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Bautzener Nachrichten : 05.08.1898
- Erscheinungsdatum
- 1898-08-05
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1887328319-189808050
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- http://digital.slub-dresden.de/id1887328319-18980805
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- Parlamentsperiode
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Zeitung
Bautzener Nachrichten
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Jahr
1898
-
Monat
1898-08
- Tag 1898-08-05
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Monat
1898-08
-
Jahr
1898
- Titel
- Bautzener Nachrichten : 05.08.1898
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ros« volle Feier, mit der er auch in der Reichshauptstadt des großen Toten im Sachsenwalde gedacht halte. — Die während der Trauerfeierlichkeit vom General superintendenten O. Faber in die Form eines freien Gebets gekleidete Ansprache, welche sich an den 149. Psalm an lehnte, lautete nach dem „Reichs-Anzeiger": .Herr Gott, ewiger allmächtiger Baler, vor Dein Angesicht kommt ein Volk in Trauer um den Mann, durch den eS zum Volk geworden ist, und Deutschland weint um seinen gröhten Sohn. DaS tiefste Leid wird wieder wach, in dem wir vor zehn Jahren dem unvergesslichen Heldenkaiser Klagerufe nach- riesen und bald daraus dem Liebling der Nation den Lorbeer des Helden und die Palme des Dulders legten aus sein frühes Grab. Es ist uns, als sollte die gewaltige Zeit, in der Du durch Deine auSer- wähllen Rüstzeug« der Weltgeschichte eine Wende gabst zu Deutschlands Heil, im letzten Abendrot verglimmen, nun da der alle große Kanzler heimgegangen ist zu seinem allen großen Kaiser. Aber die Hoffnung blickt milde in unser Abschiedsweh hinein, daß Du, o Herr, ein Volk nicht verlassen wirst, das Du solcher Männer würdigtest, und daß ein Volk, das fo um seinen Helden trauert, einer gesegneten Zukunst nicht entbehren wird. So ist denn mächtiger als unsere Trauer unser Herzensdank, daß Du uns diesen gewaltigen Mann geschenkt hast, in seiner urwüchsigen Kraft, feinem eisernen Willen, seinen bahnbrechenden Gedanken. Du bist es, der ihn zubereitet hat zu den unvergleichlichen Ausgaben seines Lebens, der ihn seinem hochherzigen König zusührte und es gab, daß ihre Herzen und Geister sich verstanden m Kamps und Not, in Sieg und Ruhm, bis der Tod sie schied. Durch Dich ist es geschehen, daß der König ihm das Höchste schenkte, was Fürsten zu vergeben haben, ein unbedingtes Vertrauen, und daß er seinem König das Köstlichste gab, was ein Unterthan zu bieten hat, Wahrheit und Treue bis in den Tod. Des wird Dich die Gemeinde deutscher Zunge loben bis in sernste Tage und die Harfen ihrer Sänger Dich rühmen in immer neuen Liedern, daß Du durch ihn und alle jene treuen großen Männer, die König Wilhelm in ernsten Krieges- und in edlen Friedens werken zur Seite standen, uns Dein Wohlgefallen erwiesen und uns herzlich geholfen hast und hast ihm scharfe Schwerter in die Hände ge geben, strafe zu üben unter den Völkern, die sich wider uns setzten, und ihre Könige und Edle zu binden mit den eisernen Ketten und Ringen der Heeresmacht und hernachmals mit dem sausten Bande der Ehrerbietung vor wahrer Größe, daß sie anerkennen mußten daS Recht des wiedererstandenen Deutschen Reiches und das Recht des zu Ehren gekommenen deutschen Namens. Weil alles, was des Patrioten Brust mit freudigem Hochgefühl schwellt, mit dem Namen Bismarck verbunden ist, darum danken wir Dir, daß Du ihn uns gegeben hast. Aber auch des wollen die Heiligen fröhlich sein, Preisen und rühmen auf Ihren Lagern, daß Du uns in dem entschlafenen Fürsten ein leuchtendes Vor bild deutscher Treue und Kraft geschenkt hast, daran sich je und je die Jugend begeistern, der Vvlksgcist sich stählen, die Volksseele