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Dresdner Nachrichten : 05.03.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-03-05
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id501434038-189903057
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id501434038-18990305
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-501434038-18990305
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Nachrichten
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-03
- Tag 1899-03-05
-
Monat
1899-03
-
Jahr
1899
- Titel
- Dresdner Nachrichten : 05.03.1899
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Lette 1IO. BrUetriftischc Lonutags-Betlagc z« den ..Tresduer Nachrichtc»". .Gut I Schön! Aber ohne Verbindungen, ohne einflußreiche Protektion —" „Ich habe welch«!' .Wirklich?" Es kam sehr ungläubig heraus. „Meine liebe Nelly! Tu »ist ein ganz auffallend hübsches Mädchen, wie ich Dir schon zuvor sagte, und ich mag auch keinen Zweifel an Deinen Talenten laut weiden lassen. Tu Haft «mschirben viel Aehnlichkeit mit mir. und ich kann nicht umhin, dies alt em Glück für Dich anzusehen. Ich glaube ganz bestimmt, daß Tn Deinen Weg machen wirft, aber der Anfang dazu ist kehr wichtig. Ich mutz wieder holen: ohne Verbindungen, ohne einflußreiche Protektion ist dieser Anfang beinahe unmöglich. Ein junges, unerfahrenes Mädchen kann sich doch nicht selbst die Lehrkräfte auswählen, ein passendes Unterkommen suchen und der- »Ivou, - rbn kenne, kann ich mir das mir zu gut vorstellen, und es will mir nicht recht einkeuchten. wie es Dir dort hätte gelingen 'ollen, wichtige Konnerionen an- zukuüpfen." Wieder huschte das maluiöfe Lächeln um Nellys volle Livvcn, als sie ruhig erwiderte: .DaS ist mir dennoch gelungen'" .Tort? In Schlesien ? In Wulishagen?" ^Mvohl!" .Du willst mir »'.cht sagen, wer sich Deiner annimml?" .Ter Name thut nichts dabei, er würde Dir auch ganz unbekannt sein. Jedenfalls ist die betreffende Persönlichkeit vortrefflich dazu geeignet, mir den z meiner Laufbahn zu erleichtern!" rännliche Pcrwnlichteit, liebe Nell!»': >en Anfang meiner La es eine mäni " .Jawohl!" .Und noch jung?" ^Gewiß!" Mevrvuw Bamoekcn rückte ihren Sessel ein wenig weiter fort, hob von Neuem die Lorgnette empor und beäugelte ihre junge, neu gefundene Tochter mit einem Ausdruck, in welchem etwas von Respekt lag. Ein vielversprechendes Mädchen, diese Nelly, Eigentlich ichadc, daß sie sie nicht bei sich behalten konnte! Wahrscheinlich würde sie sich »ist ihr ausgezeichnet gut verständigt und amüfirt haben! Auch daß sie sich die Antworten so knapp und einzeln herausziehen ließ, gefiel ihr. sie würde es gerade so gemacht haben. Warum gleich mit Konffdenzen gegen Jemanden hervortreten, mit dem man noch gar keine Beziehungen hatte? „Tu willst allen Ernstes schon gehen. 'Nelly?" Das iunge Mädchen hatte sich wieder von dem gestickten Tabouret erhoben. .Es ist Zeit für mich, rch werde erwartet." .Ist Dem — Tein — Beschützer auch zugleich Tein Reisebegleiter, wenn ich fragen darf ?" ..Ganz recht." Nelly unterdrückte ein Lächeln, wenn sie sich Nicolas von Pernyczewski als ihren „Beschützer" dachte. Sie wußte mir zu gut, wie gern er einen anderen Titel gehabt hätte. Wieder musterte die Tarne ihre Töchter erstaunt. Merkwürdig, wie un befangen, wie ruhig dies schöne Geschöpf dastand und ihr in die Augen sah War es sich der Tragweite seiner Handlungsweise