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Alt, unter den Äugen des Florentiner Erzbischofs ; Bilder, die von der Genfer Propaganda hierher geschickt worden, stellen mit mehr Geist und voll reforma torischem Ernst die Mißbräuche des katholischen Kultus dar, und belehren das Volk, wie weit sich diese Kirche von dem reinen Urchristenthum entfernt habe. Die Tagesblatter sind erfüllt von Invektiven gegen das Papstthum, welches Garibaldi in seiner Adresse an die Engländer so eben eine „scheußliche mora lische Mißgeburt" genannt hat. Kurz, die Verachtung gegen das Papstthum und den feindlichen Klerus kann kaum stärker ausgedrückt werden, und hat kaum in Deutschland und England zur Zeit der Reformation einen stärkeren Ausdruck gehabt, als gegenwärtig in Italien selbst. Die Regierung läßt all dies ruhig gewähren, weniger um den Vatikan zu schrecken, als um die letzte Macht des Priesterthums in der Stimmung des Volks absterben zu lassen. Wie ohnmäch tig aber der Klerus in Italien sei, hat die gegenwärtige Bewegung seit 1859 sonnenklar dargethan. Die einst furchtbare Gewalt des Episkopats und der Orden ist überall der Regierung und der öffentlichen Meinung erlegen, und so stark ist diese bereits geworden, daß trotz Allem, was die Kirche erfuhr, sich noch kein Wunder hervorgewagt hat. — Gleichwohl irrt man jenseits der Alpen gar sehr, wenn man glaubt, Italien stehe am Vorabende einer Refor mation, oder eines Bruchs mit seiner alten historischen Kirche. Der Haß gegen deren Repräsentanten ist und bleibt hier politischer Natur. Obwohl in Florenz und Bologna eine Waldensische Kirche entstanden ist, welche bereits 3000 Mit glieder zählen soll, so fehlt ihr doch der wahre reformatorische Geist, und viele dieser Separatisten schicken nach dem katholischen Priester, wenn sie in artieulo mortis sind. In Lucca, der am meisten kirchlich gesinnten Stadt Mittelitaliens, erhob sich vor Kurzem das Volk, als der Kultusminister Matteucci eine pro testantische Engländerin an einer dortigen Schule anzustellen befahl, und der Gonfaloniere der Stadt drohte, seine Entlastung einzureichen. Das geistreiche Florenz ist freilich weiter in der Anerkennung des Princips der Gewissensfrei heit, aber es wird lange Zeit brauchen, ehe sich das italienische Volk überhaupt von den Vorurtheilen befreit, in denen es unter dem alten Priesterregiment er zogen ist. Im Ganzen: eine reformatorische Bewegung ist hier schon einfach darum nicht möglich, weil die Italiener nicht jenes tiefe religiöse Gefühl be sitzen, welches den germanischen' Stämmen eigen ist. Ein italienischer Staats mann sagte in Bezug auf diese Frag«: „Bei uns ist keine Religion; die ge bildeten Klaffen glauben an nichts und sind indifferent; die untern Schichten des Volks glauben nicht an Gott, sondern an die Heiligen und das Motiv ihrer religiösen Triebe ist die Furcht." Wenn dies triste Bild der religiösen Verfassung dieses Landes vielleicht zu grell erscheint, so enthält es doch eine thatsächliche Wahrheit. Wenn man mit ernsten und nachdenkenden Männern über diese Frage redet, so pflegen diese freilich die Ueberzeugung auszusprechen, daß das Papstthum und mit ihm die alte Form der katholischen Kirche zusam menfallen muß, daß aber aus ihrem Ruin eine neue katholische Kirche hervor gehen werde, die nimmer protestantisch sein kann. Es lebt in den romanischen Völkern ein Geist der Centralisation, dessen Extrem Despottsmus und Hierar chie sind; wie in der germanischen Race die Macht der Individualität in die Gefahr der Auflösung führt ; jene centralisirende Kraft wird die kirchliche Ein heit immer fordern oder aufrecht halten, und diese Fähigkeit ist es wiederum auch, welche die Einigung Italiens in so kurzer Zeit