Suche löschen...
Dresdner Nachrichten : 14.11.1899
- Erscheinungsdatum
- 1899-11-14
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id501434038-189911144
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id501434038-18991114
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-501434038-18991114
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Nachrichten
-
Jahr
1899
-
Monat
1899-11
- Tag 1899-11-14
-
Monat
1899-11
-
Jahr
1899
- Titel
- Dresdner Nachrichten : 14.11.1899
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
>b Seite 538. Belletristische Beilage zu den „Dresdner Nachrichten' würde mich darauf besinnen, daß ich schon seit manchem Jabr bin," — Christine warf einen flüchtigen Blick, auf^ihre jüngere »Ich Schwester — „und würde suchen, meinen Weg oyne Eure Erlaubniß zu machen, liebe Eltern! Aber, — nicht wahr? — Ihr laßt es nicht dahin kommen? Ihr verschließt Euch meinen Gründen. — meinen Bitten nicht, Und laßt mich ziehen?^ .Gegen diese Gründe ließe sich Mancherlei einwenden!" Ter Oberst wünschte, sich einen anständigen Rückzug zu sichern. „Ten Bitten eines Kindes widerstehet, liebevolle Eltern schon schwerer. — Lasten Sie uns Zeit," wandte er sich an den Missionar. „Ihren Vorschlag und unserer Tochter An liegen in Erwägung zu ziehen, — wir weiden Ihnen das Resultat später mittheilen!" „Ich bcdame, hierauf nicht entgehen zu können!" entgegnete Paulus j „China!" Des Obersten Stimme brach sich endlich Bahn, sie stand über dem Tumult. „Ich denke immer noch, ich kann nicht richtig gehört haben, mein Herr Missionar! Sie sagten wirklich China?" „Ich saLte China!" „Und >sie sind in allem Emst der Meinung, wir würden unserer Tochter gestatten, dorthin zu gehen?" „Ter Meinung bin ich allerdings. Sie ist dort so gut in Gottes Obhut, wie hier. Ist ihr ein früher Tod bcschicden, so ereilt er sie ebenso hier, wie in China!" ' „Sie erlauben. Herr Missionar, — dieser Standpunkt des Fatalismus —" „Des unbedingten Gottvertranens, Herr Oberst!" verbesserte der Geist liche mit scharfer Betonung. „Nennen Sie ihn meinethalben auch so! Sie können nur nicht erwarten, Sväth gemessen. „Mein Aufenthalt in Deutschland ist abgelnuscii, ich reise § daß man einen solchen Standpunkt thcilt —" morgen nach England zurück und muß die Sache in London bei meiner's „Wenn ich mit gläubigen Christen zu thun habe, zu denen Sie Alle sich Ankunft sofort zur Sprache bringen. Es wäre am besten, Ihr Fräulein doch wohl zählen wollen, io kann ich dies allerdings erwarten!" Tochter begleitete mich gleich oder folgte mir in wenigen Tagen nach, damit ich „Wenn cs sich uni eine Ihrer Angehörigen handelte, wurden Sic wahr- selbst sie in ihre neue Thätigkeil einsühren könnte!" scheinlich nicht io deuten!" „Was? Morgen schon?" — „Unmöglich'" — „Eine so übereilte Ge- „Genau so! Meine unvcrheirathete Schwester, bisher Diakonissin in einem schichte kann nicht in Scene gehen!" - Allein nach England hinüber ?" „Das arogen Londoner Krankenhause, geht demnächst auf unbestimmte Zeit nach geht doch nicht? Wer soll sie denn begleiten?" Westmdien. und ich habe ihr auf s Eifrigste zugeredet!" „Ader io laßt doch Christine gehen, wenn sie sich hier bei uns so Unglück- „Me Eltern waren damit einverstanden ?" Uch iüblt!" warf Hede mit scharfer Stimme dazwischen. . „Durchaus! Wo man, nach menschlichem Ermessen, am menten nutzen Ihre Mutter iah sich förmlich erschreckt nach ihr um. jTi onj den Platz hat man sich zu stellen, glerchmel, wo derselbe zu „Kind, — Tu bist dafür datz sie geht? Tn?