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63 leicht wäre es gewesen, die kleine Schar zu erdrücken! Aber nicht ein mal an eine Verteidigung der Stadt war gedacht, keine der Holzbrücken war abgehoben. So zogen die Spanier ungehindert am 8. November 1519 in die Stadt ein. Es geschah das in demselben Jahre, in welchem Luther in Leipzig der Ketzerei überführt wurde. Man schätzte die Zahl der Häuser auf 60 000, die der Einwohner auf über 300 000. Große Plätze unterbrachen die Straßenfluchten; die Häuser waren aus Stein gebaut und glichen kleinen Festen. Über alle ragte der Götzentempel mit seiner Plattform hervor, welche man auf 114 Stufen erstieg; er zeigte 40 Türme, alle sehr stark von behauenen Steinen erbaut, das Gebälk wohl zusammengefügt und bemalt. Die vor nehmsten Herren in der Stadt hatten in diesem Tempel ihre Götzen und ihre Familiengrüfte. Auf der Höhe der Plattform befanden sich in einer Tempelhalle zwei Götzen, welche von Gold und Edelgestein strotzten. Hier war die Hauptopserstätte, wo die Gefangenen auf einem Blocke von Jaspis hingeopsert wurden. Mit Schaudern sahen die Spanier, wie die Opfer- stättc sich von dem geronnenen Blute gefärbt hatte. — Montezuma dachte nicht au offenen Widerstand, vielmehr überließ er es der Zukunft, ob sie den günstigen Augenblick bringen würde, in dem er sich der lästigen Fremdlinge entledigen könnte. Er kam im feierlichen Aufzuge, mit dem ganzen Gepränge seiner Herrscherwürde den Fremden entgegen. Cortez hing ihm eine Kette um den Hals, deren blitzende Glasperlen über den Wert des Geschenkes täuschen sollten. Es wurde ihm dann ein Palast als Wohnung überwiesen, der, an und für sich einer Feste gleichend, von den Spaniern durch Wachen und Kanonen noch mehr gesichert wurde. Sie bewunderten auch hier in den von den Wänden hcrabhängenden Teppichen den vorgeschrittenen Kunstbetrieb der Mexikaner, Noch an demselben Abende stattete Montezuma dem Führer der Fremden seinen Besuch ab. Wie es schien, war er ganz in sein Schicksal ergeben, denn er versicherte, überzeugt zu sein, daß er jener Sage gemäß das Reich an den König von Spanien abtreten müßte. Mit kleinem Gefolge begab sich Cortez am andern Tage in den königlichen Palast. Er sah mit Verwunderung einen Springbrunnen in einem der Höfe, das aus Quadratsteinen gefügte Mauerwerk, die mit Marmor und anderm kostbaren Gesteine bekleideten Wände, die kunst vollen Teppiche. Er versuchte nun den König sofort zum Christentum zu bekehren, allein dieser wich jeder Erörterung darüber aus und erklärte sich nur bereit, dem Könige von Spanien Tribut zu entrichten. Bernal Diaz, ein Augenzeuge dieser Begegnung, giebt von der Person Montezumas folgende Beschreibung: „Er mochte in dieser Zeit in seinem vierzigsten Jahre stehen. Er hatte eine ansehnliche Statur, war von schlankem Wüchse, aber etwas mager von Gliedern, doch in den besten Verhältnissen gebaut. Seine Farbe fiel nicht sehr ins Braune, sondern