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«vata», r«. vkwb« i»ro Die Mlßttauensantrage umgangen Sie Sozialdemokratie rettet tos Kabinett Berlin. 19. Oktober. Gegen 10.30 Uhr am Sonnabend begannen im Reichstag die entscheidenden AK stlmmungen über das Schicksal der Regierung Brüning. In einer längeren Geschäftsordnungsdebatte wurde von deutschnationaler und nationalsozialistischer Seite die verfassungsmäßige Zulässigkeit des Antrages, unter Zurückstellung aller Mihtrauensanträge zur Tagesordnung überzugehen, entschieden bestritten. Line nament- liche Abstimmung darüber ergab, daß mit 310 gegen 235 Stimmen die Zulässigkeit des Antrages be- schlossen wurde. Darauf folgte die Abstimmung darüber, zur Tagesordnung überzugehen. Er wurde mit 318 Stimmen gegen 236 bei einer Enthaltung um 11 Uhr abends angenommen. Damit sind sämtliche TNiß- trauensanträge, die gegen einzelne Minister und gegen das Gesamtkabinett gestellt worden sind, erledigt. Die entscheidende Abstimmung, über die Mßtrauensanträge zur Tagesordnung überzugehen, erfolgte gegen die Stimmen der Deutschnationalen, Nationalsozialisten. Kommunisten und des Landvolks. Sechs Wochen Atempause vradtmalüuag uaavrvr LvrUnvr Svlrrlkilvltuog Berlin. 10. Oktober. Die Nacht vom Sonnabend zum Sonntag hat im Reichstag nun das vorausgesagte Ergebnis gebracht. Das Kabinett Brüning hat, obwohl sich das deutsche Volk bei den Wahlen deutlich gegen seine Politik und seine Existenz entschied, die Möglichkeit zum politischen Weiterleben erhalten. ES hat dabei den bereits vorher hinreichend ge kennzeichneten Weg beschrittcn, sich um die Abstimmung über alle Mißtrauensvoten hcrumzubrücken. Dabei stützt es sich nicht nur aus die Gruppen, die srüher der Regierung zur Seite standen und die im Wahlkamps größtenteils zusammgehauen worden find, sondern auch aus die Sozialdemokratie, gegen die das Hindenburgkabinett seinerzeit ausdrücklich ins Leben gerufen worden ist. Die Verfälschung des Grundgedankens, auf dem daS Kabi- »ett beruhte, ist damit restlos zur Tatsache geworden. Den Reichstag hat man bis zum 3. Dezember nach Hause geschickt, obwohl vorher die Abgeordneten der Opposition, sür die Deutschnationalen der Abg. Dr. Bern dt und für die Nationalsozialisten der Abg. Straßcr, gegen diese Art der Ignorierung des letzten Wahlergebnisses ernste Worte des Einspruches gesunden hatten. Die Opposition steht damit vor der ebenfalls vor kurzer Zeit an dieser Stelle gekennzeichneten Lage, von sich aus die Einberufung des Reichstags wieder turchzusetzen. Wir berichteten bereits, wie man sich in Rcgie- rungokreiscn eine neue Auslegung des Art. 21 der Weimarer Verfassung zurechtgemacht hatte, nach der auf einmal ein Drittel der Mitglieder des Reichstags die Einberufung nicht mehr verlangen können soll. In Regierungskreisen beruft man sich darauf, baß der 8 24 nur fllr entsprechende Situa tionen außerhalb einer Wahlperiode gelten könne und dann keine Anwendung finden könne, wenn der Reichs tag einfach auf Grund eines Mehrheitsbeschlusses vertagt sei. Selbst wenn über diese Auslegung des Artikels 24 Zweifel bestehen könnten, so läßt sich doch nicht daran deuteln, daß derselbe Artikel der Relchsversaffung die Bestimmung enthält, daß der Reichstag in jedem Jahre am ersten Mittwoch des Nooember am Sitze der Neichsregierung zusammen zutreten hat. Diese Bindung ist deshalb in der Verfassung ausgesprochen worden, weil der Reichstag eigentlich