gar nicht bewußt, oder hielt es sich einfach für berechtigt, mit einem jungen Manne in der Welt umher- zureisen? Wie lange gedenkst Tu—gedenkt Ihr — noch in Amsterdam zn bleiben?" Mevrvuw Vanroeken's Arme umschloffen auf's 'Neue leicht, beinahe vor sichtig die blühende Gestalt der Tochter, als wenn sie mrchten müßte, sic zu zerbrechen. ^ Noch vorsichtiger berührten die rochen Lippen der Dame das jugendweiche, maienfrnche Gesicht des schönen Mädchens. Nelly lies^BcideS geduldig Über sich ergehen, ohne Kuß und Umarmung zu erwidern. Sic war nicht eigentlich traurig in ihrem Inneren, cs war da nur eine öde Apathie nnd, durch dieselbe hindurch klingend, der eine Gedanke: „Gut, daß meine kleine Sylphe nicht an meiner Stelle rst und dies Wiedersehen hat erleben dürfen!" Tenn das Schwesterchen war der einzige Mensch ans Erden, den Nelly bis jetzt in ihrer Weise wirklich liebte. Im Begriff, sich endgilt ig zu verabschieden, sah 'stell'.» plötzlich, wie die Flügclthüren vor ihr sich 'eierlich anseinanderlhaten, der iunge Bediente mit einem cercmonicllcn Bückling näher trat und meldete: „Nkynheer van Zuithen!" Offenbar kam dftsc Meldung Nellys Mutter ebenso unerwartet wie dem jungen Mädchen. Sic sagte ein holländisches Wort, offenbar ein Zlusrus des Erstaunens, bewegte sich einen Schritt vorwärts, blieb wieder stehen, und mittlerweile war der vielbesvrochenc „Freund und Gönner" eingetreten. Wenn die kleine Jlka mtt ihrem altklugen, drolligen Lachen versichert hatte: „Aber ich kann ia Onkel Zuithen auch nicht leiden!" so konnte Nelly dies jetzt, wenigstens was den ersten Eindruck betraf, gut verstehen. In seiner Erscheinung hatte Orstcl Zuithen wirklich nichts Bestechendes. Das Pastellbild war nur zu gut getroffen, doch war das Original jetzt noch älter und noch gelber. Die Wangen hingen in welken, ichlaffcn Falten, die Augen blinzelten grünlich, um die Lippen mit den ties hcrabgezogencn Mundwinkeln hatten Eigensinn und schlechte Laune stereotype Linien gebildet. Er sagte als Begrüßung einen holländischen Satz, den Nelly natürlich nicht verstand, aber sie hätte, nach er Betonung zu schließen, daraus schwören mögen, daß es ein Borwnrs war. den der Mevrvuw Vanroeken machte. Diese erwiderte lebhaft, mit allen Zeichen des Bedauerns und Schreckens, als Mynheer sie mitten im Satz unterbrach, die Brauen hochzog und. mit einem Blick aus Nelly, drei Worte hinwars, die offenbar bedeuteten: „Wer ist das ?" Hieraus wurde Mevrouw Vanroeken sichtlich sehr verlege», räusperte sich, schluckte, ging dann nvthgedrungen zum Französischen über nnd sagte, mit einer Geste gegen Nelly: „.Vla titto!" - rllo ?" fragte der holländische Herr promvt zurück und ließ seine _ . .. _ . . „Haells MI „ , gvoenlt II „Wir werden morgen nach Paris gehen!" „Ah, nach Paris'" Ein unwillkürlicher Scurzer wcevrouw «anroeien s. rin beinahe zärtlicher Nachdruck aus dein Wort „Paris" sprach von schönen Erinnerungen, die sich für sie an diese Stadt knüpften. „Tort willst Du Deine Studien betreiben ?" „Da es nickt hier und bei Dir sein kann. — ja!" „Hier und bei mir! Aber, nimm au. es wäre so gewest», was hättest Du mit Deinem Kunstfreund und Reiiemarschall angefaugen?" „Sehr einfach, ich hätte ihn zurück geschickt!" „Und er wäre gegangen?" „Vielleicht! Möglich auch, er wäre hier geblieben! Wozu letzt noch darüber Nachdenken ?" „Es wäre mir von großem Inrereffe gewesen, Deine