sich er quicken kann, also daß auch in fpäten Tagen sein Name ein Zauber bleiben wird, die Feiglinge zu beschämen, die Schwachen zu ermutigen, die Starken zu entflammen zu manneskühner That. Insonderheit opfern wir unseren Lobpreis dafür, daß Du den teuren Toten mit dem Besten begnadigt hat, was es giebt aus Erden, lieber seine Erfolge und Ehren weit hinaus, hinaus über die Freude an der That und dem heißen Ringen, hinaus über die Freude an Sieg und herrlichem Gelingen, ja selbst über die Liebe seiner Familie und seines Vaterlandes hinaus, hast Du ihm das Beste darin geschenkt, daß er Deinen eingeborenen Sohn erkannt hat als seinen Herrn und Heiland, und daß er, der vor Dir doch nur ein armer Sünder war, erlöst ist durch das Kreuz dessen, der mit dem scharfen Schwerte des Geistes den Fürsten der Finsternis ge schlagen und durch sein heiliges Verdienst alle dunkeln Mächte gebun den hat, daß sie nichts vermögen wider die Kinder Gottes. Wir pressen Deine heilige Führung, daß es unser alter Kanzler gewußt hat, daß der Tod die Thür zum Leben ist, und wir vertrauen Deiner Barm herzigkeit, daß Du ihn aus den Eichenhainen des Sachsenwaldes heim- gesührt hast zu den Lebensbäumen des Paradieses. In seinem Sinne aber ist es, daß wir Dich, allmächtiger Vater, in dieser heiligen Stunde anrusen für unseren Kaiser und Herrn, daß Du auch ihn alle Zeit segnen wollest mit treuen und weisen Ratgebern, die ihm kräftiglich Helsen, das Erbe der Väter in Frieden zu wahren und auszugestalten; in seinem Sinne ist es, zu beten für sein heißgeliebtes Preußenland, darin die Wurzeln seiner Kraft geborgen waren, und für das ganze Deutsche Reich, das aus fester Grundlage auszubauen, feines Lebens höchster Ertrag gewesen ist. O, Herr, laß Dein Angesicht leuchten über das teure Vaterland, daß alles, was darin gerecht, werde gut, wachse und erblühe, und alles, was darin anders oder besser werden muß, sich wandle nach Deinem Wohlgefallen; gieb uns sonderlich zu dem hochnötigen Liebes- und Friedenswerk an unserem Volk gute Menschen und flammende Herzen! Und auch das ist im Geist des Heimgegangenen, daß wir, o Vater des Lichts, Dir uns heute von neuem geloben: Wir wollen Dich fürchten, auf daß wir sonst nichts in der Welt zu fürchten brauchen, wir wollen Glauben halten, wir wollen daraus sein, daß wir alle lieber und besser werden. Altar, Thron und Herd soll uns heilig bleiben. Mit Gott für Kaiser und Reich, das soll unsere Losung bleiben, Dein Wort soll uns Schild und Sonne sein. Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch In Ewigkeit, er soll auch unsere Hoffnung sein im Leben und im Sterben. Amen." — Professor Franz Lenbach ist von seinem Besuche in Friedrichsruh zu kurzem Aufenthalt in Berlin cingetroffen und hat sich einem Berichterstatter gegenüber über seine Ein drücke ausgesprochen. Durch die Mitteilungen Lenbachs wird manches, worüber geklagt worden ist, klargestcllt. Lenbach sagte: Ich war lediglich nach Friedrichsruh gefahren, um dem Fürsten Bismarck zum letzten Male die Hand zu küssen. Als ich am Montag um 1 Uhr mittags ankam, traf ich die Familie und die anderen Einwohner des Schlosses nicht bloß, wie natürlich, im Zustande tiefster Trauer, sondern noch mehr in einer an Ratlosigkeit grenzenden Verwirrung. Die letzten Leidenstage des Dahingeschiedenen haben die Familie furchtbar mit genommen. Ueberdies war es unmöglich, irgend welche Anordnungen zu treffen, welche überhaupt eine Totenfeier im großen Stile und des großen Toten würdig, gestaltet hätten. Der Altreichskanzler hat selbst bekanntlich nie Sinn für das Dekorative und für große Repräsentation gehabt, und so hat er sich das „Bauernhäusel" im Sachsenwalde für seine bescheidenen Bequemlichkeitsansprüche und für den Hausgebrauch hergerichtet. Für den Tod und die Totenfeier des deutschen National- helßen