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Voigtländischer Anzeiger Siebenundsechszigster Jahrgang. Verantwortliche Redaction, Druck und Verlag von Moritz Wieprecht in Plauen. L «W» Jährlicher AbonnementSpreiS für dieses Platt, auch bei Beziehung durch die Poft, 1 Thlr. 6 Ngr. — Die Jnscrtionsgebühren werden mit 1 Ngr. für die gespaltene CorpuS-Zeile berechnet, größere Schrift nach Verhältnis deS Raumes. — Donnerstag. 7V 1S. Juni 18S«. Rundschau Der mit Recht vielbelobte Mai hat den letzten Zag seiner Ne gierung recht häßlich bezeichnet und in vielen Theilen von Mittel und Süddeutschland abscheulich gehaust. Nicht blos die schönen Alleen und Anlagen um Koburg rmd Regensburg, sondern auch die Obstbaumpflanzungen daselbst sind auf Jahrzehnte hinaus durch den Orkan vernichtet, der die Gewitter dieses Tages begleitete, und dort, wie an vielen andern Orten, sind die schönsten Hoffnungen der Feldbesitzer innerhalb weniger Minuten so gründlich zu Schan den gemacht worden, daß sogar hie und da die Getreidefelder ab gemäht und frisch bestellt werden mußten. An den 31. Mai schlossen sich in der Verwüstung würdig die ersten Tage des Juni, namentlich in Frankreich, wo Flüsse und Bäche austratcn und das Land überschwemmten, wie nicht seit 1848. Aber auch unser Voigtland hat zu einem großen Theile das Gewitter am 10. schwer heimgesucht. Treffen nun auch diese Verluste die Einzelnen schwer und lehren sie aufs Neue die dringendste Nothwendigkeit, zu versichern, wo möglich, so ist koch der alte Satz: „Hagelschlag macht keine Theuerung," immer noch wahr, und der andere: „Gewitterrciche Jahre sind fruchtbare," scheint sich in Nähe und Ferne bestätigen zu wollen. Die Roggenfelder, deren Früchte von den Regengüssen niedergeworfen waren, stehen wieder prachtvoll, die Blüthe hat einen vortrefflichen Verlauf gehabt, der Weizen hat nicht blos am Rhein, sondern allerwärts bedeutend ge wonnen, und der Stand der Sommerfrüchte mit Einschluß der Kartoffeln läßt nichts zu wünschen übrig. Gott gebe weiteren, glücklichen Verlauf! In der Politik viel Geschrei, wenig Wolle. Die italienischen Angelegenheiten machen den Zeitungsschreibern mehr zu schaffen, als den italienischen Staatsmännern und Regierungen. Jene schrei ben fortwährend von Veränderungen und Verbesserungen in der Verwaltung der Länder und Völker des Papstes, des Königs von Neapel und wer weiß, wessen noch; aber diese, die Staatsmänner nämlich, treffen nicht die mindeste Anstalt, die so oft besprochenen Verbesserungen eintreten zu lassen, und die Großmächte, welche zu diesen Verbesserungen treiben und drängen, wohl gar zwingen sollen, sind ganz verschiedener Ansicht über die Krankheit, ihre Ur sachen und die Arzenei. Während ein Theil sagt: „Die spottschlechte Regierung und Verwaltung des heiligen Vaters, des Königs von Neapel rc. sind schuld an der Armethei, Wühlhuberei und strengen Maßregele! der Italiener," behauptet der andere: „Nein, die Wühl huberei ist schuld an dem Elende des Volks und den strengen Maß regeln, die nun schlechterdings gegen die Meuchelmörder, Räuber und Aufstandslustigen ergriffen werden müssen." Darüber aber bleibt Alles hübsch beim Alten, die „italienische Frage" kommt ihrer Erledigung nicht einen Schritt näher und die Oesterreicher und Franzosen nicht aus dem Lande. Eben so ist in dem englisch-amerikanischen Streite der Lärm, das Gefährlich- und Dickethun auf beiden Seiten viel, viel größer, als die wirkliche Kriegs- und Krakehllust. Mag der englische Ge sandte in Amerika von den Amerikanern fortgeschickt sein, mögen Lie Engländer auch den amerikanischen Gesandten noch heimschicken, wir können doch an keinen Krieg zwischen beiden Staaten glauben. Beide brauchen einander zu nothw endig. Der Verkehr Englands mit Nordamerika beläuft sich auf die jährliche bedeutende Summe von 30 Mill. Pfd. Sterling (200 Mill. Thaler), die englischen Baumwollenspinner und Arbeiter hängen fast ganz von der norbamerikanischen Baumwolle ab (die ostindischen Besitzungen Englands liefern zur Zeit noch zu wenig) und der baumwolle- ziehenve Süden Nordamerika's will seine Wolle absetzen und Geld lösen. Sie können einander nicht entbehren. - Nikaragua, ganz Mittelamcrika kann und wird von den Amerikanern „annerirt," d. h. ihrem Staatenbunde allmählig angefügt werden, England wirdö nicht hindern können, unv die Weltstraße über die Panama- Lancenge doch ihm und allen Verkehrsvölkern bleiben. Wir haben schon einmal unsere Ansicht ausgesprochen, daß das Gefährlichthun der amerikanischen Regierung nichts weiter ist, als ein'Mittel, bei den bevorstehenden Wahlen in Amerika das dortige souveräne Volk für diese oder jene Wahlbewerber dadurch in Flamme und Begei sterung zu setzen, daß ihm weißgemacht wird: „Wir wollen uns vergrößern, wir, das erste, freieste, beste, tugendhafteste, klügste, mächtigste rc. Volk der Erde; wollen Nikaragua, Costa Rica, ganz Mittelamerika uns nehmen! Wir wollen es! England widersetzt sich — also, wenn es nicht nachgiebt, Krieg gegen dasselbe!" Solche Reden schmeicheln dem dortigen Publikum, und nun stimmt es sür die, welche es ihm vorreden. Sind die Wahlen vorbei, wird der ganze Streit vernünftig, aber jcbesfalls zu Gunsten Amerika's bei gelegt werden. Im Morgenlande ist noch lange kein wirklicher Friede. Dem Sultan machen seine glaubenswüthigen Türken, welche den Christen die neuen Rechte nicht gönnen, das Hetzen sauer, indem sie hie unv da die Christen berauben unv morden. Dazu ist neuerlich Arabien in Aufstand gerathen. Die Tscherkessen, denen jetzt die Russen ernsthaft zusetzen, schreien überall nach Hilfe, erhalten aber zur. Antwort: „Während des Krieges wolltet Ihr nicht gegen die Russen uns helfen, so helfen wir Euch jetzt auch nicht!" — Die Grenz- berichtigung in der Moldau geht nicht vom Flecke, obwohl die Russen die abzutretenden Festungen bereits gesprengt und geräumt haben. Eben so können die Österreicher immer noch nicht aus den Donaufürstkulhumnn kommen; böse Zungen sagen, cs gefiele