-ries sie überrascht. wrden ist;- ^ ^ . „Und warnm ich nicht? Gegen seinen Willen darf man keinen Menschen , wenn die Familie eines Geistlichen so - ,o Salten wollen? Was. Christine nur geleistet und. gechan hat dam lern ich von guten Christen, die ich kenne, denken so. ohne Geistliche rcy versieh mich icyr gni, ^in! Wenn Gott durch einen seiner Diener seine Hand ansstrcckt nach er in seinen Dienst nehmen möchte und durch eben diesen mir die Lina an. die ist willig und anstellig, und ...... . , mit ihr! Wenn ein Mensch so auf's. Krankenpflegen versessen ist, — immer A Heele die .Komm' i» Diener zu ihr spricht: gehorchen!" Paulus Späth hatte, während er sprach, ohne alles Pathos, so hat sie. ohne Rücksichten auf Andere, zu ... .. . . ohne über redenden Blick oder große Geste, seine Hand ausgestreckt, — und sofort legte Christine die ihrige hinein und trat an seine Seite, als sei dies der einzige Platz aus der Welt, an den sie gehöre. Der Mensch hat uns das Mädchen behext!" murmelte der Oberst zu! Jeder nach seinem Geschmack! Und Du hörst es doch, Mama: sie geht, auch wenn Ihr es ihr verbietet! Da vermeidet doch lieber einen Lubenower Jamstienskandal, und gebt nach!" „Ich habe andere Gesichtspunkte wie Hede, aber ich bitte, gleich ihr: gebt nach!" sagte Jriedhelm eindringlich „Glaubt mir. Ihr würdet es später bereuen, wenn Ihr jetzt Stein sagtet. Gesetzt den Fall. Christy besänne sich nicht aus ihre Mündigkeit und bliebe hier, falls Ihr sie nicht freiwillig ziehen ^... „..5, ließet. — was wäre das Resultat? Unfrieden im Hause, — rin gegenseitiges ^ -!!!!?, Ät!^Und"Lw Dochtes R heißeischnte 5'^nt>ich etwas, aber in. wirklichen Leben hält man's einfach nicht für M w-eder ,« dm. tzm-mm «mstsmittel, ihr lvroZn^dik sellen Zrek'L'LruF°ve?fehltk"^TnU >°^w. der wnnte glünb^.'^ieÄhloi?^L Vetter ^Wichtew ihr g " MWZM .v-^Me,^ ihre., Wrndrnclv vttfehtte. „.berj^hatt prcßtcs Herz in he.ßcn Tbränen. Thatiächiich war sie der Sache müde; nachdem das ungeheure Wort „China" überhaupt erst Eingang in ihr Be Oesteren zu seiner Gattin geäußert: „Mit unserem Jungen ist nicht leicht ;n disputiren; es läßt sich imm"r 10 wenig gegen das sagen, was er vorbringt!" Der pater kamst ins warf seiner Frau einen ausdrucksvollen Blick zu. der Vor allen Dingen sagen wollte: „Nimm jetzt endlich das Taschentuch fort !" — Frau Sibplla ließ mit zögernder Hand das Tuch sinken, — es war ihr ohne dies schützende Bollwerk lange nicht so gesichert zu Muthe. .Wenigstens", bemerkte sie zögernd, „ist bei den heutigen Begriffen von Entfernung London nicht aus der Welt, — man — man könnte gelegentlich herüber." rhr Gatte sah sie mißbilligend an, sie sprach von einer solchen Reise wie von einer Fahrt von Elbing nach Marienburg — „denn es ist doch wohl wahrscheinlich," Fiau von Küster wandte sich direkt an Paulus Späth, „daß unsere Tochter in London bleibt?" „Durchaus nicht!" erklärte der Gefragte mit fester Stimme. „London soll nur L-nnstation