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v«r»r»»>»»S»l«U »er ikreirh«»»t»»»»sH«ft Bartze» ,»,leich «I» No»siftori«IbehSr»e »er Obcrleifttz! Amtivkatt der Amtshauptmannschaften Bautzen und Löbau, de» Landgericht» Bautzen und der Amtsgerichte Bautzen, Schirgiswalde, Herrnhut und Bernstadt, des Hauptzollamts Bautzen, ingleichen der Stadträte zu Bautze» und Bernstadt, sowie der Stadtgemeinderäte zu Schirgiswalde und Weißenberg vrs», der -««del»- od G»Werhek««»»r z« Litt«»? Verantwortlicher Redakteur Arno Zschuppe (Sprechstunden wochentags von 10—11 und von 3—4 Uhr). — Telegramm-Adresse: Amtsblatt Bautzen. Fernsprechanschluß Nr. LI. M» vaichma Nachrichten erscheineri, mit Ausnahme der Soun» und Festtag«, täglich abends. Preis de» vierteljährlichen Abonnement» 3 ^l JnjerttonSgebühr für den Raum «in« P«1tt-Spaltz«t'e gewdhulichea Satze» 18 in geeignet« Fälle» unter Gewährung von Rabatt; Zistern-, Tabellen» und anderer schwieriger Satz entsprechend teurer. RachweiSgebühr für jede Anzeig» und Insertion 2V S I°r briefliche «nsknnftsrrttUung 10 4 (und Porto). WM- R»r di- früh 1v Ntzr et«sehextze J»fer«te fi»de» «och i« de« Rde»d» erfchet«e»de» Blatt» Inserate nehmen die Geschäftsstelle de« Blatte» und di» Amwnceubureau» an, desgleichen dir Herren Wald» tu Löbau, Clauß tu Weißenberg, Ltppitfch tu Schirgiswalde Gustav Kröltng in Bernstadt, Buhr in Königshain bet Ostrttz, Reußner in Ober-CunuerSdorf und von Lindenau in PulSnitz. Nr. 209. Freitag, den 8. September, abends. 1905. Gesperrt -wird vom 11. bis mit 17. d. M. In RiitergutSflur Buchwalvc der von Buchwalde nach Gleina führende Kommunikations-Weg wegen Herstellung der Brücke über das Löbauer Wasser. Der Verkehr wird über Klei«- faubenütz—Guttau gewiesen. Bautzen, am 6. September 1905. Königliche Amtshauptmannschaft. Sozialdemokratie und Parlamentarismus. Der kürzlich erfolgte Zusammenschluß der 3000 Mit glieder lokalorganisierter Gewerkschaften in Berlin zur Bil' düng der „anarchosozialtstischen" Partei hat den Führern der Sozialdemokratie doch ernstes Unbehagen bereitet, wenn gleich sie wohl kaum eine hieraus resultierende tiefgreifende Spaltung der Partei zu befürchten haben. Doß die sozial demokratischen Führer aber trotzdem dieser Erscheinung als einem rrnst zu nehmenden Faktum gegenüber stehen, erhellt schon daraus, daß der „Vorwärts" ihr zwei Leitartikel widmet. Auch die übrige Parteiprrsse bespricht mehr oder minder eingehend die Sache. Wir batten keine Veran lassung, uns näher mit dieser neuen Parteibtldung zu be schäftigen, wenn hieibei nicht verschiedene Aeußerungen der sozialdemokratischen Presse ein Helles Licht auf eine sehr beachtenswerte Erscheinung geworfen hätten, nämlich auf die von feiten der Sozialdemokratie geübte Mißachtung des Parlamentarismus. Bekanntlich erblickt die neue Gruppe der „Anarchosozia listen" im Generalstreik das einzige Kampfmittel des klassen bewußten Proletariats urd bricht über den Parlamentaris mus als einen überlebten und überflüssigen Faktor den Stab. In dem Bestreben, dieser Mißachtung des Parlaments ent» gegenzutreten, schreibt nun der „Vorwärts": „Nie hat ein Sozialdemokrat im parlamentarischen System bürgerlicher Republiken oder konstitutioneller Monarchien aller politischen Weisheit letzten Schluß zu erblicken geglaubt, allen erschien der heutige Parlamentarismus nur als Uebergangsstufe oder Sprungbrett zu unendlich höheren Zielen." Der Parla mentarismus dient demnach der Sozialdemokratie nicht dazu, eine geeignete Vertretung der Wählerschaft zu erzielen, sondern er dient — als Sprungbrett zu höheren Zielen. Macht man sich demgegenüber klar, welche Aufgaben der Parlamentarismus in Wahrheit hat, daß er doch