Volltext Seite (XML)
Salzungen statt. Aul 20. Sept, soll die erste Lokomotive in den hiesigen Dahnhof, der eine reizende Lage hat und namentlich eine herrliche Aussicht nach dem Land-berge gewährt, einlaufen und dann die Bahnstrecke bis hierher dem Verkehr übergeben werden. Lebende Bilder aus Amerika. (Bon Theodor Griesinger.) l. Lin Sonntag in Amerika. (Fortsetzung.) Die Amerikaner haben eine gar absonderliche Art, den Sonntag hei lig zu halten. Da sitzt er nun, der sromme Amerikaner, in seinem „Parlour" und schaukelt sich im Sorgenstuhle und streckt die Füße über zwei Stuhllehnen hinaus und raucht eine Cigarre nach der andern. Hie und da aber schleicht er sich hinaus in daS Nebencabinet und nimmt einen guten Schluck auS der Brändiflasche, und bis der Abend kommt, hat er genug, um sich bei Zeiten zurückzuziehen. Und die Frau? Die sitzt dem Herrn Gemahle gegenüber und schaukelt sich ditto und hält ihr Gebetbuch ver kehrt in der Hand und nickt mit dem Kopse, wie im Schlafe und freut sich deS Abends, wenn der Hausfreund seine Erscheinung macht. Die Tochter aber? Nun, die rennen auch Mittags von einer Kirche zur an dern und besonders die Abendkirchen lieben sie und die Heimbegleitung durch ihre Beau's! Das ist amerikanischer Sonntag. Und nie, an keinem anderen Tage, zu keiner anderen Stunde fühlt der Deutsche mehr, daß er ein Fremdling ist im fremden Lande stets ein Fremdling bleiben wird. Der Zrrländer — er hat genug an seiner Schnapsflasche. Die kann er sich auch SamstagS füllen lassen, und wenn'S Noth thut, so führt ja der Apotheker (der natürlich Sonntags nicht schließen muß) auch Rum und Brändi; er ist nur da ein bischen theurer. — Der Deutsche aber mit seiner Liebe zu Musik und Gesang, mit seiner Freude an GotteS freier Natur, mit seinem Hang zur Geselligkeit und Gemächlichkeit, der Deutsche mit all seiner Erinnerung an einen Sonntag in der alten Hei- math, — was hat er? — Ich will Dir sagen, lieber Leser, was er hat: Heimweh hat er. — Doch Eins bleibt ihm, er macht sich auf die Sohlen und klopft an die Hinterthüre des Vierhauses, wo er sonst verkehrt, und die fest verschlossene Thüre thut sich auf vor ihm, von dem man weiß, daß er kein Verräther und Angeber ist, und — da sitzen sie, die deutschen Kame raden bei Gaslicht und fest verrammelten Fenstern und Laden, damit kein Laut auf die Straße dringe und halten Freinacht am Hellen Tage und trinken Lagerbier dazu. — „Sechs Tage sollst du arbeiten im Schweiße Deines Angesichts und am siebenten sollst du Lagerbier trinken nach Her zenslust, doch heimlich und verstohlen, wie der Dieb in der Nacht", so legen die Deutschen daS SonntagSgesetz auS. Sie können nicht anders. — Nicht wahr, davon steht nichts drin in euren Lockbriefen nach Hause, worin ihr die Leute persuadircn wollt, auch herüberzukommen; davon steht nichts, daß eure einzige Sonntagserholung ist: „Verstohlen und heimlich, still, fast un Lautlosigkeit, ohne Gesang und Gläserklirren, ohne Sonnen schein und Spaziergang, Lagerbier trinken gegen theures Geld?" Die Deutschen haben schon ost versucht, den Sonntag auf den Mon tag zu verlegen; aber da müßte man am Sonntage arbeiten können, und am Sonntage lassen die Herren Arbeitgeber nicht arbeiten. So langt's höchstens dazu, daß man Montag Mittag blau macht und hereinbringt, was man am Sonntag versäumte. Aber — etwas ganz Anderes ist's in Newyork. Haben die Herren Amerikaner das Sonntagsgcsctz erfunden, so haben die Deutschen New- yorks das „Sacred-Concert" erfunden. Gott segne die Erfindung! DaS Sacred-Concert heißt zu deutsch „Kirchenmusik" oder ein Con- cert, auf dem lauter Kirchenmusik vorkommt. So kannst du in den Sonn- tagS-Blättern, lange, lange Anzeigen- lesen, wo überall in deutschen WirthS- häusern Sacrcd-Concerte gegeben werden. Ja sogar das deutsche Theater giebt ein Sacred-Concert! Du gehst hin, aber wunderbar, die Kirchen musik will nicht zum Vorschein kommen! Zm Gegenthcil kommt dir vor, als ob ein Lustspiel gegeben würde, vielleicht mit einigen hübschen Musik stücken während der Zwlschenacte! Zn den Wirtshäusern aber schcint'S dir fast, als ob die Trompetenmusik Strauß'sche Walzer von ihrem hohen Stande herabschmetterte! Und daS Billardspielen, daS Scheibenschießen mit der Bolzbüchse, die komischen Vorträge von Tyroler-Sängern, die gym nastischen Sprünge einiger Künstler kannst du doch auch fast unmöglich für „Kirchenmusik" halten! Aber vielleicht das Zusammenläutcn mit den Biergläsern? O du glaubst nicht wie da geläutet wird! DaS ganze Local ist dicht gedrängt voll Menschen: Weiber, Männer, Fräuleins, Cha peau'-, — Alle sitzen sie vor vollen Gläsern und haben Käse und Brod vor sich und sind seelenvergnügt und trinken zu ihrem Vergnügtsein und werden immer vergnügter. Dieß Sacred-Concert ist seine zwölf Cents Entree wohl werth! Nach und nach finden die jüngern Amerikaner Geschmack an dieser Art Kirchenmusik, besonder- aber am Lagerbiere, und Viele ziehen eS vor, einen Abend hier zuzubringen, statt im Schaukelstuhle und hinter der Brändiflasche. Sie finden, daß Musik mit Lagerbier sich sehr gut verträgt, sogar am Sonntag. Für manchen Deutschen in Newyork fängt der Sonntag schon am Samstag Abend an und hört am Montag Morgen auf. Die Zuden haben das Recht, am Sonntag offen zu halten, weil ihr Sonntag auf den Samstag fällt. So sind sie auch hier im Vortheil, denn am Samstag zwingt sie kein Mensch, ihre Trödelbube zu schließen. Wo wäre ein Zude nicht im Vortheil? 