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Verordnungsblatt der Kreishauptmannschaft Bautzen als Konsistorialbehörde der Oberlausitz. Amtsblatt der AmtShauptmannschasten Bautzen und Löbau, des Landgerichts Bautzen und der Amtsgerichte Bautzen, Schirgiswalde, Herrnhut und Bernstadt, de» Hauptzollamts Bautzen, ingleichen der Stadträte zu Bautzen und Bernstadt, sowie der Stadtgemeinderäte zu Schirgiswalde und Weißenberg. Organ der Handels- und Gewerbekammer z« Zittau. Nr. 43. Dienstag, den 22. Februar 191t», abends. 12V. Jahrgang. GrscheinungSweiser Täglich abends mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage. Gchristleitung und Geschäftsstelle: Bautzen, Innere Lauenstraße 4. Fernsprecher: Nr. 51. — Drahtnachricht: Amtsblatt, Bautzen. Bezugspreis: Monatlich 1 Mack. Einzelpreis: 10 Mennige. Anzeigenpreis: Die kgespaltene PeMzette oder deren Raum 1b Psennige, in geeigneten Fällen Ermäßigung. Schwieriger Satz entsprechend teurer. Reklamen: Die Igespaltene PeMzeile bO Psennige. VW" DeS ButztagS wegen erscheint die nächste Nummer Donnerstag abend. "WU Das Wichtigste vom Tage. * Der österreichische Minister Or. Schreiner, ein Deutscher, hat sein Entlassungsgesuch eingereicht. * Die Unklarheit in der Fassung der Thronrede! bei Eröffnung des englischen Parlaments wird in London sehr abfällig kritisiert. Im Unterhause selbst gab i-i der Debatte darüber der Nationlist Redmond die Erklä rung ab, daß die Irländer für das Budget stimmen würden, wenn die Regierung die Sicherheit gebe, daß noch in diesem Jahre eine Vetooorlage zum Gesetz erhoben würde. Die Lage wird auf allen Seiten sehr pessimistisch aufgefaßt. * In der türkischen Kammer hat sich aus unzusrie-' denen Komiteemitgliedern eine neue, die „V o l k s p a r t e i", i gebildet. * Sultan Mulay Hafid von Marokko hat klein bei gegeben und den Anleihevertrag mit Frankreich ratifiziert. * Wetteraussicht für Mittwoch: Heiter, mild, kein erheblicher Niederschlag. * Ausführliches siehe an anderer Grelle. Die Einheit der Gegensätze. Zur Psychologie des Zentrums. Es ist das merkwürdigste Gebilde von allen und auf seine Art das bewunderungswürdigste. Ueber dem Portal § des altersgrauen Königsberger Schlosses steht ein Spruch,! in dem es etwa heißt, daß der „festeste Turm" die Treue zu Gott sei. Diesen Spruch möchten wohl auch die Zcn- trumsherren gern über das Portal ihres Turmes setzen. Und wenn man all die sehr irdischen Dinge der Zentrums praxis, all die schlaue Realpolitik des Tages, all die kleinen Vorbehalte, die sehr nüchterne Sitte derer um Spahn in Abzug bringt, dann mag das Zentrum vielleicht auch ein Recht dazu haben. Bei keiner Partei wimmelt es so von inneren Gegen sätzen. Keine ist ein derartiges Mosaikbild ganz anders artiger Gestalten, ein derartiges Schachbrett mannig fachster Figuren. Und doch heißt es überall: „Schwarz ,zieht an!" Ueberall glaubt man Risse, klaffende Spalten tn dem alten Zentrumsturm zu sehn, und manchmal will es fast scheinen, daß es schier unmöglich sei, all diese Wider strebenden unter den einen Hut des Bischofs aller Wel ten zu bringen, als müsse der Turm geborsten stürzen über Nacht. Und dann erlebt man das wunderbare Schauspiel, daß am nächsten Morgen der Turm wohlgekittet und gefugt da siebt, daß alles in schönster Einigkeit ist und in ge schlossener Front den Gegnern gegenübertritt um des allerbeiligsten Glaubens willen. Es ist das Geheimnis und die Siegeskraft des Zentrums, daß es eine kon fessionelle Partei ist, daß ihm der Zweck die Mittel heiligt, daß es nur nach dem