für Ihre Tochter sein; später beabsichtigt sie, mir nach China zu folgen!" Ein allgemeiner Aufschrei der Entrüstung. „Nach China?' Kein Gedanke daran!' „Das könne» wir nie und nimmer gestatten!" Dann ist sie cin- für allemal für die Familie verloren!" Dies entsetzliche Land. — dies fürchterliche Volk! Sie kann ohne Weiteres todtgeschlagen weiden!" „Christine muß vollkommen wahnsinnig sein, daß sie sich das wünscht und daß sie einen Augenblick denkt, wir werden dies zukasseu!" Ter Missionar stand da wie der Fels im brandenden Meer und wartete, bis der erste Sturm sich gelegt haben würde. Er überragte alle Anwesenden um ein gutes Stück, und er sah über sie hinweg mit einem Ausdruck, in welchem Geringschätzung sich mit Ungeduld paarte. Mein Gott. — was für Menschen! So aufgeregt, so wenig sachlich — so voll von Widersprüchen! Unmöglich klebten sie die Schwester und Tochter besonders innig und be trachteten deren Gegenwart als unerläßliche Beigabe ihres häuslichen Glücks .... warum also ließen sie sie denn nicht ruhig ziehe»? Paulus Spärh war so durchaus an den Verkehr mit andersgearteten Leuten gewöhnt, — sie erwogen ruhig das Für und Wider und faßten dann ihren Entschluß. Oder sie standen so fest im Glauben, fühlten sich io sicher geborgen in Gottes Schutz, daß thnen der Gedanke an Trennung und Entfernung so gut wie nichts bedeutete, sie mit derselben Seelenruhe an China, wie an Südbeutsch- land denken ließ. Ter junge Geistliche war gewöhnt, sich zu beherrschen, und er thot es auch jetzt, aber innerlich war er mit seiner Geduld nahezu am Rande. Seine Zeit war ihm sehr kostbar, und er mußte hier so viel davon opfern. Gleichviel! Es galt, dem Himmet eine Seele zu gewinnen, — denn jemehr Paulus Spät!) Christine» beobachtete, desto mehr kam ihm, den, Menschenkenner, die feste Uebeizeugniig, sie werde ein eifriges und brauchbares Werkzeug im Dienste der Kirche werden und. an den richtigen Platz gestellt, sicher Ncunenswcrthcs leisten. Diese stillen Augen, in denen cs doch wie eine stetige Flamme glühte, diese Lippen, die so beredt fein konnten, wenn es galt, )cn lange gehegten Herzenswünschen Ausdruck zu geben. — das war oas Material, aus dem man die Gehilfinnen für den Miisionsdieiist formte, — das Material denen er bedurfte' griffsvermögen gesunden hatte, überkani cs sie wie eine gewisse Lethargie. In ihrem Innern dachte sie: „Herrgott, dann lassen wir das Mädchen eben ziehen, wohin es will! Wenn sie denn doch so himverbraiint ist und sich nicht Hallen läßt ... des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Sie würde ja unausstehlich sein, wenn wir sie zwingen möchten, hier zu bleibe», — und wie können wir sie überhaupt zwingen? Tag und Stacht sie bemachen lassen, das ginge doch nicht an, — uno geschieht das nicht, so geht sie eben einfach auf und davon!" Indessen flüsterte Sylvester hinter der borgchaltcnen Hand dem neben ihm stehenden Horst von Schclling in's Ohr: „Ich hoffe, dieser Apostel heirathet meine vortreffliche Cousine über kurz oder lang! Die Beiden könnten dann gemeinsam nach dem Himmel streben, die widerborstigen Heiden bekehren und in China Werke der Barmherzigkeit stiften. Die Sache bekäme dann gleich 'n ganz anderes Gesicht!" „Warum suchen Sie