musikalische Ansbiid- ung zu überwachen," beeilte sich die Dame zu sagen, jetzt, da 'stell» nach ihrem Sonnenschirm griff und mit keinem Wort mehr Ais ihre ftüherc Bitte zurückkam, „aber unter den obwaltenden Umständen, da ich wirtlich kaum wieder an,äuge, Herrin meiner Kräfte zn werden, da ich mich über meine Zeit nicht frei veriügen kann —" „O bitte, sprechen wir nicht mehr davon!" „Es freut mich. Dich so verständig und einsichtsvoll zn finden. Tann — eins noch nieder un „ich würd die pekuniäre „Ist wichtig! Ich weiß I" fiel stell» hastig ein. „Aber ich bin aus reichend mit Mittel» versehen —" „Mit eigenen Mitteln?" „Gewiß! Mit eigenen!" 'stell'.» gedachte des Familien,chmuckes. der in Köln zurückgeblieben war, und die Gedanken ihrer Mutter gingen einen ähn lichen Weg. Wie oft halte sie schon bedauert, dies ihr töstbarc-s Eigenthum anläßlich ihrer letzten Reise damals in Wulfshagen zurückgclasien zn haben. Es reprästiitirte ja, wie sie wohl wußte, ein kleines Vermögen und wie viel Verlegenheiten und Demüthigungcn hatte ihr stin Besitz erwart! „Leb denn wohl, Mama !" Zögernd kan» die Lcnenmmg über Nellys Lippen. Fremd und kühl, wie sich Mutter nnd Tochter gezenübergetreten waren, reichten sie jetzt einander die Hand ,um Abschied. Und doch war viel Verwandtes in ihren Narnrcn — zn vic!! Jede von ihnen dachte nur an sich selbst, keine von ihnen '. .stand es. des eigene Ick zu vergeben ,nid wahrhaft zu 'stk-rn . zur Augen — die Augen einer knurrigen Bulldogge, wie Nelly dachte — ver gleichend zwilchen den beiden Damen hin- und hergehen. „Nelly von Wulfen! Aon cki-nr — vcms saver" und min wieder etwas Holländisches, was das innge Mädchen nickt verstand. Offenbar hatte es aber bedeutet, daß die Tochter weder hier bleiben noch irgend etwas von der Mutter haben wolle, denn die Wetterwolke, die sich auf dem gelben, von einem ansgebildeten Lebcrleideii Zeugniß ablegenden Gesicht des alten Herrn zusammeiigezogen hatte, begann sich zu klären. Er blickte freundlicher auf Nell» und sagte etwas Billigendes über ihre äußere Erschein ung. Ob dies nun wiederum seiner Freundin angenehm war. mußte die Frage bleiben. Das junge Mädchen machte daher der peinlichen Situation ein Ende, indem cs sich mit ein paar französischen Worten und einer leichten Verbeugung empfahl. Es schien ihrer Mutter lieb zu sein, aber als Nell» bereits den Thür- drückcr in der Hand hielt, besann sie sich, daß dsts vielleicht ein Abschied für sehr lange Zeit sein konnte. Sie machte daher eine bittende, entschuldigende M'Nt'N ^/nnkpl'1' Nnn »iiiktskl'N liefst Geste gegen Mynheer van Zuithen, eilte der Tochter »ach, faßte ihre Hand und fragte dringend : „Man wird von Dir hören, nicht wahr, ebene, man wird von Dir hören?" Und 'Nelly entgegnctc mit einem stolzen Lächeln: „Man wird von mir hören, wenn ich eine große Künstlerin geworden bin!" Um eine gute halbe Stunde später trat sie in ihrem Hotel in den kleinen Salon, den sie und ihr „Beschützer und Reisebegleiter", der ini Fremdenbuch als ihr Bruder austrat, gemeinsam benutzten, und rie/ Nicolas von Perny- czcwsn, der im „Figaro" blätterte und bei ihrem Erscheinen rasch aufsprang, unbefangen -n: „Sic können zu morgen früh Villels bestellen, wir gehen nach Baris! „Ach!" Sein Gesicht nahm einen sehr zufriedenen 'Ausdruck an; er nickte vor sich hin. Nach einer kleine!, Pause ietztc er etwas zögernd hinzu: „Gciunde» ?" „Jawohl!" „Aber —" „Was denn, aber? Nichts weiter!" „Das bedeutet einen Triumph für mich! Hab' ich cs Ihnen nicht immer gesagt, dies Wiedersehen wird gar keine Bedeutung für Sie haben?" „Ja — Sic haben das immer gesagt!" ,Ist'>n> alio! Wie wäre es, wenn wir düstren gingen?" l9. Kapitel. Monsieur sylvian Fwntignon saß in seinem hübschen Empfangszimmer in einem sehr stattlichen Hause Avenue de Wagram und sprach lebhaft mit einem Gast, der ihm gegenüber in eineni Sessel lehnte. Monsienr Jrontignon hatte ein glatt rasirtcs, gescheides Gesicht mit leb haften, schwanen Augen und dunklem Haar. Das dunkle Haar begann chm freilich nachgerade etwas zu fehlen, aber, Tn mein Gott! ungestraft war man schließlich nicht Jahre alt geworden und unterrichtete seit 18 Jahren im Gesang! ^ Der sehr korrekt gekleidete Herr, der ein wunderschönes, elegantes Fran zösisch sprach und fein abgeschliffene Manieren zeigte, war einer der besten Gesangslehrer von ganz Paris — hochmusikalifche Leute behaupteten sogar der beste. ^ Wenn er dennoch keine besonders bohe Schülerzahl auizuweisen halte, so gab es dafür mehrere Gründe. Ter am wenigsten in's Gewicht fallende > Grund war der, daß Monsieur Frontignon selbst für Pariser Verhältnisse auf fallend theuer war. Das hätte man ihm immer noch verziehen und mit en die ' ' einigem innerlichen Murre hohen Preist bezahlt, denn es giebt nickt nur Belletristische Lonntags Bcilagc zu den „Dresdner Nachrichten". Leit« 111. dem Lehrer ein besonderes Rettest wenn er große Honorare Nimmt, auch ans den Schüler, der sie zahlen kan», fällt ein Abglanz davon, und es macht sich immer gut. wenn nian in Gesellschaft beiläufig erwähne» kann: „Ich habe jetzt einen neuen Geiangsmeistcr. Er nimmt zwar ött Francs iur die Lektion, aber was ist zu machen? Er ist ein vorzüglicher Lehrer!" In Paris, wo so viel Geld ziisammenströmte. hätte die Honorar frage mithin kein Hinderniß abgegeben. Aber Monsieur Frontignon stand in dem Ruf, >ehr streng zu sein, vollkommene Hingabe an die Kunst, strikten Gehorsam iur 'eine Vorschriften zu verlangen »nd allen Dilettantismus, alles Hcrum- uaschcn an der Kunst durchaus zu vcrwerstu. Min, und das war sehr unbe- auem. Tie meisten jungen Leute, die singen wollten, halten keineswegs die Absicht, ernsthafte Studien deshalb zu unternehmen, langweilige Hebungen zu machen und ihre Stimme auf das Sorgfältigste zu bilde» ^in Gcgenthcil! Sic wollten rasch voran, in kürzester Frist ans die Bühne oder in den Konzerliaa! nnd dort brillire». sich bewundern, beneiden lassen, sich einen Namen machen. Solchen ungestümen „Rennern" nnd „Turchgäiigern' griff nun Monsieur Sylvia» alsbald energisch in die Züge! Das-lging nicht. Er wenigstens ertheilte keinen solchen pur laree-Unterricht, der den Schüler in taum Jahresfrist schon ..herausbrachte", ihn so zu iagen sie und fertig hiiisteilte, seien die Folgen, welche sic wollen. So tam es. daß der Maestro wirklich immer nur der Lehrer einer aus- erwählten, kleinen Gemeinde war, die freilich blindlings zu ihm hielt und auf ihn schwor. So hoch stand ihm seine Kunst, daß er cinein Genie, einem wirklich von ihm anerkannten Genie sogar die Lektionen erheblich billiger be rechnete, und das wollte sehr viel für ihn sagen, denn er stand in dem Nus. gern gut zu leben und unverhältnißmäßig viel flir seine Person zu verbrauchen. Der ihm gegenübersitzeude Herr, auf dem seine