im November mit den Etatsberatungen beginnen soll. Auf Grund dieser Be stimmung würde also der eben erst nach Hause geschickte Reichstag spätestens am ersten Mittwoch des Monats zu- sammcnzutreten haben. Weiter kann aber ein Drittel des Reichstags eine Einberufung vor dem ersten Mittwoch des November verlangen. In Oppositionskreisen wird ferner auf die Anfrage Be zug genommen, die der nationalsozialistische Abgeordnete Straßer in der Sonnabend-Sonntag-Nacht bet der Regie rung cinbrachte und in der Auskunft darüber verlangt wird, ob die Regierung die Absicht habe, den Reichstag im Dezember einzuberufen, oder ob sie bereits einen Staatsstreich vor bereite. Es ist nun aus der Rechten ausgefallen, daß der Reichskanzler sich zu dieser Anfrage nicht ge il ußert hat. Infolgedessen wird noch einmal die Forderung er hoben, daß der Reichskanzler umgehend über seine Absichten Mitteilung machen möge. Die Amnestierung der sogenannten Fememörder, die durch die Auslösung des letzten Reichstags hinausgczögcrt war, ist nun durch Annahme des entsprechenden Gesetzes in der Sonnabend-Sonntag-Nacht zur Wirklichkeit geworden. Jetzt heißt es, daß bereits einige Ländcrregter ungen wieder Schwierigkeiten machen wollen, und wie zu erwarten war, steht dabei die preußische Regierung wiederum an der Spitze. Das preußische Kabinett behauptet nämlich, es handle sich bei der jetzt angenommenen Amnestievorlage um ein neues Gesetz, das ebenfalls wieder dem Reichsrat vorzulegen sei. Da sich aber die Verhältnisse im Reichsrat kaum geändert haben, hofft Preußen aus diese Art und Weise neuerdings das Amnesttegesetz zu Fall zu bringen. Nun ist »war im gegenwärtigen Reichstag zweifellos eine Zwei drittelmehrheit zur Zurückweisung eines Reichsratsein- spruchs vorhanden. Aber wenn Preußen zu diesem Mittel griffe, würbe sich die Freilassung der unglücklichen Opser der Femehetzc abermals bis in die Weihnachtszeit hinaus- »ö g e r n. Paris ist zufrieden Paris, 1». Okt. Die Morgenpresse verzeichnet mit Be friedigung das Votum des Reichstags für die Regierung Brüning und hebt besonders hervor, baß es der Haltung der Sozialdemokraten zu verdanken sei. Der Berliner Korre spondent des „Journal" schreibt, die Sozialdemokraten hätten dadurch, daß sie zahlreich sür die Regierung stimmten, den Rechtsextremisten eine prachtvolle Lehr« staatsbürger licher Gesinnung gegeben. — DaS „Oeuvre" schreibt, die Ehre des Tages gebühre voll und ganz der Sozialdemokratie, die durch ihren Mut und ihre Klugheit den Abenteurern den Weg versperrt habe. — In dek „E r e Nouvellc" heißt es, man habe den Eindruck, baß es im Reichstag «ine Mehrheit sür vernünftig« Lösungen gebe. Das Lob, das hier von fran - »östscher Sette der Sozialdemokratie wieder ein mal gespendet wird, ist kennzeichnend für die Lage, in der wir uns befinden, und ist die beste Rechtfertigung sür die Stellungnahme der RechtSvartete». Bei den vorhergehenden Abstimmungen ergab die Schluß-1 abstimmung über das SchuldentilgnngSgesetz 825 Stimmen sür«nd287Stimmen.diesich aus Deutsch nationalen, Nationalsozialisten, Landvolk und Kommunisten zusammensetztcn, gegen das Gesetz. Das Gesetz war damit angenommen. Die zur Osthilsc gestellten Anträge, die An träge, die einen Nollstreckungsschutz und die Zurück nahme der Kündigung der öffentlichen Angestellten fordern» wurden an den Ausschuß verwiesen. Der Antrag, der die Vorlegung eines Rcntncrvcrsorgungsgcsetzes fordert, wird