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368 war schon vor einiger Zeit die Rede davon, daß die Kaiser!. Regierung über Maßnahmen entschiedener Art für Bsserung der Finanzlage und namentlich der Valuta-Verhältnisse sinne. Es verlautet nunmehr glaubhaft, daß eine große Finanz, Maßnahme beschlossen ist, nämlich die Auflegung einer Steuer von 3 — 4 Millionen, welche im Laufe von 4 Jahren erho ben werden soll und aus deren Ertrage die Valuta, und Papier-Verhältnisse gründlichst geändert und auf einen gleich, mäßigen Fuß gebracht werden sollen. Aus Wien wird vom 11. telegraphisch gemeldet, daß die Zusammenziehungen der russischen Truppen in der Moldau Folge der österreichischen Truppenbewegungen an der Sieben bürger Grenze zu sein scheinen. Rußland. Der Petersburger Handelszeitung zufolge wa. ren von englischen Kreuzern bis zum 17. Mai in den Ge wässern der Nordsee 20 Schiffe aufgebracht worden. Die Ladungen derselben bestanden hauptsächlich in Salz aus Spanien und Portugal; nur ein finnlänbisches Schiff „Ida" hatte eine Ladung Kaffee aus Rio de Janeiro an Bord. Der greise Admiral Ricord, der unlängst zum Befehls haber der zwei Flotlendivisionen der Ostsee in Kronstadt er. nannt worden ist, hat seine Flagge auf dem Linienschiff „Kaiser Peter 1." aufgezogen, und kürzlich folgenden «Tages befehl an die Flotte erlassen: „Als unschätzbare Auszeichnung ist mir b.im Ablauf von sechszig Dienstjahren, die Ernennung zum Chef von zwei Divisionen der baltischen Flotte, zum Empfang der uns heimsuchenden Feinde bereit, zu Theil geworden, und bin ich gewürdigt worden, die Admiralsflagge auf dem Schiffe auf- ziehen zu dürfen, welches den Namen des unsterblichen Be gründers der russischen Flotte führt, um unter den Augen unseres großen Monarchen handelnd aufzutreten. Euch, meine tapferen Mitkämpfer, will ich nun auch an die heiligen Ver pflichtungen erinnern, und Euch muthvollen Seeleuten ins Gekächtniß rufen, was der Kaiser und das Vaterland von uns erwarten. Euere Pflicht ist in Eueren Herzen verzeich net. Vielen von uns ist es vielleicht Vorbehalten, das Leben zu opfern, ihr wißt ja Alle, der Tod ist eines jeden Erbtheil, aber zu sterben für den Glauben, den Czaren und das Va. terland ist eine Vergünstigung für die Auserwählten Gottes. Welches Loos in dem kommenden Kampfe beschieden ist, wir wissen es nicht, aber das wissen wir, daß die hehre russische Flagge Kem Feinde nicht weichen wird, und daß wir Alle den Sieg unserer gerechten und heiligen Sache, des unsterb lichen Ruhmes unseres Kaisers und Rußlands mit Zuversicht erwarten. Und so mit Gott! gehen wir vorwärts, wohin uns unsere Pflicht und das Kaiser!. Wort ruft!" Nach Berichten aus Kopenhagen hatten alle französische Kriegsschiffe, die sich in dänischen Gemässem befanden, Be fehl erhallen, nach Helsingforö abzugehen, um sich mit der englischen Flotte zu vereinigen. In der Jndependance Belge wird aus Hamburg vom 9. Juni telegraphisch berichtet, daß Schweden öffentlich sich den Westmächten angeschlossen und seinen Gesandten in Pe tersburg abberufen habe. (??) In dem am 23. Mai zu Schumla gehaltenen Kriegs- rathe wurde definitiv beschlossen, die Bildung von polnischen, italienischen oder anderen Legionen nicht zu gestatten. Die Zeitungen bringen die Nachricht von einer großen Niederlage ter Russen vor Sllistria und in Folge derselben die völlige Befreiung dieser Festung. 