schwarzen, ausdrucksvollen Augen mit io viel Wohlgefallen ruhten, rechtfertigte dies Wohlgefallen durch seine äußere Erscheinung offenbar: ein sehr eleganter, blonder Man», schön nnd vornehm, dabei nichts Geckenhaftes oder Selbstgefälliges. Ter etwas hochmüthige und gleichgiltige Ausdruck stand ihm so gut zu Gesicht, als gehöre er unweigerlich dahin und würde eine Lücke entstehe» lassen, ivenn er nicht wäre. Ter Maestro hatte immer Theilnahme und Interesse für ehemalige Schüier. Für Nicolas von Pernyczewski besaß er noch eine ganz besondere Vorliebe. 'Nicht nur, daß er einer der allerbegabtesten Mensche» gewesen war, die er jemals unterrichtet hatte, „phänomenal begäbt", wie Jrontignün in seinem charakteristischen Zurückwersen des Kopfes ausziirufcn pflegte! — er hatte auch in seiner ganzen Auffassung de» Meister oft geradezu verblüfft. Unter seinen Elite-Schülern waren viele gewesen, die ihn gut verstanden hatten, ivenn er ihnen eine Erklärung zu Tyeil werden ließ, einige, die ihm bereits auf halbem Wege entgegeugekommen waren . . . aber lein einziger, der ihn so durchaus in sich ausgenommen, erratheil und ergänzt hatte, wie dieser iunge Deutsch-Pole. Es war dem Lehrer in der ersten Zeit geradezu unheimlich gewesen. Ter Enlwickelungsgang dieser Stimme, rapid, wie er war. hatte etwas so Neues, Verblüffendes, eine» fo beinahe dämonischen Reiz für ihn, daß er von seiner bisher eisen, sestgehalteueir Melhode abwich, sich Sprünge gestattete, Aufgaben stellte, an die ein Neuling sonst »och nicht rühren durste, endlich sogar hitzig wurde und Maßnahmen trat, die er, in des Schülers 'Abwesenheit, bei ruhiger Ucberlegung lanni vor seinem iiiiisitalijchim Gewissen verantworten konnte. Und wie das dessenungeachtet ging und ihn selbst mit fortriß nud ihm neue Bahnen wies, an die er, der bedeutende, geübte Lehrer, nie gedacht. Nie zuvor und nie später hatte er je eine solche Zeit, einen solchen Erfolg erlebt. Er war damals gegen die amerikanische Tournee ge wesen. und es bedeutete einen der größten, wenngleich ichr melancholische» Triumphe seines Lebens, daß er Recht gehabt, daß diese gewaltsame Behand lung sclvst für eine Stimme von solcher Ausdauer und Schulung vcihängniß- voll geworden war. Nicolas hatte gelacht, seinem guten Stern vettraut. hatte die Rathschläge, die ihm der Meister mit aus den Weg gegeben, zum Theile gar nicht, zum Theil nur halb befolgt, — das waren noch die Vorsichts maßregeln der „alten Schule", mit denen die jetzige Generation, Sic eine neue Lebensweise führte, einfach arrjräumen mußte. Wer würde denn eine klein Indisposition, eine beginnende schwäche gleich derartig beachten! Er hatte versucht, sich das „fottzusingen", — die Folge davon war ein Bruch in der Stimme, ein Verlagen der stimme, das zeitweilig eintrat, — endlich der Verlust der Stimme gewesen. Und Sylvian Frontignon harte geweint, als er dies eriuhr, harte buch stäblich große. Helle Thräncn vergossen, wie ein Kind. Seine Meo av rbstistanco, sein Stolz, seine Hoffnung — nnd die Stimme sollte hin sein siir immer. — diese Stimme! Er hatte an^ Nicolas geschrieben, gebeten, gefleht, er möge alles Deutbare thuii, um die stimme, diese Gnadenaabe, dieses Gvttcsgeicheiit wiedcrzu- gcwinucn. Er hatte sich geberdet wie Jemand, uni dessen eigene Ensteuz es sich handelt, der dem Hungertode nahe ist. 