Willen zur Macht fragt, jede Augenblicksgelegenheit ausnutzt, rücksichtslos und selbst skrupellos, daß es trotz religiöser und anderer Grundsätze die Courage hat, jeden Augenblick grundsätzlich für alle Grundsätze zu danken, sobald sie ihm nicht in den Kram passen. Und so schließt die allerchristlichste Partei, die sich rühmt, das festeste Bollwerk gegen die rote Flut zu sein, ohne mit der Wimper zu zucken in der Bamberger Sakristei durch hochwürdige Herren Wahlbündnisse mit der Sozial demokratie ab und geht, wo es ihr gut scheint, mit ihren Todfeinden, den Nationalliberalen, zusammen. So erzählt sie oen Konservativen, daß der Freisinn die Grundfesten des Staates unterhöhle, und dem Freisinn, daß die Kon servativen die Freiheiten des Volkes verrieten. So leugnet sie aus Realpolitik krampfhaft ihre größeste Erfolgsmöglichkeit, den konfessionellen Charakter, und nur wenige Harmlosere gestehn zu Zeiten diese Wesensart ein und rühmen sich ihrer. So weiß sie auch die schreiendsten Widersprüche und Gegensätze immer wieder zu überbrücken und aus der Welt zu schaffen, und wo auch ein Ketzer irgend welcher Art innerhalb der Partei schüchtern oder verwegen die Fahne des Aufruhrs schwang, das Ende bleibt allemal: Isuäabiliter ve subjecit. So hat sie in einer Arbeitsteilung glänzendster Art für alle Fälle und Gelegenheiten ihre bestimmten Redner, oie, unter sich sehr verschieden, doch fast alle einig sind, wenn es zur — Abstimmung kommt. So bindet sie sich nie vorher, läßt sich meistens fast bis zum letzten Augenblick ein Schlupfloch offen, um auch jeden einzigen kleinsten Vorteil während des ganzen Entwickelungsganges restlos auszuschöpfen. So geniert ne sich keinen Augenblick, beim Endspurt durch einen plötzlichen grandiosen „Umfall" alle Welt zu verblüffen und lächelnd die Ernte einzu- heimsen. Und diese Partei, die theoretisch alles das um des höheren Zweckes willen, in äei moiorem gloriam, tut, sie übt in der Praxis ohne Zaghaftigkeit jenen Willen zur Macht, wie ihn ein Nietzsche predigt. Während die bayerischen Partilularisten, der grob körnige vr. Heim, der vielgewandte Seraphius Pichler, Or. Schädler, Liborius Gerstenberger und die anderen, während auch der biderbe Herr Gröber oft mit starken Angriffen gegen Preußen und das Reich vom Leder ziehn, weiß Peter Spahn stets zur rechten Zeit das Hohelied vom heil'gen Deutschen Reiche anzu stimmen, die unbedingte Reichstreue des Zentrums außer allen Zweifel zu stellen und in seiner Königstreue fast byzantinische Töne anzuschlagen. Während der emsige, aber etwas subalterne Herr Erzberger alle demokra tischen Instinkte entfesselt, holt der feine Aristokrat von Hertling in aller Ruhe seinen Zylinder hervor, um wieder die Brücke zur Regierung und zur Rechten zu schlagen, Fädchen wieder anzuknüpsen, Tischtücher wieder zusammenzunähen. Braucht man eine weiße Weste, dann ist er da, der kluge Diplomat und Minister des Aus wärtigen. Treiben es die wilden Demokraten und Par- tikularisten einmal zu arg, dann schüttelt man sie wohl mit feinem Lächeln von den Rockschoßen. Sie handelten nur auf eigene Rechnung, nicht im Namen der Partei. Während unten im Süden die Kaplanspresse ihre Bauern am Leitscil führt, wettert man im preußischen Landtag gegen den Zopf der Verwaltung und singt ein Loblied der modernsten Moderne, preist Telephon und Schreibmaschine und die lieblichen Tippmädchen. Wenn die alten bayerischen Aristokraten, die Söhne des Hochadels, den Poltron vr. Heim schier garnicht mehr glauben tragen zu können, wenn eine offene Sezession