Volltext Seite (XML)
Verordnungsblatt der Kreishauptmannschaft Bautzen als Konsistorialbehörde der Lberlausitz. Amtsblatt ber Amtshauptmannschaften Bautzen und Löbau, des Landgerichts Bautzen und der Amtsgerichte Bautzen, Schirgiswalde, Herrnhut und Bernstadt, des Hauptzollamts Bautzen, ingleichen der Stadträte zu Bautzen und Bernstadt, sowie der Stadtgemeinderäte zu Schirgiswalde und Weißenberg. Organ der Handels- und Gewerbe! ammer zu Zittau. Erscheinungsweise t Täglich abends mit Ausnahme der Sonu- und Feiertage Gchriftleitung und Geschäftsstelle: Bautzen, Innere Lauenstraße 4 Fernsprecher: Nr. 51. — Drahtnachricht: Amtsblatt, Bautzen. Bezugspreis: Monatlich 1 Mack. Einzelpreis: 10 Pfennige. Anzeigenpreis: Die 6gespaUene Pctitzcile oder deren Naum IS Pfennige, in geeigneten Fällen Ermäßigung. Schwieriger Satz entsprechend teurer. Reklamen: Die 3gespaltene PeMzcile SO Pfennige. Dienstag, den 12. Juli 1910, abends. Nr. 158. 1ÄN. Jahrgang. Tas Wichtigste vom Tage. * In Meißen fand gestern der sächsische Innungstag statt. Als Ort der nächstjährigen Tagung ist Freiberg ge wählt worden. * Der Papst hat in der Enzyklika-Angelegenheit an König Friedrich August von Sachsen ein Handschreiben gerichtet. * Die französischen Eisenbahner scheinen mit ihren Forderungen durchzudringen. * Die Rochette-Angelegenheit wächst zu einem großen politischen Skandal aus. * Für einen am 23. September stattfindenden Aeropla >i- slugüberdie Alpen sind von der Italienischen Asiatischen Gesellschaft 3 00 000 Francs gestiftet worden. * Die tropische Hitze im östlichen Landesteile Nord amerikas hält an. Zahlreiche Todesfälle infolge Hitz- schlags sind wieder zu verzeichnen. * Wctteraussicht für Mittwoch: Aufheiternd, wär mer, trocken, Gewitterneigung. ' Ausführliches siehe an anderer Stelle. Reichszuwachssteuer. Ein hochgeschätzter Berliner Mitarbeiter schreibt uns: Im Hause des deutschen Reichskanzlers sah ich in einem Arbeitszimmer seit Jahresfrist ein großes Bild: Adolf Wagner. Der Altmeister der deutschen Volkswirt- ^schaftslehre, der so manches Mal für den christlich-sozialen Gedanken gekämpft hat, genießt heute hohes Ansehen bei allen Parteien, und in den weitesten Kreisen machte cs daher tiefen Eindruck, als Adolf Wagner am 21. April 1908 auf dem Bodenreformertag in Stuttgart dafür eintrat, den unverdienten Wertzuwachs aus Grund und Boden von Reichs wegen zu versteuern. Wie gewaltig sind die Summe», die bei Grundstücks- Verkäufen heute verdient werden. Das Arbeitsein kommen wird heute hart versteuert. Wer aber beim Erundstückshandel einen Perdienst von Hunderttausenden hat, zahlt ein Weniges für den Stempel und trägt im übrigen den Verdienst fröhlich heim. Und ist dieser Ver di e n st denn wirklich verdient? Ist er durch harte Arbeit erworben? Oder wer hat ihn verdient? Grund und Boden mehrt sich nicht, aber das deutsche Volk vermehrt sich jährlich um eine Million Seelen und die Städte wachsen ins Unendliche. Nun wächst die Stadt an ein Ackergut heran und dieser erhält den Wert der Bau stelle. Diese Wertsteigerung ist ganz unabhängig vom Fleiß des zufälligen Besitzers. Und doch fällt diesem das Gold in den Schoß. Die Gesamtheit hat die Wcrtsteigerung ge schaffen, sollte sie nicht ein gutes Teil dieser Wertsteigerung für sich beanspruchen? Ein Mitglied der Wirtschaftlichen Vereinigung des Reichstages, der deutsch-soziale Porzellanmaler Friedrich Raab war es, den dieser Gedanke beherrschte. Am 1. Mai >1909 stellte er den Antrag, die Verbündeten Regierungen