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lloiglliniWtr Anzeiger. Amtsblatt für die Gerichtsämter und Stadträthe Plauen, Pausa, Elsterberg, Schöneck und Mühltroff. Siebenzigster Jahrgang. Verantwortliche Rcdaction, Druck und Verlag von Moritz Wieprecht in Plauen. Diese- Blatt erscheint wöchentlich dreimal, und zwar Dienstag-, Donnerstag- und Sonnabends. Jährlicher Abonnement-pret-, auch bei Beziehung durch die Post, 1 Thlr. 10 Ngr. — Annoncen, die bis Vormittag- 11 Uhr etngehen, werden in die Tag- darauf erscheinende Nummer ausgenommen, später eingehende Annoncen finden in der nächstfolgenden Nummer Aufnahme. — Inserate werden mit 1 Ngr. für die gespaltene Corpu--Zetle berechnet. Sonnabend. 158» 31* December 1859. . — » > — - . . - , --- > > -.1 - Rückblick. Wir stehen am AuSgange des JahreS, des Jahrzehnts. Wohin sind sie, die frohen Hoffnungen, mit denen wir daS vergangene Jahr abschlos sen, da der tiefste Friede in ganz Europa waltete, die Geschäfte nach langer Krise wieder aufzublühen begannen, sogar die österreichische Na tionalbank ihre seit 10 Jahren eingestellten Zahlungen wieder aufnchmen konnte? Sie sind nicht erfüllt worden. LouiS Napoleons NeujahrSwunsch schlug in dieselben, wie ein Blitz auS heilerm Himmel, mit den ersten Frühlingstagen entbrannten die Mordkampfe in den Ebenen der Lombar dei; Oesterreichs tapfere Krieger, so hofften wir wieder, würden den über- müthigen Feind nicderwerfen; aber schlecht geführt, schlecht verpflegt, im Nachtheil gegen die neuen Waffen des Feindes, opferten sie sich vergeblich, Oesterreich verlor seine schönste Provinz. Mit der gespanntesten Aufmerksamkeit, mit der lebhaftesten Theil- nahme verfolgten wir alle jene, nur eine Spanne Zeit hinter unS liegen den weltgeschichtlichen Ereignisse in ihrem Entstehen, ihrem Fortgange, ihrem vorläufigen Abschlusse. Und als der Bund und Preußen rüstete, da hofften wir wieder eine endgiltige Entscheidung durch daS deutsche Schwert, eine dauerhafte Begründung des europäischen Friedens. Aber siehe, die Friedenspräliminarien von Villafranka wurden abgeschlossen, der Friede zu Zürich in schönster Form zu Wege gebracht, nach langen Ge- burtSwchen endlich sogar ein Congreß ermöglicht — und doch ist weder im Volke noch in den Regierungen ein Gesühl der FriedeuSdauer, die Geschäfte lahmen nach wie vor, daS Vertrauen fehlt und Mißtrauen in die Zukunft bringen wir als klägliche Errungenschaft deS alten JahreS in daS neue Jahr hinüber. Es ist fast Alles anders geworden, als wir meinten, wünschten und hofften, und daS verflossene Jahr war eine fortwährende Bestätigung der uralten Wahrheit: „Der Mensch denkt, Gott lenkt." Hätte Oesterreich gesiegt, wie wir wünschten, wohl gar schnell und leicht gesiegt, wie stände eS da vielleicht heute mit der bürgerlichen und religiösen Freiheit Italiens? Hätten dann Oesterreichs Völker Hoffnungen hegen mögen auf eine Ent- wickelung im Innern deS Staates, wie die altconstitutionellen Staaten Deutschlands deren lange sich erfreuen? Wie stände eS vielleicht um Deutschland und die längst und sehnlichst gewünschten Verbesserungen in nerhalb deS Bundes, welche jetzt die altconstitutionellen Regierungen selbst in die Hände genommen haben? Einen idealen Gewinn hat unS daS verflossene Jahr unzweifelhaft gebracht, der nicht hoch genug anzuschlagen ist, wir haben unS als ein Volk fühlen gelernt und die Schillerfeste waren der laute, einstimmige Ausdruck dieses Gefühls. WaS auch das kommende Jahr in seinem dunklen Schooße Gefahrdrohendes bergen mag, ein AuSeinandergehen der deutschen Staaten und Stämme gegen einen auswärtigen Feind, Rhein- und Son derbunde, haben wir nicht mehr zu befürchten. Wohl erinnert der Aus gang