feinem innersten Wesenskerne nach nichts anderes als eine volle und maßgebende Vertretung der Wählerschaft und somit des ganzen Volkes sein soll, so zeigt sich die Schiefheit der sozialdemokratischen Auffassung in eklatanter Weise. Geradezu komisch anmuten muß es uns aber, wenn wir sehen, daß selbst dieser verunglückte Versuch des „Vorwärts" zur Ehren rettung des Parlamentarismus noch auf den heftigsten Widerstand stößt. Mit Bezug darauf nämlich, daß das Berliner Organ von einer „prinzipiellen Geringschätzung der parlamentarischen Aktton' sprach, «klärt Mehring in der „Leipziger Volkszeitung" in seiner bekannten Tonart, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt: „Nicht als Reaktion auf die „prinzipielle" Geringschätzung, sondern im Gegenteil auf die prinzipielle Uebrrschätzung der parlamen tarischen Aktion bei manchen Partrischriftstellern ist eine Bewegung zu erklären, die überhaupt vom Parlamentaris mus nichts mehr wissen will. Wer sich einbildet, durch den Stimmzettel „Weltwcnden" herbeizuführen, der provoziert gewissermaßen die höhnische Frage, die die Mittwoch Ver sammlung an die Partei richtete: nun laßt mal schauen, wir sieht denn eure Weltwende aus? —" Bei derartigen Anschauungen kann eS nicht wunder nehmen, daß von Anbeginn des Eintretens der Sozial- demokratrn in die Wahlkämpfe zu beobachten war, daß die Sozialdemokraten nach der Wahl niemals als Vertreter ihres Wahlkreises, sondern stets nur als Vertreter ihr« Partei auftraten. DaS ist die naturgemäße Folge ihrer Ar. schauung, im Parlamentarismus nur daS „Sprungbrett zu höheren Zielen" zu sehen. Ueber diese „höheren Ziele" selbst brauchen wir kein Wort mehr zu verlieren, sie haben in jüngster Zeit durch die Auseinandersetzungen über den Gennalstreik und die Sympathiekundgebungen für die rufst schen Meuchelmörder eine neue grelle Beleuchtung erfahren. Was unS hierbei interessiert, ist die völlige Nichtachtung des Parlamentarismus selbst. Gerade in einn Zeit, in der in Sachsen der Landtags- Wahlkampf im vollen Gange ist, verdient es darauf hingr- wiesen zu werden, in welch schreiendem Mißverhältnis oie wahre Achtung dn Sozialdemokratie vor dem Parlamen- tarlsmus mit dn hetzerischen Agitation steht, mit dn dir Sozialdemokraten immer neue Wähler für sich zu gewinnen suchen. Mehr noch als bei den Reichstagswahlen kommt in dm Landtagswahlen daS Bestreben zum Ausdruck, in den Gewählten auch wirkliche Vertreter dn betreffenden Wahlkreise zu erhalten, ja, es ist dies geradezu die unerläß liche Voraussetzung jeder Kandidatur und muß es auch sew. So sicher es demgegenüber auch ist, daß die Vertreter der Ordnungsparteirn sich voll ter Pflicht, Vertreter ihres Kreises zu sein, bewußt sind, so sicher ist es auch, daß die sozialdemokratischen Kandidaten, wenn sie erst gewählt sind, sich nicht im geringsten mehr um die Interessen ihres Wahl kreises kümmern, sondern sich einzig und allein als sozial- demokcatische Parteigenossen fühlen, denen die Interessen der Partei über diejenigen ihres Wahlkreises gehen und die den Parlamentarismus eben nur „als Sprungbrett" benutzen! Man darf mit Recht die Frage aufwerfen, ob Leute, die solcher Anschauung huldigen, überhaupt das Recht haben, sich als Kandidaten aufstellen zu lassen. Die denkenden Wählerkreise, denen an einer wirklichen Vertretung der In teressen ihres Wahlkreises gelegen ist, weiden hieraus den rechten Schluß ziehen können; auch werden sie wissen, was von der Entrüstung der Sozialdemokratie über das jetzige Landtagswahlrecht zu halten ist. Diesen Volksverhetzern kommt es nicht darauf an, dem Volke größere Rechte zu erkämpfen, sondern darauf, ein neues „Sprungbrett" zur Erlangung neuer Parteivorteile zu erhalten. Die Fleischer und die Fleischuot. 