit seine Rache heraus, die nicht ausblieb. Die Romagna war schon bereit zum Aufstande; da erschien in Florenz ein- der Häupter der italienischen Bewegung, Menotti, bei den beiden Prinzen Na poleon und Louis, um sie zu beschwören, durch ihren Beitritt der guten Sache Italiens den Sieg zu verschaffen. Umsonst hatte die Mutter einen warnende« Brief an sie geschrieben, der sich durch eine Fülle höchst charakteristischer Be merkungen auszeichnet. (8. Januar 1831). „In einem Augenblicke des Auf schwungs können die Italiener wohl ein Joch abschütteln, das schwer auf ihnen lastet; aber ich glaube nicht, daß sie im Stande sind, allein und lange gegen die Streitkräfte auszuhalten, die man gegen sie in Bewegung setzt. Italien vermag nichts ohne Frankreich; es muß daher geduldig abwarten, bis Frankreich mit seinen eigenen Angelegenheiten ins Reine ist. Jede Unvorsichtig keit schadet der Sache beider Länder. Wer einem kurzsichtigen Abenteurer einen Einfluß auf seine Entschlüsse gestattet, der bleibt für sein ganzes übriges Leben zur Mittelmäßigkeit verurtheilt. Die Jünglinge, die man jetzt an die Spitze der Bewegung stellen möchte, haben nur die eine Aufgabe, mit allen möglichen Mitteln die Gährung zu beschwichtigen." Es war zu spät; ihre Söhne waren nach der Romagna geeilt, um dem an sie ergangenen Rufe zu entsprechen. Als die Mutter eben Florenz erreicht hatte, in der Hoffnung, sie noch zurückzuhalten, übergiebt ihr ein Diener eia Billet ihres Sohnes Louis. „Ihre Liebe," schrieb er, „wird uns verstehen; wir haben Verpflichtungen übernommen, denen wir nicht untreu werden können; unser Name schon ist eine Verpflichtung, den unglücklichen Völkern, die sich an uns wenden, zu Hilfe zu eilen." — Es. kam, wie Hortense es vorausge sehen hatte. Hätten die Aufständischen es nur mit der schwachen Regierung des Kirchenstaates zu thun gehabt, sie wären wahrscheinlich, trotz ihrer mangel haften Organisation, bald damit fertig geworden; allein die Intervention Oester reichs ließ nicht lange auf sich warten und schlug mit starker Hand rasch den Aufstand nieder. Louis Napoleon schwebte lange peinliche Tage und Nächte hindurch in steter Gefahr, von den Oesierreicheru als Aufwiegler ergriffen und standrechtlich erschossen zu werden. Die Oesterreicher hatten gemessenen Befehl, auf diese summarische Weise mit ihm zu verfahren, wo immer er bettoffen würde. Und doch war das derselbe Louis Napoleon, der 28 Jahre später bei Villafranka dem Herrscher Oesterreichs als Sieger gegenüberstand und von ihm die Abtretung seiner reichsten Provinz forderte und erhielt! So sind die mensch lichen Geschicke und ihr geheimnißvoller Kreislauf. In jener größten Gefahr wurde seine Mutter wieder sein Schutzengel; mit der unerschöpflichen Erfindungsgabe, die nur einem Frauenverstande, und mit dem Heldenmuthe, der nur" dem Mutterherzen eigen ist, wußte sie sich den Weg zu ihm zu bahnen und die Mittel seiner Rettung ausfindig zu machen. In Pesaro sah sie ihren Sohn wieder, den einzigen, der ihr noch geblieben ; er wirst sich in ihre Arme und gesteht ihr schluchzend, daß er seinen Bruder, sei nen besten Freund, verloren, und daß nur der Gedanke an die Mutter ihm selber den Müth gegeben, noch länger das Leben zu ertragen. Aber dem Schmerze war keine Zeit gestattet, sich auSznweinen, e- galt, sich vor den heran-