war das Haus nicht eingerichtet. In allen Zimmern standen und lagen Hunderte von Gegenständen des Gebrauchs herum, Tausende von Briefen und Telegrammen waren auf den Tischen teils schon ge ordnet, teils noch ungesichtet, so daß wirklich nur den intimsten Ver trauenspersonen der Eintritt in die Wohnung gewährt werden konnte. Es war kein Naum, es waren leine Arbeitskräfte da, um irgend ein repräsentatives Arrangement zu ermöglichen. Und der Arbeitsanlaß häufte sich ungeheuer. Beinahe von allen deutschen Fürstenhäusern lagen Anfragen wegen Teilnahme der regierenden Herren selbst oder ihrer Abgesandten an der Leichenfeier vor, die unverzüglich beantwortet werden mußten. Nicht zum geringsten wurde die persönliche Ausregung der Famillenglteder durch die Depeschen des Kaisers erhöht und durch den Widerspruch der letztwilligen Anordnungen des Toten mit den Ab sichten Kaiser Wilhelms. Unter diesen Umständen gab Fürst Herbert Bismarck den begreiflichen Befehl, das Schloß nach außen hin voll ständig abzusperren, um nur einigermaßen Herr der Situation bleiben zu können. * Jena, 4 August. Gestern mittag fand hier zum Gedächtnis des Fürsten Bismarck eine akademischeFeier statt, bei welcher Professor Delbrück die Festrede hielt. Im Anschluß an diese Feier wurde abends ein Trauer- Fackelzug veranstaltet, an dem das Oorpus aoaclswioum, die Studentenschaft, die Gemeindebehörden, militärische und bürgerliche Vereine, insgesamt über lausend Personen teil nahmen. Unter dem Geläute der Glocken zogen die Be teiligten nach dem Marktplätze, wo die Feier mit einer An sprache und dem Gesänge des Liedes „ Deutschland, Deutsch land über alles" ihr Ende erreichte. * Gera, 4. August. Der Erbprinz sandte ars Ebersdorf ein Beileidstelegramm und einen kostbaren Kranz nach Friedrichsruh und ordnete an, daß alle fürstlichen Schlösser und staatlichen Gebäude halbmast zu flaggen haben. Hamburg, 3. August. Das von der Stadt Hamburg geplante Bismarck-Denkmal ist gedacht nach Art der Porta Weslphalica. Es wird wahrscheinlich von einer Ufer anhöhe, etwa von dem Elbpaoillon in der Nähe der See warte aus, weithin über die Elbe blicken. Ein anderer Plan will das Denkmal in Verbindung mit der be schlossenen Erweiterung des allen Jungfernstiegs an das Alfterbasfln setzen. Die in Hamburg verbreitete Annahme, Andreas Meyer werde das Friedrichsruher Mausoleum bauen, sei irrig. Friedrichsruh, 3. August. Nachdem eS gestern zweifelhaft geworden war, ob nicht Bismarcks Sarg doch binnen wenigen Tagen provisorisch beigesetzt werden würde, ist man dank der durch Schweninger bewirkten Hinweg räumung der sanitätspolizeilichen Schwierigkeiten zu dem ursprünglichen Plane zurückgekehrt, die Leiche erst, in etwa sechs Wochen nach Fertigstellung der den Unterbau des geplanten Mausoleums bildenden Gewölbe beizusetzen. So lange der Sarg über der Erde steht, also während etwa sechs Wochen, werden die kleinen militärischen Abteilungen hier bleiben. Andauernd werden ganze Wagenladungen mit Blumenspenden, namentlich Orchideen und Rosen, ausgepackt. Friedrichsruh, 3. August. Die persönliche Diener- schäft des Fürsten Bismarck erhielt testamentarisch Legate von eintausend bis fünftausend Mark. * Friedrichsruh, 4. August. Im Auftrage des Königs von Lachsen traf heute der sächsische Staats- und Kriegsminister, General der Infanterie v. d. Planitz in Begleitung des Adjutanten Rittmeisters v. Arnim hier ein, um am Sarge des Fürsten Bismarck einen Lorbeer kranz niederzulegen und um dem Fürsten Herbert Bismarck die Teilnahme des Königs an dem Hinscheiden seines Vaters auszusprechen. — Der frühere Vicepräsident des Reichstags Abg. Spahn in Begleitung des Abg. Bachem und des Rechnungsrats Jungheim, als Vertreter des Bureaus des Reichstages, überbrachten heute im Namen des Reichs tages einen großen Kranz hierher. Sie wurden