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Dresdner Nachrichten : 24.10.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-10-24
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id501434038-189910244
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id501434038-18991024
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-501434038-18991024
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Nachrichten
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-10
- Tag 1899-10-24
-
Monat
1899-10
-
Jahr
1899
- Titel
- Dresdner Nachrichten : 24.10.1899
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1 LWDZ^D Seite 5V2. Belletristische Beilage zu de« »Tresdrrer Nachrichten". rau» oder, ich habe mich MIL r? Du Haft mich mißverstanden, ^ ansmdrücken gewußt. Charlotte denkt scharf, empfindet «in dt. das find Dinge, die keinem Menschen zum Schaden gereichen Leben wird unsere Kinder vielleicht nnt Individuen in Be rührung bringen, die nicht Werth sind, meiner Schwester Schuhriemen zu lösen, uno wir werden das nicht hindern können. Wer sich bewähren will im Dasein, der muß in seinem Innern wohl ausgerüstet sein mit Wehr und Waffen, — die will ich unseren Kindern mitgcbeu aus den Lebensweg. Ich habe zuvor nur sagen wollen: weil ich so viel von Charlotte halte, weil ich sie für einen seltenen und bedeutende» Menschen taxire. darum kann sie. gerade sie, in mancher Hinsicht so jungen Gemüthern verhängnißvoll werden. Was sie ab- stößt, wird ihnen niemals gefährlich sein, — das anziehende Element ist das bedenkliche, und ich habe bisher noch immer beobachten können, daß Lotte die Menschen an sich zu fesseln verstand, rnn die cs ihr zu thun war." Frau Johanna schwieg gedankenvoll. Sie lebte im Geist die Scene in der Geisblattlaube durch. — es schien ihr schon viel längere Zeit als ein einziger Tag dazwischen zu liegen — und sie hörte das Wort „Opernsängerin", das ihr so schrecklich geklungen hatte! War es möglich? Konnte Charlotte in der Tdat eine solche Laufbahn für Maria in's Auge gefaßt haben? Und wenn es so war . . . Ulrich Deinhardt würde es niemals zugeben, daß seine Tochter die Bühne betrat! Unwillkürlich hatte sie die Hände im SKooß gefaltet und seufzte beklommen. »Nun, liebes Weib, warum so kleinmüthig? Was soll der verzagte Aus druck in Deinem lieben Gesicht?" „Ach, Ulrich, ich dachte nur gerade an Miezens Zukunst!" „Sorget nicht für den kommenden Tag. denn der morgende Tag wird für das Seine sorgen!" entgegnete der Pfarrer mild. „Wir sollen für unsere Kinder nach bestem Ermessen die Lebenslose wählen, — der weitere Weg und der Ausgang steht bei Gott!" „So lange die Kinder klein und unselbstständig waren und ganz unserer Obhut anheimgeoeben, war ich viel nihiger, — aber jetzt! Sie sollen in s Leben treten, und das Gefühl Ver Verantwortlichkeit wird für uns Eltern so viel größer!" „Wirf Tein Anliegen auf den Herrn! Aber da wir gerade darüber sprechen . . . entsinnst Du Dich, daß ich Dir gestern sagte, ich hätte etwas Wichtiges mit Dir zu besprechen?" „Jawohl!" nickte Johanna. „Es war Vormittags, als das Gewitter eben zum Ausbruch kam. Tu hieltest einen oyenen Brief in der Hand und warst sichtlich freudig bewegt. Tie Sorge um unsere Nnemi drängte das Alles dann in den Hintergrund. Willst Du letzt mit mir darüber reden?" „Gern, wenn Du genug Gemüthsruhe und Sammlrmg dafür hast." «Ist es denn etwas