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Platz. Gegenüber dem diplomatischen CorpS auf den Stufen zur Rechten deS Thrones befinden sich die jungen Großfürsten, die Großfürstinnen und all daS anmuthige Gefolge von Ehrendamcn. Endlich werden die Stufen hinter der Tkronestrade bald durch die Senatoren, die Glieder der heiligen Snnode und deS RcichSrathS, die Borstande der Ministerialabtheilungen, die AdelSmarschälle und Generale besetzt. Kaum ist daS diplomatische EorpS auf seinen Plätzen angelangt, als die von außen hereinschallendcn Zurufe den Austritt deS Kaisers auS dem Palaste melden. Eosort bewegt sich die Geistlichkeit der Kathedrale, die in Gewänder von unerhörtem Reich- thume gehüllten Metropolitane von Moskau und Nowgorod und 12 bis 15 Erzbischöfe und Bischöfe auS allen Theilen deS Reiches an ihrer Spitze, in Procession gegen die Südpforte, um hier den Kaiser zu empfangen. Alle diese Priester haben ehrwürdige und ausdrucksvolle GcsichtSzüge; ihre langen, meistens weißen Barte fallen in breiten Wellen auf ihre Brust herab. Der Metropolitan von Moskau, PhilareteS, leuchtet unter Allen hervor durch die Intelligenz, die aus seinen Augen blitzt. Ein Greis von kleiner Statur, lebhaft in seinen Bewegungen, trägt er den Bart viel kürzer als alle Andern, und die antike Tiara deS Patriarchen, eine Art runder weißer Mütze, die von Gold und Edelsteinen erglänzt, verleiht seinen Zügen eine gewisse Erhabenheit. Ihm ist die Hauptrolle in der religiösen Feier, welche die Krönung begleitet, zugctheilt; er hält in seiner Hand daS Kreitz, welches der Kaiser bei seinem Eintritte in die Kirche küssen sott. Nach kurzer Pause erscheint der Kaiser. Er trägt die große Uniform mit den Achselschnurcn, den Zeichen seiner frühem Functionen und die rothen Beinkleider der Oberoffiziere der russischen Armee; sein Schritt ist langsam, ernst und feierlich. Hinter ihm, unter der zweiten Abtheilung deS prächtigen Thronhimmels, unter dem Beide auS dem Palaste gekom men sind und der außerhalb der Kirche stehen bleibt, schreitet die Kaiserin, so weiß, wie ihr Kleid und sichtbar tief bewegt. Sie verneigen sich Beide vor den vor dem Altäre ausgestellten Heiligenbildern, küssen sie mit Ehr- furäst, nachdem sie zahlreiche Kreuze geschlagen und begeben sich sodann unter Anführung deS Obersten der Gardecavalicre, der seinen Degen ent blößt hat, nach der Estrade, auf welcher die Throne ausgeschlagen worden sind. Auf ihrem Wege gehen sie an den nach der im Eeremoniell vorge- schriebenen Ordnung ausgestellten Würdenträgern vorüber, welche auf Kissen von Goldbrocat die kaiserlichen Insignien tragen und schon mit dem ersten Theile deS Gefolges in die Kirche eingetreten sind. DaS Schwert ist in den Händen Gortschakoff'S, deS Statthalters von Polen, und General Gnorine hält die Standarte des Reichs. Die übrigen Großwürdenträger deS Hofes und die mit dem Orden des heiligen Andreas, den der Kaiser selbst trägt, decorirten Generale gruppiren sich zu beiden Seiten der Estrade. Am Throne angekommen und bevor er denselben besteigt, wirft der Kaiser einen langen Blick auf die ganze Versammlung. Zu seiner Linken halten sich der Großsürst Konstantin und Prinz Peter von Oldenburg ; zu seiner Rechten zuerst die Kaiserin, dann der Prinz von Hessen und Prinz Georg von Mecklenburg. Aus der äußersten Rechten trennt sich die Gruppe, welche die Kaiserin-Mutter, die beiden Großfürsten, ihre Söhne, mit ihrer Umgebung von Kämmerern und Ccremonienmcistern bildet, vollständig von der