vom Fürsten Herbert, dem Grafen Wilhelm und der Gräfin Rantzau empfangen und in das Sterbezimmer geführt, wo sie am Sarge den Kranz niederlegten und der Familie ihre Teilnahme bezeugten. Fürst Herbert gab in seinem und der Familie Namen den Gefühlen des Dankes für die An teilnahme des Reichstages warmen Ausdruck. Die Schleife des Kranzes trug die Inschrift: „Dem ersten Kanzler des Deutschen Reiches der Deutsche Reichstag." — Der Rede, die Pastor Westphal zur Einsegnung der Leiche des Fürsten Bismarck gehalten hat, sind folgende Sätze entnommen: „Einen frommen Christensinn hat er vvn seiner Jugend an sich bis an DreieimgkeUS-Glauben sich den Wahlspruch gewählt: in trivitata rokur. (Das Kleeblatt Ist das Wappen Bismarcks.) Im Glauben an seinen Heiland Jesus Christus ist er dahingegangen und ruht in Gott. Der sronime Glaube, den er aus seinem frommen Elternhause mitgenommen hat ins Leben, das Bewußtsein der Abhängigkeit von Gott, das ein Schleiermacher ihm eingeprägt hat, das hat ihn nach eigenem Geständnis aufrecht erhalten in schweren Stunden seines Lebens und ihm die schwere Bürde seiner großen Verantwortlichkeit tragen helfen. Auf diesem Grunde sind ihm auch die Tugenden erwachsen, die wir an ihm be wundern neben seiner Geistesgröße. Seine Gottesfurcht war's, die ihn furchtlos machte vor Menschen. War's nicht sein Glauben an den einen Willen Gottes, der fest besteht, was ihn fest und unbeugsam machte was er einmal für Recht erkannt? War's nicht sein Gottvertrauen, was ihnr jenen bewunderungswürdigen Wahrheilsmut verlieh? War's nicht die Tiefe seines religiösen Bewußtseins, sein persönliches Christen tum, das niemand, der ihm nahe getreten ist, ihm absprcchen wird, woraus Ihm jene Demut quoll, in der er freundlich und leutselig war auch in hoher Stellung, jene Liebe, in der er treu war im großen wie im kleinen? Seine Frömmigkeit machte, daß er nicht bloß ein großer Geist, sondern auch ein großer Charakter gewesen ist, und wenn er noch vor wenig Monaten sich stellen durfte unter das Wort Johannes des Täufers: Er muß wachsen, ich muß abnehmen, und unter dem Eindruck dieses Wortes das Beichtbekenntnis sprach und das heilige Sakrament genoß und dieses Wort zu eineni Teil so bald in schmerz liche Erfüllung ging, — sollen wir nicht der Ueberzeugung leben dü sen, daß es auch zum andern Teil bei ihm wahr geworden sei, daß Christus bei ihnr gewachsen sei, ja daß in der Stille der Todesahnungen cs wie ein geheimes Seufzen durch seine Seele gegangen sei." St. Mo ritz-Bad, 4. August. Im Kurhause findet morgen vormittag eine Tranerfeier für den Fürsten Bismarck statt. * Genua, 4. August. Anläßlich des Hir.scheidens des Fürsten Bismarck fand hier heute früh in einer Kapelle in der Via Affarvtti ein feierlicher Trauergottesdienst statt, dem die Behörden und die Mitglieder der deutschen Kolonie beiwohnten. 8L Fürst Bismarck als Socialpolitiker und Staatsmann der Arbeitcrwelt. Mit Fürst Bismarck ist nicht nur ein deutscher Staats mann ersten Ranges, sondern einer der hervorragendsten Staatsmänner aller Zeiten dahingeschieden. Er hat als urwüchsiger Germane und Hauptbegründer des neuen Deutschen Reiches die ganze Welt mit seinem Ruhme erfüllt und einen Teil der Urkraft des deutschen Wesens allen Völkern der Erde fühlbar gemacht. Wie eine knorrige deutsche Eiche vinllto -r im v-ntkcti-n Ntulbo pmmon gebettet werden und als ein treuer deutscher Ehemann an der Seite seines innig geliebten Weibes ausruhen von harter Arbeit und schwerem Streite! Arbeit und Kampf für seinen preußischen Fürsten und für sein deutsches Volk war Bismarcks Losung. Während die Presse aller Völker in diesen Tagen Bismarcks politische Weltstellung und seine unvergleichlichen nationalen Thaten hervorhebt, wollen wir seine Verdienste als Socialpolitiker und Staatsmann der Arbeiterwelt kurz