'An berühmte Aerztc halte er geichricben, sie ersucht, sich für seinen Schüler zn iutercssiren .... er wollte, er konnte cs nickt glauben, daß etwas so Emirtzliches wirklich geschehen tonnte, bis die grausame Wirklichkeit endlich zn ihrem Recht kam. Jetzt saß 'ein einstiger Liebling, sein enlant Z.tto. ihn, gegenüber nnd vlaudeüe so ruhig und verbindlich mit ihm, als sei cs gar nicht er. aus den der Maestro dereinst seine vermessenste» Hoffnungen gebaut hatte. Er hatte ihm vor etwa vier Tagen geschrieben, ihn darauf vorbereitet, er werde ihm eine junge Dame schicke», die er, der Meister, aus den Gemug hin prüfen möge, — eine sehr vielversprechende junge Dame, die sicher eine Zukunft in der Kunst habe. Für Monsieur Frontignon genügte allein die Unterschrift ..Nicolas von Pernyczewski". um der betreffenden iunge» Dame nicht nur die erbetene Audienz um die bestimmte Zeit zn bewilligen. — eine unerhörte Konzession! — sondern auch, »in ihr ein ganz ungewöhnliches Interesse ent- gegenznbringen. Sie kam allein, erklärte sehr bestimmt, sie habe sich -ede Begleitung und Zuhörerschaft verbeten, es käme ihr einzig auf Monsieur Frontianon's Kritik an. Sic sprach ein gutes Französisch, hielt sich nicht mit Nebendingen auf und war bildhübsch . . . drei Db'ttachen. die sie in -es Ma-7-stro Augen be deutend empfahlen. Er ließ sic singen, sagte sehr wenig und dachte sehr viel und hatte eben jetzt seine erste Zusammenkunft und Unterredung mit Nicolas, die sich selbstredend um Nelly von Wulfsen drehte. „Ich wußte, daß Sie eine hohe Meinung von ihrer musikalischen Be anlagung haben würden!" sagte Nicolas mit einen« befriedigten Lächeln nnd zog seinen schwach goldig schimmernde» Lippenbart init zwei Fingern spitz» „Die allerhöchste!" bestätigte Frontignon lebhaft, „Nur." setzte« zögernd hinzu, „trug ich Sorge, Mademoiselle dies nicht allzu sehr merken zu kaffen» denn, wie cs mir schien, hat sic ein ohnehin stark entwickeltes Selbstbewußt- icin, das man sich hüten muß, durch allznpiel Lob in zu nitlegenc Regionen hincinzustcigern!" „sehr richtig beobachtet, man mrttre! Ohne Selbstbewußt!««, ist freilich auch nichts zu machen!" „Und das Gute und Richtige liegt in der Mitte!" beendete Frontignon den Sah mit einer leichten, eleganten Geste. „Trachten wir, diese Mittrl- straßc zu wandeln!" „Sie wissen. Meister, ick war nie für wlchc Mittclstraßen!" „Ob von, sloumeur Aicolai!>Sic hätte ich dort auch nicht lehr» mögen? Wer für die höchsten Höhe» geboren ist. der soll das wissen und sich absondnn von Teilen, die in großen Schaarc» ziehen!" „Nun, ich habe esf gcivnßt und es redlich gclha»! Meinen Sic indcsien nicht auch, daß zwischen mir und — und — der Baroneß Wulften «ne gcwiffo Aehnttchleit vorbanden ist ?" „Aehnlichkeit i» Temperament und Lebciisanffassung oder in musikalischer Beziehung?" „In Beiden«!" „Ich kan» es nicht leugnen, daß mir der Gedanke bereits gekommen ist?. Dciiinach möchte ich mir erlaube», meine Bemerkung zu wiederholen; ick» halte es durchaus für opportun, der jungen Dame die flohen, hochstrctnmdcn Lchwingci« ein wenig zu stutzen > Für cincii innaeii Mann mit reichen Mitteln, mit phänomenaler Begabung, mit Ehrgeiz, ist der Flug auffvätts «oeit leicht« zu wagen, Sic werden mir das zugcsteheii, als für ein junges allciiistehciidcÄ Mädchen, das — Sie wiederhole» mir, daß Sic in keinen »ähcrcn Bezieh ungen zu dieser jungen deutschen Damc stehen, Monsieur de Pernyczewski k Dätz sie nicht Ihre — Ihre Braut ist?" „Ich 'wiederhole cs, sie ist nicht meine Braut — und ich kann nicht «mihin. ein ..leider" hinzuzusctzcn." Nicolas hatte sein markantes Lächeln, mit de», « sich gelegentlich selbst verspottete. Auch Monsieur Froniignon lächelte, vbichoi« er eS sich versagte, das Thema «veiter zu verfolgen. 