Hauptscene ab. Die Blicke Atter sind auf den Kaiser gerichtet, während der Metro politan von Moskau, die Stufen der Estrade beschreitend, seinem erhabenen Gebieter daö aufgeschlagene Buch, welches das Glaubenöbekenntniß ent hält, überreicht. Nachdem der Kaiser dasselbe mit lauter, sicherer Stimme gelesen, näher n sich die andern Metropolitane, die von Nowgorod, Kiess und St. Peters burg, auf zwei Kissen den Kaiscrmantel tragend; der Kaiser legt denselben unter ihrer Beihilfe, jedoch nicht ohne eine gewisse Anstrengung an, da die Schleppe deS Mantels sehr lang ist und die Metropolitane in dergleichen Handreichungen wenig geübt sind. Hierauf legt der Metropolitan von Moskau seine Hände auf das Haupt deS Kaisers und spricht über ihn die in der griechischen Kirche üblichen Gebete. Ein ergreifender Augen blick, der alle Anwesenden in die feierlichste Stimmung versetzt. ES bot ein eigcnthümliches Schauspiel, den jungen, stolzen und mächtigen Herrscher sein Haupt neigen zu sehen vor dem alten und schwachen Priester: es war die religiöse Weihe deS weltlichen Oberhauptes eines großen Volkes: der Zar empfing gleichsam von Gott selbst die hohe Mission, zu gleicher Zeit über das Seelenheil seiner Untcrthancn, wie über das leibliche Wohl der selben zu wachen. Denn cs ist nicht zu verkennen, daß die Krönung eines russischen Kaisers für sein Volk mehr eine religiöse, als eine politische Be deutung hat, und der tiefe Sinn, den cS seiner Anschauungsweise nach den kleinsten Einzelnheilen dieser Feierlichkeit unterlegt, ist allen Denjenigen wohlbekannt, welche die Mühe nicht gescheut haben, diese symbolischen Formen, welche an ein anderes Zeitalter erinnern, ein wenig zn studiren. Erst nachdem der Kaiser diese erste Weihe empfangen, richtet er sich wieder auf und befiehlt, die Krone herbeiznbringen. Er ergreift sie mit beiden Händen, hebt sie langsam bis zur Höhe seines Hauptes und schmückt sich mit ihr, während der Metropolitan von Moskau eine Ansprache an ihn hält. Alexander II. war wahrhaft schön so; sein wohlwollendes und zugleich männliches Antlitz machte unter dem von Diamanten im Werthe von 6 Millionen Stlberrubeln strahlenden altbvzantinischen Hauptschmuck den Eindruck einer gewissen römischen Erhabenheit. Ader wahrhaft er greifend wird daS Schauspiel, als die Kaiserin vor ihrem Gemahl, der zugleich ihr Herrscher ist, niederkniet und von ihm sich mit der Kaiserkrone, welche sie künftig Beide tragen sollen, schmücken läßt. Die Krone, welche der Stirn eines Nachfolgers Peter'S deS Großen wohl ansteht, ist jedoch zu gewichtig für daS schwache Haupt einer Frau: Alexander II. nimmt sie zurück und die Kaiserin, für welche eine minder schwere Hauptzier be stimmt ist, nimmt wieder ihren Sitz auf dem von ihr verlassenen Throne. Zn diesem Moment erhebt sich Gesang, die Glocken tönen und die in geringer Entfernung aufgepflanztcn Kanonen erschüttern die Gewölbe deS HeiligthumS. Zeichnet sich die religiöse Musik der griechischen Kirche schon an und für sich durch Anmuth, gepaart mit Melodie, aus, so ist dies heute, wo die Sänger der kaiserlichen Kapelle, Alles geübte Meister ihrer Kunst und Stimmen von seltener Vollkommenheit, die Gesänge ausführen, vor zugsweise erkennbar. Während nun die religiösen Hymnen durch die Wöl bungen der byzantinischen Kuppeln erschallen, beglückwünschen die beiden Kaiserinnen, sowie die ganze kaiserliche Familie Alexander II. Ehrfurchts voll küßt er seine ehrwürdige Mutter; der Händedruck, den er mit seiner erlauchten Frau wechselt, die