so Wichtiges, lieber Mann?" „Sehr wichtig, Johanna. — es verlangt nicht einen getheilten Menschen, sondern den ganzen. Wen» Tu irgendwie noch unruhig oder erregt bist —" „Nein, mein Ulrich! Mieze sitzt neben Naemis Bettchen und ist >o besorgt nur das Kind und so absolut zuverlässig! Ich bin überzeugt, sie ruft mich, wenn nur das Geringste paisirt! Jung, wie sie noch ist . . . mir scheint ihre Gegenwart in unserem Hause wie ein Segen!" „Ein schönes Wort, meine Johanna! Ich hoffe, unsere Tochter wird nicht nur für ihr Elternhaus. — sie wird für viel weiter gezogene Grenzen dereinst ein Segen sein!" „Was meinst Tu damit?" Ter Pfarrer zog einen Brief aus seiner Brusttasche. — denselben, welche» er gestern in seiner Hand gehalten hatte. „Er kommt von meinem alten Freunde Matthias Späth!" Teinhardt nahm das Schreiben ans dem Kouvert und entfaltete cs. — es waren mehrere große, eng beschriebene Bogen. „Du erinnerst Dich doch seiner, nicht wahr? Ich habe oft von ihm gesprochen." „Gewiß, — sehr oft und mit ebenso viel Liebe als Bewunderung! Du hast ihn immer so sehr hochgestellt und Dich ihm ganz untergeordnet. Ost Hab' ich gedacht. Du gehst zu weit darin —" „Bewahre, liebes Weib, bewahre! Späth ist mir in jeder Hinsicht über legen. — in zeder! Sowohl, was seine Begabung, als auch was seinen Giaubenseifer anbetrifft. Ein herrlicher Gottesstreiter. sag' ich Dir. feurig und beredt, edel und hilfbereit, — ein Herz, wie von Gold, eine Zunge, wie ein Schwert. Seitdem mein Vater gestorben ist, an den mich Späth oft erinnert hat. habe ich keinen Menschen mehr angetrosfen, mit dem ich ihn vergleichen könnte! Im theologischen Seminar nannten sie ihn den Moses, — und, wahrlich, viel von dem kühnen Geist und der Unerschrockenheit dieses alten Propheten steckt in ihm. Er war mein liebster, nächster Freund, mein leuchtendes Vorbild. Mit schwärmerischer Verehrung und Bewunderung habe ich ihm angehangeu und zu ihm aufgeschaut; er überragte uns Alle, wie wir da waren, nm ein bedeutendes, die Professoren prophezeiten ihm allgemein eine große Zukunft." „Es thut mir so leid, ihn nicht kennen gelernt zu haben!" sagte die Pfarrfrau. „Aber, nicht wahr, er ging schon, noch ehe wir heiratheten, nach London und blieb dort ?" „Ganz recht! Er war ja mehrere Jahre älter als ich, war bereits seit längerer Zeit verlobt und wünschte, sich möglichst bald einen eigenen Herd zu gründen. Da man seine große Begabung wohl erkannte und er auch viele Sprachkenntnisse besaß, so nahm man ihn nach London in die englische Mission hinüber, wo er schon seit Jahren eine hervorragende Stellung bekleidet. Er ist enorm beschäftigt und schreibt mir nur selten. Wenn es aber einmal geschieht, so ist eS mir natürlich die größeste Freude, es handelt sich dann stets um etwas Wichtiges und kann als ein bedeutsames Ereigniß in meinem Leben angeieben werden!" Es legte sich plötzlich wie eine Last auf Johannas Seele, — sie konnte die Freude ihres Mannes nicht theilcn: sie schalt sich innerlich darum, aber die innere Beklemmung wollte darum doch nicht von ihr weichen. „Und was schreibt er Dir jetzt?" fragte sie nicht ohne Anstrengung. „Willst Tu den Brief für Dich leien oder —" „Erzähl' mir lieber seinen Inhalt, ich lese ihn daun später. Ter Brief ist recht ausführlich, wie ich sehe, ich müßte mir sehr viel Zeit nehmen, ihn zu lesest —" „Und die hast Du wieder einmal nicht