angenommen. Nach einer längeren Geschäftöordnungsaussprache. in der vom Zentrum die Ausschußüberweisung der An träge aus Aufhebung der Notverordnung ver langt worden war, und der von deutschnationaler, national sozialistischer und kommunistischer Seite heftig widersprochen wurde, wurde in namentlicher Abstimmung mit 838 gegen 228 Stimmen die Ueberweisung beschlossen. Während dieser Abstimmung kam es zu stürmischen Kund gebungen aus allen Seiten des Hanseö. Berlin. IS. Oktober. In der Debatte des Reichstages über die Regierungserklärung, die bis in die späten Abend stunden des Sonnabend dauerte, kam es bei der Rede des Abg. Hoegncr lSvz.f, der sich ausschließlich mit den National sozialisten befaßte, zu schweren Tumulten. Als Abg. Hoegncr erklärte: Unter Opferung der deut schen Südtirolcr biedern Sic szu den Natsoz.) sich an Italien an, antworten lärmende Zurufe bei den Natsoz., an denen sich besonders Abg. Heines beteiligt; Abg. Severing sSoz.j geht zum Vizepräsidenten Esser hinaus und spricht mit ihm; daraufhin erklärt Vizepräsident Ester: Herr Heines soll den Redner bedroht haben. Ich weise ihn aus dem Saal. — Der Abg. Heines folgt dieser Aufforderung, während die Nationalsozialisten dem Abg. Severing zuruscn: Denunziant! — Abg. Severing sSoz.j geht mitten durch die dichten Reihen der Nationalsozialisten, die sich vor ihr öffnen und sich hinter ihm wieder schließen, hinter dem Abg. Heines her. Die Nationalsozialisten drängen daraushin gleichfalls hinaus. Auch viele Sozialdemokraten verkästen den Saal. In dem Wandel gang rechts neben dem Saale kommt es zu erregten Szenen zwischen Nationalsozialisten und Sozialdemokraten Es bleibt jedoch beim Wortgefecht, «nd schließlich gelingt es dem Präsidenten Löbc, die erregten Gruppen zu beruhigen. Nach einiger Zeit kehren Nationalsozialisten wie Sozial demokraten wieder in den Saal zurück. Der Lärm im Saale hält an und steigert sich erneut zum Tumult a», als Abg. Hoegncr (Sozi ausfiihrte: Mutsch mann liebt nach Ansicht seiner eigenen Freunde nur dreierlei, nämlich das feindliche Ausland, schöne Frauen und . . . Die nächsten Worte des Redners gehen in großem Lärm unter. Abg. Mntschmann (Natsoz.) ruft: Lüge! Un verschämtheit! — Als der Redner weitcrsprechen will, suchen die Nationalsozialisten ihn durch Schlußrufe daran zu bindern. Vizepräsident Esser ruft die Abg. Pieck (Komm.) und Florin sKomm.j wegen des Vorwurfes „Aus beuter" gegen den Abg. Mutschmann zur Ordnung. Abg. Rädel sKomm.j: Er ist doch ein Ausbeuter! Auch Rädel erhält einen Ordnungsruf. Unter großem Lärm der National sozialisten beendet Abg. Dr. Hoegner seine Rede, da die Zwischenrufe es ihm unmöglich machen, wetterzusprechen. In der weiteren Aussprache wirft Abg. Schmidt-Hannover sDtn.j den Sozialdemokraten vor, sie wollten ihre jetzige Hal tung durch die unerhörten Ausführungen des Abg. Hoegner übertünchcn. Der Redner geht dann aus das Wehrprogramm ein und erklärt, der Leipziger Prozeß sei die Widerlegung der Politik der gleitenden Mitte auf wehrpolitischem Gebiet, wie der Altonaer Landvolkprozeß die Widerlegung des Systems Weiter wurde während der Abstimmungen die vom Aeltestenrat vorgcschlagene Diätenkttrzung am 1. No vember einstimmig genehmigt. Die von den verschiedenen Parteien eingebrachten An träge aus Einstellung der Boungzahlungen, Revision des Aoungplanes und Aushebung des Versailler Vertrages wurden aus Antrag des Zen trums mit 828 gegen 236 