nicht Maria Deinhardt zum Dienst für China und zur Krankenpflege zu bestimmen, Herr Missionar?" fragte plötzlich Hede's kalte, spöttisch klingende Stimme in das allgemeine Schweigen hinein. Wieder glitt der Blick des Geistlichen über das Mädchen hin. — das kleine, bunte Insekt hatte scharfe Stacheln, das merkte L>päih schon! Ihm war die Spezies, die Hede reprüsentirte, nur zu wohlbekamrt, — diese hübschen, oberflächlichen, im Hause und von der Gesellschaft verwöhnten Mädchen, deren Grundzug eine unerhörte Eitelkeit und Gefallsucht ist, die nicht einmal in de» geheimen Gedanken des Anderen eine Nebenbuhlerin dulden möchten! „Sie wollen verstehen, mein Fräulein: ich habe weder Ihre Schwester zu ihrem künftigen Berns bestimmt, noch versuche ich dies bei irgend einer anderen Danie, die mir in den Weg tritt!" Paulus Späth sprach eindring lich und ein wenig von oben herab, wie man wohl zu eigcnsiimigen Kindern redet, die um kernen Preis verstehen wollen, was man ihnen sagt. „Einzig die Menschen, die sich berusen fühlen, wünsche ich nach meinen besten Kräften zu fördern. Da die Tochter meines Freundes Deinhardt mir lein derartiges Geständniß ausgesprochen hat —" „Das glaube ich!" warf Hede auflachend dazwischen. „Und überdies ihre Zukunft ihr bereits vorgezeichnet ist —" „So? Was beabsichtigt sie denn zu thun, die gloriose Mieze?" „Ich habe keinerlei Befngniß, dies Jemandem mitzutheilen!" versetzte der Missionar ablehnend mrd gemessen, gleich daraus wandte er sich von Hede fort, als habe er genug Worte an sie verschwendet, und ihrem Vater zu: „Ich bitte um Ihre Entscheidung, Herr Oberst!" „Das nenne ich wirklich Jemandem die Pistole auf die Brust setzen l „Der Oberst schüttelte unwillig den Kopf. „Jedenfalls — von heute und morgen Abreisen kann gar keine Rebe sein —" „Ich verlange dies auch nicht mehr. Was ich aber fordern muß, ist eine bindende Zulage!" „Hm! Fordern muß! Starkes Stück!" murmelte der Hausherr vor sich hin, — dann mit einem plötzlichen Entschluß: „Ja, wir müssen diese unhalt- ,bare Situation beenden. Solch' ewiges Hin und Her ist nicht zum Ertragen ! MM»«» ZZK ««Et» Belletristische Beilage zu den „Dresdner Nachrichten". Seite 53S. Christine. — ich frage Dich denn zum letztenmal: Du weißt genau, was Tu thust? Bist Dir der Tragweite Deines Vorhabens voll bewußt? Und bist fest entschlossen, zu gehen?" ..Fest entschlossen, Papa!" „Auch nach China?" Auch nach China!" „So geh' denn. — da Tu Dich einmal nicht halten lassen willst!" Cs war eine unwillig hervorgestoßcne Zustimmung, schließlich, — es war eine solche in aller Form und vor versammelten Zeugen. Ter Oberst wußte: letzt konnte er nicht mehr zurück, — oder es war mit der Dis ziplin und Snbvrdinauon in seinem Harpe, die er so gern betonte, ein- für allemal vorbei! Es enistand ein kleiner Tumult um die Hauptbetheiligten herum. Christine küßte ihres Vaters und ihrer Mutter Hand, und beide Eltern fanden sich ge müßigt, die Tochter, die ihnen beute plötzlich in ein io neues Licht gerückt war. z» umarmen . . . ein in den Annalen des Knster'schen Hauies seit Jahren nicht dagcwcicner Fall. Hede blickte spöttisch drein, Sylvester flüsterte dicht an ihrem Ohr: „Johannes der Täufer wird Dein Schwager, verlaß' Dich