zu ersuchen, „ohne Verzug eine Gesetzesvorlage auszuar- Leiten, die eine Besteuerung des Wertzuwachses am Boden vorsieht". Der Gedanke zündete, und — ein in der gegen wärtigen Zersplitterung fürwahr denkwürdiges Bild — die Führer aller Parteien nahmen einstimmig den An trag an. Im Reichsschatzamt trat an leitender Stelle ein Wechsel zum besseren ein. Wermuth, als Unterstaats sekretär des Innern mit seinem Vorgesetzten, dem Grafen v. v. Posadowsky, eins in der Feindschaft gegen die maß lose Grundstücksspekulation, legte am l1. April l9l0 als Reichsschatzsekretär dem Reichstage namens der verbün deten Regierungen einen guten Gesetzentwurf auf Ein führung der Reichs-Zuwachssteuer vor. Zentrum und Kon servative, Nationalliberale und Fortschrittler sprachen sich in gleicher Weise für die Vorlage aus,' man sah Speck und den Grafen Westarp, vr. Weber und Or. Potthof in einer Schlachtreihe für diese neue Steuer, deren Ertrag dem Reiche, den Staaten und den Gemeinden zufließen sollte, kämpfen. Der freisinnige Sprecher meinte, der Reichstag solle das Gesetz „so schnell wie möglich, vielleicht sogar ohne besondere Kommissionsberatung erledigen". Er kannte seine Pappenheimer. Denn alsbald setzte die Eegenarbeit der gewerbsmäßigen Spekulanten ein. Einer ihrer Bekanntesten, Haberland, der Direktor der Ber linischen Bodengesellschaft, schrieb in dem „Berliner Tage blatt", das sich sonst gern ein soziales Mäntelchen umhängt, einen Artikel nach dem andern gegen die Zuwachssteuer. Die Feindschaft der spekulativen Terraingesellschaften gegen diese Steuer ist überaus bezeichnend. Ich erinnere mich einer Unterredung, die ich mit einer hohen klugen Dame über kirchlich-soziale Arbeit hatte. Nach längerer Aussprache fragte sie mich: „Und nun, damit ich ganz klar sehe, habe ich noch eine Frage: wersindIhre Gegne r?" Welches sind die Gegner der Zuwachssteuer? So sollte man das deutsche Polk fragen und es tief in das Volks- bewußtsein einhümmern: die Gegner der Zuwachssteuer sind die Grundstücksspekulanten und ihre Trabanten! Adolf Damaschke, der Porkämpfer der deutschen Bodenreformer, erzählt: „In Hunderten von Persammlungen habe ich stets das gleiche Schauspiel erlebt. In der freien Aussprache meldete sich ein Herr, der für ErundstückgesclMte besonderes Interesse hatte und erklärte feierlich, daß er mit warmem Interesse für die Zuwachssteuer sei — in Kiautschou, am Großen Ozean, daß er sie aber für völlig ungerecht und un praktisch, für ganz undurchführbar halte in Deutschland selbst und namentlich in der Gemeinde, in der er selbst Ge lände besäße." In Kiautschou besteht die Versteuerung des unver dienten Wertzuwachses seit dem 2. September 1898 mit glänzendem Erfolg, unter dem Vorgang von Frankfurt am Alain (1901) und Köln (1900) haben bis 1. April 1910 nicht weniger wie 470 deutsche Gemeinden und Gemeinde verbünde die Zuwachssteuer eingeführt. Immerhin hat die Macht der Grundeigentümer in unseren Stadtverwaltungen bei der großen Mehrzahl der Gemeinden noch bis heute die Annahme dieser gerechten Steuer verhindert. Ueber die Gründe plaudert Damaschke: „Ich entsinne mich eines in telligenten Bürgermeisters einer kleinen brandenburgischen Stadt, in deren Umgebung durch Ankäufe des Reiches große Bodenwertssteigerungen an der Tagesordnung sind. Er erklärte mir, daß er ein eifriger Freund der Bodenreform steuern sei. Als ich ihn fragte, warum er dann nicht die Zuwachssteuer eingeführt habe, antwortete er: Meine Stadtverordneten sind fast durchweg