beleuchten. Fürst Bismarck hat ohne Rücksicht auf das politische Partcigetriebe bald die die höheren, bald die mittleren und bald die unteren Klassen seines Volkes für dieZiele, welche er erreichen wollte, zu benutzen gesucht. Als er das Vertrauen seines Königs erworben und die un entbehrlichen militärischen Kräfte des preußischen Staates sich gesichert hatte, suchte er, mit seiner Vergangenheit als konservativer preußischer Junker entschlossen brechend, zunächst das freisinnige deutsche Bürgertum für seine national deutschen Pläne zu gewinnen. Als er bei dem Bürgertum wegen seiner Vergangenheit auf Mißtrauen stieß, entschloß er sich, dem Rate des Volkstribunen Lassalle folgend, die breitesten Volksmassen gegen die bevorzugten Wahlberechtigten der konservativen und liberalen! Parteien in Bewegung zu setzen. „^lectoro gi ueguoo suxsros ^cbsrouta wovobo" („Kann ich die Hohen nicht beugen, so werd' ich die Untern erregen"). Fürst Bismarck hat die politische Unterwelt erregt wie kaum ein Staatsmann vor ihm. Viel radikaler und kühner als die fortgeschrittensten Libe ralen hat er das allgemeine geheime Wahlrecht eingeführt und damit die deutsche Reichsverfassung mit demokratische» Oel gesalbt, weil ihm dies im Zuge der Zeit zu liegen schien und weil er auch der Zustimmung des unteren Volks zur Durchführung seiner vaterländischen Pläne bedurftes Fürst Bismarck war am mutigsten in den gefährlichen diplomatischen Kämpfen Preußens nach außen und in dem inneren nationalliberalen Aufbau des neuen deutschen Staates. Aber der Mut zum Kampfe nach außen hätte zum Erfolg nicht ausgereicht. Bismarcks Größe zeigte sich auch in weiser Vorsicht und maßvoller Benutzung des Sieges. Im Kriege gegen Oesterreich, Sachsen, Bayern und Württemberg, wo Varnbüler den Preußen ein „Vas viotia!" (Wehe den Be siegten!) zugerufen hatte, vermied Bismarck jede Demütigung der Besiegten, um mit weitem staatsmännischen Blicke lieber künftig Bündnisse zum Entscheidungskampfe mit Frankreich, als dem Hauptgegner der deutschen Einheit, vorzubereiten. Fürst Bismarck brachte aus dem böhmischen Feldzuge auch kluge Nachgiebigkeit gegen die frühere Opposition im preußi schen Landtage in die Heimat zurück. König Wilhelm machte Frieden mit der Volksvertretung und sein großer Kanzler be gründete mit dem norddeutschen Bunde und mit der Gewährung des allgemeinen Wahlrechts eine Aera volkstümlicher Ent wickelung. Die Kriegserklärung Frankreichs an Preußen fand die deutsche Nation auch im Innern einig um das nationale Banner geschart und Fürst Bismarck stand, als der Frieden mit Frankreich am 10. Mai 1871 in Frankfurt abgeschlossen wurde, auf der Höhe seiner Macht! Nicht so glücklich wie in der äußern Politik war Fürst Bismarck in der innern Politik; aber seine redlichen Absichten für die Massen bewies Bismarck auch auf diesem Gebiete durch das allgemeine Wahlrecht, durch den Arbeiterschutz und die Arbeiter-Versicherung und durch den kühnen Gedanken eines Rechtes auf Arbeit. Fürst Bismarck hat thatsächlich auch die Arbeiter in den politischen Sattel gehoben, so daß sie nun mehr lernen müssen, auch in politischen und volkswirtschaftlichen Dingen selbst zu denken, selbst zu prüfen und das Beste z« behalten. Bismarcks heftigste Gegner würden ohne ihn nicht in solcher Anzahl im Reichstage sitzen. Viele aufrichtige Freunde Bismarcks halten die mit der Trennung von seinem langjährigen treuen Mitarbeiter Delbrück eingetretcnen Veränderungen in der Wirtschaftspolitik und namentlich die Einführung der Gctreidezölle, welche den Reichs kanzler nach unten hin unpopulär machten, für einen Haupt grund der innern Schwierigkeiten, mit denen Bismarck im letzten Jahrzehnt seines Wirkens zu kämpfen hatte. Aber wer diese letzte Richtung seiner innern Politik nicht teilt und den Kulturkampf sowie das Socialistengesetz, welche