I" vollendete der Pfarrer mit einem etwas wehmüchigen Lächeln. „Immer in Eile, Johanna, immer in Eile! Wie oft Hab' ich Dich schon gebeten, nicht gar zu sehr die geschäftige Martha Nachnahmen: iei auch Maria, die zu des Herrn Füßen sitzt!" Frau Deinhardt seufzte. Es war dies der streitige Punkt zwischen ihr und ihrem Mann. Hundert Mal schon hatte sie ihm erklärt, daß es in einem großen Haushalt, der auch einen großen Garten und ein Stück Landwirth- schaft in sich begreife, viel zu thun gebe, und daß eine gute Hausfrau un bedingt selbst nach Allem sehen müsse, wolle sie nicht empfindlichen Schaden leiden. Er hatte kein rechtes Einsehen dafür. In praktischen Dingen un erfahren wie ein Kind, wußte Prediger Deinhardt den Werth^des Geldes schlecht zu schätzen, er gab seiner Frau eine sehr geringfügige Summe zur Bestreitung des Haushalts, um für seine Neigung zum ichrankenlosen Wohl- thnn die Mittel zu behalten. Johanna liebte ihn nur noch mehr »m dieser schönen Freigebigkeit willen, sie wäre sich klein und niedrig erschienen, hätte sie ihm hier irgend ein Hiuderniß in den Weg gelegt. Ilm aber mit dem Gclde anszukommen, das er ihr gab, mußte sie lehr sparsam sein, beständig in der Wirthschaft nach dem Rechten sehen und tüchtig mit helfen, sonst hätte es ernstliche Störungen abgegeben. Klagen mochte sie nicht, sie wollte auch nur den Schatten dessen vermeiden, was wie ein Borwurf gegen ihren Gatten hätte nusgelegt werden können. „Es handelt sich doch um unser Kind, dem ich nothwcndig sein könnte!" sagte sie jetzt sanft. „Du meinst Naemi?" „Natürlich, — wen könnte ich sonst —" „lind ich meine Maria! Auch sie ist Tein Kind, dem Tu nothwcndig sein dürstest!" „Maria!" Wieder zog sich das Her; der Mutter in dieser unnennbaren Angst zusämmen. „Was ist es mit ihr?" „Ich will Dir aus meines Freundes Brief einen Bericht geben: Tu mußt das Schreiben aber jedenfalls später selbst lesen. Sticht nur. daß es für den ganzen so bedeutenden Mann und seine Eigenart höchst charakteristisch ist ... es beleuchtet auch Menschen und Dinge mit einer Anschaulichkeit, wie ich selbst sie niemals in Worteswiederzugcben vermöchte. Ich habe Dir freilich früher zuweilen Briefe von Späth vorgelesen, auch die Predigten, die er mir zuschicktc, mit Dir durchgcsprochen . . . sein heutiger Brief kann aber mit den früheren in keiner Weise verglichen werden, — auch handelt es sich nm Jemanden darin, der Dich, — der uns Beide ganz besonders nahe angeht!" Johanna hätte in voller Ungeduld mit lauter Stimme rufen mögen: „Ich bitte Dich, komm' zur Sache, — zur Sache!" Sie wußte aber, daß sie dies nicht durfte. Jedes Zeichen von Hast oder Unruhe war Ulrich Deinhardt unangenehm, er selbst zeigte dergleichen nie und hatte sehr ernstlich au sich gearbeitet, um jeder solchen Anwandlung Herr zu werden. „Matthias Späth hat mir von Zeit zu Zeik über seine Familienvcrhältnisse geschrieben, ebenso, wie ich cs über die meinen that. Ich weiß, daß er mit seiner Gattin in der glücklichsten Ehe lebt, wie es bei uns ja, Gott iei dafür gedankt, der gleiche Fall ist," — der Pfarrer drückte dankbar Johannas Rechte — „und daß er, gleich uns, drei Kinder hat, zwei Töchter und einen Sohn, und zwar in derselben Reihenfolge, wie bei uns, — der Sohn ist der Erstgeborene. Nur sind die Kinder älter als die unsrigen. Paulus, der Sohn, ist bereits über die Mitte der zwanziger Jahre hinweg, etwa