Grundeigentümer. Als ich die Zuwachssteuer empfahl, sagte man mir ganz offen: „Ihnen gefüllt es wohl in unserer Stadt nicht mehr: Sie wollen wohl nicht wiedergcwühlt werden, daß Sie mit derartigen Plünen kommen." Gegen derartige brutale Interessenpolitik muß die Macht der öffentlichen Meinung aufgerufen werden: der sittliche Gedanke der Gerechtigkeit muß den Sieg behalten über das mächtige Großspekulantentum, das unausgesetzt gegen die Steuer arbeitet. Ihr unterirdisches Wirken ist in der letzten Zeit gerade besorgniserregend. Die Rcichstagskommission hat wider alles Erwarten eine Reihe bedenktlicher Verschlechte rungen und Verwüsserungen des Gesetzentwurfes beschlossen und die Erledigung des ganzen Entwurfes ist bis zum Herbste vertagt. Das ist ein gefahrdrohender Beschluß ge wesen. Im Sommer kann man wohl heimlich Minen legen, aber man kann schlecht eine öffentliche Volksbewegung schaffen. Um so eifriger sollten alle diejenigen sein, die sich zu dem Bibelwort bekennen: „Gerechtigkeit er höhet ein Volk". Die besten unseres Volkes müssen erkennbar hinrer Wermuth stehen, der es gewagt hat, den Drachen der Grundstücksspekulation zu bekriegen. Es ist eine Tat des Mutes. Selbst Bismarck, der gewaltige Staatsmann des jungen Deutschen Reiches, hat einmal am eigenen Leibe die Macht der Grundstücksspekulanten erfahren. Bei Be sprechung der Anlage des Berliner Kurfürstendammes hat er das Bekenntnis abgelegt: „Einige Herren, die ein an deres Projekt patronisieren und in der Aussicht auf dessen Verwirklichung sich bereits in Terrainspekulation einließen, hatten Wind bekommen und versuchten mir Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Ich kann wohl sagen, daß mir in dieser Sache mehr Schwierigkeiten bereitet wurden, als es durch sämtliche Diplomaten Europas je geschehen ist." Seither ist die Macht der Staatsmänner gesunken, die Macht der gewerbsmäßigen Grundstücksspekulation, mit der unsere Großbanken ver schwistert sind, gestiegen. Selbst der Hansabund schleift am Seile der Grundstücksspekulanten. Die Reichs zuwachs st euer ist gefährdet. Es gilt eine Massenbewegung gegen die im Finstern schlei chenden Feinde einer gerechten Erundwertsteuer. Eine Eingabean den Reichstag muß von allen denen, die eine allgemeine Nutzbarmachung des unverdienten Wertzu wachses am Boden für die Aufgaben der Volksgemeinschaft für nötig halten, unterzeichnet werden. Die Bewegung hat bereits begonnen. Der Bund deutscher Bodenreformer, Berlin I^Vi^., Lefsingstraße 11, versendet kostenfrei Eingabe bogen und Flugblätter. England hat in diesem Jahre eine scharfe Wertzu wachssteuer angenommen. Belgien und Frankreich haben seit langem in der Form der Umsatzsteuer scharfe Grund ¬ steuern. Und was ist der Erfolg? Die Ziffern lehren es. In der teuersten Gegend von Paris, in der Avenue de l'opera, hat eine amtliche Erhebung als Preis einer Ouadratrute (14 Quadratmeter) 19 000 ,ll ergebe»: in den besten Geschäftsgegenden Berlins sind Preise von 40 000 -tt und mehr nicht selten. Die Behausungsziffer ist in Brüssel 9, in Antwerpen 7, in Gent 5: dagegen in Breslau 00, Charlottenburg 04, Berlin 77. Gegenüber diesen Ziffer/1 fallt glatt zu Boden, wenn die Interessenten behaupten, die Zuwachssteuer verteuere den Boden und be günstige Mietskaserne und Mietssteigerung. Terrain gesellschaften als Anwalt der armen Mieter erinnern an die Fabel vom Fuchs als dem Anwalt der Gänse. Das spekulative Wachstum des Grundwertes führt da zu, daß die Massen immer mehr zusammengepfercht