2. Wie man in Amerika arbeitet. Arbeiten muß der Mensch in der ganzen Welt, wenn er sein Brod verdienen will und der Schöpfer wußte wohl, warum er di-e Arbeit erschuf; denn niemals ist ein Mensch glücklicher, als Abends, wenn er sich sagen kann: „Heute hast du wieder dein Tagewerk vollbracht." ES wird aber gar verschieden gearbeitet in der Welt, und z. B. in der alten Welt ar beitet man auf die alte Mode und in der neuen Welt auf die neue Mode. Hundertmal für Einmal hörst du in Amerika Einen sagen: „Ja, wenn ich drüben in meiner Heimath so hätte arbeiten mögen, hätte ich ebensoviel, wenn nicht mehr verdient." Es hat seine Richtigkeit mit diesem Ausspruch, aber nicht in Beziehung auf die Strenge oder Härte, mit der gearbeitet wird, sondern nur in Beziehung auf die Art und Weise, wie gearbeitet wird. Die Dauer der Arbeitszeit ist eine fixirte und in ganz Amerika gleich mäßig firirte; sie beträgt zehn Stunden im Tag und dauert gewöhnlich von 7—12 und 1—6 Uhr. In Deutschland werden aus den zehn Stun den oft zwölf und noch mehr und bei manchen Geschäften sinds regel mäßig über zwölf Stunden. In Amerika pressirtS oft auch und gar manch mal muß der Arbeiter über die Zeit „schaffen"; aber das „über die Zeit" wird besonders bezahlt, und wenn's zur Nachtzeit sein muß, so tragt's den doppelten Tagelohn ein. Dcr, welcher auf Stück zu Hause arbeitet, hat sich natürlich an die Zeit gar nicht zu binden; er kann zu seinem Heu: Stroh sagen. Mit der Dauer der Arbeitszeit wär'S also in Amerika keinesfalls schlechter. — Ebenso verhält sich's auch mit der Strenge und Härte der Arbeit. — Der Grobschmied wird nirgends in dcr Welt mit einer Steck nadel dreinschlazen und der Schreiner muß den Hobel führen, er mag in Newyork arbeiten oder in Berlin. Die Strenge und Härte der Arbeit bringt daS Handwerk mit sich, und wenn der Schneider bloß auf seinen Sitztheilen müde wird, so wird'S der Barbier auf seinen Stehtheilen. So ist's in der ganzen Welt. Aber glaubst du nicht, daß das Land einen Vortheil voraus hat, welches zu den schwersten Arbeiten Maschinen besitzt? Und ist nicht in dieser Beziehung Amerika der ganzen Welt voraus ? Eine Maschine vollbringt in einem Tage, was sonst vielleicht hundert Menschen kaum in einer Woche fertig gebracht -hätten, und stündlich benützt fast in jeder Fabrik der Arbeiter die Maschine zu einzelnen Hantirungen, die er ohne Maschine unmöglich allein verrichten könnte. Zn einer kleinen Fabrik würde sich eine solche Maschine vielleicht nicht auStragen, aber — in Ame rika macht man'ö, daß sie sich austrägt. Wo glaubst du nun, daß stren ger und härter gearbeitet wird, in Deutschland ober Amerika? — Wenn ein Arbeiter seiner Pflicht Nachkommen will, wenn er seine Zeit, statt mit Schwatzen und Tändeln und Spielen, mit Arbeit ausfüllen will, — ganz gewiß tu Deutschland. Aber da sitzt der Knoten und neben dem Knoten der Hase im Pfeffer. DaS „wie wird gearbeitet" tst ein ander Ding in Deutschland und ein ander Ding in Amerika. Komm hinüber und bring deinen alten Schlen drian, deine lang gewohnte Bequemlichkeit, deine Kleinigkeitskrämerei und mitunter auch deine Faulheit mit, — ach, wie bald wird dir daS Gast hütchen abgezogen! Wie bald lernst du dich dreimal in einer Minute dre hen, wozu du vorher eine Viertelstunde brauchtest! Entweder verdienst du nichts ober du mußt den Langsamsteufel zur Hölle schicken, wohin er ge hört. Nicht umsonst sagt jeder Handwerker, in Amerika müsse man wie der von Frischem lernen. Das muß Einer auch und wenn er noch so geschickt ist. Nicht bloS, weil die Werkzeuge in mancher Beziehung an ders, in mancher Beziehung vielleicht auch praktischer sind, sondern haupt sächlich deswegen, weil er das Werkzeug anders anfasseu muß. Sein Griff muß ein anderer werden, so gut als sein Gang, denn in Amerika macht man eine Stunde in 40 Minuten! Sieh' nur einmal einen deut schen Maurer an. Sieh', wie er dasteht vor dem Steine, den er aus die Mauer zu bringen hat; sieh', wie melancholisch er den Stein zuerst drei mal betrachtet, dann zweimal um ihn herumläuft, dann eine Prise nimmt