achkundzwanzigiährig, die beiden Töchter, Jakoba und Magdalena, sind beide auch schon über zwanzig. Nicht wahr, von diesen Familienvcrhältnissen habe ich Dir Näheres noch niemals erzählt?" „Ich — ich — erinnere mich nicht genau!" entgegnete Johanna, und sie fühlte es, wie ihre Lippen bebten. „Es kann sein, daß Tu mir etwas davon gesagt hast! Ja, — ich glaube, ich wußte es. daß drei Kinder dort sind!" „Sie machen den Eltern in icder Hinsicht die denkbarste Freude. Die älteste Tochter ist an einen Landgeistlichen in Devonshire verheirnthet, an einen vortrefflichen Mann, — die zweite ist Diakonissin au einem der groß artig eingerichteten Londoner Hospitäler. Am begabtesten und vielversprechendsten von den Kindern ist aber auf alle Fälle der Sohn. Wäre mein Freund nicht der seltene Mensch, der er ist, — wie würde er stolz sein aus diesen jungen i Mann I Ich. hätte ich einen solchen Sohn, könnte mich, das gestehe ich offen, der immer wicderkehrcnden Regungen des Stolzes auf ihn nicht ent- schlagen." In Johanna regte sich die gekränkte Mutterliebe. „Du wirst hoffentlich auch Ursache bekommen, auf unseren Johannes später stolz zu sein! Er ist nur noch so sehr jung —" „Liebes Weib, ich bin ja zufrieden mit ihm, wie er ist! Ein Durch schnittsmensch. wie ich es bin, darf nicht Kinder erwarten, die über das gewöhnliche Maß hinausgehen. Wenn Gott der Herr in seiner Gnade mir in meiner ältesten Tochter dennoch, allem Anschein nach, ein Kind gegeben hat. das reicher und schöner ausgestattet ist. als die meisten andern . . . oder will cs mir vielleicht nur so scheinen, da ich dies Kind so grenzenlos liebe?" „Nein, nein I" ries seine Frau eifrig. „Unsere Mieze ist wirklich etwas Außergewöhnliches!" „So soll sie auch, wie es scheint, ein außergewöhnlich schönes und seltenes Loos ziehen! Aber geben wir zu meinem Freunde zurück! Er hat mir schon in seinen früheren Briefen oft von seinen: Sohn gesprochen, der glänzenden Zeugnisse erwähnt, die er erhielt, des Lobes und der rückhaltlosen Anerkennung, deren er sich überall erfreute. Uni es kurz zu sagen: er hat seine Examina mit Auszeichnung bestanden, er hätte die freie Wahl zwischen Acmtern, Ehren und weltlichen Vergünstigungen jeder Art. — und er verzichtet freiwillig auf dies Alles, um als Missionar nach China zu gehen!" Fra» Johanna erwiderte kein Wort aus diese letzte, wie im Triumph vor- gebrachle Bemerkung. Sie saß, die Hände im Schooß gefaltet, die Angen ' gesenkt, regungslos da und hörte zu. Belletristische Beilage zu den «Dresdner Nachrichten". Teile SSL. Herzigkeit und Treue, die Du an Deinem Knecht gethan hast ?" — Ist er nicht hochbegnadet vor Tausenden, daß seinem Hanse ein solcher Segen widerfährt? Sieh', ich selbst habe mich nicht stark genug gefühlt, ein solches Loos auf mich zu nehmen. Als ich mein Amt antrat, wa. das Missionswerk freilich noch lange nicht auf der Höhe von heute angelangt — auch hatte ich mich eben mit Dir verlobt und Deine Eltern, hart geprüft, wie sie waren, durch den vor Kurzem erlittenen Verlust der geliebten Tochter, hätten ihre Einzige wohl niemals so weit fortziehen lassen mögen in ein Leben voll Kampf und Gefahr. Endlich aber, und das ist die Hauptsache, ich bin damals noch viel zu weltlich, zu äußerlich gesinnt gewesen, uni ein Amt zu übemehmen, das völlige Selbstverleugnung des ganzen Menschen an die Spitze seiner An forderungen stellt. Ich