werden. Ein immer größerer Teil des Arbeitslohnes geht auf die Mietzahlung. Wer die furchtbare Wohnungsnot unseres Polkes kennt, wem es ans Herz greift, zu sehen, in welcher Enge Hunderttausende deutscher Knaben und Mädchen Hausen, der kümpse gegen die polypenhaft vordringende Grundstücksspekulation! Wer praktischen Erfolg haben will, muß seine Kraft auf den wichtigsten Punkt konzen trieren können. Und zur Stunde ist die Frage einer gerech ten Grundwertsteuer im Fluß. Hier muß eingesetzt werden. Möchte dieser Aufruf zur Tat auf fruchtbaren Boden fallen! k. M. Politische Nachrichten. Deutsches Reich. Der Papst an den König von Sachsen. Die „Voss. Ztg." läßt sich aus Dresden melden: Der Pap st über sandte dem König ein H a n d s ch r e i b e n, worin er ihm mitteilt, er habe die deutschen Protestanten nicht beleidige» wolle» u»d habe die in der Enzyklika enthal tenen Beleidigungen bereits zurückgenommen. — Das Blatt bemerkt hierzu: „Die Antwort, die der preußische Gesandte am Vatikan auf seine Vorstellungen erhalten hat, war dekanntlich weder nach Form noch nach Inhalt so einwandfrei, daß sie hätte befriedigen können. Es ist daher schwer verständlich, wie der Papst in seinem Handschreiben an den König von Sachsen sagen kann, er habe die in der Enzyklika enthaltenen Beleidigungen bereits zurück genommen." Die „Tägl. Rundschau" schreibt: „Der Papst hat das Handschreiben des Königs von Sachsen in Sachen der Borromäus-Enzyklika mit einem Gegenhand schreiben beantwortet, worin er dem König erklärt, daß er nie mals eine Beleidigung der deutschen Protestanten beabsichtigt Hobe und daß er die Mißverständnisse durch die Nichtveröffent lichung der Enzyklika bereits beseitigt habe." Der Freiberger Krankenkassen-Skandal. Wie bereits mitgeteilt, haben die Arbeitgebervertreter der Frei berger Ortskrankenkasse bei der Aufsichts behörde den Antrag auf Amtsenthebung des aus den Kreisen der Arbeitervertreter gewählten Vorsitzen den Bieligk gestellt. Der (nicht der sozialdemokrati schen Partei angehörige) Kassierer Grässer der Kasse hatte sich, wie erinnerlich sein wird, kürzlich das Leben genommen und in einem hinterlassenen Briefe erklärt, daß der Vorsitzende Bieligk ihn durch sein Vorgehen i n den Tod getrieben habe. Begründet wurde der er wähnte Antrag damit, daß 1) der Vorsitzende ungesetzlich gehandelt, indem er den Antrag auf Dienstentlassung Grässers gestellt habe, da hierzu allein die Aufsichtsbehörde berechtigt sei: 2)? wegen Unfähigkeit, weil er keine Buchführung gelernt habe: 3) weil er nicht wiße, was eine Tratte sei (!): 4) weil er in der Generalversammlung An träge gestellt habe, die dem Vorstand nicht Vorgelegen haben. — Sämtliche Arbeitnehmervertreter wurden in folgedessen dieser Tage vor den Vorsitzenden des Persiche rungsamtes, Ratsassessor Jahn, geladen und ihnen ver schiedene Fragen vorgelegt. Als die Vernehmung beendet war, wurde dem Vorsitzenden die Frage vorgelegt, ob es unter den jetzigen Umständen nicht besser für ihn sei, wenn er vorläufig von seinem Amte zurücktrete. Nachdem dies verneint worden war, erklärte Ratsassessor Jahn, er habe einen Ratsbeschluß bekannt zu geben, den Vor- sitzendenvorläufigvonseinemAmtezuent- heben, weil ihn eine nicht unerhebliche Schuld an den herrschenden Zuständen treffe. Gegen diese vorläufige Amtsenthebung wird bei der Kreishauptmannschaft Be schwerde erhoben. Der neue Kreishauptmann von Chemnitz. Die Ent scheidung über die Neubesetzung der leitenden Stelle der Kreishaupt Mannschaft Chemnitz