2000 Fleischermeister, deren größter Teil aus Berlin war, während eine geringere Zahl aus den übrigen Städten der preußischen Monarchie und der außrrpreußischen Staaten sich rekrutierte, versammelten sich, wie schon kurz gemeldet, am Mittwoch nachmittag zu einem großen Entrüstungs- Meeting, in dem gegen die Politik der Regierung und die angeblich dadurch veianlaßte Fleischteuerung Stellung ge nommen werden sollte. Die „Norddeut schc Allgemeine Zeitung" berichtet über den Verlauf der Versammlung folgendes: Fleischermeister Koßbach eröffnete die Versammlung mit einem Kaiserhoch. Der erste Hauptredner war Obermeister Wiegand-Nordhausen. Er stellte zuerst die Wirksamkeit der Grenzsperre in sanitärer Beziehung in Frage; denn trotz der Sperre hätten d'c Seuchen durchaus nicht nachgelassen, außer der Maul- und Klauenseuche, die aber überall zurück- gegangen sei. Die Flelschteuerung drücke das Volk ganz außerordentlich, man könne sich einen Begriff davon machen, wenn man berücksichtigt, daß sogar Minister Möller diese Not schon empfindet. Wenn Minister v. Podbtelski die Viehnot an sich bestreite, io beweise das, daß er „das tiefere Volksleben" nicht keine. Noch schärfere Töne schlug Ahlers- Berlin an. Er müsse bereiten, daß die Fleischnot Börsen- moche sei. Man könne darauf antworten, daß man eS eher mit einer Agrariermache zu tun hätte. Der Redner kam zu dem Schluffe, daß es die Agrarier sein, die das Volk aus- beuten (!), wobei die Versammlung lebhaft zustimmte. Ein anderer Redner verlas eine Rede, die mit Ausführungen darüber begann, was rin Landwirtschaftsminister wissen sollte. Müsers-Hamburg erklärte, daß ja eine Fleischnot im eigentlichen Sinne noch nicht bestehe; denn man habe immer noch seine Kunden im allgemeinen mit Fleisch ver sehen können. Aber es bestehe allerdings dir große Gefahr für die Volksernährung, wenn der jetzige Zustand noch weiter dauere, dann würde es eines TageS 35 Millionen hungrige Seelen geben. Ritt« » Borbeck appellierte unter donnerndem Beifall „an das Volk". Wir bitten nicht mehr, wir fordern! Wir fordern die Oeffnung der Grenzen! Be rufen wir schleunigst überall große Ansammlungen ein und rufen wir das Volk auf zum Protest! Breslauer-Berlin bedauerte, daß man nicht den Zirkus Busch gemietet habe. Schreien, schreien, schreien müssen wir! Wir müssen es machen wie die Agrarier, die dn Regierung sagten: wir schwenken ab zur Sozialdemokratie, wenn ihr nicht tut, waS wir wollen! (Lauter Beifall. Rufe: Wir auch, wir auch!) Der Schlächter, durch seinen Bnuf zum Agitator ganz besonders geeignet, müsse viel mehr als bisher agitieren und jedem, dn in den Laden kommt, sagen: eS wird nicht eher anders, als bis nicht Reichstag und Land tag anders werden und die Interessen- und Liebesgaben» Wirtschaft der Agrarier aufhört. In «in« Zwischenpause, ehe ein ander« Redner das Wort «griff, rief ein Fleischer- meister: „Hier fehlt bloß noch Bebel!" In d« wei- tnm Debatte wurden ' um neue Gesichtspunkte vorgebracht. Ein Fleischermeister aus Charlottenburg fand, daß die Fleischerei immer roch ein Geschäft ist, das sich rentiert. (Große Unruhe. Ruf: Zur Sache!) Auch die Fleischnot habe ihr Gutes denn durch die hohen Preise werde die Schleuderkonkurrenz ausgeschaltet, und wenn die Sperre noch 3 Monate dauere, könne man sich sogar des Rabatt markensystems entledigen Der Vorsitzende Koßbach forderte den Redner auf, die Behauptung zu widerrufen, daß sich das Schlächtergewerbe noch rentiere; das könne man mit gutem Gewissen nicht sagen! (Beifall.) Der Charlotten burger Fleischermeister schränkte seine Behauptung daraufhin dahin ein, daß eS nach Oeffnung der Grenzen