war lange nicht stark genug im Glauben, lange nicht bedingungslos genug in meiner Hingabe an Gott. — und nur die ganz Echten, die Auserlesenen sind es werth, daß der Herr zu ihnen spricht: Gehet hin in alle Welt und lehret alle Heiden und taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes! Auch mein Sohn Johannes ist kein solch' Auserwäh'ter, das Hab' ich schon lange erkannt! Gott hat mich der Gnade nicht gewürdigt, einen solchen meinen Sohn zu nennen, und das hieße freveln an ihm, dem Höchsten, da gewaltsam cingreifen zu wollen, wo nicht der Geist wie eine Flamme den Menschen unwiderstehlich ergreift und treibt! Hier muß Gott die Besten seines Volkes erlesen, und wer sich zu ihnen nicht zählen darf, der hat bei Seite zu stehen und seine Hände zu lassen von dem heiligen Wert." Johanna wollte dankbar und frei aufathmcn, als sie dies hörte, aber sie vermochte es nicht! „Das ist auch meines Freundes Späth innerste Ueberzeugung." fuhr Deinhardt fort, „und er hat mich damit getröstet, wenn ich ihm oft klagte, daß ich mich unwürdig fühlte, weil ich nicht das Höchste erreichen durfte in meinem Amt. Meines Freundes Sohn aber wird fern wie der Prophet Elias, von dem geschrieben steht: lind der Prophet Elias brach hervor wie ein Feuer, und sein Wort brannte wie eine Fackel!" Und Ulrich Deinhardt beugte sich nieder, nahm Johannas Hände in die seinen und sah ihr mit dringlicher Liebe und mit dringlicher Bitte in's Gesicht. „Und nun kommt mein Freund, und durch ihn kommt Gott, unser Herr- ;n Dir. meine Johanna und klopft an Tein Mutterherz und fragt Dich an: willst Du Deine Tochter, — unsere Tochter, unsere Maria hingeben, damit sie an dieses herrlichen Mannes Seite stehe und ihm helfe bei seinem schweren, schönen Beruf?" Johanna war aufgesprungen. Ihre Brust flog, ihre Augen flammten, sie wollte reden, aber die Sprache gehorchte ihr nicht. Ihr Gatte versuchte, sie in seine Arme zu ziehen, aber sie wehrte ihn von sich ab. „Mein Kind?" brachte sie endlich mühsam heraus. .Nach China? Ans Nimmerwiedersehen? Mit einem ganz fremden Mann, den es noch nie gesehen hat?" Ihre Stimme, die sonst einen wohllautenden Klang hatte, steigerte sich. mit ikdem Wort. — wurde immer härter und schneidender, fast bis zum Schreien. „Liebstes Weib" — fing der Pfarrer an. „Nein, Ulrich — nein!" Sie machte sich abermals heftig von ihm los. „Sprich mit mir kein Wort weiter davon — kein einziges Wort! Ich möchte sonst außer mir gerathen. möchte etwas zu Dir sagen, was mich bitter reuen könnte! Gott. Gott! Daß Du, der Du mich kennst und verstehst, wie kein anderer Mensch, mir dies zumuthen, Dich so gar nicht in die Gefühle einer Mutter hineinverietzen kannst!!" „Es giebt Mütter genug, die ihre Söhne und Töchter weit von sich ziehen lassen müssen in ein fremdes Land, — und sie thun cs blutenden Herzens . . ." „So sind sie anders geartet als ich! Mein Herz würde nicht bluten. — brechen würde cs, wenn ich das erleben müßte! Ich bin keine starkgcijtige Frau, — bin keine Spartnncrniuttcr. die mit stoischem Gleichmut!) ihre Kinder hingeben kann. Eine schlichte, deutsche Frau, wie ich . . ." „Auch die Frau meines Londoner Freundes ist eine Deutsche." „Sie soll den Sohn weit fortgeben, nicht die Tochter. — ein zartes, junges Mädchen. Es ist des Mannes Loos, zu Kämpfen und Gefahren zu trotzen —" „Und cs ist das Loos des Weibes, ihm treu zur Seite zu