möglich gemacht hat. — Die Amnestie der Garibaldi'schen Aspromonte - Episode ist hier mit tiefstem Schweigest ausgenommen worden. Nur eine Ueberzeugung herrscht hier all gemein: daß die Ueberwälttgung jenes tollkühnen patriotischen Versuchs eine große Wohlthat geworden sei; denn sie hat das Gespenst der Mazzinistischen Aktionspartei demaskirt und gezeigt, daß sie klein und ohnmächtig sei; sie hat Italien das Bewußtsein gegeben, daß seine Nationaleinheit ein über jedes andere Interesse erhabenes Princip bleibt; sie hat das Gesetz hergestellt uud endlich die sanguinischen Hoffnungen des Vaticans und der Legitimisten auf einen anarchi schen Verfall völlig vereitelt. Durch sich selbst wird Italien nicht mehr zer fallen; nur unübersehbare Ereignisse von Außen, wie der Sturz Napoleons, könnten die Aufrichtung der Nationalität stören, aber auch dies wäre nur mo mentan, denn weder Habsburg noch das Papstthum wird hier je mehr zu einer bleibenden Herrschaft gelangen, das Protektorat Frankreichs aber mit Napoleon enden. England. London, 15. Oct. Die preußischen Vorgänge machen hier einen starken Eindruck. Die Argumente aller Blätter gleichen einander bis auf ein Haar, wie dieß bei einer so einfachen constitutionellen Frage nicht anders sein kann. Seit Karl X., sagen die „Times," der Ordonnanzen erließ, welche seinen Sturz herbeiführten, ist eine so summarische Verletzung der verfassungs mäßigen Freiheit in keinem der größern Staaten Europa's erlebt worden. Die preuß. Liberalen müssen sich auf einen langen und schwierigen Kampf gefaßt machen. — Der toryistische „Herald" spricht von Karl I. von England. Er glaubt nicht, daß, wie es in der ProrogationSrede heißt, das Verfahren des Ministeriums Bismark später „die Sanction der Kammern erhalten werde," denn, sagt er, wir haben vom preußischen Volk keine so schlechte Meinung, um anzunehmen, daß eS politischen Selbstmord begehen will. Wir erwarten ander seits keinen RevolutionSverfuch in Preußen, keine augenblickliche Schilderhebung gegen daS Milirärregimem, welches der König unk seine unpopulären Minister einführen wollen. Es ist kie intelligente Mittelklasse, welche in diesen Kampf verflochten ist; die niedere Klaffe aber ist's, die Revolutionen macht. Die Deutschen sind überdies geduldig und langmüthig, wollen aber deshalb nicht von einer aristokratischen Kamarilla verachtet und mit Füßen getreten werden. Um seiner Nachfolger willen, denken wir mit Kummer daran, daß cs diesen Leuten gestattet ist, zwischen den» Könige und dem Preuß. Volke den Samen des Ueberwollens auszusäen. — Der „Advertiser" sagt: Es ist ein regelrechter Staatsstreich, wie er im Buche steht. Und Blut würde in Strömen fließen, wenn sich irgend ein Symptom eines Versuches zum Widerstande gegen den offenen Verfaffungsbruch blicken ließe. Somit ist die „Politik des gezogenen Schwertes" eingeleitet. Für den Augenblick wird das Volk sich wahrscheinlich nicht rühren. Schicksale des Predigers Putsche in Wenigen-Jena bei Jena im LZetober L8V« (Fortsetzung.) Bei diesen Worten erhob sich unten im Hause ein Getöse und der Oberst trat herein. Ich ging ihm sogleich entgegen und führte ihn die Treppe heraus in das für ihn bestimmte Zimmer. Er war ein junger, ernster Mann, der zwar wenig Worte machte, aber doch mit Höflichkeit um ein Abendessen für 6 Personen bat. Ich stellte ihm mein Unvermögen und die schreckliche Behand lung vor, die ich erfahren hätte und da er sich durch den Augenschein von der Wahrheit dessen, was ich sagte, überzeugte, so bat er, daß ich Lebensmittel und Wein aus der Stadt herbei schaffen lassen möchte, wozu er mir auch sogleich ein Goldstück überreichte. Allein mein Dienstmädchen wollte sich zu einer Sen dung in die Stadt