darauf!" worauf sie ein ungläubiges: „Tu meinst?" zurückgab. Seit sie erwachten war, hatte sie nie eine» Augenblick daran gedacht, Christine, obgleich um Jahre älter als sie, könne sich vor ihr . . könne sich über haupt jemals verheiratoen! Aber freilich, war denn das eine „Partie", die für sie. di. reizende, gefeierte Hede von Küster, jemals hätte in Betracht kommen könner : ein Missionar für China? Die Herren von Scrclling traten nacheinander an Christine heran und wünschten ihr Glück zn ihrem neuen Berus Sie überboten sich in Rufen, wie: „Kolossal!" „Einfach großartig!" als beabsichtigte das- Mädchen in den Ballsaal zn trete», statt in's Krankenbans. Panlus Späth sollte genaue Ausluiist über China geben, da er doch sicher schon über Alles daselbst vor züglich insormirt sei! Wie war eigentlich das Klima dort? Und die Be völkerung? Vorwiegend gutartig, nicht wahr? Ter Deutschenhaß, von dem man früher gehört, habe doch bedeutend nachgelassen, fei wohl als ganz er storben zu betrachten? Es wären wohl in London viele junge Damen vor handen. die sich für China anwerben ließen, — denn wenn man es recht be denke: China sei ja neuerdings gewaltig in die Mode gekommen, es wäre fast eine Art von gutem Ton. dorthin zu gehen! Ter Missionar theilte diese Auslassung, die ihm kindisch und frivol vor kam. keineswegs, war auch nicht gewillt, vor dieser Zuhörerschaft einen im- provisirten Vorrrag über China zum Besten zu geben. Er halte Christine von Küster, die sich ihm als Gehilfin angeboren hatte und die er dafür auch ge eignet hielt, haben wollen — hatte sie sich hole» wollen, init offenem Äinr, weil er es eines Geistlichen für unwürdig hielt, ein heimliches Spiel zu treiben, wo es sich um ernste Dinge handelte. Jetzt war dieser Zweck, wenn auch nicht ganz ohne Mühe, erreicht, — Christinens Si»verwandte und Freunde standen ihm innerlich io fern, daß von irgendwelchem Verständigen keine Siede sein durfte . . . und so konnte und wollte er denn gehen. „Sie sollen alles Nothwendigc von mir erhalten: Instruktionen, — Reise route, — vorbereitende Schriften, mit einem Wort: Alles, dessen Sie für Ihr neues Leben bedürfen Er sprach nur zu Christine, sa^ nur sie an, — die Anderen schienen nicht iür ihn zu existircn. „Studireii Sie die englische Sprache, so fleißig Sie können, nehmen Sie Ihre Gesundheit wohl in Acht — und, über Allem: Halten Sie an im Gebet, dis wir uns wiederfinden!" Er iah ihr bedeutsam in die Augen — es war ein Blick, der kaum miß verstanden werden konnte. Nichts von dem Liebeswerben eines Mannes, der sich die Erwählte seines Herzens sichern möchte, — nichts von dem unwider stehlichen Drang, der Seele an Seele fesselt. . . einzig und allein das Betemrtniß lag in diesem Blick: „Du gehörst zu mir, ich habe über Dich zu bestimmen, — dessen sei eingedenk!" Tann streckie Paulus Späth seine Rechte aus und schüttelte diejenige Friedhelms mit festem Truck, — den klebrigen machte er eine förmliche Ver beugung, und langsam und ruhig, wie er gekommen war. verließ erden Gatten. 