stehen! Was würdest Du sagen, wenn Marias Herz sich einem Seemann zuwcndcte, der sie mit sich zu nehmen wünschte auf seine langen, gefahrvollen Reisen, oder einem Kaufmann, einem Beamten, den seine Thätigkcit in einem fernen Erd- rheil festhält?" „Ich würde mich namenlos grämen und sehnen, aber ich würde mich fügen müssen, wenn ihr Herz spricht. Außerdem, der Kaufmann, der Beamte, der Seemann selbst, — »e Alle sind von civilisinen Menschen umgeben, — wer aber schirmt und schützt den Missionar, der unter tausend Gefahren — wir haben cs ja unzählige Male gehört und gelesen — seines schweren Amtes inmitten wilder Völkerschaften zu walten hat?" „Es schützt und schirmt ihn Der, welcher ihn zu seiucni schweren Berufe geweiht und auserlesen hat — Gott!" „Gott hat zahllose seiner Diener in fremden, fernen Landen eines schmäh lichen Todes sterben lassen!" „So ist es sein heiliger Wille gewesen, dem wir uns dcmüthig zu beugen haben!" „Und wer sagt Dir jetzt, Ulrich, daß es sein Wille ist, wir sollen unser Sie vollendete nicht und versteckte schaudernd Kr Gesicht in den Hände». Ulrich Deinhardt Iah sie miüeidig und liebevoll an. „Amtes, liebes Werb. quäle Drch nicht mit so schrecklichen Gedaukea l Komm' zu mir, — komm' I So? Lehne Dein liebes Gesicht vertrauensvoll an meine Brust, — zitt're nicht so? Was will ich denn von Dir? Daß Du das Gottesgeschenk, das unsres Höchsten Gnade, in diesem Kinde gegcken hat. vertrauensvoll und gläubig in die Hand zurücklegen sollst, die es uns spendete Ueberall und immer kann diese mächtige Hand uns Segen schicken und Wunden schlagen, — nicht wahr, das wissen wir? Es bedarf dazu nicht eines fremden Landes und armer, unwissender Heiden, . . . denk' an der» gestrigen Gewittcrslurm I Wir sollen uns fügen —" „Fügen — ia, — wenn es sein muß! Ader absichtlich Dinge herbeiführen, die uns das Herz brechen, das heißt Uebermenschliches verlangen! Ich kann es nicht! Mögen Andere in ihrem Heroismus schwelgen. ... ich nicht!" „Johanna! Du wirst von mir nicht sagen wollen, daß ich in Heroismus schwelge!" „In religiösem Heroismus, — ja. Ulrich! So nenn' ich es! Schilt mich darum, wenn Du willst I Für mich liegt etwas Unnatürliches in dem Opfcrmuth, mit dem Du Dein Kind darbietest —" ..Darbieten ? Mathias Späth hat für seinen Sohn gebeten um mein Kind !* „Wie kommt er darauf? Er kennt unsere Tochter nicht, hat sie nie gesehen —" „Ich aber habe ihm von ihr geschrieben, oft und oft. Damals, als zur Zeit ihrer Konfirmation ihre junge Seele geängstigt wurde von Fragen, van Zweifeln, diesieallc, allernckhaltslos niederlegte in ihresBaters, ihres Seelsorgers Brust, — damals, als ich mit unsäglicher Rührung und Freude in diesem Kinde allmählich die Blume des schönsten Gottesglaubens cuifblühen sah. Hab' ich meinem alten Freunde ausführlich über dies Glück berichtet. Des Kindes Fragen, seine Bekenntnisse, Alles, was es erfüllt und beschäftigt hat ... er lernte es durch mich kennen, wie ich selbst es kannte. Ich habe ihm aus seine Bitte Marias Bild aus damaliger Zeit schicken müssen —" „Aus damaliger Zeit! Ja, Ulrich, betone es nur recht! Wie des Mädchens Aenßeies sich gewandelt hat. so unglaublich, daß man es kaum fassen kann, so wird sicher auch ihre Seele in dielen wichtigen Jahren des Reifens und Werdens Vieles abgestreift haben!" „Doch nicht den Glauben an Gott und ihren Heiland? Sollte ich das denken, — ich