große Teile des deutschen Volks zu Märtyrern machten, nicht billigt, sollte deshalb der Haupt Verdi enste nicht uneingedenk sein, welche sich Bismarck um die Welt erworben hat. Die Begründung des Deutschen Reichs, die Heranziehung der unbemittelten Volksklassen zur Teilnahme am Stciats- leben und die für alle modernen Staaten maßgebend werdende Socialgesetzgebung Bismarcks sind so gewaltige Leistungen, daß der Dank dafür noch nach Jahrhunderten zum Ausdruck kommen wird. X Fürst Bismarck als Soldat. Bismarck ist tot! Es klingt wie der letzte Glockenschlag des endenden Jahrhunderts. Der Held, der das Deutsche Reich aufgerichtet, der Staatsmann ohne gleichen, der seiner Zeit den Charakter ausgeprägt, er ist endgültig vom Schau platz abgetreten und damit ist, was auch der Kalender da gegen einwenden mag, das 19. Jahrhundert zu Ende. Das Jahrhundert, welches Deutschlands tiefste Schmach und Er niedrigung zu seinem Beginne, zu seinem Ende Deutschland im Glanze seiner größten Macht sah. „Der Verewigte hat sich durch die mit eiserner Willens kraft geförderte Neugestaltung des Heeres in der Geschichte desselben ein unvergängliches Denkmal gesetzt. Wie ein Held auf den Schlachtfeldern trat er mit dem wärmsten Interesse zu jeder Zeit auch für die Wehrkraft des Vaterlandes ein und erwies sich stets als ein aufrichtiger und treuer Freund Meiner Armee..." Diese Kaiserlichen Worte, wie die seiner zeit vom Fürsten Bismarck nach der Verleihung des Ordens ,?our Is Llörits" nach der Schlacht bei Sedan an König Wilhelm gerichteten Dankesworte, die im Ausdrucke des Be dauerns gipfelten, daß ihm nach dem Willen seiner Eltern nicht erlaubt gewesen war, vor der Front, statt hinter dem Schreibtische seinem Herrscher zu dienen, dann der Satz de» Kabinettsordre Wilhelm I. bei der Ueberreichung des Eisernen Kreuzes an den eisernen Kanzler: „Sie haben mir während zweier Kriege nicht nur als hochbewährter Mann des Rate«, sondern auch als Soldat zur Seite gestanden" ... sie rechtfertigen den Ausspruch: „Bismarck sei in seiner Person die Verkörperung des Prinzips der Allgemeinen Wehrpflicht gewesen." Wenn Bismarck auch der größte Staatsmann seines Jahrhunderts war, so wird man, wenn man sich die Per- Staa^smann nie im Gewände des Bürgers oder im Minffter- frack erblicken, sondern stets in der historischen Uniform der Seydlitzkürassiere, bedeckt mit dem glitzernden Helme, umgürtet mit dem deutschen Reiterpallasch, die Fausthandschuhe in der Hand erblicken, wie er auf so vielen Bildern, auf so viele« Denkmälern verewigt ist. Der Schlapphut, das weiße Hals tuch, der bis an das Kinn zusammengeknöpfte schwarze Rock, sie sind die Attribute des alten Herrn im Sachsenwalde, der Waffenrock das des eisernen Kanzlers. Otto von Bismarck hat vom Gardejäger bis zu» Generalobersten der Kavallerie mit dem Range eines Feld marschalls, ausnahmlich der des Oberst-Lieutenants und Obersten, alle militärischen Rangstufen bekleidet und wer weiß, ob, wenn er seiner Vorliebe für den Kriegerstand hätte nach gehen können, er nicht der größte Feldherr seines Jahr hunderts geworden wäre, wie er der größte Staatsmann desselben war. Die Kriegskunst und die Staatskunst sind engstverschwistert, beide ergänzen sich und Bismarck hat nie zu der bekannte» Klage Anlaß gegeben: „Was das Schwert erworben, die Feder hat es verdorben." Er wußte stets die strategische« Operationen politisch vorzubereiten und aus der strategischen Situation politische Vorteile zu ziehen. Mehr wie einmal hat er bewiesen, daß ihm ein hohes Verständnis für die augenblickliche Gefechtslage innewohnte, so namentlich bei Sedan, wo er, obgleich König Wilhelm es durchaus nicht liebte, wenn jemand seiner Umgebung unberechtigt über seine Befugnis herausgriff, den König dazu anregte, ein konzen-
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