Volltext Seite (XML)
Voigtlänhischer Anzeiger elatni N. M S« Donnerstag. 16. Februar 1854 r. Lon reift g. r ab kn ,'tlchk ^abel ler ick. are »a- ll, as übcr die gegenwältige Lage der Dinge. Die gegenwärtige Lage der Dinge — das ist nicht zu läugnen — Kat einen Character angenommen, der jeden auf merksamen Beobachter der Zeitereignisse mit tiefer Besorgniß erfüllen muß. Die Gesandten Rußlands in Paris und Lon don haben ihre Pässe gefordert und sind am 6. F.br. von ihrem Posten abgereist; andrerseits ist von Paris und Lon don an die Gesandten Frankreichs und Englands in St. Peters burg der Adberufungsbefehl ergangen, kurz der Biuch zwischen Rußland und den Seemächten ist in aller Form vorhanden. Man wird sich erinnern, daß Fürst Menischikoff nach dem Scheitern seiner Mission mit sichtlicher Zögerung Con- stantinopel verließ. Es schien als wolle er der Pforte Zeit lassen, sich zu besinnen und Gelegenheit zu neuen AnknüpfungS- Punkten zu geben. Ganz dasselbe Verfahren bemerkten wir jetzt an den Gesandten Rußlands in England und Frankreich. Die Antwort auf die Anfrage Rußlands wegen des Einlau fen- der Flotten in das schwarze Meer war bereits am 1. Februar ertheilt worden; der Inhalt dieser Antwort war auch der Art, daß nach der Lage der Dinge die Mission der russischen Gesandten in London wie in Paris als beendigt anzusehen war. Gleichwohl verzögerten beide Gesandte ihre Abreise bis zum 6. Februar, und Herr von Kissel.ff suchte als Privatmann noch um eine Audienz bei dem Kaiser Louis Napoleon nach, während Herr von Brunnow bei dem Lord Aberdeen und bei dem Lord von Clarendon, den Vertretern der englischen auswärtigen Politik, Besuche machte. Aus dieser Zögerung bei der Abreise der russischen Ge sandten von ihrem bisherigen Posten ist offenbar daS Be streben herauszulesen, dem Gegner wo möglich noch eine Drücke zu bauen und das Geschick an den noch vorhandenen schwachen Fäden festzuhalten. ES ist ein Beweis, daß die russischen Staatsmänner die ganze Bedeutung der neuen Si tuation fühlen und vor der Größe der herannahenben Kata- strophe zu erschrecken beginnen. Doch Alles ist umsonst, und die Ereignisse gehen ihren Vang. Wie sich Fmst Memschikoff in Constantinopel ge. täuscht sah, so haben sich jetzt auch Herr von Kiffel.ff in Pari- und Herr von Brunnow in London getäuscht gefun- den, weil das St. Petersburger Cabinet hier wie dort von »er irrthümlichen Voraussetzung auSgegangen ist, ,S müßten Zur die gegentheiligen Parteien nachgeben, mährend Rußland auf seinen einmal gestellten Forderungen beharren dürfe, gleichviel, ob dieselben billig, gerecht und erfüllbar sind. Durch die Abreise der russischen Gesandten von London und Paris ist indeß in den thalfächlichen Verhältnissen eme wesentliche Veränderung nicht eingetreten. Durch die Schiir. ßung der russischen Gesandtschaftshotels in London und Partt ist zunächst blos der Abbruch des offiziellen diplomatischen Verkehrs zwischen den bisher befreundeten Höfen von St. Petersburg, London und Paris festgestellt. Dieß aber schließt die Möglichkeit nicht aus, daß auf anderem, mehr privatem Wege die diplomatischen Verhandlungen ihren Fortgang neh men und neue Anknüpfungspunkte gefunden werden können. Es ist ferner keine unbedingte, nothwendige Folge des Abbruchs der diplomatischen Beziehungen der in ernstliche Differenzen gerathenen Höfe, daß von der einen oder der anderen Seite nun auch eine Kriegserklärung auf dem Fuße folge. E- dauerte nach der Abreise des Fürsten Mentschikoff von Eon- stantinopel noch 4 Monate, ehe es feiten der Pforte zu einer förmlichen Kriegserklärung kam, und in der Zwischenhrit waren die Aussichten auf eine friedliche Verständigung mehr als einmal doch sehr hoffnungserweckender Art. Warum sollte man jetzt, wo noch mehr auf dem Spiele steht, wo insbe sondere auch das St. Petersburger Cabinet sich sagen muß, daß es durch seine rücksichtslose Politik gegen sich selbst eine Gefahr herauf beschworen hat, die es kaum zu besiegen hof fen darf, nicht auch eine ähnliche, freilich schwache Hoffnung aufrecht zu erhalten geneigt sein? — Wir finden überhaupt nicht, daß die Situation in dem neuen Stadium, in welches sie eingetreten ist, viel gefähr licher ist als vor dem 6. Februar. Die Gefahr eines euro päischen Kriegs ist durch die Abreise der Gesandten nicht größer geworden, als sie an sich ist, und die Möglichkeiten auf eine friedliche Verständigung, insofern deren noch vor handen, sind dadurch um nichts geringer geworden, nachdem man immer zuversichtlicher hoffen darf, baß die beiden deutschen Großstaaten im Verein mit dem übrigen Deutschland der hereinbrechenden Katastrophe gegenüber ihre Pflicht und Schuldigkeit thun werden! — Und dürfen wir hoffen, daß Deutschland in Einigkeit dem KriegSsturme, welcher sich von Osten und Westen her erheben möchte, entgegentritt; können wir unS dazu versichert halten, daß die beiden deutschen Großmächte, unter sich und mit dem Bund eng vereint, ihror Politik ein gemeinschaftliches Ziel geben: welche- ist dann di« Deutschland- würdige Aufgabe in einer solchen Stellung? Fünfundsechszigster Jahrgang. Verantwortliche R e d a c t i o n: vr. G. I N h «. Druck und Verlag von Moritz Wieprecht in Plauen. E - jährlicher AbonnementSprei« für dieses Blatt, auch bei Bestehung durch die Post, 1 Thlr. K Ngr. — Die ZnserttonsgebLhvm werden mit 1 Ngr. für die gespaltene Corpus-Zeile berechnet, größere Schrift nach DerhälMiß de- Raumes. —