müßte den Entschluß, sie von uns gelassen zu haben, aufs Tieffte^bereuen!" „Sie kann Gott und Gottes Sohn lieben und doch in ihren Gesinnungen und in der Bethäiigung derselben total anders geworden sein, wie sie es als schwärmerisches Kind gewesen ist!" Ter Pfarrer schüttelte ruhig den Kopf. „Nein. Johanna, nein! Ich habe eine Zeit lang selbst Derartiges gefürchtet, aber ich bin davon zurückgekommen. Der Geist eines Menschen kann und soll reifen, sich wandeln, sich klären I Wehe dem aber, der mit zu nehmende» Perstnndcskräften über den Kinderglauben hinauswächst, der ihm in seinen frühesten Jugendtagen das Brot des Lebens war I Sieh' mich an! Ich stehe in reifen Jahren, aus der Mittagshöhe des Daseins, — aber mein Prot des Lebens ist mir dasselbe geblieben, das meines Vaters Hand vor langen Jahren dem schwachen Kinde gereicht hat!" „So preise Dich glücklich, Ulrich, und ich will es mit Dir thun? Wir dürfen aber Den nicht verdammen —" „Rede nicht weiter, Johanna! Verdammen? Hast Du dies harte Wort jemals schon aus meinem Munde gehört?" Sie faltete die Hände und blickte ihn aus ihren thränenfeuchten Auge» flehend au. „Ach Ulrich, Ulrich, mein guter, einziger Mann, ich weiß ja, wie Du an den Deinigcn hängst! Und eben weil dem so ist. willst Du Deinem Gott» den Dein Herz am meisten liebt, ein Opfer bringen, das Dir. dem Menschen in Dir, ain schwersten fällt Sage mir nichts dagegen, ich weiß, daß ich Recht habe! Aber, Ulrich, eines mußt, — za, mußt Du mir versprechen: daß Tu nicht den geringsten Zwang auf Mine ausüben willst! Ich hätte keine ruhige Stunde mehr, wenn Du das versuchen würdest. Sie muß un beeinflußt bleiben, ihre Entscheidung soll frei sein. Sieh', Gott hat doch in des Menschen Herz die Liebe gelegt, unser mächtigstes, gewaltigstes Gefühl» nicht wahr? Denk', wie Du mir immer wieder erzählt hast, als wir Braut leute waren, wie es Dir eigen gegangen ist, damals, als Du mich zum ersten Wal sahst: wie Dein Herz da gleichsam eine neue Sprache bekommen hatte, wie Welt und Leben neu vor Dir lag, wie Du fort und fort an mich denken mußtest und doch mit unabweisbarer Gewißheit merktest, daß in diesem Alles beherrschenden Gesicht Gott cs war, der unsere Seelen zu einander fichrte! — Und auch ich empfand so, — auch ich, und es war mir unsagbar schön und feierlich zu Mnthe! Soll unser Kind dies herrliche Bewußtsein nicht eben falls kennen lernen? Nicht wissen, daß Gott durch ihre Liebe ihr näher gekommen ist und zu ihr spricht? Wie sie aber einen ihr völlig fremde» Mann —" „Ec soll ihr nicht fremd bleiben! der eine deutsche Gattin wünscht, deutschen Pfarrhause, wird, bevor . . . herüberkommeii. Er hat hier Verschiedenes noch zn erledigen, sich in der Re sidenz vorzustclle», Informationen einzuholen und Aehnliches, und so dürste er denn auch in kurzer Zeit hier cintresfen, um einen, wenn auch voraus sichtlich nur sehr kurzen Aufenthalt bei uns zu nehmen. Er weiß Alles von Maria, was sein Vater durch mich über sie erfahren hat, er fühlt sich sym pathisch gerührt von dein kleinen Bilde, das ich oamals nach London hinnber- gcschickt habe und ist fest entschlossen, wie mir mein Freund schreibt, Maria Deinhardt zu seinem Weibe zu nehmen!" iFortictziing müßte, daß vielleicht jetzt gerade, — in eben diesem Augenblick, meines geliebten Kindes Leben bedroht wäre, daß —"
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