21. Kapitel. Naemi Deinhardt hatte ihre „schöne Puppe", die ihr Tante Lotte mit gebracht, auf Munters, des allen Hundes, Rücken gcwtzt, um sie reiten zu lassen. Munter, nicht mehr recht zu solchen Geniestreichen aufgelegt und sich als Reitpferd nicht geeignet findend, that Alles, was er konnte, um die un- degueme Situalivn zu beende» und seine Last abzuschütteln. Er benahm sich sehr komisch dabei, und Naemi lachte laut und herzlich auf. lieber ihrem Köpfchen — sie spielte im Garten hinter dem Hause — wurde vorsichtig ein Fenster geöffnet, und Frau Johannas besorgtes Gesicht sah heraus. „Aber Mäuschen, wie kannst Tu hier so kaut lachen; hast Du vergessen, daß Väterchen sich hingelegt hat und versuchen will, eine kleine Stunde zu schlafen?" Ter Mutter Stimme klang gedämpft und vorwurfsvoll- Naemis lachen des, rundes Kiudergesichtchen trübte sich und nahm einen beschämten Aus druck an. „Ja. — ich hatte es vergessen!" gestand sie reumüthig und senkte den Kopf, daß ihr die langen, welligen Blondhaare über die Wangen hingen. „Geh, dann weiter in den Gatten hinein, wenn Du nicht still für Dich spielen kannst!" gebot die Mutter. „Ich Hab' ja blos über unseren Munter gelacht — sieh' mal, Mütterchen, Wie er böse aussieht!" „Quäl' den armen, alten Hund nicht weiter, Kind! Nimm Deine Puppe selbst aus den Arm, und spiel' mit ihr!" „Kann nicht Mieze kommen und ein bischen mit mir spielen!" „Stein, dazu wird sie setzt schwerlich Lust haben I" „Mit mir spielt nie mehr Einer!" erklärte Naemi kläglich.) „Immer soll rch Alles allem machen und das ist so langweilig!" „Du warst doch früher immer allein und es ist „Ja. — wie Mieze und Tante Lotte noch nicht da warm l Aber mm sind sie doch da — und Väterchen sagt immer, seder Mensch soll dem anderen helfen!" „Damit hat er aber nicht Ki'iidettpiele gemeint!" „Nein? Aber Kinder sind auch kleine Menschen l" ^ Ganz richtig, Mäuschen!" ließ sich eine sonore Frauenstimme hinter Naemis Rücken vernehmen, „lind wenn Du nichts dagegen hast, so werde ich mich jetzt eines gewissen kleinen Menschen, der hier so energisch seine Rechte geltend macht, annehmen!" „Tante Lotte!" rief Naemi erfreut, drehte sich rasch um und lieh Munter los. was dieser sofort benutzte, reißaus zu nehmen. „Wirsll Du mit mir spielen, — ja?" „Ich möchte nicht zu viel versprechen. Kleines? Ob ich beim Splelm Deinen Ansprüchen genügen würde, ilt mir zweifelhaft, aber mit Dir m die Himbeeren gehen, das kann ich, und für Dich die schönsten herausiuchen! Komm' Tn mir mit! Ans Wiedersehen. Johanna!" Sie nickte der Schwägerin zu und faßte Naemis Händchen in ihre Rechte. Sehr liebevoll haftete ihr Blick auf dem gesenkten Blondköpfchen, über das die huschende» Sonnenlichter hinkoielten. Naemi ging stumm neben der Tante her. anscheinend ganz in Betrachtung des flimmernden Kiesweges, über den sie hinschrikt, versunken. „Nun, Kleines? Ist Dir Dein Züngelchen vielleicht eingefroren bel neunzehn Grad Wärme im Schatten?" fragte Charlotte neckend. Das Kind hob ieiu Gesichlchen empor und sah die Tante mit jenem tiefen, vergeistigten Blick an, der das kleine Geschöpf so seltsam verwandelte. „Mütterchen hat wieder geweint gehabt!" sagte es mit unterdrückter Stimme. „Ich Hab' es gesehen!" Charlotte drückte das Händchen in ihrer Rechten fester. »Große Leuts haben zuweilen Kummer. Mäuschen, das ist nicht anders und Du wirst «S noch oft erleben „Aber Mütterchen soll nicht weinen! Mütterchen nicht! Lieber schon