ihm als guter Genius zur Seite stehen sott, verräth zärtliche Zuneigung: man sieht, daß unter dem Kaisermantel daS Herz eines Gatten ihr entgegenschlägt. Die ganze Versammlung ist wie durch einen elektrischen Strom bewegt, und es fehlt wenig, daß nicht selbst der unbefangenste Zuschauer durch den Anblick dieser Vereinigung alles Hohen und Außerordentlichen, welches der Sterbliche anzustreben vermag, und dieser erhabenen, aber zugleich rein menschlichen Gefühlsäußerungen zu der auf allen Gesichtern erkennbaren Rührung und Begeisterung mit fortgerissen wird. Alexander II. küßt noch mit großer Zärtlichkeit seinen Bruder Kon stantin und dessen Gemahlin, die Großfürstin. ES ist übrigens kaum an der Stelle, hier nach Nuancen der Zuneigung zu spähen, die nicht vor handen sind, da ja die kaiserliche Familie mit Recht stolz darauf sein kann, daß alle ihre Glieder die gleiche Liebe vereint, und sicherlich hegen in die sem Augenblicke alle dasselbe Gefühl, das der vollständigsten und ausschließ lichsten Ergebenheit. Der übrige Theil der Feierlichkeit bot im Vergleich zu dem Voran gegangenen weniger Interesse, und um dem Leser ein Bild davon zu geben, müßte man sich fast darauf beschränken, das osficielle Programm wicder- zugebcn. Inzwischen ist doch noch eines Umstandes zu gedenken, der unS einigermaßen befremdete: der Kaiser crtheilte sich daS heilige Abendmahl mit eignen Händen. Um diesen höchsten Act der Frömmigkeit vorzunehmen, verließ der Kaiser den Thron und begab sich über vor seinen Füßen von den höchsten Würdenträgern auSgebrelteten, mit Gold gestickten Sammet- dccken zum Hochaltar, wo er, bevor er in den inncrn Raum desselben ein trat, eben so wie die Kaiserin, die heilige Salbung auS den Händen deS Metropoliten von Moskau empfing. Erst nach dieser letzten Eeremonie, welche wirklich die Weihe auSmacht, fand die Eommunion des Kaisers statt. Der Messe folgte ein langanhaltcndeS Gebet für den Kaiser, eine Art Tcdeum, eine ziemlich eintönige Psalmodie, während welcher die, einen Theil des Zuges bildenden Beamten durch daS nördliche Thor die Kirche verließen, um ihre Plätze, welche sic vor der Eeremonie innehatten, wieder einzunchmen. Ziemlich um dieselbe Zeit erkrankte ein General — man sagte mir, eS sei Osten-Sacken — in der Kirche. Ucberhaupt war Je dermann sehr abgespannt, und cS wäre nicht zu verwundern gewesen, wenn die Pflicht, stehend — denn Sitze gab cs nicht — einer drei Stunden dauernden Feierlichkeit bcizuwohnen, mehrere Fälle ernsten Unwohlseins hervorgerufen hätte. Einen Augenblick fürchtete man, daß Lady Granville ohnmächtig werden werde. Das diplomatische Eorvs nahm seinen Austritt durch die Südpforte, die auf den Zarcnhof geht, und von da begab eS sich in den golvncn Saal oder, wie er auch genannt wird, „des Rathes der Bojaren", im Innern des Kremls, wo ihm zu Ehren ein glänzendes Mahl stattsand. WaS den Festzug betrifft, so bewegte er sich von Kirche zu Kirche, und cS ereignete sich dabei nichts BemerkenSwerthes, außer daß, wo sich der Zar, die Kroue aus dem Haupte, den Sccpter und den Reichsapfel in den Händen, um die Schultern den Kaiscrmantel geschlagen, dessen Schleppe durch hohe Beamte getragen wurde, der Menge zeigte, dieselbe in die lauteste Be geisterung auöbrach. Um den Thronhimmel, unter welchem Alexander II. giug, drängten sich hundert Generale und Würdenträger ohne Zahl, deren Kleidung von Goldstickereien glänzte. Gold und Edelsteine am Thron himmel, Gold an den Kürassen der Soldaten, golden die Sonne und der