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Voigtländischer Anzeiger. FünfundsechSzigster Jahrgang. B e r a n k w o r t l t ch e R e d a c t t o n: vr G. Zahn. Druck und Verlag von Moritz Wieprecht in Plauen. Jährlicher AbonnemeniSpreiS für dieses Blatt, auch bei Beziehung durch die Post, 1 Thlr. 6 Ngr. — Die JnsertionSgebühren werden mit 1 Ngr. für die gespaltene CorpuS-Zelle berechnet, größere Schrift nach Lerhältniß deS Raumes. — Sonnabend. ^5». «. Mai 1854. Der Krieft gegen Rußland ist der Friedel Dieß ist j.tzl der Wahlspruch einer Partei, welche vor nicht gar zu langer Zeit den Ausbruch eines europäischen Kriegs nicht für möglich hielt, jetzt aber mit lauter Stimme zu einer allgemeinen Kriegscoalilion gegen Rußland auffor- derl und in dem Zögern der deutschen Großmächte, in das englisch - französische Bündniß einzutretrn, nichts als eine Vorschubleistung russischer Interessen, nichts als Russenfreund, lichkeit sieht. Man gehl dabei von der Ansicht aus, daß Kaiser Nikolaus, wenn er ganz Westeuropa gegen sich im Kriege verbunden erblickt, nicht wagen werde, den Kampf fortzusetzen, in seiner Festigkeit vielmehr erschüttert und über, Haupt — wie man sich ausdrückt — zum Kreuze kriegen werde. Wir gehören nicht zu denen, welche die russische Angriffs politik in Schutz nehmen, wir klagen Rußland, soweit es die Schuld daran trägt, an, durch die hervvrgerufenen Kriegs zustände die Entwickelung der Industrie und die Blütbe des Wohlstandes namentlich auch in Deutschland zum Stocken gebracht zu haben; wir sind'überzeugt, daß es für eine fried liche und ruhige Zukunft Europas durchaus nolhwendig ist, daß dem Umsichgreifen der russischen Macht ein schützender Damm cntgegengestellt werden müsse und wir glauben, baß diese Ansicht auch in den meisten deutschen Cabinetten ge- theilt wird. Aber wir fragen uns auch zugleich, ob durch das vorgeschlagene Mittel, die B-theiligung der deutschen Großmächte an den kriegerischen Maßregeln Englands und Frankreichs, ob durch eine westeuropäische Kriegscoalilion der beabsichtigte Zweck, baldmöglichste Wiederherstellung friedlicher Zustände und eine Demülhigung Rußlands erreicht werben wirb? — In der Politik dürfen nicht die Leidenschaften und die Regungen des Gemülhs, sondern der kühle berechnende Ver stand, die Oberhand gewinnen. Führen wir aber in dieser Weise die Betrachtung, so müssen wir auch verneinend auf obige Frage antworten. Der feste, unerschütterliche Character des Kaisers Nikolaus ist bekannt, und es ist daher mit Gewißheit anzumhmen, daß derselbe durch keine Drohung und durch keine westeuro- päische Eoalition zum Nachgeben werde gezwungen werben. Die colossalen Rüstungen, welche Rußland in bas Werk setzt, und die Völkermaffen, welche es gegen den Westen in Bewegung gebracht hat, deuten darauf hin, daß Kaiser Ni. kolaus entschlossen ist, den begonnenen Kamps ins an die äußersten Grenzen der Möglichkeit zu treiben, noch abgesehen davon, baß in der aus die Kriegserklärung der Westmächte erlassenen ,,Declaration" vom 11. April d. I. dieser Ent schluß ausdrücklich kundgegeben ist. „Angesichts solcher Er, klärungen — heißt es — bleibt dem Kaiser weiter nichts übrig, als sich zu der Lage zu verstehen, in die man ihn versetzt, indem er sich vorbehält, alle von der Vorsehung in seine Hand gelegten Mittel aufzubieten, um die Ehre, Un abhängigkeit und Sicherheit seines Reichs mit Nachdruck und Ausdauer zu vertheidigen." Rußland ist nach seinen geographischen und Culturver- hältnissen so siluirt, daß es im Stande ist, einen langen Verthelbigungskrieg ohne Gefahr für seine Existenz auszu hallen. Es braucht nur die Donau zu behaupten und sich bloß auf die Verlheibigung seiner Gränzen zu beschränken, um alle seine Gegner zu ermüden. Lesen wir nicht in den Zeitungen, baß Abmiral Napier jetzt schon zu zweifeln be- ginnt, ob es möglich sein werde, die russischen Kriegshäfen in der Ostsee zu nehmen! — Aber angenommen auch, das coalirte Westeuropa, Preu ßen und Oesterreich mit eingeschlofsen, brächten zu Lande den russischen Armeen Niederlagen um Niederlagen bei, und drän, gen 700,000 Mann in Rußland vor. Was wäre damit gewonnen? Wie will man eine solche Heeresmaffe in einem Lande verpflegen, wo bas System der Requisitionen (Liefe rungen) nicht angewendet werden kann, eben weil es oft Hunderte von Wersten weit nichts zu requiriren giebt, und der gesammle Proviant mit und nachgeführt werden müßte. Es würde nach unermeßlichen Opfern schließlich doch nichts weiter übrig bleiben, als Rußland einen ehrenvollen Frieden zuzugestehen. Hierzu kommt aber noch eine Erwägung sehr ernster Art. Die Politik des Kaisers Napoleon hat sich bis daher imm^r so erwiesen, daß er sich stets dahin gewendet hat, wo sein Vortheil geleg'N. Nehmen wir nun an, baß England, Frank- reich, Oesterreich und Preußen in einen Keieg mit Rußland verwickelt sind, so wird Letzteres natürlich fort und fort bemüht sein, einen oder den andern seiner Gegner für sich zu ge winnen. Wie nun, wenn das St. Petersburger Cabinet in Paris solche Anerbietungen machte, welche kort als sehr gün. stig betrachtet werden müßten? Wie dann, wenn Frankreich von der westeuropäischen Eoalition zurückcräle und sich auf die Seite Rußlands stellte? Es liegen hierfür zwar noch keine Anzeichen vor, allein in das Bereich der Unmöglichkeit