'Als gut aiisschender Herr »nd durch seinen Berns vielfach in den Verkehr mit den« schönen Geschlecht gesetzt, hatte er manches galante Abenteuer zu verzeichnen und war reich an Erfahrung auf diesem Gebiet 'Aus dieser Erfahrung heraus konnte er jetzt nicht umhin, sich i» der Stille z» wunder», daß es ein iniiges Mädchen gab, das diesem „strer" Nicolas von Pcniyczeivsli. z» wiederstehen im Stande war. Wie oft. während er Nicolas unterrichtete, batte der weit- und i»e»s>henk»»dige Maestro bei sich gedacht: „Dieser Mensch als Ton Juan auf der Bühne. — Himmel — Himmel I Welch' eine Revolution würde das abgcbei«. vor und hinter den Eoulisscn! Tie Verheerungen, die dieser Mai»« init Erscheinung. Stimme. Spiel und Augen in weiblichen Herzen aiirichle» würde, «vären geradezu geiiiciugesährlich! K-nuneur! Das Schicksal hat ein Einselwi« getiabt. als cs ihm diese nnvcrgleichlichc Tenorstimme schenkte, — damit kann « alS Ton Iuai« nichts aiifangc»! Auch so bleibt ihm immer noch ein reiches Feld für seine Thätigkeit! Was stellen die Frauen jetzt schon auf. um zu «fahre», wen» er iir meine Ttnndci« kommt und «venu « geht I Ich glaube, dein gegenüber bleibt leine Einzige fest!" Nnd nun sollte es doch Eine sein, noch dazu Eine, um die es Nicolas selbst zu thu» zu sei» schien, von der n mit ciuei» Seufzer gestand, sie sei ..leider'^ nicht seine Braut! „Hat die Baroneß hier sonst Verwandte, Freunde, — «nit einem Woick Verbindungen?" ..Tucchaus keine! Ich. der ich, wie Sie wissen, i» Paris gut bekannt bin, habe ihr in einen« seinen Damen Pensionat in der Ruc Richelieu Unter kommen verschafft, und . . . nun . .. und das ist Alles I" ..Gedenken Sic sich noch eine Zeit lang in Paris auszuhaltc». Monsun»- Nicolas?" ..Eine Zeit lang — gewiß'" ..Nicht aber so lauge, bis die iunge Dame, die L>ie protcgire», ihre Studien Vollendet hat?" „Das wohl in'keinem Fall - muß ich abermals befürchtenI" Wieder harte Nicolas sein sclbswerspollendes Lächeln, „Wik laugc Zeit wird sic wohl brauchen, zu Ende zu kommen?" Daraus eiilgegucte Frontignon das, was lei» Zuhör« «wartet hatte: „Es laßt sich das jetzt nicht im Mindeste» Voraussagen!" „IedeittallS dock, bei dieser Begabung die denkbar kürzeste Frist!" „Wenn fick zn dieser Begabung Ehrgeiz, Fleiß, Ausdauer u»d püilkllicher Gehorsam gesellen, — dann allerdings! Nach einer einzige» eutrevuv läßt sich dies nicht ohne Weiteres scststellrn!" ^ „Nicht für einen so guten Musst- nnd Meinchenlenner. wie Sic? -venn »Mantire ich Ihnen dafür!" .. . „Sehr verbunden! Wäre den» diese eben erwähnte denkbar lnrzcste Frist auch in — in anderer Beziehung wnnschenswcrlh? Es könnte mir nicht bei- lommen. die junge Dame nach ihren vetniiiären Verhältnissen anSznsor'chen; sind dieselben —" „Nicht geradezu schlecht, aber für eine» lang bemessenen Auseiithall knapp ausreichend. Ich möchte sie bitten, Maestro, Ihre wohlverdienten Honorar- »reise in diesen« Fall aus das denkbarste Mimmu»« zu reduzire». wa» Ihnen einer solch«, Schülerin gegenüber nicht schwer fallen dürft«»"
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