de» Vater oder Mieze oder —" »Oder Tante Lotte!" ergänzte diese halb lachend. Das Kind lachte nicht mit; ein tiefer Seufzer hob leine kleine Brust. „Alles ist anders geworden bei uns — Alles!" Immer »och klang das Stimmchen beklommen, wie schwer von mühsam zurückgehaltenen Thräncn. .Hans ist ganz weg, und Väterchen sieht io elend aus und kann nie schlafen, und immer muß er zu dem kranken Onkel hinfahren, und der wird auch nicht gesund. Und jetzt ist noch der Onkel Paulus weg. der Witt» wohl auch in unserem ganzen Leben nie mehr Herkommen, denn er geht ja nach China, und da wagen alle Männer lange geflochtene Zöpfe!" „Hast Du Onkel Paulus lieb gehabt?" „Ja, — sehr lieb!" bestätigte Naemi treuherzig. „Er hat mir so hübsch erzählt, — von» kleinen, kleinen Jesuskindchen und vom lieben Gott, wie er die Sonne erschöpfte —" „Erschuf. Manschen!" „Erschuf — und alle Sterne und die vielen THIere und auch die Blumen, sch wollte, Onkel Paulus war' hier bei uns geblieben, statt zu den allen, dummen Chiire'en zu geben, — und Vater und Mütterchen die sind auch traurig, daß er ging, — ich weiß! Und ich weiß auch, wer lchuld ist, daß er gegangen ist l" „Nun, — wer denn, Naemi?" „Unsere Mieze, die ist schuld!" „Warum denn? Was hat sie gethan?" „Vater hat zu Mütterchen gesagt: wenn Maria anders wäre, hält' es so nicht kommen können, und »rein liebster Wunsch war' mir erfüllt worden. Er hat cs wahrhaftig Gott gesagt. Tanre Lotte, Tu kannst es mir glauben, denn ich saß in den Stachelbeeren und da Hab' ich es gehört!" „Und was denkst Du Dir weiter dabei?" „Unsere Mieze ih wunderhnbich, nicht wahr. Tante Lotte?" „Das kann ich nicht abstreiten, Mäuschen!" „Onkel Paulus wird Mieze zur Frau haben haben wollen — und das hat sie nicht haben haben wollen!" „Deshalb bist Du böse auf Mieze?" „Böie? Nein! Was soll sie bei dm dummen Chinesen, wo die Männe» im Unterrock gehen und Zöpfe wagen? Onkel Paulus hat mir Bilder ge- zeigi, da ist das Silles zu sehen! Ader vielleicht, wenn sie Ja gejagt hätte, dann war' Onkel Paulns auch hier geblieben und hätte wm anders nach China geschickt, — und nun geht er doch dahin und nimmt sich eine gani andere Frau!" „Hat er Dir das gesagt?" „Nein, — aber Mütterchen sagt, Einer, der die Heiden bekehrt, der muß immer eine Frau haben, damit sie ihm hilft, — allein wich er damit nicht fertig. Und fetzt sind wir Alle ganz traurig, — Vater und Mutter, und Onkel Paulus, und Mieze! Mieze hat neulich, wie sie mich auf dem Schoo» hatte, so die Hände über meinem Kopf gefaltet und hat gesagt: „O Gott. 0 Gott, wie wird das Alles noch werden? Wenn ich doch erst mit dem Vater gesprochen hätte!" Ihr Herr, das hat so laut geklopft und ihren Kops hat sie auf meinen Kopf gelegt, und wie sie ihn wegnahm, war mein Haar ganz naß. Also hat Mieze auch geweint, — und wenn sie Alle weinen, — dann —" Naemis liebliches Mündchen zuckte hilflos. „Na. Kleines, — ich weine doch wenigstens nicht!" „Ster». Tante Lotte. — aber so vergnügt, wie Tu Dich immer anstellst, bist Du gar nicht innerlich!" „Woher meinst D» das?" Das Kind antwortete nicht, — es nickte nur ernsthaft vor sich hin, als ob es sich selbst etwas bestätigte. (Fortätzung Tonnerttog.)
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)