Volltext Seite (XML)
23 heimischen Gewässer. Für die weiteren Fahrten geben die Quellen wenig zuverlässige Auskunft. Wir finden ihn in England, von wo auS er eine Reise nach dem hohen Norden mitmacht. Ob er hier von den Fahrten der Normannen nach Grönland und Winland gehört hat, muß dahin gestellt bleiben. Die Erfolge der Portugiesen übten auch auf ihn ihre Anziehungs kraft; er ist auf einem portugiesischem Schiffe bis Guinea gekommen. In Lissabon verheiratete er sich mit der Tochter eines Seemannes und nahm dann seinen Wohnsitz auf Porto Santo, wo er Muße fand, die Papiere des verstorbenen Schwiegervaters eifrig zu studieren. Es ist sehr wahrscheinlich, daß Kolumbus hier die ersten Anregungen zu dem Plane erhielt, Asien in westlicher Richtung zu erreichen, denn bei den Insulanern fand er die Meinung ganz allgemein verbreitet, daß im Westen und zwar nicht in so großer Entfernung Land liege. Man schloß das aus mancherlei Anzeichen, Bäume fremder Art, ein bearbeiteter Stab, ein Leichnam mit fremder Hautfarbe sollten angetrieben sein, ja die leb hafte Phantasie in das Meer verschlagener Schiffer hatte sogar das Land gesehen. Man darf annehmen, daß sein Geist sich immer lebhafter nach Westen spannte und sein Verlangen, eine große Aufgabe zu lösen, immer brennender wurde. Der Brief Toscanellis mußte ihn in dem Glauben an ihre Lösbarkeit sicher befestigen. Die Frage wurde auch von anderer Seite lebhaft verhandelt; auf den Karten erschien die fabelhafte Insel Antilia; das Buch eines Franzosen, des Kardinals von Cambrai, Pierre d'Ailly, vertrat ebenfalls die Ansicht von dem geringeren Umfange der Westseite der Erde im Vergleiche mit der östlichen; aber es berührte noch eine andere Saite, die in der Seele des Genuesen so lebhaft klang, wie in der irgend eines Zeitgenossen. Der Erzbischof wollte nämlich wissen, daß das Paradies in jenen östlichen Gegenden liege und zwar auf einem hochragenden Berge, von dem mächtige Ströme herabbrausten, um sich in einen See zu stürzen. Wollte man diese Wunder schauen, so müßte man sich beeilen, denn auch das wußte der Erzbischof, der Untergang der Welt war nicht mehr in weiter Ferne. Man hüte sich zu glauben, daß solche Vorstellungen, weil sie in unserer so nüchternen Zeit nicht ernstlich gehegt werden können, nicht im Mittelalter ein ernster Antrieb gewesen wären, sich in die gefahrvollsten Unternehmungen zu stürzen. Mochten Kolumbus Wißbegierde, abenteuerlicher Sinn, Aussicht auf Ehre und Reichtum an treiben, sehr wirksam blieben in ihm auch religiöse Beweggründe. Zahlreiche Heiden bekehren, das Paradies aufstnden, das waren Aufgaben, die ihn, der ganz ein Kind seiner Zeit war, lebhaft anreizten. Im Jahre 1483 bot er seine Dienste den Portugiesen zur Auffindung Ostasiens auf westlichem Wege an, wurde aber abgewiesen. Man erzählte, es sei das geschehen, weil die Männer, denen die Prüfung seines Planes oblag, ihn für einen Abenteurer erklärten, da die Ausführung unmöglich