3000 Russen sollen auf einmal in die Luft geflogen fein und der ganze Verlust der Russen am 19. bis 21. Mai über 12,000 Mann an Lobten und Verwundeten betragen. Die Nachricht ist jeden, falls übertrieben und Näheres noch abzuwarten. Die Verlegung des Hauptquartiers des Kaiser!. Russ. Oberfeldherrn Fürsten Paskiewitsch nach Jassy bestätigt sich, und wurde der Fürst am 12. ober 13. dort erwartet. Die Verlegung dieses Hauptquartiers nach der Moldau und die Zusammenziehung des Gros der Armee in Bulgarien sind die neuesten Dispositionen, w.lche Furst Paskiewitsch getroffen Hal. Die Bedeutung von beiden kann kaum übersehen wer- den. In der Moldau, wo Befestigungen angelegt und die Pässe gegen Sledenbürgen bereits mit Kosackenpiquets besetzt sind, gilt es wohl nichts anders, als eine Stellung gegen die österreichischen Truppen einzunehmen, welche in der Woj- wodina versammelt sind und in Galizien zusammen gezogen werden sollen, und niemand wird es bei der gegenwärtigen Lage der Dinge Rußlands verdenken können, wenn es darauf bedacht ist, an den Grenzen Ö sterreichs sich für mögliche Eoentualilälen vorzusehen. Daß der Erzherzog Albrecht zur Jnspicirung der erstern von Ölen abgegangen ist, mag die Bedeutung des Moments erhöhen. Das in Bulgarien ver sammelte Hauplheer der Russen ist natürlich bestimmt, den verbündeten türkisch-englisch, französischen Streitkräften die Spitze zu bieten. Alles bieß erscheint in dem Zeilpuncte um so mehr von Wichtigkeit, wo die auf den österreichisch-preußi schen Vertrag sich basirende Note des Wiener Cabinets nach St. Petersburg abgegangen ist und sich jetzt wohl schon in den Händen des Kaisers Nikolaus besind-t. Man schließt daraus, daß letzterer in das Begehren der Räumung der Für. stenlhümer, wenigstens in der nächsten Zeit schon, schwerlich eingehen dürfte. Was werden die Folgen der Weigerung sein? Für Oesterreich, Preußen und Deutschland wenigstens — so glaubt man — nlchl unmittelbar der Krieg; denn dieser Punct ist in dem Schutz- und T>utzbündn>sse als Ca sus belli nicht bezeichnet woroen. Daß Rußland aber eine Einverleibung der Fürstenthümer vor der Hand nicht beab. sichtigl, scheint ebenso unzweifelhaft, als »s andrerseits un wahrscheinlich, daß es in der nächsten Zeil den Balkan über schreiten wird. Gegen Oesterreich und Pr.ußen wird also von Rußland eine zuwartende Stellung eingenommen, mit den türkischen und verbündeten Truppen aber eine Schlacht geschlagen werden, sobald dieselben über den Balkan in di« Nähe der russischen Armee vorgerückt sind. Der Erfolg die ses Schlages mag dann neue Chariten für eine friedliche Beilegung durch Unterhandlungen eröffnen, denn bis dahin dürften dieselben kaum irgend eine Aussicht haben; die deut schen Mächte aber werden in der Lage bleiben können, nicht unmittelbar an dem Streite Anthell zu nehmen. War man doch bisher so bedächtig, stets einen Spielraum zwischen dem Worte und der That zu lassen. Uebrigens könnte es O-ster. reich auch nimmermehr genügen, wenn im Falle Rußland die Donaufürstenthümrr räumte, die verbündeten englisch-franzö sischen Flotten sich in den Dardanellen ruhig festsetzen und vor Konstantinopel kriegerische Wache zu halten fortführen.