nicht verstehen, wenn ihr nicht eine Sanvegarde beigegeben würde. Dieß geschah jedoch und beide traten ihren Weg an. Bei ihrem Weggehen bemerkte ich, daß ein Pferd in meinen Stall geführt wurde, es fiel mir aber weiter gar nicht auf, renn ich glaubte, daß es zu der Equipage des Obristen gehöre; doch zeigte sich nachgehends, daß es zu einem ganz andern Behufe dienen sollte. Während dieses vorging, hatte sich der Gencralchirurgus wieder aus mei nem Hause entfernt, doch kehrte er etwa nach Verlauf einer halben Stunde in Begleitung eines Obersten zurück. Der letztere reichte mir freundlich die Halid und gab mir seine Theilnahmc über mein Schicksal zu erkennen, setzte aber hinzu: Im Kriege geht es nicht anders! Hierauf verfügte er sich in die Stube zu seinem Collegen, mit dem er eine zehn Minuten lange Conferenz hielt. Der Gencralchirurgus aber benachrichtigte mich, er sei beim Marschall Lannes ge wesen und habe sich nicht enthalten können, ihm die schrecklichen Mißhandlungen zu erzählen,- die mir widerfahren wären. Sodann lenkte er das Gespräch so gleich wieder auf die Preußen und fragte: Wie stark sie wohl sein möchten? — Dies, entgegnete ich, sei mir unbekannt, doch hätten mir einige Offiziers versichert, daß die ganze im Marsch begriffene Armee, mit Ausschluß der Sachsen, weit über 400,000 Mann stark wäre. — Wenn dies keine Großsprechereien gewesen sind, sprach er, so sind wir freilich ungleich schwächer, aber doch wer den wir siegen. Lagen gestern noch viele in Jena? — Ich bin nicht dort ge wesen, versetzte ich, man sprach aber von 60,000 Mann! Das, meinte er, wolle nicht viel sagen, und morgen würden sie alle das Gewehr strecken müs sen. Schon ärgerte ich mich, daß ich keine größere Zahl genannt hatte und wollte eben noch einen Zusatz machen, als uns jener Oberst durch seine Zurück kunft aus dem anstoßenden Zimmer unterbrach und ihn mit sich fortnahm. Ehe aber noch eine Viertelstunde verlaufen war, erschien auch schon der Oberst wie der in meinem Hause und suchte mich, weil er mich in keinem Zimmer fand, mit einem brennenden Wachsstock bei meiner Frau unter dem Dache auf. Kommen Sie, lieber Prediger, sprach er, der Marschall Lannes, dem ihr Un glück so sehr zu Herzen geht, wünscht Sie auf ein Paar Worte zu sprechen. — Sie sehen, mein Herr, sprach ich, hier eine kranke Frau mit 2 hilflosen Kindern; unmöglich kann ich sie bei der jeden Augenblick zu befürchtenden Einäscherung unseres Dorfes verlassen. — Hat keine Gefahr, fiel er ein, in fünf Minuten bringe ich Sie wieder zurück. Kommen Sie! kommen Sie! Mit diesen Worten faßte er mich unterm Arm und zog mich nölens volsns mit sich fort. Ich fand den Marschall Lannes in dem Garten des Niethammerschen Gutes unter einer schräg an eingeschlagene Pfähle gelehnten Thüre in Gesell schaft mehrerer Generale nahe bei einem großen Feuer auf dem Stroh schlafend liegen. Der Oberst weckte ihn auf und präsentirte mich ihm. Nachdem er sich ein wenig aufgerichtet hatte, that er folgende Fragen an mich, die ich ihm kur; beantwortete. — Marschall. Sind Sie der Prediger dieser: OrtS? — Ich. Ha. — Marschall. Sie sollen so viel durch Plünderung verloren haben? — Ich. Leider alles! — Marschall. Wie hoch taxiren Sie Ihren Schaden? — Ich. Taxiren kann ich ihn jetzt nicht, aber wenn ich sage, ich habe mehr als 2000 Thaler verloren, so sage ich nicht zu viel. — Mar schall. Das ist schrecklich! Der Krieg ist ein großes Uebel, wir führen ihn ungern! Wie lange stehen Sie hier? — Ich. Ueber zehn Jahre. — Mar schall. Kennen Sie Ihre Leute genau? — Ich. Der Schein trügt freilich; aber während meiner Amtsführung habe ich manche Erfahrung gemacht. Es giebt hier, wie überall, gute und böse durcheinander.— Marschall. Verschaffen