unvermeidlich scheint, dann kommt eine Parteiermahnung, und alles ist wieder in schönster Eintracht. Wenn Herr Roeren in Kunstdingen oft als zelotischer Eiferer auf tritt, verschlägt es garnichts, daß der junge vr. Pfeiffer einmal zu schlagen anhebt, wie die Nachtigall im Dornen hag, und über Kunstfragen zu sprechen beginnt, wie der Freieste der Freien. Singt doch gar der alte Spahn ge legentlich ein Preislied auf Manet und die Modernen von Fontainebleau. Mochte man im Roeren-Wistubastreit Herrn Dern burg als bete noire betrachten, man sinkt ihm gerührt in die Arme, sobald der Wino sich dreht, man hat den glän zenden Vorzug eines kurzen Gedächtnisses. Man duldet auch den redlichen Kolonialschwärmer Schwarze- Lipp stadt; selbst zu Zeiten, in denen Kolonialpolitik beim Zen trum ä la baisse steht. Neben dem Radikal-Demokraten B r u st, dem Berg- mannsvertreter, sitzen die Grafen Praschma und Spee, neben dem HerzogvonArenbergdieEiesberts und Schiffer. Vielleicht trinken sie sogar mit ihm Kaffee. In Militär- und Flottenfragen kann man so und an ders. Weht der Wind gut und winken irgend wo Kom pensationen, dann bewilligt man fast mehr, als die Regie rung haben will. Hat man keinen Grund, fröhlich zu sein, streicht man von den kleinsten Positionen noch etwas ab. Man ist eine Partei der Wirklichkeit und der praktischen Realpolitik. Der Zentrumspartei kann die Politik nicht den Charakter verderben, weil sie ihn vorher selbsttätig und bewußt ausgeschaltet hat. -V ?. Politische Nachrichten. Deutsches Reich. Zurückweisung eines Wahlprotestes. Gegen die Wahl des nationalliberalen Abgeordneten Veda im 8. städti schen Wahlkreise war von sozialdemokratischer Seite Ein spruch erhoben werde», weil der Bürgermeister von Wurzen, vr. S e e tz e n, unter Beifügung seines Amts titels als Bürgermeister einen Wahlaufruf zu Gunsten des Kandidaten Beda in sämtlichen Blättern des Wahl kreises veröffentlicht hätte. Die dritte Abteilung der Zweiten Sächsischen Kammer hat mit 8 gegen 4 Stimmen beschlofsen, der Zweiten Kammer die Gültig keitserklärung der Wahl des Abg. Beda zu empfehlen und führt zur Begründung etwa folgendes an: Jede amtliche Beeinflussung ist streng zu vermeiden, aber die bloße Bei fügung des amtlichen Titels genügt keinesfalls, die amt liche Beeinflussung zu begründen. Man kann unmöglich die politische Reife unseres Volkes so niedrig einschätzen, daß man einer solchen Aeußerlichkeit so hohe Bedeutung beimißt. In der Sache selbst ist auch kaum etwas geändert, ob der Bürgermeister seinem Namen den Titel beifügt oder nicht. Denn alle wißen auch ohne Beifügung des Standes, wer er ist, und wenn der Name ein Mißverständ nis zuläßt, so muß erst recht dem Bürgermeister das Recht zustehen, dieses Mißverständnis durch Beifügung des Amts titels auszuschließen. Im vorliegenden Falle kann aber eine Beeinflufsung um so weniger erblickt werden, als vr. Seetzen als Kandidat ausgestellt war. Wenn er seinen Wählern in einem Aufrufe danke und sie auffordere, den ihm politisch am nächsten stehenden Kandidaten bei der Stichwahl ihre Stimme zu geben, so liegt es auf der Hand, daß er dies nicht als Bürgermeister, sondern als Kandidat im ersten Wahlgange tat. Nur eine rein formalistische Auffassung könnte also dahin gelangen, den Wahlprotest gerechtfertigt zu finden. Wollte man sich auf diesen Stand punkt stellen, so wäre sogar die Wirkung nicht ausge- fchlossen, daß Amtspersonen die Wahl eines Kandidaten von vornherein dadurch ungültig machten, daß sie unter ihrem Amtstitel zu diesen Wahlen auffordern. Mit