dieses JahreS in vieler Beziehung an den AuSgang deS vorigen. Damals meldeten die Zeitungen von Rüstungen auS Frankreich, und Niemand wollte oder konnte sagen, gegen wen sie gerichtet waren. Auch jetzt arbeiten die Kanonengießereien in Frankreich Tag und Nacht, wer den ungeheure Vorräthe von Waffen, Munition, Proviant und Fourage aufgehäuft. Man sagt, LouiS Napoleon wolle bis zum Frühjahr die Ar mee auf 800,000 M. bringen. Alle Vorkehrungen deuten auf den Feld dienst hin, selbst die fliegenden Spitäler und die Charpie vergißt man nicht. In den Seehäfen von Brest und Cherbourg wird nicht bloS unaus gesetzt an den Befestigungen gearbeitet, sondern auch der Bau und die Ausrüstung zahlreicher Kriegs- und Transportschiffe, Kanonenboote, schwimmender Dampfbatterien und einer neu erfundenen Art Patentflöße, welche die Bestimmung haben, Truppen anS Land zu setzen, mit Eifer und Eile betrieben. Wie Frankreich setzen auch fast alle Staaten Europas ihre Kampfmittel in Verfassung. Ungeheures Aufsehen erregt am Jahresschlüsse die Flugschrift: „Der Papst und der Congreß", die man verblümt und unverblümt LoniS Na poleon selbst zuschreibt. Zeitungen und Regierungen beurtheilen sie je nach ihrem Standpunkte entweder beifällig oder verdammen die Absicht, den Papst „auf den Auszug zu setzen" als das heilloseste Beginnen. Wir maßen unS in so wichtiger Sache kein Urtheil an; aber daß der dem Papste gehörige Kirchenstaat zeithec von seinen geistlichen Vätern schlechter regiert wurde, als jedes andere Land in Europa, daß die päpstliche Herr schaft nur durch österreichische oder französische oder geworbene ausländische Soldaten mit Mühe und Noth aufrecht erhalten werden konnte, ist That- fache und daß die dritthalb Millionen päpstlicher Unterthanen billige An sprüche haben, besser regiert zu werden, als dieß seit 1815 geschehen, scheint unS kein revolutionaireS Begehren. Wenn aber der zeitherige ConservatismuS kein anderes Mittel wußte, die Herrschaft des Papstes zu erhalten, als fremde Bajonette, Gefängniß ic., so scheint LouiS Napo leons Vorschlag doch nicht ohne weiteres unbedingt verdammenswürdig, sondern einer Prüfung nicht unwerth. LouiS Napoleon zeigt doch den Willen, zu bessern, ob freilich mehr zum Besten seiner Macht als der päpstlichen Unterthanen, mögen Staatsmänner prüfen und abwenden. In allen Fällen wird diese merkwürdige Schrift im neuen Jahre der Welt genug Stoss zum Kopfzerbrechen geben, vielleicht den Congreß verschieben, vielleicht gar unmöglich machen. So tret n wir gelüftet bis an die Zähne mit der Aussicht auf einen Congreß inS "E Jahr; so schließen wir das Jahrzehnt ab, wenn auch mit Mißtrauen und Furcht, doch nicht ohne Hoffnungen auf Verbesserungen in Deutschland, in Italien. Als wir in das Jahrzehnt eintraten, wal tete Reaktion, Rückwärtsbestrebungen in Staat und Kirche, theilweise be rechtigt, theilweise aber auch zur Ueberftürzung sich neigend und mit der schlecht verhehlten Absicht, vaö Mittelalter wieder zurückführen zu wollen. Da bewegte bange Furcht daS Herz deS besonnenen FortschrittsfreundcS, düster gestaltete sich die Aussicht für die Zukunft. Aber siche, wiederum bestätigte sich daS ewig wahre Wort: „Der Mensch denkt, Gott lenkt". Er lenkte die Herzen weiser Regierungen, die Sturmfluthen der Reaction letzten sich, Fürsten und Völker Deutschlands erkannten die Nothwendig- kelt, eins mit einander zu sein nach Innen und Außen, das Mißtrauen verschwand, und an der Grenze deS Jahrzehnts leuchten unS dennoch HoffnungSsterne, trotz aller Rüstungen zum Kampfe. Möchten eS keine Truglichter sein, die Aussichten auf praktische Verbesserungen innerhalb deS Bundes, auf Fortschritte in den einzelnen Staaten Deutschland-, auf