und Auf hebung des Markensystems wieder rentabel werden würde. (Heiterkeit.) Der Vorsitzende des Flrischerverbandes Marx erklärte, er habe vieles gehört, allerdings nicht gerade etwas Neues. In einer großen Versammlung sei cs leicht zu redrn, was die Massen hinreißt, weil man nicht verantwort lich fei. Aber gegenüber gewissen Aeußerungen müsse er hervorheben, daß der Vorstand des Fleischerverbandes sich durchaus seiner Pflicht in der Frage der Fleischnot bewußt sei. (Bravo!) Abg. Justizrat Cassel griff besonders den Landwirtschaftsministcr an. Schließlich wurden zwei Reso lutionen (schon unter großer Unruhe) einstimmig angenom men, deren endgültige Fassung aber dem Vorstand über lassen wurde. Sie fordern die Aufschließung der Grenzen und Aufhebung der Quarantänebesttmmungen unter Hinweis u. a. darauf, daß die Landwirtschaft nicht mehr imstande sei, genügend Fleisch zu liefern. Man kann nur bedauern, daß in dieser Versammlung der Berliner und einiger anderen Fleischermeister eine Tonart angeschlagen wurde, die der Lösung der Fleischnotfrage nichts weniger als günstig ist. Ist es nicht ein trauriges Zeichen, wenn bei der geringsten volkswirtschaftlichen Schwierigkeit mit dem Uebergang zur Sozialdemokratie gedroht wird? Wenn ferner behauptet wird, daß eine Gefahr der Einschlep pung von Viehseuchen nach Oeffnung der Grenzen nicht be- stehe, so ist demgegenüber doch auf eine sehr beachtenswerte Ausführung des Mitglieds des preußischen Herrenhauses, Graf von Königsmarck-Plaue, zu verweisen, die in einem Aufsatz des „Tag" über die Fleischtcuerung enthalten ist. 2ier Ärrfasser weist darauf hin, vaß Vie Viehseuchen im Auslar de bei ihrem Auftreten im Jntreresse des Verkehrs nicht nur nicht bekannt gegeben, sondern in jeder Weise ver steckt gehalten und abgeleugnet werden, dann fährt der Ver fasser fort: „Man sieht es heute an der Cholera. Wer hat davon gehört, daß die Cholera in Rußland und Polen herrscht? Erst als Cholerafälle bei Polen auf den Weichsel flößen in Preußen auftratrn, erfuhr man von der Krank heit. Wir haben die Krankheit, die unS viel Menschenleben noch kosten kann, über die Grenze hineingeschleppt erhalten. Gerade wie die Cholera, aber in erhöhtem Maße, wird eine Viehseuche in dortigen Ländern geheim gehalten, und wir haben darunten zu leiden. Bei Menschen kann nur eine langandauernde Quarantäne, zu der man sich schwer entschließen kann, schützen und ebenso gegen Vieh seuchen eine Quarantäne für Vieh. Die liberalen, aber praktischen Amerikaner haben dies immer durchgeführt, und nie hat die amerikanische Presse dabei über Rücksichtslosig keit geklagt. Die Amerikaner lassen alles Vieh hinein, fordern aber eine dreimonatige Quarantäne. Die Amerikaner haben beute schon, acht Tage nach Bekanntwerden des ersten CholerafalleS in Europa, ihre Vorsichtsmaßregeln getroffen, damit russische Auswanderer nicht über das große Wass« kommen, sondern in Hamburg und Bremen zurückgehalten werden. Das sind praktische Leute, diese Amerikaner, dir eS damit auch zu etwas bringen, während wir Zetermordio schreien, wenn die Regierung ihre Schuldigkeit tut, um daS Vaterland gegen aus der Fremde Angeführtes Unheil zu schützen." Lie so überaus dreist in d« Versammlung aufgetretenen einzelnen Schreier, die Übrigens von dem Vorsitzenden selbst, wie aus obigem Bericht der „Nordd. Allg. Ztg." zu ersehen, in ihre Schranken zurückgewiesen wurden, würden große Augen machen, wenn ihrem so leidenschaftlich geäußerten Wunsche der Oeffnung d« Grenzen — zur Strafe — von der Regierung tatsächlich Rechnung getragen würde. Von der Fleischteuerung, die nach Einführung verseuchten VieheS in deutschen Landen eintreten würde, würde die jetzige