der Einigung der Liberalen beschäftigte sich eine in Dresden unter dem Vorsitze des Reichs- und Land tagsabgeordneten Günther tagende Versammlung des Verbandes und Ausschußes des Landesvereins der Freisinnigen Volkspartei im Königreiche Sach sen. Die Versammlung nahm nach längerer Debatte nach stehende Resolution einstimmig an: „Vorstand und Aus- fchuß des Landesvereins der Freisinnigen Volkspartei im Königreiche Sachsen erklären sich mit der Einigung der freisinnigen Parteien auf Grund des vorliegenden Pro grammentwurfes und Organisationsstatuts einverstanden. Vorstand und Ausschuß geben der Hoffnung Ausdruck, daß die innere Geschlossenheit und der gleiche Geist einträchti gen Zusammenarbeitens, die jederzeit in der freisinnigen Volkspartei lebendig waren, auch die neue Gesamtpartei beseelen möge, da sie hierin die Grundlage erblicken, um die Ziele des freiheitlichgesinnten Bürgertums in Stadt und Land zum Wohle des gesamten Vaterlandes in der seit herigen Weise zu verfolgen. Die bisherige Volkspartei begrüßt auch für Sachsen den Zusammenschluß mit den politisch nahestehenden Gruppen, insbesondere mit der Liberalen Vereinigung und empfiehlt, durch eine gemein same Kommission das Erforderliche hierfür in die Wege zu leiten." Der sächsische Landesverband für die staatliche Pen- sionsvcrsicherung der Privatangestcllten wird am Sonntag, den 6. März, einen allgemeinen Sächsischen Privat beamten tag nach Dresden im Saale des Tivoli einberufen. Auf der Tagesordnung steht eine Protestkund gebung gegen die jetzige Stellungnahme der Reichsregie rung zur staatlichen Pensions- und Hinterbliebenenversiche rung der Privatangestellten. Gehaltszahlung und Suspensation. Eine für sämtliche Eemeindebeamten wichtige Entscheidung hat so eben das sächsische Oberverwaltungsgcricht ge fällt. Der ehemalige Eemeindevorstand Beckert von der von der Stadt Chemnitz einverleibten Gemeinde Hil bersdorf wurde im Jahre 1906 von der Amtshaupt mannschaft Chemnitz wegen Unregelmäßigkeiten in der Eemeindekaße bis auf weiteres suspendiert. Diese Ent scheidung stützte sich auf 8 80 der Rev. Landgemeinde-Ord nung. Nachdem die Unregelmäßigkeiten festgestellt worden waren, wurde die vorläufige Suspensation in eine gänz liche Entfernung vom Amte umgewandelt. Die Staats anwaltschaft nahm Beckert darauf am 22. Oktober 1906 in Untersuchungshaft und das Schwurgericht Chemnitz ver urteilte ihn im Jahre 1907 wegen Unterschlagung von 4800 Mark zu 1 Jahr 10 Monaten Gefängnis und Ehrenrechts verlust auf die Dauer von 2 Jahren. Die Gemeinde Hel bersdorf strengte gleichzeitig gegen Beckert eine Erstat tungsklage auf 7418.86 .K beim Landgericht an und erzielte eine Verurteilung des Beklagten. Die Sache schwebt augen blicklich noch beim Oberlandesgericht als Berufungs-In stanz. Im Vorjahre erhob Beckert nunmehr gegen die Stadtgemeinde Chemnitz eine Klage auf Zahlung von 466.48 <K für rückständigen Gehalt während der Suspensa- tionszeit vom November 1906 bis zum Februar 1907. Die Beklagte stützte sich auf den 8 87 des Staatsdienergesetzes vom Jahre 1876, wonach bei Suspensationen die Hälfte des Gehalts einbehalten werden kann und die andere Hälfte zur Erhaltung der Existenz des Suspendierten gezahlt wird. In diesem Falle sei Beckert in Untersuchungshaft gewesen und auf Staatskosten ernährt worden. Auch seine Familie habe keine Ansprüche an die Gemeinde gestellt. Durch das Urteil des Schwurgerichts sei sie der Zahlung enthoben worden. Da Beckert außerdem das Gehalt nicht abgehoben habe, habe das Geld den Charakter eines kredi-