Stimmen dem Auswärtigen Aus, schuß überwiesen. Desgleichen in einfacher Abstimmung die Anträge, die sich aus Kapitalflucht und Steucrhinter, ziehung beziehen, an den entsprechenden Ausschuß. Die von den Kommunisten beantragte Aushebung des Verbotes des Roten Frontkämpferbundes wurde abgelehnt, zahlreiche sozialpolitische Anträge der Ausschuß, beratung überwiesen, ebenso ein kommunistischer Antrag, den Erwerbslosen eine Wintcrbcihilfe zu gewähren. Ein kommu nistischer Antrag auf Aushebung des Schiedsspruches im Metallarbeiterkonflikt wurde abgclehnt. Dagegen fand mit den Stimmen der Kommunisten, Nationalsozialisten und Sozialdemokraten der Antrag Annahme, wonach der Schiedsspruch nicht für verbindlich erklärt werden soll. Braun sei. Die Beseitigung der inneren Spannungen sei nur durch Personalwechsel in der Reichswehr leitung möglich. Der Uhrencrlaß sei eine Schmach für das Heer, ebenso wie die Verhaftung der Ulmcr Offiziere angesichts der Truppe. Die beste Wehr- und Sanierungs politik der Regierung sei ihr Rücktritt und die Lösung der Preußcnkoalition. Der Redner erhält einen Ordnungs ruf, als er erklärt, der Fahneneid werde heute aus ein so fragliches Gebilde wie die durchlöcherte Verfassung geleistet, Antrag auf Uebergang zur Tagesordnung Inzwischen ist folgender Antrag des Zentrums, der Deutschen Volkspartei, der Bayrischen Volkspartei, der Staatöpartei und der Volksnationalen eingegangen: Der Reichstag nimmt die Erklärung der Neichsregierung^ zur Kenntnis «nd geht über alle eingebrachten Miß-" trauensanträge, auch die gegen einzelne Minister ge richteten, zur Tagesordnung über. Als Abg. Dr. Frick lNatsoz.) mehrmals gegen die Aus-, Weisung des Abg. Heines Stellung nimmt, stellt Vize-, Präsident Esser fest, daß die ausgeschlossenen Abgg. Rosenberg und Heines zur Abstimmung zugclassen werden sollen. Abg. Graf Rcventlow lNatsoz.) erklärt, durch Zeugen aussage HillcrS sei scstgestcllt worden, baß die Fricdcnsgcsell- schaft und die Liga sür Menschenrechte für ihre Tätigkeit vom Auslande bezahlt werden. Das stehe ganz im Einklang mit der Politik der Sozialdemokraten. (Lebh. Widerspruch bet den Soz. Der Redner wird dabei zur Ordnung gerufen.) Die bisherigen Regierungen haben, so erklärt der Redner weiter, den Kampf gegen das Versailler Diktat und die Kriegsschuldlüge niemals ernstlich ausgenommen, sondern durch Locarno und den Völkerbund den Versailler Vertrag freiwillig bestätigt. Wegen einer gegen Erzberger gerichteten Bemerkung erhält der Redner einen zweiten Ordnungsruf. Der Kursrückgang nach der Reichstagswahl ist nur von den Juden an der Börse absichtlich herbeigeführt worden. Es habe damals nur zwei Parteien gegeben, die Hitlerpartet und die Laubhüttlerpartei. (Stürmische Heiterkeit.) Zum Schluß polemisierte der Redner gegen den Abg. Leicht (B.Vp.). Nach einer längeren Rede der Kommunistin Frau Reese beschäftigte sich Abg. Dr. Brauns lZtr.) dann mit den An trägen der Sozialdemokraten und Kommunisten, die sich gegen die Verbtndlichkeitserklärung des Schiedsspruchs für die Berliner Metallindustrie wenden. Mit solchen Anträgen werde die Unabhängigkeit der Schlichter angetastet, bas Schlichtungswesen politisiert und ein politischer Eingriff in ein schwebendes Verfahren vorgenommen. Abg. Gtubvendvrff tDuat.) kritisierte die Einstellung der Preußenkasse, die ein Stürmisch» Abschluß btt Debatte Rededuell zwischen Oldenburg und Brüning - Vertagung bis 3. Dezember